Kapitel 16

Sie passten Boris Morris ab, als er gerade in sein Auto eingestiegen war. In silbergrauen Pelz eingehüllt, hatte auf dem Beifahrersitz Penelope Petrie, Martynas Nachfolgerin, Platz genommen.

Doherty beugte sich zum offenen Fenster der Fahrertür herein. Honey stand hinter ihm.

»Mr Morris«, sagte Doherty mit der festen Stimme der Autorität. »Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?«

Der Regisseur drehte sich so heftig zu ihm um, dass ihm der dünne, gelblich-graue Pferdeschwanz um die schmalen Schultern flog. Einen Sekundenbruchteil lang entgleisten Morris die Gesichtszüge. Er sieht aus wie ein Schauspieler, der verzweifelt auf sein Stichwort wartet, überlegte Honey. Sie machte ihren Kuli schreibbereit und nahm den Notizblock zur Hand.

Das schmale Gesicht des Regisseurs war so rotwangig wie immer. Eine reine Alterssache, nur geplatzte Äderchen, wahrscheinlich eine Folge von Bluthochdruck oder Alkohol – vielleicht sogar von beidem. Boris Morris schaute Doherty völlig entgeistert an, als müsste er sich erst besinnen, wer er war.

»Detective Inspector Doherty.« Steve wollte schon seinen Dienstausweis zücken.

Boris Morris biss sich auf die Unterlippe und wirkte eindeutig ein wenig verlegen. »Ah ja, natürlich. Tut mir leid. Ich habe so viel um die Ohren. Könnten wir es kurz machen? Miss Petrie und ich haben um sechs Uhr einen Termin.«

Boris Morris schaute demonstrativ auf die glänzende Rolex, die er an seinem haarigen Arm trug.

Penelope Petrie stieg an der Beifahrerseite aus, die endlos langen Beine zuerst.

»Ist das die Polizei, Boris Schätzchen …?«

Trotz ihres ziemlich herben Südstaaten-Akzentes war Penelope Petrie wie geschaffen für die Rolle der Jane Austen. Sie hatte ein elfenhaft zartes Gesicht mit riesigen braunen Augen und schimmerndes brünettes Haar. Ihre langen, zarten Finger ruhten elegant auf der Oberkante der Autotür. Beim Anblick dieser perfekt manikürten zartrosa Fingernägel rammte Honey ihre Hände noch etwas tiefer in die Taschen. Im Hotelgewerbe hatte das Lackieren von Fingernägeln nicht unbedingt höchste Priorität. Zumindest im Green River nicht. Es hatte wohl einiges mit dem vielen Geschirrspülen zu tun.

»Tut mir leid«, meinte Doherty. »Ich habe nur ein paar Fragen an Mr Boris …«

»Mr Morris«, soufflierte Honey.

»… zum Tod von Martyna Manderley.«

Penelope lächelte mit rosigem Mündchen.

»Aber das ist doch gar kein Problem, Detective Inspector«, gurrte sie mit rauchiger Stimme, die nur ein winziges bisschen geziert klang. »Sie haben hier außerordentlich wichtige Arbeit zu erledigen. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie benötigen.«

Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass all das nichts mit ihr zu tun hatte, stieg sie wieder ins Auto und zog die Tür hinter sich zu. Sie hinterließ die Aura ihrer reizenden Gegenwart und eine Wolke eines sehr aufdringlichen französischen Parfüms. Doherty brachte es nur mit äußerster Willensanstrengung fertig, seinen sperrangelweit offenstehenden Mund wieder zu schließen.

»Mr Boris …«

»Morris«, flüsterte Honey erneut und verpasste ihm einen Rippenstoß.

»Äh, Mr Morris. Ich würde nur gern einige Fakten überprüfen. Entsteht der Produktionsgesellschaft irgendein finanzieller Gewinn, wenn die Hauptdarstellerin verschwindet?«

Boris Morris schüttelte den Kopf. »Das ist nicht meine Abteilung. Da müssen Sie den Produzenten fragen. Der weiß, welche Abmachungen die Versicherung mit der Produktionsgesellschaft getroffen hat – mit Nostalgia Productions.«

Honey runzelte die Stirn. »Ach, nicht Banana Productions?«

Boris schaute sie fragend an. »Nein. Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?«

Sie erzählte ihm nicht von Bernard, dem Langweiler. Wahrscheinlich sollte sie beim nächsten Mal besser hinhören, wenn er ihr etwas sagte. Banana Productions, das hatte er wohl ironisch gemeint, im Sinne von Bananenrepublik oder so. Offensichtlich hatte Bernard keine allzu hohe Meinung von dieser Produktionsgesellschaft.

»Könnten Sie mir den Namen des Produzenten nennen?«

»Aber sicher. Sie sollten mit Kevin Bond reden. Er ist gewissermaßen unser Kontaktmann. Er organisiert alles, und die anderen hinter den Kulissen geben das Geld.«

Honeys Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie hatte schon davon gehört, dass sich manchmal Geschäftsleute und Bankiers für ein Filmprojekt zusammenschlossen. »Es stimmt doch, dass es für die einzelnen Projekte so etwas wie Aktionäre als Geldgeber gibt?«

Der Regisseur nickte. »Ja, das stimmt.«

Doherty begriff, worauf sie hinauswollte. »Wenn also irgendeiner von diesen Finanziers in Schwierigkeiten gerät – zum Beispiel durch andere Unternehmungen, die nicht so profitabel sind –, dann käme sicherlich ein Sümmchen von der Versicherung sehr gelegen?«

Morris war entrüstet. »Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass die Produktionsfirma Martyna umgebracht hat, um an das Versicherungsgeld zu kommen? Wie können Sie nur so etwas Haarsträubendes sagen!«

Doherty schaute resigniert, wenn auch nicht sonderlich zufrieden drein. Er trat einen Schritt vom Wagen zurück. Die beiden fuhren weg.

»Was meinst du?«, fragte Steve.

Honey schürzte die Lippen und sah dem BMW von Boris Morris hinterher, der sich gerade elegant vom Circus entfernte. »Ich setze mein ganzes Geld auf einen todsicheren Sieger.«

»Hätte nicht gedacht, dass du es mit Pferdewetten hast.«

»Nur wenn ich hundertprozentig sicher bin. Was gilt die Wette, dass Brett Coleridge einer der Finanziers dieses Films ist?«

Doherty schnaufte und schüttelte den Kopf. »Da halte ich nicht dagegen. Die Wette muss ich ja verlieren.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und sinnierte: »Ich würde zu gern wissen, ob unser lieber Mr Coleridge immer noch genug Geld hat, um sich eine Yacht in der Karibik leisten zu können, oder ob er …«

Honey zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. »Oder ob er auf ein Ruderboot auf der Themse umsteigen musste?«

 

Penelope Petrie klappte die Sonnenblende herunter und überprüfte in dem darauf angebrachten Spiegel ihr Make-up.

Morris und sie waren auf dem Weg in ein außerordentlich angesagtes Restaurant.

Mit ihren langen Fingern betupfte die Schauspielerin die Haut rings um ihre Augen und verspürte ungeheure Zufriedenheit. Der kosmetische Chirurg hatte hervorragende Arbeit geleistet. Sie sah wesentlich jünger aus als fünfundvierzig.

»Nun«, meinte sie, während sie immer noch ihre glatte Haut und ihren rosigen Teint bewunderte. »Wenn du meine Meinung hören willst, dann können wir heilfroh sein, dass wir die los sind – und ich meine damit nicht etwa den gutaussehenden Polizisten, Boris Schätzchen.«

»Das war mir klar.« Boris tätschelte ihr beruhigend den Arm, wenn man auch deutlich sehen konnte, dass ihn Steves Fragen ziemlich nervös gemacht hatten. »Ende gut, alles gut. Jetzt hast du die Rolle, die du verdient hast.«

Penelope seufzte zufrieden und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Sie dankte ihrem Schicksal, dass sie irgendwann einmal ihren Widerwillen überwunden und eine Nacht mit Boris Morris in einem Hotelbett verbracht hatte. Gute Beziehungen zahlten sich eben aus. Und all das Gerede, man sollte »nicht in die Fußstapfen von Toten treten«, das war schlicht blanker Unsinn. Martyna war eine Zicke und dämliche Kuh gewesen. Sie hatte es nicht besser verdient.

Penelope lächelte, als sie bemerkte, dass Morris das Steuer fester umklammerte. Die Leute verrieten sich doch immer durch ihre Körpersprache. Sie könnte sich ja auf seine Kosten ein wenig amüsieren, überlegte sie und hätte beinahe schallend losgelacht. Andere Leute aufziehen, das konnte Penelope Petrie, geborene Betty May Cartwright, wirklich hervorragend.

»Schätzchen, erinnerst du dich, dass die liebe Martyna gesagt hat, diese Rolle bekäme ich nur über ihre Leiche? Sag mal, du hast sie doch nicht etwa beim Wort genommen? Du hast nicht etwa für mich diese Untat begangen, oder?«

Der Wagen kam ins Schlingern.

»Was? Natürlich nicht. Nein … wie kannst du das bloß glauben …?«

Feine Schweißperlen waren ihm auf die Stirn getreten.

Penelope warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. »Nein! Natürlich würdest du so was nicht machen! Doch nicht Morris die Maus, nicht Boris der …«

»Wag es bloß nicht!«

Penelope war überrascht, dass er sie tatsächlich anbrüllte, und ihre rosa geschminkten Lippen blieben ein wenig offen stehen. So reagierte keine Maus. Sie merkte, dass sein Tonfall sie erregte.

Sie begann seinen Arm zu streicheln. »Ach, komm schon, Schatz, das war doch nur ein Scherz.«

Boris Morris hatte ein langes Gesicht mit hohlen Wangen. Seine Knubbelnase dagegen schien eine Art Protest gegen diese Magerkeit zu sein. Unter dem einen Auge zuckte ein Muskel, während er die Kiefer zusammenpresste und die Wangen einsog.

»Das ist überhaupt nicht komisch. Gar nichts hier ist komisch«, zischte er.