Kapitel 11

Miss Lavender Cleveley faltete sorgfältig das Blatt Papier auseinander, das sie in ihrer Handtasche hatte verschwinden lassen. Die Telefonnummern, die sie brauchte, standen alle in einem kleinen Notizbuch, das sie hauptsächlich für die wichtigen Nummern benutzte, den Doktor, den Zahnarzt und die paar Verwandten, die der Schnitter Tod noch nicht mit seiner Sichel ins Jenseits befördert hatte.

Diese Telefonnummer war etwas anderes. Sie wollte nicht, dass irgendjemand erfuhr, dass sie sie überhaupt besaß. In den Fernsehkrimis sah man doch immer wieder, dass Mörder überführt wurden, weil sie geheime Telefonnummern zu deutlich sichtbar irgendwo liegengelassen hatten. Das beabsichtigte sie auf keinen Fall zu tun.

Sie bewegte lautlos die Lippen, während sie die Nummer las. Sobald sie sicher war, dass sie sich die Zahlen gemerkt hatte, nahm sie das Telefon und wählte.

Es klingelte viermal, ehe jemand an den Apparat ging.

Eine weiblich klingende Stimme antwortete.

»Ist er da?«, erkundigte sich Miss Cleveley.

Die Frau zögerte.

Sie denkt vielleicht, dass ich eine von seinen losen Weibern bin, überlegte Miss Cleveley. Wohl kaum, dachte sie und lachte leise.

Es war ganz leicht, sich vorzustellen, was die Frau sich überlegte und was für ein Gesicht sie dabei machte. Ein kleines Stirnrunzeln, ein angedeutetes Schmollen auf den roten Lippen – die waren doch alle gleich.

»Ich gehe ihn holen«, sagte die körperlose Stimme am anderen Ende der Leitung.

Sie hatte das Telefon weggelegt.

Lavender Cleveley spitzte die schmalen Lippen, während sie wartete. Ihre kühlen Augen, die in jüngeren Jahren von hellerem Blau gewesen waren, verengten sich, während sie überlegte, was sie sagen sollte.

»Hallo! Wer ist da?«

»Mr Brett?«

»Ja«, knurrte er ungehalten. »Was wollen Sie?«

Sie hatte nicht vor, ihm zu sagen, wer sie war, aber natürlich sollte er erfahren, was sie von ihm wollte.

»Was Sie machen und was Sie gemacht haben, ist abscheulich. Aber ich werde mich rächen. Passen Sie nur auf, das mache ich.«

»Wovon sprechen Sie?«

Sein Tonfall änderte sich so unmerklich, dass die meisten Leute es überhört hätten. Miss Cleveley jedoch kannte sich mit Stimmen aus. Sie hatte Zeit ihres Lebens Stimmen ausgebildet. O ja! Mr Brett war aus dem Gleichgewicht geraten.

Sie hängte auf. Natürlich würde er versuchen, die Telefonnummer herauszufinden, die angerufen hatte. Aber das würde ihm nicht weiterhelfen. Zum Glück waren ja noch nicht alle roten Telefonzellen vom Erdboden verschwunden, als die Mobiltelefone ihren Siegeszug antraten.

Ein älterer Herr, der draußen wartete, stemmte hilfsbereit die Tür für sie auf.

»Diese alten Dinger sind so gebaut, dass sie für die Ewigkeit halten«, meinte er jovial und tippte sich mit der Hand an die flache Kappe, als er einen Schritt zur Seite trat, um sie vorüberzulassen.

»Ein bisschen wie ich«, antwortete sie und hatte plötzlich das Gefühl, auf Wolken zu schweben.

Der alte Herr lachte und trat in die Telefonzelle.

Miss Lavender Cleveley sang leise vor sich hin, während sie nach Hause tänzelte.

 

Brett Coleridge war nervös geworden, aber entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen. Er ging zu seinen Freunden zurück. Er veranstaltete gerade eine Party, eine nur für Männer. Sie waren zu viert.

Jetzt brauchte er einen Drink. Der Anruf hatte ihn aufgewühlt und ihm den Abend verdorben.

»Alles in Ordnung, alter Junge?«

Diese Frage hatte Nigel, ein ehemaliger Pilot von der Royal Air Force, gestellt. Er war ein dünner Mann von etwa einsachtzig mit sandfarbenem Haar. Gerade hatte er ein Paar hochhackige Schuhe anprobiert. Es waren sehr hübsche Schuhe, eine Kombination von petrolblauem und schlangengrünem Leder, das schimmerte und im Licht changierte.

Nigel sah den warnenden Blick nicht, und er war auch nicht der Typ, der es bemerkte, wenn sich die Atmosphäre verändert hatte.

»Sieh dir doch nur diese schicken Dinger an«, sagte er und deutete auf seinen rechten Fuß. Der Rock, den er trug, war an der Seite hoch geschlitzt. Er hielt sich so, dass man so viel wie möglich von seinem Bein sah. Er trug 15-Denier-Strumpfhosen.

Brett hasste Strumpfhosen. Er starrte auf die Schuhe, das Bein und den Rock, der so perfekt zu den Schuhen passte.

Die Schuhe waren Größe sechsundvierzig und handgenäht. Das mussten sie ja auch sein. Nur wenige Frauen trugen Größe sechsundvierzig. Nigel tat schließlich nur so, als wäre er eine Frau. Wie sie alle.

Bretts Augen hatten die Farbe von kaltem Stahl angenommen. Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Ihm war schlecht. Am liebsten würde er diese Männer vernichten und damit auch jenen Teil von sich selbst zerstören, der ihn zu diesen Spielchen trieb.

»Ihr ekelt mich an«, knurrte er.

Nigel hatte es noch immer nicht kapiert. »Aber Brett, Schätzchen …«

Da traf ihn eine Faust mitten ins Gesicht. Der große Mann kippte um wie ein gefällter Baum.

Brett kickte mit beiden Füßen auf ihn ein, trat ihn in den Magen, in die Rippen, zielte bewusst auf den Schritt. Nigel war schlau genug, seine Geschlechtsteile zu schützen. Aber das war nicht alles.

»Brett! Nicht ins Gesicht!«

Eine Hand im Schritt, eine vor dem Gesicht.

Als die anderen beiden Brett endlich zurückgezerrt hatten, sah Nigel ziemlich mitgenommen aus.

»Er muss ins Krankenhaus.«

Natürlich musste er das. Aber keiner wollte den Krankenwagen rufen. Keiner wollte auffliegen.

Brett kam als Erster wieder zu Verstand. »Wir müssen ihn irgendwie loswerden.«

»So, wie er angezogen ist?«

Der Mann, der diese Frage gestellt hatte, trug selbst ein rotes Kleid mit weißen Pünktchen. Sein Gesicht war rundlich und gerötet.

»Das muss er denen erklären und nicht wir«, antwortete Brett. »Der brave Mann denkt an sich selbst zuerst, das ist mein Motto.«