Die gute Nachricht: der Installateur war inzwischen da, und Smudger drohte nicht mehr damit, er würde den Kopf in den Backofen stecken.
»Das wäre mir auch egal gewesen«, schimpfte Honey. Er schaute ganz entsetzt. »Also, du herzlose …«
»Das Gas war doch abgestellt. Schon vergessen? Das macht man, wenn man ein Gasleck hat. Man dreht den Haupthahn ab.«
Smudger, der Chefkoch, maß dem Erfinden und Kochen feinster Gerichte so viel Bedeutung zu wie ein Mönch seinem Zölibat. Vielleicht sogar eher mehr. Kein Gas für den Herd mehr zu haben, das hatte Smudger völlig die Fähigkeit geraubt, einen logischen Gedanken zu fassen. Doch sobald der Schaden behoben war, lief er sofort wieder zu Höchstform auf. Das hieß: die Pastetchen waren im Nu gebacken und gefüllt und warteten darauf, dass man sie unter die gierige Menge verteilte. Es bedeutete auch, dass Honey heute Abend ausgehen konnte.
Doherty rief an, um sich mit ihr zu verabreden. »Später im Zodiac. Doch zuerst noch zu Brett Coleridge. Kannst du dich eventuell von der Veranstaltung des Women’s Institute loseisen? Martynas Verlobter ist hier. Er besteht darauf, die Ermittler im Fall Manderley kennenzulernen. Ich habe den Kürzeren gezogen.«
»Und brauchst meine Hilfe?«
»Ich hab gedacht, ich nehme dich mit.«
»Vielen Dank auch. Wo ist er?«
»In einer Suite im Royal Crescent Hotel.«
»Keine Billigabsteige also.«
Die Fünfsterne-Unterkunft im Royal Crescent Hotel war alles andere als billig. Und ein Zimmer hatte nicht gereicht, nein, der Kerl hatte gleich eine ganze Suite gemietet.
Später rumpelten sie mit dem Wagen über das Kopfsteinpflaster vor dem Royal Crescent Hotel. Mit Ausnahme des Hauses, in dem das Hotel untergebracht war, hatte man alle anderen Gebäude an diesem Platz schon vor Jahren in Wohnungen unterteilt. Die Miete für ein Appartement hier kostete ein Vermögen. Der Kaufpreis für eine Wohnung war astronomisch hoch, für das gesamte Haus mehr als galaktisch.
Damit die Autofahrer den Crescent nicht als Schleichweg benutzten, hatte man an einer Seite – der linken Seite, wenn man sich den Crescent von vorn anschaute – bei den Marlborough Buildings Poller aufgestellt. Wer in den Crescent hineinfuhr, musste einfach wenden, wenn er von dort wieder wegwollte.
Doherty hatte das wohl bedacht. Er parkte am hinteren Ende des Platzes. So würde er leichter wenden können. Sein Wagen war ein tiefer gelegter, sehr sportlicher MR2. Doherty stellte das Auto mit der Motorhaube zu den Pollern an der Straßenseite ab, die zu der großen Rasenfläche vor den Häusern hin ein wenig abfiel. Honey atmete tief durch und ließ den eleganten weiten Bogen der Gebäude auf sich wirken. Rechter Hand erstreckte sich das Grün der privaten Parkanlage, ein kostbarer und seltener Anblick in einer modernen Stadt. Dahinter war vor einer Reihe schöner, alter Bäume der leicht abgesenkte Zaun zu sehen. In noch weiterer Ferne konnte man im Dunst die Skyline der Stadt mit ihren Mansardendächern, gedrungenen Türmen und modernen Gebäuden ausmachen.
Honey seufzte. Hier oben schmeckte die Luft irgendwie anders. Und die Vögel sangen. Mehr noch, man konnte sie auch hören, weil sie kein Verkehrslärm übertönte.
Sie rappelte sich mühsam aus dem Auto hoch und knurrte, dass Sportwagen wohl eher etwas für jüngere Knochen seien.
»Würdest du dir nicht auch wünschen, dass dir das Hotel hier gehörte?«, fragte Honey, als sie auf die spiegelnde Glastür zugingen. »Wenn ich nur das nötige Kleingeld hätte …«
»Um es zu kaufen?«, erkundigte sich Doherty.
»Nein, um hier abzusteigen.«
»Oh! Da würdest du aber nicht nur das passende Kleingeld brauchen, sondern auch den passenden Anlass.«
Sie blickte zu ihm auf. »War das etwa eine Einladung?«
»Absolut.«
»Du zahlst?«
»Was kostet denn hier eine Übernachtung?«
Sie sagte es ihm.
Er schüttelte den Kopf. »Da musst du warten, bis ich Polizeipräsident mit dem dazugehörigen Gehalt bin. Oder besser noch, bis ich zur Gegenseite übergelaufen und Pate bei der Mafia geworden bin. Wenn ich es mir recht überlege, müsste ich mich wohl für den Polizeipräsidenten entscheiden. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mafiosi heutzutage etwas für so viel Kultur übrighaben.«
Die hervorragend gestaltete Umgebung sprach von erlesenem Geschmack und zeigte stilvolle Eleganz. Mit dem Geld, das man für eine Übernachtung in einer Suite berappen musste, konnte man wahrscheinlich anderswo eine ganze Wohnung einrichten.
Obwohl Honey Brett Coleridge noch nie vorher gesehen hatte, war sein Typ ihr vertraut. Er hatte die gelassene Körpersprache eines selbstbewussten Mannes: Schultern zurück, tadellose und teure Kleidung. Alles an ihm glänzte, als hätte man ihn mit Hochglanzlack besprüht. Sein Haar glänzte. Sein Seidenanzug glänzte. Sein ultraweißes Hemd schimmerte wie Neuschnee im gleißenden Sonnenschein. Und seine Krawatte war marineblau und seidenglatt wie der Rücken eines Delfins.
Wahrscheinlich sind seine Kopfkissen mit Geldscheinen gefüllt, überlegte Honey und genoss diese alberne Vorstellung. Feinste ägyptische Baumwolle, versteht sich. Oder Seide. Mit Goldstickerei.
Drei Schritte hinter Coleridge folgten zwei Bodyguards mit ausdrucksloser Miene und kantigen Kinnladen. Top-Sicherheitsleute. Als wäre er der Präsident der Vereinigten Staaten und nicht der Sohn einer litauischen Familie, der in deren gigantischen Reichtum hineingeboren war. Lindsey hatte Nachforschungen angestellt. Gab es denn nichts, was ihre Tochter nicht herausfinden konnte, wenn man ihr nur ein bisschen Zeit ließ?
Großvater Coleridge hatte seinen unaussprechlichen litauischen Familiennamen abgelegt. Den neuen Namen hatte er auf einem Gedichtband gefunden. Honey erzählte Doherty, was sie wusste, und er gab ihr seine Informationen weiter.
»Aalglatter Kerl und stinkreich.«
Das sah man Coleridge schon von Weitem an. Seine Ganzkörpersonnenbräune verkündete laut und deutlich seinen Megareichtum. Nicht dass Honey aus eigener Anschauung wusste, dass er am ganzen Körper braun war. Sie nahm es nur an. Vom Nacktbaden auf einer Privatinsel im Pazifik oder so.
Brett Coleridge lächelte nicht. Aber Honey vermutete, dass dann seine Zähne perlweiß schimmern würden – mit ein wenig Unterstützung der Keramikindustrie. Sie rief sich in Erinnerung, dass er gerade seine Verlobte verloren hatte. Da war es nur recht und billig, ihm ihr Beileid zu bekunden.
»Es tut mir leid …«, hob sie an.
Coleridge schnitt ihr das Wort ab und schaute durch sie hindurch zu Doherty. »Sind Sie hier der Chef?«
Auch Doherty setzte zu einer Beileidsäußerung an. »Ja, das bin ich. Darf ich Ihnen zunächst mein …«
»Ich will, dass Sie den verhaften, der das getan hat. Keine Entschuldigungen. Kein Geschwafel. Ist das klar?«
Honey bemerkte, dass in Dohertys Augen kurz Wut aufblitzte. Aber er blieb kühl – eiskalt.
»Wir werden unser Möglichstes tun, Sir. Darf ich diese Gelegenheit ergreifen und Ihnen unser tiefstes Mitgefühl zum Verlust Ihrer Verlobten …«
Coleridge schien überhaupt nicht zu hören, was Steve sagte. Oder er hatte es einfach ignoriert, als sei Mitleid etwas Triviales – besonders wenn es einem von jemandem entgegengebracht wurde, der kein Luxusgefährt und das dazu passende Bankkonto hatte.
Er war ganz einfach ein Flegel, überlegte Honey. Er hatte ihnen den Rücken zugekehrt, stand mit den Händen in der Tasche am Fenster und starrte auf die Stadt hinunter.
»Und wenn ich noch eine einzige Andeutung zu hören bekommen sollte, dass vielleicht ich für Martynas Tod verantwortlich sein könnte, kriegen Sie es mit meinen Anwälten zu tun.« Seine Stimme war so messerscharf wie seine Bügelfalte.
Doherty mahlte mit den Kiefern, als müsste er diese Bemerkung erst gut durchkauen.
»Ich war mir nicht bewusst, dass jemand Sie beschuldigt hat, Mr Coleridge. Sollte ich Sie denn beschuldigen?«
Seine Stimme klang so höflich, so kontrolliert. Dabei musste er sich bestimmt eisern an der Kandare halten. Sie überlegte, dass vor Steves innerem Auge sicher gerade ein Film ablief, in dem er dem Typen seinen eigenen reinseidenen Schlips um den sonnengebräunten Hals schnürte und ihn damit erwürgte.
»Mir ist bewusst, dass die Polizei vor Ort vielleicht eine dünne Personaldecke und beschränkte Mittel hat. Ich werde jedoch nicht dulden, dass jemand den Verdacht auf mich lenkt. Ist das klar?«
»Das ist klar, Sir. Ich denke, wir sind uns einig. Je schneller diese Angelegenheit geklärt ist, desto besser. Aber warum sollte ich Sie verdächtigen? Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie sich zum Zeitpunkt von Miss Manderleys Tod in New York aufgehalten.«
»Das stimmt.«
»Ich bin sicher, die Fluggesellschaft und das Hotel können diese Aussage bestätigen?«
Coleridge fuhr herum. »Wie können Sie es wagen, meine Ehrlichkeit anzuzweifeln! Und übrigens bin ich mit meinem Privatjet geflogen.«
»Ach, wirklich?« Doherty lächelte. Es war nur ein dünnes kleines Lächeln, und doch sprach es Bände. »Wenn Sie ein reines Gewissen haben, Mr Coleridge, dann haben Sie sicher nichts dagegen, dass wir Ihre Aussage überprüfen, oder?«
Volltreffer! Die überlegene Fassade begann zu bröckeln. Als Coleridge schließlich redete, hatte er eine geistige Kehrtwende gemacht.
»Es tut mir leid, dass ich so kurz angebunden war. Wie Sie sich vorstellen können, macht mir die ganze Angelegenheit schwer zu schaffen.«
Doherty lächelte nicht. Er brauste nicht auf. Aber er kroch auch nicht zu Kreuze.
»Natürlich, Sir, das verstehe ich völlig.«
Honey ließ sich nicht täuschen. Steve hatte es sehr geschickt angestellt. Coleridge war völlig entnervt gewesen, als Steve davon geredet hatte, er würde in dem Hotel nachfragen, wo er übernachtet hatte, und seine Flugreisen verifizieren.
Sie konnte sich gerade noch beherrschen, bis sie vor der Tür waren. »Den haben wir!«
»Meinst du?«
»Der ist doch total in die Knie gegangen! War völlig von der Rolle! Der war überhaupt nicht in New York. Der ist hier gewesen und hat sie umgebracht!«
»Warum?«
»Äh, weiß ich nicht.«
»Na toll.«
»Aber es muss einfach ein Motiv geben«, beharrte Honey.
»Natürlich gibt es eins. Aber was ist es? Martyna war wunderschön und auch ohne ihn reich genug. Okay, ein Typ konnte so tun, als wäre er in sie verliebt, um an ihr Geld zu kommen. Aber doch nicht Coleridge. Jetzt mach mal halblang. Der könnte sich ein ganzes Filmstudio voller Hauptdarstellerinnen aus der Portokasse kaufen. Dafür müsste er nicht mal an seine Konten auf den Cayman-Inseln gehen.«
»Oder auf der Insel Man. Das ist auch ein Steuerparadies.«
Doherty schüttelte den Kopf. »Nein, auf der Insel Man hat der sein Geld nicht. Die Cayman-Inseln sind viel wahrscheinlicher. Der sieht einfach nicht aus wie jemand, der sein Vermögen auf die Insel Man verschiebt.«
Honey schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
»Es ist ja ganz offensichtlich. Diese Sonnenbräune kriegt man nicht, wenn man seine Beute in einem Steuerparadies in der Irischen See aufbewahrt.«
»Genau«, meinte Doherty. »Geld war also nicht das Motiv.«
»Also, was ist dann mit Sex?«
»Honey, im Augenblick habe ich einfach keine Zeit …«
»Lass die blöden Witze«, knurrte sie und tat so, als fände sie seine Bemerkung nicht lustig.
Doherty grinste.
»Was?« Honey kannte diesen Blick Marke »Ich-weiß-was-das-du-nicht-weißt«.
»Wir haben das schon überprüft. Der unartige Mr Coleridge ist nicht gerade eben aus New York zurückgekommen. Pech für ihn, dass wir genau zu dem Zeitpunkt in seinem Büro nachgefragt haben, als seine persönliche Assistentin gerade beim Zahnarzt war. Ihre Vertretung, eine weniger routinierte Sekretärin, hat meinen Kollegen verraten, dass Mr Coleridge aus einem Londoner Hotel angerufen hat – und die Nummer war auch auf ihrem Computer gespeichert. Das Hotel hat die Sache bestätigt. Er hat sich dort aufgehalten. In Begleitung. Super Sache, diese moderne Technik!«
Honey lachte. Dann wurde sie plötzlich ernst und fragte: »Und warum hast du ihm das nicht gesagt?«
Wieder hatte Doherty dieses freche Grinsen auf dem Gesicht. »Hast du seine Visage gesehen?«
Sie nickte. »Ja.«
»Und was ist dir da aufgefallen?«
Sie überlegte, wie Coleridges Gesichtsausdruck plötzlich von arrogant zu aufgeregt umgeschlagen war. »Anspannung.«
»Was noch?«
Sie grübelte weiter. Wo hatte sie schon einmal so eine schuldbewusste Miene gesehen? Sie bemühte ihre Erinnerungen. Dann fiel es ihr ein: Carl! Ihr verblichener Gatte hatte immer geglaubt, dass er sie so geschickt betrog, dass sie nichts davon mitbekam. Da hatte er sich allerdings schwer getäuscht, und wenn er nicht ertrunken wäre, hätte sie es ihm schwer heimgezahlt.
»Schlechtes Gewissen«, sagte Honey. »Er hat irgendwas getan, was er nicht hätte tun sollen. Und noch dazu an einem Ort, wo er nichts zu suchen hatte. Wenn Martyna das herausgefunden hätte, wäre die Verlobung sicher geplatzt. Und sie hätte ihm das eine oder andere edle Teil abgehackt.«
»Autsch!« Er zuckte zusammen. »Da könntest du recht haben.«
»Weißt du das ganz sicher? Dass er sie betrogen hat, meine ich.«
Mit selbstgefälliger Miene hielt ihr Doherty die Tür seines Wagens auf. »Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?«
Sie stieg ein. Sie musste einfach mehr erfahren. »Also?«
»Mein Gott, sei doch nicht so neugierig!«
»Gott hat ja wohl gar nichts damit zu tun. Sag mir lieber, was dieser Satansbraten gemacht hat. Mit wem hat er sie hintergangen?«
Doherty zuckte die Achseln. »Keine blasse Ahnung. Es war nur dieser Gesichtsausdruck. Wenn ich ihn das nächste Mal befrage, ist er bestimmt überzeugt, dass ich jede kleinste Kleinigkeit kenne.«
»Der gesteht alles!«
Dohertys Grinsen drohte auf seinem Gesicht festzuwachsen. »Na ja, vielleicht nur die Sex-Spielchen. Nicht den Mord.« Er ließ den Wagen an, legte den ersten Gang ein und fuhr los. »Also, es könnte das Sex-Motiv sein, und über den blanken Hass haben wir ja schon gesprochen. Jetzt zum Geld – und zu Boris Morris.«
»Aus irgendeinem bestimmten Grund?«
»Ja, weil ich finde, dass alte Knacker mit Glatze und Pferdeschwanz total bescheuert aussehen.«