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Als ich aufwachte, war mein Zimmer vom Tageslicht
hell erleuchtet. Die andere Seite meines Betts, wo Holly sein
sollte, war leer. Ich stellte mir vor, wie sie dort schlief, auf
der Seite zusammengerollt, rotbraune Haarsträhnen im Gesicht.
Morgens, ehe sie aufwachte, wirkte ihr Gesicht immer weich und sehr
jung, so dass sie aussah wie ein schlafendes Kind.
Trauer und Sehnsucht überkamen mich.
Ich fragte mich, ob es eine Möglichkeit gab, Holly
zurückzubekommen.
Es erschien mir nicht gerade wahrscheinlich. Und
selbst wenn sie ihren Jay verlassen hätte und zu mir zurückgekommen
wäre, wäre es nicht mehr dasselbe gewesen. Sie hatte sich
verändert. Oder vielleicht war sie auch wie immer und hatte
lediglich ihren wahren Charakter gezeigt.
Ihren wahren, gemeinen Charakter.
Die einzige gute Möglichkeit, Holly noch an meinem
Leben teilhaben zu lassen, war, mich daran zu erinnern, wie es vor
Beginn des Sommers gewesen war. Wenn sie neben mir im Bett
geschlafen hatte, zum Beispiel.
Das Telefon klingelte.
Ächzend drehte ich mich um. Der Wecker auf dem
Nachttisch zeigte 11:48 Uhr.
Ich hatte ihn auf 12:00 Uhr gestellt.
Während das Telefon weiterklingelte, stieg ich aus
dem Bett und eilte ins Wohnzimmer. Ich war nackt. Aber die Sonne
schien warm durch die geschlossenen Vorhänge, und es gab niemanden,
der an meiner Nacktheit Anstoß hätte nehmen können, deshalb scherte
ich mich nicht darum.
Auf dem Weg zum Telefon kam ich an der Stelle
vorbei, wo ich letzte Nacht mit Eileen auf dem Teppich gelegen
hatte. Plötzlich war ich mir ziemlich sicher, wer anrief.
»Hallo?«
»Hi, Eddie.« Ich hatte mich nicht getäuscht. »Bist
du schon auf den Beinen?«
»Klar.«
»Ich wollte nicht, dass du verschläfst und dein
Seminar verpasst. Die Haarsträubende Hatchens wäre
erschüttert.«
Ich musste beinahe lächeln. »Ja, sie würde mich
bestimmt vermissen.«
»Es ist fast zwölf.«
»Stimmt, ich sollte lieber in die Gänge
kommen.«
Schweigen.
Jetzt kommt’s.
»Also«, sagte sie schließlich, »wie geht’s dir
heute Morgen.«
»Nicht schlecht. Und dir?«
Sie zögerte, ehe sie sagte: »Ziemlich gut.«
Wieder Schweigen.
»Und«, fuhr Eileen nach einer Weile fort, »sollen
wir
uns später treffen?«
Ich gab mir Mühe, einigermaßen begeistert zu
klingen. »Klar. Gute Idee.«
»Vielleicht können wir irgendwo einen Burger essen
gehen oder so.«
»Klingt gut.«
»Warum treffen wir uns nicht bei dir? Es könnte ein
bisschen komisch aussehen, wenn du zum Wohnheim kommst … als würde
ich versuchen, Hollys Platz einzunehmen oder so.«
Was du natürlich nicht vorhast.
»Schließlich weiß jeder hier alles über euch
beide.«
»Ah ja.«
»Deshalb wäre es vielleicht besser, wenn wir die
Sache erst mal für uns behalten. Findest du nicht auch?«
»Gute Idee«, sagte ich.
»Was hältst du davon, wenn ich so gegen fünf oder
sechs bei dir vorbeikomme? Vielleicht können wir irgendwo
hinfahren, weit genug weg, dass niemand was von uns
mitbekommt.«
Irgendwo weit weg …
Plötzlich erwachte mein Interesse.
»Es gibt da einen Italiener in der Nähe von Dandi
Donuts«, sagte ich. »Wie wäre es damit?«
»Prima. Dann hol ich dich gegen fünf ab, und wir
fahren da raus.«
»Genau.«
»Okay, super. Dann sehen wir uns später.«
»Schön.«
»Und komm nicht zu spät zur Uni.«
»Danke für den Weckruf.«
»Tschüss, Eddie.«
»Bis dann.«
Ich legte auf, ging ins Bad, auf Toilette und stieg
dann in die Dusche. Unter dem Wasserstrahl versuchte ich, mir über
einige Dinge klarzuwerden.
Hauptsächlich darüber, was ich mit Eileen tun
sollte.
Ich mochte sie, und ganz besonders mochte ich, was
wir letzte Nacht in meinem Wohnzimmer getan hatten. Tatsächlich
wurde ich schon hart, wenn ich nur daran dachte.
Aber ich liebte sie nicht. Ich wollte nicht mit ihr
zusammenziehen. Ich wollte sie nicht heiraten. Ich wollte keine
Kinder mit ihr …
Und wenn sie schon schwanger ist?
Nein, beruhigte ich mich, wir haben es nur einmal
getan.
Einmal kann schon reichen.
Ich hatte kein Kondom benutzt. Hatte sie
irgendwie verhütet?
Die ach so entzückende und einfühlsame Holly hatte
sich unter Verhütung gutes Timing, rechtzeitiges Herausziehen und
Glück vorgestellt … offenbar wollte sie von ihrer Lust keine
öffentliche Kunde geben, indem sie mit einem Arzt oder Apotheker
darüber sprach. Sie hätte mich auch keine Kondome benutzen lassen.
Ihrer Aussage nach wollte sie mich in sich spüren. Das
passte mir gut, da ich Kondome ebenfalls hasste. Das Ergebnis war,
dass wir einige Male ziemlich erschraken, als Hollys Periode nicht
pünktlich einsetzte.
Diese gemeinsamen Ängste hatten uns einander noch
nähergebracht … so hatte ich es jedenfalls empfunden.
Aber ich wollte diese Nähe nicht mit Eileen
erleben.
Ich muss irgendwie da rauskommen, dachte ich.
Klar, aber wie?
Ich ließ mir sämtliche Möglichkeiten durch den Kopf
gehen, während ich duschte, mich abtrocknete, eine Tasse
Pulverkaffee trank und Schokoladenkuchen aß, dann meine Zähne
putzte, mich anzog, meine Bücher einsammelte und mich auf den Weg
zum Campus begab.
Manche Dinge sind eben nicht so einfach.
Vielleicht will sie gar keine Verpflichtungen
eingehen, redete ich mir ein. Sie weiß, wie sehr ich Holly geliebt
habe. Also muss sie auch wissen, dass ich sie nicht liebe.
Möglicherweise wollte sie mich letzte Nacht nur aufheitern.
Klar.
Das hätte ich gern.
Das gibt’s aber nicht.
Als ich die Dexter Hall betrat, die alle das
Englischgebäude nannten, war ich zu der Einsicht gekommen, dass
Ehrlichkeit immer die beste Strategie ist. Ich musste Eileen
einfach meine wahren Gefühle offenbaren.
»Es tut mir leid, Eileen, aber ich liebe dich
nicht. Ich wünschte, es wäre anders, aber … Ich glaube, ich bin
überhaupt nicht mehr fähig zu lieben … nach der Geschichte mit
Holly.«
Diese Worte fühlten sich wahr an.
Aber sie klangen nach einem Haufen Scheiße.
So einfach kommst du nicht davon,
Kumpel.
Ich betrat den Seminarraum und lächelte Dr.
Hatchens zu. Sie lächelte zurück. Aber es war ein abfälliges
Lächeln. »Schön, dass Sie noch zu uns stoßen konnten, Mr.
Logan.«
Ich war zwei Minuten zu spät.
»Es tut mir leid, Dr. Hatchens.«
»Uns tut es auch leid«, entgegnete sie.
Da dachte ich, es könnte schlimmer sein. Wenigstens
war ich letzte Nacht nicht an die bekackte Haarsträubende Hillary
Hatchens geraten.
Ich war ziemlich unaufmerksam. Wenn man eigene
Probleme mit dem anderen Geschlecht hat, ist es schwer, sich auf
Othello zu konzentrieren.
Auch Dr. Hatchens bemerkte meine
Schwierigkeiten.
»Möchten Sie Ihre Meinung beisteuern, Mr.
Logan?«
»Von einem, der nicht klug, doch zu sehr
liebte.«
Ich zwang mich zu einem schwachen Lächeln. Einige
der anderen Englischstudenten lachten, aber Dr. Hatchens fand es
nicht amüsant. »Es geziemte sich, wenn Sie in Zukunft besser
aufpassen würden.«
»Tut mir leid.«
»Das wissen wir.«
Scheiße.