Kapitel 36

Honey sprintete die Straße hinunter in Richtung North Parade. Es lag Laubgeruch in der Luft. Die Bäume hatten zwar noch keine Blätter, aber vielleicht wollte der Frühling dieses Jahr früher kommen, und die kleinen Knospen warteten nur darauf, aufzublühen?

Sie blieb an einer Ampel stehen. Zum ersten Mal in diesem Monat war sie froh, dass die Nachtluft so kühl war. Als Doherty endlich auftauchte, waren ihre Wangen nur noch rosig und nicht mehr puterrot.

Sein MR2 fuhr an die Bordsteinkante heran. Doherty, ganz der Gentleman, schob von innen die Tür auf. Honey stieg ein.

Während er den Wagen wieder in den fließenden Verkehr einfädelte, platzte Honey gleich mit den Neuigkeiten in Sachen Drehbuch heraus.

Steves Augen ruhten auf den Autos vor ihnen. Endlich sagte er: »Das ist alles nicht wichtig. Nicht mehr.«

»Wieso?«

»Coleridge war’s.«

»Was war denn sein Mordmotiv?«

»Das wissen wir noch nicht.«

Honey schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube das nicht. Warum sollte der seine Verlobte umbringen? Er hatte doch keine Lebensversicherung für sie abgeschlossen.«

»Aber für den Film hatten sie eine Versicherung. Wenn der aus irgendeinem Grund in die Binsen ging – simsalabim –, schon kriegten sie von denen die Kleinigkeit von zwanzig Millionen Dollar.«

»Aber dann ist da immer noch das Drehbuch. Blut auf dem Drehbuch. Das hat Perdita Moody geschrieben, nicht Chris Bennett. Hast du den Kerl eigentlich je befragt?«

»Nein. Dazu gab es keinen Grund. Der war nicht am Set.«

»Oder vielleicht doch?« Honey lehnte sich zurück und dachte nach.

»Sie haben behauptet, das Drehbuch hätte dieser Chris Bennett geschrieben, dem wir nie begegnet sind. Na gut, ich weiß, dass so was heutzutage öfter vorkommt – dass ein Profi einen Text schreibt und die tolle Berühmtheit, die kaum ihren Namen buchstabieren kann, die ganz Ehre einheimst. Aber das hier ist doch ganz etwas anderes. Hier geht es um ein Plagiat. Wo ist also der Typ?«

»Hör mir gut zu, Honey. Es ist egal. Ich hatte gedacht, dass du die Sache unbedingt Brett Coleridge in die Schuhe schieben wolltest. Den konntest du doch von Anfang an nicht leiden.«

»Arrogant, ein fieser Macho, ungehobelt, ein Snob … Ja, das stimmt alles.«

»Das tut nichts zur Sache. Die Produktionsgesellschaft – deren Chef er ist, weißt du – hat die Versicherungssumme eingefordert. Es müssen noch alle Mitarbeiter ausgezahlt werden. Aber die Versicherung zögert die Überweisung hinaus, bis wir mit unseren Ermittlungen fertig sind. Die vermuten, dass da was faul ist. Und das Oberfaule in diesem Spiel ist Brett Coleridge.«

Er bog ab und fuhr aus Bath heraus.

»Wann wirst du ihn befragen?«

»Morgen. Die Metropolitan Police1 hat ihn in U-Haft.«

»Da fährst du also morgen hin?«

»Willst du mir Gesellschaft leisten?«

Sie überlegte. »Nimmst du den Zug?«

»Ja.«

Er bog oben am Tog Hill auf einen Parkplatz ein. Die Aussicht war atemberaubend. Hinter ihnen erhoben sich die dunklen Wälder und Berge, die die Stadt Bath umgaben. Vor ihnen lagen die Lichter der Stadt Bristol ausgebreitet wie eine glitzernde Decke.

»Ich komme mit, aber nur bis Swindon.«

Sie merkte, wie er sie ansah.

»Bei dieser Beleuchtung siehst du toll aus.«

»Du meinst im Dunklen? Ich sehe besser aus, wenn es finster ist? Du hast den Charme einer Dampfwalze, Steve Doherty!«

Honey verschränkte die Hände vor der Brust und starrte grimmig auf die Lichter der Großstadt.

»Es ist gar nicht einfach, dir ein Kompliment zu machen, Hannah Driver!«

Es sträubte sich alles in ihr, wenn er ihren vollen Namen benutzte. Nur ihre Mutter machte das. Alle, wirklich alle anderen nannten sie Honey.

»Na gut«, seufzte er. »Ich bin nicht gerade Casanova. Ich hab’s nicht so mit Worten. Also, ich will es noch mal versuchen. Das subtile Licht hier oben betont deine Wangenknochen. Da! War das besser?«

Sie konnte schlecht zickig sein, wenn er sich solche Mühe gab.

»Danke.«

Erst reagierte er gar nicht.

»Du kannst dich entschuldigen, wenn du so weit bist«, sagte er schließlich.

»Wofür?«

»Dass du mich so angekeift hast.«

Sie drehte sich zu ihm hin. Er hatte recht, was das subtile Licht betraf. Erstaunlich, dass der ferne Schimmer der Großstadtbeleuchtung so weit reichte. Er ließ alle Gesichtszüge schärfer hervortreten.

»Hmm«, meinte sie. »Du siehst im Dunklen auch ziemlich gut aus.«

Sie sah, dass er lächelte. »Schmeichelei mag ich. Ist Nummer sieben auf meiner Favoritenliste von eins bis zehn.«

»Ich weiß, was du meinst. Ich erkundige mich lieber nicht nach den Nummern eins bis sechs.«

»Auch nicht nach Nummer acht bis zehn?«

Sie überlegte. Die Nummern acht bis zehn mussten ja ziemlich harmlos sein, ganz gewiss im Vergleich zu den Top drei der Liste.

»Okay. Dann schieß los.«

Sie wartete. Was würde das wohl sein?, überlegte sie, während sich ein warmes, sentimentales Gefühl in ihrem Inneren ausbreitete. Was könnte Nummer acht sein? Irgendwas, das nach Schmeichelei kam.

Er verzog einen Mundwinkel zu einem schiefen kleinen Lächeln. »Ich mag es, wenn man mir den Nacken krault.«

Sie schaute ihn an. Nein, darauf wäre sie nicht gekommen.

»Könntest Du mir den Gefallen tun?«, fragte er, als sie keinerlei Anstalten machte, sich zu bewegen.

An diesem Abend waren schon ziemlich viele unerwartete Dinge geschehen. Erst das Theaterstück ihrer Mutter, voller sexueller Anspielungen und anzüglicher Ausdrücke. Und jetzt das! Wäre das Stück nicht gewesen, hätte sie nun vielleicht nicht mitgespielt. Aber irgendwie hatte es ihre Phantasie angeregt, ihr sogar Lust gemacht. Jedenfalls schien sich ihr Arm scheinbar ohne ihr Zutun zu heben. Und halbe Sachen machte sie nie.

»Du bist verschwitzt.«

»Wie bitte?«

»Ich habe gesagt, du bist verschwitzt.«

Seine Augen waren geschlossen.

»Ich hatte was anderes verstanden.«

Honey wusste aus Erfahrung, wohin diese Bemerkung führen sollte. »Und bist du’s?«

»Was? Verschwitzt oder spitz?«

»Doherty?«

Sie wollte ihre Finger wegziehen, bekam aber keine Gelegenheit dazu.

Doherty küsste sie. Ihr Arm lag noch auf seiner Schulter, ihre Finger in seinem Nacken. Da konnte sie nichts machen. Da wollte sie auch nichts machen.

»Fährst du morgen mit mir mit?«, erkundigte er sich zwischen den Küssen.

»Ja, aber ich steige in Swindon aus.«