47
Ein paar Minuten später kam Eileen. Ich drückte ihr auf, öffnete die Tür und wartete auf der Schwelle. Kurz darauf tauchte sie mit einer Einkaufstüte vor der Brust auf der Treppe auf. Sie trug einen gelben Anorak, der ihr nur bis zur Taille reichte. Darunter schien sie ein smaragdgrünes Abendkleid zu tragen. Der enge Rock des Kleids reichte ihr bis zu den Knöcheln und hatte einen Schlitz an der Seite.
»Bin gleich wieder da«, sagte ich über die Schulter.
»Lass dir Zeit, alter Mann«, antwortete Kirkus.
Ich lief den Flur entlang. Während Eileen mir entgegenkam, tauchte ihr linkes Bein aus dem Kleid auf, verschwand wieder und schob sich erneut heraus. Sie trug offensichtlich keine Strümpfe. Das Bein war nackt.
Als ich ihr die Einkaufstüte abnahm, legte sie eine Hand auf meinen Hinterkopf, ich beugte mich zu ihr. Die Tüte wurde zwischen uns eingeklemmt, das Papier zerknittert, der Inhalt zusammengedrückt, ein paar Flaschen klimperten leise. Wir küssten uns. Ihr Gesicht war kalt vom Wetter. Ich war vorsichtig mit ihren Lippen, doch dann schlüpfte ihre Zunge in meinen Mund, und wir legten uns richtig ins Zeug. Eileen stöhnte, und ich bekam einen Ständer.
Viel zu schnell löste sie sich von mir. Ihre Lippen und ihr Kinn waren feucht. Sie lächelte. »Das hat mir gefehlt.«
»Mir auch.«
»Wir sollten Kirkus lieber nicht zu lange warten lassen«, sagte sie. »Was ist los, ist er früher gekommen?«
»Eine halbe Stunde zu früh.«
»War es schön?«
»Oh ja.«
Ich trug die Einkäufe über den Flur. Eileen ging neben mir und sagte: »Ein bisschen zu warm hier drin für die Jacke.« Sie zog den Anorak aus. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten; ein V-förmiger Streifen nackter Haut reichte fast bis zur Taille.
»Wow«, sagte ich.
Sie lächelte. »Gefällt es dir?«
»Du siehst fantastisch aus.«
Sie legte eine Hand auf meine Schulter und beugte sich zu mir. Ihr Atem kitzelte mein Ohr, als sie flüsterte: »Wenn Kirkus das gleiche Kleid trägt, fall ich tot um.«
»Du kleine Schlampe.«
Wir lachten beide, hörten aber auf, ehe wir an der Tür zu meiner Wohnung waren.
Als wir eintraten, stand Kirkus auf.
»Hallo, Rudy«, sagte Eileen.
»Eileen. Heute sehen wir aber famos aus!« Er wippte auf seinen Fußballen, legte den Kopf zur Seite und sagte: »Du bist wohl auf dem Weg zum Abschlussball, was?«
»Ist nur ein altes Kleid«, sagte Eileen. »Freut mich, dass du heute auch kommen konntest.«
»Ganz meinerseits.«
»Magst du Mexikanisch?«
»In welcher Hinsicht?«
»In Hinsicht auf Essen und Trinken«, sagte Eileen. »Zum Beispiel Rindfleisch-Fajitas und meine berüchtigten hoochas de los muertos
»Was ist das?«, fragte ich grinsend.
»Lass uns in die Küche gehen, dann zeig ich es dir.«
Ich folgte Eileen mit Kirkus im Schlepptau in die Küche und stellte die Einkaufstüte auf die Ablage. Eileen spähte hinein und holte zunächst eine Literflasche Cuervo-Gold-Tequila und dann eine etwas kleinere Flasche Triple Sec heraus.
Mit den Flaschen in Händen drehte sie sich um und bemühte sich, ernst zu bleiben. »Man braucht das«, sagte sie, »und das. Ein Glas, etwas Eis und viel davon.« Sie schüttelte die Tequilaflasche. »Dann noch ein bisschen hiervon.« Sie schüttelte den Triple Sec. »Gut mit einem Sargnagel verrühren.«
»Mit einer Zigarette verrühren?«, fragte ich.
»Unsinn. Mit dem Nagel eines Sargdeckels.«
»Ah. Leider habe ich gerade keine da.«
»Dann werden wir auf einen Finger zurückgreifen müssen. Aber macht euch keine Sorgen, ich erledige das. Ed, hol doch mal die Gläser.«
Ich nahm drei Gläser aus dem Schrank. Eileen ließ mich Eiswürfel hineinfüllen. Dann schickte sie Kirkus und mich ins Wohnzimmer. »Zu viele Leute in der Küche! Ich komme in einer Minute mit den Drinks.«
»Und nutzt die Zeit und Privatsphäre, um mit dem Finger umzurühren?«, fragte Kirkus.
Lächelnd ließ sie ihren Zeigefinger in der Luft kreisen.
»Sehr hygienisch«, sagte er.
»Der Alkohol tötet die Keime ab«, erklärte sie. »Das weißt du doch, oder?«
Lachend verließ ich die Küche.
Kurz darauf hockten wir alle im Wohnzimmer um den Tisch herum, tranken hoochas de los muertos und knabberten Tortillachips mit Salsa. Eileen saß neben mir auf dem Sofa. Wann immer sie sich über den Tisch beugte, hing das Oberteil ihres Kleids durch, und ich konnte ihre rechte Brust sehen … sowie einen Bluterguss an der Seite, den man nicht erkennen konnte, wenn sie aufrecht saß.
Der Anblick der glatten hellen Brust mit dem blauen Fleck erregte mich und erinnerte mich daran, was wir zusammen durchgemacht hatten, sorgte dafür, dass ich mich ihr näher fühlte. Aber er rief auch das Gefühl hervor, ein mieser Kerl zu sein. Eileen war zu schön, zu klug und lustig und lieb, um zu verdienen, dass ich mich nachts davonschlich und Casey suchte.
Zum Glück war ich mit meinem Drink und den Gesprächen so beschäftigt, dass ich kaum dazukam, an mein Hintergehen zu denken.
Als unsere Gläser leer waren, brachte Eileen sie in die Küche. Sie kam mit neuen Drinks zurück. Ich gelobte mir, den zweiten hoocha langsamer anzugehen. Es waren nur alkoholische Getränke darin - ein Margarita ohne Limettensaft sozusagen -, und ich war schon leicht beschwipst.
Mit dem Rücken zu Kirkus beugte sich Eileen vor und stellte die beiden Gläser auf den Tisch. Der Stoff ihres Kleids hing herab, und ich konnte ihre linke Brust sehen. Sie schaukelte leicht hin und her. Der Nippel war aufgerichtet. Ihr Lächeln verriet, dass sie genau wusste, welchen Anblick sie mir bot. Ohne sich aufzurichten, fragte sie: »Soll ich noch mehr Chips bringen?«
»Ich kann aufstehen und welche holen.«
»Nein, nein, bleib, wo du bist. Ich hole sie.« Sie richtete sich auf und wandte sich zu Kirkus. »Wie geht’s dir, Rudy?«
Er grinste. »Tipptopp.«
»Reichst du mir mal mein Glas?«, fragte sie mich.
Es war noch nicht ganz leer. Ich nahm es und gab es ihr.
»Gracias«, sagte sie.
»De nada«, entgegnete ich und fragte mich im selben Moment, ob ich auf Spanisch oder auf Französisch geantwortet hatte. Eigentlich sollte das nicht so schwierig sein; ich hatte doch erst ein Glas getrunken.
Während Eileen in die Küche ging, überlegte ich, was »bitte« auf Französisch hieß. De nada? Oder war das Spanisch, so wie ich es beabsichtigt hatte? Dann dachte ich an Hemingway. »Nada unser, der Du bist im nada.« Also war es Spanisch. Oder auch nicht. Er war immerhin ständig in Paris gewesen.
»Fehlt dir was, alter Knabe?«, fragte Kirkus.
Er war so ungefähr der Letzte, dem ich mein Gedankenchaos anvertrauen würde. »Eileen fehlt mir. Und ihre Chips«, sagte ich und bemühte mich um eine deutliche Aussprache.
»Das habe ich gehört.« Eileen kam mit der Chipstüte aus der Küche zurück. »Was denn jetzt, die Chips oder ich?«
»Du natürlich«, sagte ich.
»Wenn du das sagst«, meinte sie und beugte sich wie vorher über den Tisch, um Chips in die Schüssel zu schütten. Genau wie vorher starrte ich auf ihre Brüste. »Kann ich sonst noch was für euch tun?«, fragte sie in gebückter Haltung. Ich sah ihr in die Augen. Sie wirkte äußerst zufrieden mit sich.
»Du treibst den armen Jungen in den Wahnsinn«, sagte Kirkus. Obwohl er nicht sehen konnte, was ich sah, hatte er offenbar gemerkt, was vor sich ging.
Eileen grinste breit. »Stimmt das?«, fragte sie mich.
»Mir geht’s gut«, sagte ich.
»Schön.« Sie richtete sich auf. »Jetzt müsst ihr beide eine Weile ohne mich auskommen. Meine Fajitas rufen mich. Sagt einfach Bescheid, wenn ihr was braucht.« Sie wandte sich zur Küche.
Ich wollte nicht, dass sie ging. »Kann ich dir helfen?«
»Nein, danke. Du bleibst hier und unterhältst unseren Gast.«
»Vielleicht findest du manche Sachen nicht.«
»Wenn ich nicht weiterkomme, ruf ich dich.« Sie ging in die Küche. Ein paar Augenblicke später wurde ihr Geklapper von Willie Nelson und Ray Charles begleitet. Sie sangen »Seven Spanish Angels«.
Ich trank einen Schluck und grinste Kirkus an. »Tolle Musik«, sagte ich.
»Was mal wieder deinen schlichten Geschmack beweist, mein Freund.«
»Leck mich am Arsch.«
»Sag nichts, was du nicht wirklich meinst.«
Ich lachte und schüttelte den Kopf. »So weit kommt’s noch.«
»Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel«, zitierte er.
»Ich bin keine Dame.«
»Ah, vive la différence
Obwohl ich den französischen Ausspruch verstand (oder war es Spanisch? - diese verfluchten hoochas de los muertos!), war ich nicht sicher, was er damit meinte. Ich blickte ihn mit gerunzelter Stirn an.
»Tu nicht so, als würdest du es mir übelnehmen. Du fühlst dich geschmeichelt.«
»Hä? Wieso geschmeichelt?«
Kirkus beugte sich zu mir und sagte leise: »Und das solltest du auch, da du hier in deiner Wohnung zwei wunderbare Menschen beherbergst, die dich am liebsten mit Haut und Haaren auffressen würden.«
Einen schrecklichen Moment lang schoss mir durch den Kopf, dass Eileen und Kirkus mir eine Falle gestellt hatten und mich zum Abendessen verspeisen wollten. Nach dem, was ich Mittwochnacht unter der Brücke gesehen und von Casey gehört hatte, schien es nicht allzu weit hergeholt.
Sicher.
Natürlich wusste ich, worauf Kirkus hinauswollte.
»Denk nicht mal dran«, ermahnte ich ihn.
»Ich kann wohl kaum widerstehen, daran zu denken, mein Freund. Du bist wirklich zum Anbeißen.«
»Hör auf damit, ja?«
»Ach, entspann dich. Ich habe nicht vor, mich auf dich zu stürzen. Schließlich bin ich immer noch ein Gentleman. Ich habe mich nie jemandem aufgedrängt.«
»Freut mich zu hören.«
»Aber wenn du mich willst, musst du nur pfeifen. Du weißt, wie man pfeift? Man spitzt einfach die Lippen und …«
»He, jetzt reicht’s.«
Eileen kam aus der Küche. Sie trug meine einzige Schürze - ich selbst hatte sie noch nie umgebunden. »Eddie, kommst du mal und räumst den Tisch ab?«
»Gerade nochmal davongekommen«, sagte ich.
Kirkus grinste. »Du bist entschuldigt.«
Finster
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