Der Generator, der Martyna Manderleys Wohnwagen mit Strom versorgte, war abgeschaltet. Drinnen war es kalt und düster.
Doherty stand mitten im Wagen, hatte die Hände in die Seiten gestemmt und schaute sich um.
Honey war in der Tür stehengeblieben, weil sie die stickige Luft nicht mochte. Langsam begann der Wohnwagen muffig zu riechen. Vielleicht hatte auch das Blut etwas damit zu tun.
»Es fehlt also nichts?«, fragte sie.
»Nur das, was die Leute von der Spurensicherung eingetütet und zur Analyse mitgenommen haben.«
Trotz der Eiseskälte wirkte der Wohnwagen immer noch sehr luxuriös, allerdings auch ein wenig trostlos, weil nun alle Regalbretter und Schränke leer waren.
Als sie wieder draußen standen, wehte von Richard Richards’ Cateringwagen ein Duft herüber, der zu verführerisch war, als dass man ihn hätte ignorieren können. Wie magnetisch angezogen, lenkten die beiden ihre Schritte zur Theke.
Doherty bestellte zwei Becher Kaffee und zwei Baguettebrötchen mit Speck.
Honey protestierte, ihr würde der Kaffee reichen. Daraufhin informierte Doherty sie freundlich, es seien auch beide Brötchen für ihn gedacht gewesen.
Da griff Honey blitzschnell zu. Eins stimmte wirklich: Wenn man etwas im Magen hatte, war einem nicht mehr so kalt.
Richards linste von oben zu ihnen herunter. »Na, was hab ich gesagt? Ist mein Essen unwiderstehlich oder nicht?«
Honey erinnerte sich rechtzeitig daran, wie zickig er mit seiner Kocherei war, und warf ihm ein strahlendes Specklächeln zu.
»Wer könnte denn widerstehen, bei der Portionsgröße?«
Richards schien mit ihrem Lob nur halb zufrieden zu sein. »Sie haben einfach nicht begriffen, worum es mir geht! Nicht nur um die Größe der Portion, auf die Qualität kommt es an!«
»Aber natürlich«, sagte Honey. »Genau das habe ich gerade auch schon zu meinem Freund, dem Inspector, gesagt.«
»Ganz meine Meinung«, bestätigte Doherty grinsend. Er biss ein Riesenstück von dem Baguette ab und kaute wie wild, um nicht laut loszulachen.
Hinter der Theke brutzelte alles Mögliche auf dem Grill. Der Duft von Speck und saftigen Schweinswürstchen wehte zu ihnen herüber.
Der Kaffee war heiß und schmeckte hervorragend.
Doherty nahm noch einen Schluck und sagte: »Der Regisseur hat mir erzählt, Martyna hätte darauf bestanden, dass einige Szenen umgeschrieben werden. Sie wollte Jane nicht so sehr als Beobachterin spielen, sondern lebendiger, aktiver. Und mit mehr Sexszenen.«
Honey wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen. »Aber sie war unverheiratet! Damals haben sich anständige Mädchen doch nicht gleich bei der ersten Verabredung ausgezogen. Genau genommen nicht einmal bei der fünfundneunzigsten. Die haben gewartet bis nach der Hochzeit. Da kannst du ruhig die nette alte Dame mit der Petition fragen.«
»Welche nette alte Dame?«
»Das hab ich dir doch sicher erzählt? Die haben sie vom Set geschmissen, weil sie immer protestiert hat, wenn etwas historisch nicht korrekt war. Die hat mir auch das mit den Hutnadeln erklärt.« Honey kicherte. »Sie hat geredet wie die gute Jane Austen persönlich. Sogar ihre Kleidung hat gepasst. Anfangs war sie als Beraterin bei den Dreharbeiten dabei, aber dann ist sie rausgeflogen, weil sie sich immer wieder darüber beschwert hat, das alles sei historisch nicht korrekt und hätte nichts mit den Fakten zu tun. Sie hatte wohl auch einen kleinen Streit mit der bösen Hexe höchstpersönlich.«
»Mit Martyna?«
Honey nickte und kaute weiter.
»Hast du dir ihren Namen geben lassen?«
Honey schluckte und schaute ihn an. Sie wusste, worauf das hinauslief, und das gefiel ihr gar nicht. »Nein, tut mir leid. Aber komm, das war doch nur eine nette alte Dame. Zu alt, um eine Mörderin zu sein.«
»Alter hat damit rein gar nichts zu tun. Allerdings habe ich so meine Zweifel, ob unser toter Superstar den Unterschied zwischen Jane Austen und Jayne Mansfield gekannt hat.«
»Immerhin beides historische Gestalten.«
»Und beide tot«, ergänzte er. »Jedenfalls waren auf dem Drehbuch jede Menge Fingerabdrücke, wenn auch nur eine einzige Person die blutigen beigesteuert hat. Die sind einzig und allein deine.«
Honey zuckte zusammen. »Tut mir leid. Soll nicht wieder vorkommen.«
»Selbst wenn du das Blut bemerkt hättest, du hättest es wahrscheinlich für Tomatenketchup gehalten. Das benutzen sie doch bei diesen Filmen?«
»Nicht direkt. Aber warum hat jemand das Drehbuch überhaupt mitgenommen? Martyna hatte doch mehr Feinde als Freunde. Jeder hätte den Ordner in die Hand nehmen können, und jeder ist verdächtig.«
Honey erinnerte sich an das Foto, das Doherty ihr gezeigt hatte. Martynas Kopf war nach vorn gesackt. »Sie hat wahrscheinlich gerade drin gelesen, als ihr Angreifer zustieß.«
Doherty seufzte. »Ich glaube, ich muss mir meine sechs Verdächtigen noch mal vorknöpfen.«
Honeys Telefon klingelte. Es war Lindsey.
»Wir haben ein Gasleck und mussten den Haupthahn zudrehen.«
Honey atmete tief durch. Darauf konnte sie sich eigentlich felsenfest verlassen: Immer wenn sie gerade Spaß hatte, kam der Alltag dazwischen.
»Hast du schon beim Installateur angerufen?«
»Ja, aber Smudger hat einen hysterischen Anfall. Ich bin sicher, wenn das Gas nicht abgeschaltet wäre, würde er den Kopf in den Backofen stecken.«
»Zum Glück ist es abgedreht. Obwohl ich nicht glaube, dass man sich mit Erdgas vergiften kann, höchstens in die Luft jagen.«
»Explodiert ist Smudger eigentlich schon.«
Lindsey hatte natürlich recht. »Ich vermute, er macht einen Riesenaufstand wegen der Pastetchen?«
Das bestätigte Lindsey. »Nicht zu glauben, dass so kleine Dinger eine derart hysterische Megareaktion hervorrufen können.«
»Ich komme, so schnell ich kann.«
»Und schöne Grüße an Doherty«, warf Lindsey ein.
Honey war verdattert. »Woher wusstest du, dass er hier ist?«
»Deine Stimme klingt immer ganz anders, wenn du mit ihm zusammen bist.«
Wieso hatte sie selbst das noch nicht gemerkt? Honey schwor sich, in Zukunft vorsichtiger zu sein.
»Wir sind am Set und stellen Nachforschungen an«, beteuerte sie und merkte, wie sie rot wurde.
Das Gespräch war beendet.
Steve Doherty schaute sie fragend an. »Probleme?«
»Ein kleines Gasleck, aber der Installateur ist schon unterwegs.«
»Gut. Bath wird also vorläufig nicht in die Luft gesprengt?«
Sie wollte nicht über Arbeit sprechen. Und das Hotel war Arbeit. Assistentin bei der Verbrechensbekämpfung zu spielen, das war hingegen eine ganz andere Sache.
Sie wechselte das Thema. »Hast du schon Penelope Petrie kennengelernt, Martyna Manderleys Nachfolgerin?«
»Noch nicht. Freu mich aber drauf. Ich habe sie schon halbnackt gesehen.«
Sie kniff ein Auge zu und linste ihn an. »Ich nehme mal an, nur in irgendeiner Zeitschrift.«
»Leider ja.« Seine Enttäuschung klang echt.
»Den Klatschspalten habe ich entnommen, dass sie und Boris, der Regisseur, ein bisschen mehr als nur gute Freunde sind.« Sie linste Doherty über den Rand ihres Styroporbechers an. »Was meinst du? Sex oder Geld?«
»Fangen wir mal mit dem Geld an.« Er zwinkerte ihr zu. »Um den Sex kümmern wir uns dann später.«