Epilog

17. Juli. Dieser Tag gehört mir, nur mir, dachte Pippa, als sie an ihrem Geburtstagsmorgen aufwachte. Die Sonne schien genau auf ihr Gesicht. Kaiserwetter, dachte sie. Wie passend.

Pippa stand auf und ging ans Fenster. Unten im Tal schimmerte der Lac Chantilly. Sie seufzte zufrieden und griff nach ihrem Fernglas. Chantilly-sur-Lac, gerade noch klein wie ein Spielzeugdorf, war plötzlich ganz nah.

Sie nahm Pias Haus in der Rue Cassoulet ins Visier und stellte die Schärfe ein. Gerade manövrierte jemand den Wohnwagen der Bauarbeiter durch das nagelneue Gartentor hinaus auf die Straße, während Tibor und einige seiner Männer dabei waren, die Möbel der Peschmanns aus einem großen LKW zu laden und ins Haus zu tragen.

»Adieu-siatz, Tibor«, sagte Pippa leise, »bonjorn, Pia.«

Sie schwenkte das Fernglas hinüber zum Bonace. In den weit geöffneten Fenstern der Auberge lagen die Betten zum Lüften.

Gästewechsel, dachte Pippa, genau wie hier bei uns.

Sie lachte, als ein Ball aus einem Fenster flog und zielsicher gegen den Kopf des Gendarmen prallte, der mit einer Baguettestange unter dem Arm auf die Dienststelle zustrebte. Dupont schüttelte die Faust und schimpfte – für Pippa lautlos wie ein Stummfilm.

»Selbst wenn ich nicht wüsste, dass heute Liebesromantag ist, Pierre Dupont«, murmelte Pippa, »spätestens an dieser Reaktion hätte ich dich erkannt.«

Das Fernglas wanderte weiter, und sie entdeckte am Ostufer des Sees zwei Angler.

»Das ist aber keine gute Stelle, Jungs. Da ist viel zu viel los. Das wird nix.«

Sie lächelte über sich selbst. Oje, ich bin infiziert, dachte sie, und zwar nicht nur vom Angeln, sondern von Pias Wunderland rund um den See. Hier sollte jeder mindestens zwei Mal herkommen.

Pippa ließ das Fernglas sinken.

Alle Ereignisse und Menschen schienen sich im See zu spiegeln. Rätselhafte Doppelungen überall: zwei ungewöhnliche Fälle, zwei Kulturen in einem Land, zwei Gendarmen, die sich nur am Lesestoff unterscheiden lassen, zwei Régines, die immer dann auftauchten, wenn ich Hilfe oder Antworten brauchte, zwei wiedervereinte Familien, zwei falsche und zwei echte Verehrer und – grinsend sah sie an sich herunter, zwei Kilo mehr auf den Rippen dank zweier hervorragender Köche. Eine echte Herausforderung, dieses Okzitanien.

Im Erdgeschoss klingelte das Telefon. Régine-Deux’ Stimme und ihr herzhaftes Lachen drangen bis hinauf in Pippas Zimmer. Nur Sekunden später klopfte es an der Zimmertür, und die Wirtin steckte ihren Kopf herein.

»Telefon für Sie«, verkündete Régine strahlend und übergab ihr den schnurlosen Apparat. »Der schöne Jean. Aus Berlin. Da kommt sicher noch mehr – Ihre Familie, Ihre Freundin Karin, Ihre diversen Fangruppen. Wir sollten eine Standleitung legen.« Sie zwinkerte Pippa zu. »Oder doch besser die Verbindung einfach kappen? Sie entscheiden, Sie sind das Geburtstagskind.«

Lachend scheuchte Pippa die Wirtin mit einer Handbewegung aus dem Zimmer und meldete sich.

»Alles Liebe zum Geburtstag«, sagte Jean, »auch im Namen der Kiemenkerle! Wie geht es dir?«

»Dumme Frage – ich bin im Paradies! Und dir?«

»Seit es kein Exil mehr ist, genieße ich Berlin in vollen Zügen«, erwiderte Jean. »Ich wollte nie ernsthaft zurück nach Chantilly. Ich wollte nur Frieden schließen und endlich wieder Kontakt zu meiner Familie. Mein Anteil am Vent Fou ist in Pascals Händen bestens aufgehoben.«

Und ich werde Stammkundin in deiner Weinhandlung, dachte Pippa erfreut und fragte: »Du kommst nicht zurück?«

»Nur zu Besuch. Und du?«

»Du meinst Pascal. Auch nur zu Besuch, aber das sehr, sehr gerne. Zu mehr werde ich ja auch nicht mehr gebraucht, seit Eric Lehrling in seiner Küche wird.«

Jean lachte. »Eric ist weniger begeistert davon, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen. Ich bin gespannt, wie das Publikum auf seine kulinarischen Kreationen reagiert. Ich mag mir das gar nicht ausmalen!«

»Bruderliebe!« Pippa seufzte theatralisch. »Da kenne ich mich aus!«

»Mein Vater meint, Eric könnte seine eigene Menükarte entwerfen: La cuisine folle – original verrückte Autanküche.«

Pippa überlegte, wie sie möglichst elegant einen Themenwechsel einleiten könnte, fragte dann aber geradeheraus: »Warst du auf Teschkes Beerdigung?«

»Wir waren alle da. Alle Kiemenkerle – und noch sehr viel mehr Leute«, sagte Jean. »Hotte hat geunkt, das seien alles Geschädigte, die sich vergewissern wollten, dass von Teschke wirklich nichts mehr zu befürchten ist.«

Pippa unterdrückte ein Lachen. »Die Kiemenkerle und ihr Verständnis von Freundschaft – über den Tod hinaus. Und was machen Lothar und Sissi? Läuft es bei den beiden jetzt besser?«

»Die Kiemenkerle werden die beiden nicht mehr häufig zu Gesicht bekommen. Lothar und Sissi haben sich vom Nachlass ein Boot gekauft, schippern durch die Inselwelt bei Schreberwerder und genießen endlich ungestörte Zweisamkeit.«

»Beneidenswert.«

»Bei Achim und Gerald geht es weniger harmonisch zu: Die liegen miteinander im Krieg. Sie können sich gegenseitig gar nicht genug belasten.«

»Nutzt ihnen das denn?«

»Eher im Gegenteil. Gerald hat einen der teuersten Strafverteidiger Berlins engagiert, aber selbst der geht von einer saftigen Gefängnisstrafe aus.«

»Und Tatjana?« Pippa wagte kaum zu fragen, ihr schlug das Herz bis zum Hals.

»Das sieht gut aus. Wir hoffen, dass sie freigesprochen wird.«

»Das hoffe ich auch«, sagte Pippa leise.

Nach dem Gespräch mit Jean blieb Pippa keine Gelegenheit, ihren Gedanken nachzuhängen, denn Régine-Deux klopfte erneut und kam mit einem Tablett herein.

»Jetzt bin ich dran zu gratulieren«, sagte sie und stellte das Tablett neben Pippa aufs Bett. Ein Milchkaffee duftete mit Croissants um die Wette, die Dekoration bestand aus einer Vase mit zwei Rosen in den Landesfarben Okzitaniens: eine blutrot, die andere knallgelb. An der Vase lehnte ein Kuvert, daneben lag ein rot verpacktes Geschenk. Am Päckchen war eine Anstecknadel mit dem gelben, verschlungenen Kreuz-Emblem der Region befestigt – das konnte nur von Régine-Deux sein.

»Der Brief ist von Tatjana!«, rief Pippa erfreut.

»Los, aufmachen und lesen.« Régines Augen blitzten neugierig.

Pippa schüttelte den Kopf. »Zuerst Ihr Geschenk.«

Sie löste das Emblem vom Päckchen, und Régine erklärte: »Das ist das Abzeichen meines Vereins. Hiermit sind Sie Mitglied – für die nächsten vierzig Jahre.« Sie kicherte. »Die Rechnung für den Jahresbeitrag kommt zu Beginn des Winters.«

»Also direkt nach den Sommerferien.« Pippa lachte und riss das Päckchen auf. Sie fand zwei Kassetten, von Régine selbst besprochen: ein Okzitanisch-Sprachkurs für Kinder.

Pippa bekam einen Kloß im Hals. »Mercé plan«, sagte sie gerührt.

Die sichtlich zufriedene Régine-Deux ließ keine sentimentale Stimmung aufkommen und zeigte ungeduldig auf den Brief. »Jetzt aber! Was schreibt sie?«

Pippa öffnete das Kuvert, zog den Brief heraus und überflog rasch die Glückwünsche.

»Hören Sie sich das an«, sagte Pippa und las vor: »Wenn dies alles vorbei ist, will ich wegziehen. Ich habe keine Ahnung, wohin. Ich kenne nur Berlin. Häuser hüten wäre eine prima Gelegenheit, andere Landschaften kennenzulernen und mich umzusehen. Könntest Du Dir vorstellen, mich bei Dir zu beschäftigen, wenn das Geschäft bei Dir brummt? Ich bin nicht sehr talentiert – aber ich habe gelernt, die Klappe zu halten, nicht immer auf andere zu hören und Geheimnisse zu bewahren. Wenn ich für Dich als Mitarbeiterin in Frage käme, würde ich mich sehr freuen.«

»Und das ist alles?«, fragte die Wirtin.

»Nur noch ihre Unterschrift und ein Nachsatz: Wir sehen uns beim Prozess.«

»Kein Wort über Schmidt?«

»Kein einziges. Und auch kein Wort über Achim oder Gerald.«

Régine winkte ab. »Die haben es auch nicht verdient. Zwei feige Kerle, die sich auf Tatjanas Kosten von einem hartnäckigen kleinen Erpresser befreien wollten. Erbärmlich. Für die wäre jedes Wort zu viel.«

»Gerald tut mir leid«, sagte Pippa. »Wenn er sich nur getraut hätte, ihr gleich die Wahrheit zu sagen.«

Die Hünin schüttelte unnachgiebig den Kopf: »Der hat Tatjana nicht verdient. Ich hoffe, sie kommt doch noch mit dem liebeskranken Kommissar zusammen.«

»Romantikerin.«

Pippa duschte ausgiebig und entschied sich für luftige und bequeme Kleidung. Im gegenüberliegenden Zimmer bereitete Régine bereits alles für die neuen Gäste vor, die am folgenden Tag eintreffen sollten. Pippa ging zu ihr, um zu helfen.

»Ist es wirklich okay, dass ich eine ganze Woche wegbleibe?«, fragte die Wirtin nicht zum ersten Mal.

»Absolut. Die Übersetzungen sind fertig, Peschmanns Umzug läuft wunderbar ohne mich, und wenn ich wirklich professionell Häuser hüten will, ist Ihr Paradies die allerbeste Übung. Ab morgen früh stehe ich Ihren Gästen zur uneingeschränkten Verfügung.«

»Verwöhnen Sie sie nicht zu sehr!«

In einer perfekten Imitation ihrer Wirtin gab Pippa zurück: »Das hier ist Okzitanien – es wird schon alles seinen Gang gehen.«

Sie putzten das Zimmer und bezogen dann gemeinsam die Betten.

»Seltsamer Fall«, sagte Régine-Deux nachdenklich, »ein Mord und drei Mörder. Und dennoch alles lückenlos aufgeklärt.«

»Nicht ganz. Es gibt etwas, das mich schon seit Wochen wurmt. Für jede Kleinigkeit habe ich die Lösung gefunden – aber auf einige Fragen kenne ich noch immer keine Antwort.«

»Ah ja? Und die wären?«

Pippa beobachtete Régine genau. »Erstens. Als ich nach meiner Wildwassertour in der Rigole hier allein war: Wer war der nächtliche Besucher, der sich nicht mit den Bewegungsmeldern auskannte?«

Régine wandte sich rasch ab. Sie ging zum Fenster, um völlig unnötigerweise die Vorhänge zu arrangieren – und bestätigte damit Pippas Verdacht. »Also los, wer war es? Sie wissen es doch!«

Die Wirtin drehte sich zu ihr um und sagte empört: »Dass Sie das nicht längst selbst herausgefunden haben. Eine Schande!«

»Wer war es?«, wiederholte Pippa.

»Schatten in der Nacht hätten Ihnen nichts anhaben können«, erwiderte Régine geheimnisvoll, »denn Sie hatten draußen einen Bewacher.«

Pippa verdrehte die Augen. »Nicht nur mein Körper ist heute vierzig geworden, auch mein Gehirn. Ich bitte um Nachhilfe.«

»Also gut.« Régine seufzte. »Ich war wirklich in Sorge um Ihre Sicherheit. Ich habe Bruno gefragt, wem er uneingeschränkt vertraut, und denjenigen haben wir auf den Berg geschickt, um auf Sie aufzupassen.«

Pippa fiel die Kinnlade herunter. »Bitte: Wer?«

»Wenn Sie nur ein bisschen nachdenken, müsste Ihnen klarwerden, wer da in eiskalter, regnerischer Nacht seine Zeit opferte – und als Belohnung eine mächtige Erkältung kassierte.«

»Abel!«, rief Pippa verblüfft. »Hat man Ihnen schon mal gesagt, Régine, dass neben Ihren Einfällen und Intrigen die von Madame Pompadour wie Stümperei wirken?«

Die Wirtin lachte schallend. »Nein, aber es verstehen auch nur wenige, so reizende Komplimente zu machen wie Sie, meine Liebe!«

Ein Hupkonzert auf der Einfahrt vor dem Paradies unterbrach ihr Gespräch, und Régine rief: »Das ist mein Taxi!«

Als Pippa und Régine nach unten kamen, kletterten Thierry Didier und seine drei jüngsten Söhne gerade aus dem großen Geländewagen. Die Jungs verlangten lautstark nach ihrer traditionellen Cola, während ihr Vater die Klappe zum Kofferraum öffnete. Régine verschwand im Haus, um das gewünschte Getränk und ihr Gepäck zu holen.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Madame Pippa«, sagte Marc Didier und fuhr ohne Umschweife fort: »Sind Sie nächste Woche für unseren Durst zuständig?«

Zur sichtlichen Freude der Jungs nickte Pippa.

Franck und Marc warfen Cedric einen auffordernden Blick zu.

»Wenn das so ist, haben wir ein Geburtstagsgeschenk für Sie«, sagte der wichtig und zog eine selbstgebaute Zwille aus der Tasche. »Zur Verteidigung.«

»Danke schön!« Pippa nahm die Zwille entgegen, legte einen Kieselstein ein und ballerte ihn zielsicher gegen eine große Steineiche. Holzsplitter rieselten zu Boden.

»Nicht schlecht!«, riefen Marc und Franck und sahen Pippa respektvoll an.

»Hab ich euch doch gesagt.« Cedric nickte so zufrieden, als wäre ihm selbst der Treffer gelungen. »Madame Pippa ist Detektivin. Sie kann mit Waffen umgehen.«

Thierry Didier schob seinen Jüngsten zur Seite und überreichte Pippa einen großen wattierten Umschlag und ein schmales längliches Paket.

»Soll ich Ihnen heute geben«, brummte er. »Von einem früheren Gast: Monsieur Leonardo Gambetti.«

Ehe Pippa reagieren konnte, schleppte Régine ächzend drei große Gepäckstücke an ihr vorbei zum Geländewagen. Pippa legte Kuvert und Geschenk vor die Eingangstür und eilte der Wirtin zu Hilfe. Doch als sie versuchte, es Régine gleichzutun und eine der Taschen in den Kofferraum zu hieven, kapitulierte sie sofort. Das Gepäckstück rührte sich keinen Zentimeter.

»Das wird eine teure Angelegenheit«, unkte Pippa, »bei so einer Menge Übergepäck.«

»Bruno muss doch mal wieder was Ordentliches essen«, sagte Régine, »ich war extra auf der Ferme de Las Cases.« Nacheinander deutete sie auf ihre drei Reisetaschen: »Melsat.« – »Rosa Knoblauch, erntefrisch.« – »Zwanzig Sorten Käse.«

»Und wenn wir nicht bald fahren, wird das alles hier vor der Tür schimmelig«, unterbrach Thierry sie barsch, stellte die Taschen ohne sichtliche Kraftanstrengung ins Auto und stieg ein. Die Jungs winkten Pippa zum Abschied, kletterten eilig auf die Rückbank und überließen Régine den Beifahrersitz.

Kaum hatte diese die Tür geschlossen, gab Thierry Gas. Er wendete gekonnt und brauste los, stoppte aber nach wenigen Metern mit quietschenden Bremsen.

Régine ließ ihr Fenster herunter, streckte den Kopf heraus und rief: »Cateline und Thierry helfen Ihnen, wenn Sie Fragen haben! Und wenn …«

Pippa erfuhr nicht, was Régine noch sagen wollte, denn Thierry verlor endgültig die Geduld. Er legte einen Kavaliersstart hin, und einen Augenblick später war der Geländewagen hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.

Pippa nahm Thierrys Mitbringsel und ging ins Haus. Im Wintergarten entdeckte sie gerührt, dass Régine heimlich einen Geburtstagstisch aufgebaut hatte: Um eine Vase mit Sommerblumen gruppierten sich Glückwunschkarten und Geschenke. Auf einer Kiste Blanquette lag die gleichnamige Katze und schlief.

»Schade, dass ich nur den Wein mit nach Berlin nehmen darf«, sagte Pippa und streichelte das Tier.

»Zum Anstoßen mit Deinem Geburtstagsbesuch! Deine Kiemenkerle«, stand auf der dazugehörigen Karte.

Dann werde ich wohl wie Miss Sophie beim Dinner for one am Tisch sitzen und mit abwesenden Freunden trinken, dachte Pippa, auf einmal ein wenig wehmütig. Plötzlich war sie nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, den Tag allein zu verbringen.

Um sich abzulenken, beschäftigte sie sich mit den anderen Geschenken. Ein besonders großes entpuppte sich nach dem Auspacken als der goldene Fair-Play-Pokal, den das Vent Fou ursprünglich für den Wettbewerb vorgesehen hatte. Erfreut las Pippa die gemeinsame Widmung der Familien Legrand und Didier an sie.

In einem Umschlag der hiesigen Gendarmerie fand sie eine Einladung zu einem zünftigen Western-Abend im Unterstand auf dem Berg, Tex-Mex-Food inklusive. Unterschrieben war der Gutschein von Régine-Une und den Dupont-Zwillingen.

In einer großen Hutschachtel entdeckte sie das Geschenk der Peschmanns: einen Sonnenhut in beeindruckender Größe, mit breiter Krempe und Tüllschal.

Du darfst mich gern weiterhin mit Sonnenhüten versorgen, Pia, dachte Pippa gerührt und erinnerte sich an das Exemplar, das sie auf Schreberwerder bekommen hatte.

Das Auspacken der Geschenke wurde von einem Telefonat mit ihren Patenkindern Lisa und Sven unterbrochen, die versprachen, sich in der kommenden Woche für zwei Tage von Bonnie und Daniel zu trennen, um im Paradies bei allen anfallenden Arbeiten zu helfen.

»Gehst du heute Abend ins Vent Fou, um dich von Pascal verwöhnen zu lassen?«, fragte Lisa.

»Pascal und Jean schenken mir zwar ein Geburtstags-Festessen, aber Pascal wird es direkt ins Paradies liefern. Régine-Deux hat unter der Steineiche den Tisch für mich gedeckt – mit Seeblick, ganz romantisch.« Beim Gedanken an den bevorstehenden Gaumenschmaus lief Pippa das Wasser im Munde zusammen.

»Ist das denn schön, so ganz allein?«, fragte ihre Patentochter.

Auch Pippa kamen wieder Zweifel. Sie sah hinüber zur Steineiche. Régine hatte ein große Tuch über den vorbereiteten Tisch gebreitet, um Geschirr und Besteck vor Tieren und Blättern zu schützen.

»Im Baum hängen Lampions«, sagte Pippa statt einer ehrlichen Antwort. »Ich freue mich darauf, in ihrem schummrigen Licht Pascals Delikatessen zu genießen. Die will ich mit niemandem teilen.«

Nach dem Gespräch mit Lisa und Sven wandte sich Pippa ihren Geburtstagskarten zu. Zu ihrer Erheiterung schrieben Tibor und seine Crew nur: Wir sehen uns wieder, wetten?

Aus dem liebevollen Brief ihrer Eltern erfuhr Pippa, dass der Umbau ihrer Dachwohnung abgeschlossen war. Dank Freddys Einsatz war ihr Inventar aus dem Hochparterre bereits nach oben gewandert, und Oma Hetty hatte mit ein paar Kleinmöbeln aus ihrem ehemaligen Cottage zusätzlich für Gemütlichkeit gesorgt. Es wird Zeit, dass Du zurückkommst, las Pippa. Deine Grandma lässt Dir ausrichten, dass nur Du noch in der Wohnung fehlst – und ein Haustier!

Das erneute Klingeln des Telefons rettete Pippa davor, sentimental zu werden. Karin gratulierte ihr überschwänglich und überraschte sie mit der Neuigkeit, dass die Hausgemeinschaft der Transvaalstraße für ein Flugticket nach Venedig gesammelt hatte. Pippa brauchte nur noch Tag und Stunde zu nennen, wann sie in die Stadt ihrer Träume reisen wollte.

Pippa jubelte und bat die Freundin, sich in ihrem Namen bei allen für das perfekte Geschenk zu bedanken.

Dann sagte Karin: »Außerdem sind wir mal wieder mächtig stolz auf dich. Ede Glasbrenner nennt die Aufklärung der Geheimnisse am Lac schon Pippas Wasser-Fälle

»Dabei habe ich gar nicht alles herausgefunden.« Pippa verzog den Mund. »Ehrlich, ich wüsste zu gerne, wer mich nach Toulouse gelockt hat. Von wem stammte die Nachricht unter dem Samttuch des Tiepolo-Bildes? Wer wollte mich im Florida treffen?«

»Und für wen war Abels zweites Glas?«, warf Karin ein.

Pippa verdrehte die Augen. »Könntest du dich bitte wenigstens an meinem einschneidenden Geburtstag mal mehr für mein Liebesleben interessieren als für das anderer Leute?«

»Tu ich«, sagte Karin beschwichtigend. »Ich soll dich nämlich von deinem Liebhaber grüßen.«

Pippa wusste sofort, auf wen Karin anspielte. »Wolfgang!«, rief sie ehrlich erfreut. »Wie geht es ihm?«

»Er denkt darüber nach, sich versetzen zu lassen.«

»Was? Wohin denn?«

»Egal wohin. Altmark, Heide, Harz – Hauptsache, es gibt dort keinen Angelverein.«

Pippa stellte den Blanquette kalt und nahm dann das Kuvert von Leo in die Hand. Zu ihrer Freude fand sie darin eine Kopie der von ihm unterschriebenen Scheidungspapiere. Exakt drei Jahre, dann sind wir geschieden, dachte sie. Wer hindert mich jetzt noch, neue Allianzen zu schmieden? Auf zu neuen Ufern!

Erst jetzt fiel ihr die beiliegende Karte auf. »Ich hoffe, mein Geschenk erfreut Dich und beschert Dir große Erfolge. Ich finde, es passt perfekt zu Dir, Cara.«

Leos Geschenk lehnte noch immer unausgepackt an der Wand neben dem Geburtstagstisch. Neugierig riss Pippa das Geschenkpapier ab und öffnete den länglichen Karton.

»Leo!«, rief sie spontan, denn sie fand darin eine traumschöne Angelrute mit Korkgriff. Sie lachte, als sie das Logo der Herstellerfirma entdeckte: Shakespeare stand in geschwungenen Lettern auf dem Schaft der Rute.

Sorgfältig legte sie die Angel wieder in den Karton und schickte liebevolle Gedanken nach Italien.

Pippa fütterte die Katzen, dann verbrachte sie den Tag mit Professor Libris Biographie über Hemingway auf Régines Sonnenliege. Zwischendurch schwamm sie ein paar Runden im Pool, um sich abzukühlen, und fühlte sich herrlich faul.

Doch obwohl selbst Debbie und Nicola sich aus Hideaway meldeten, um im Namen ihrer englischen Freunde zu gratulieren, wurde Pippa das unbestimmte Gefühl nicht los, dass irgendetwas zur Perfektion des Tages fehlte.

Am Abend holte sie den Blanquette aus dem Kühlschrank und brachte ihn zum Tisch unter der Steineiche. Sie nahm vorsichtig das schützende Tuch von der bereits vorbereiteten Tafel und stutzte. Der Tisch war ländlich dekoriert, mit rustikalem Geschirr, antikem Besteck und grobleinenen Servietten auf Platzsets aus hellgrünem Moos. Nur Gläser fehlten.

»Zwei Teller«, murmelte Pippa, »will Pascal mir Gesellschaft leisten?«

Pippa öffnete gerade den Wein, als die Sturmglocke an der Eingangstür läutete.

Pascal, dachte Pippa und rief: »Ich bin hinten!«

Aber der Mann, der in den Garten kam, war nicht Pascal – und das Essen brachte er auch nicht.

»Lass mich raten«, sagte Pippa und errötete bei seinem Anblick, »das hat Régine-Deux eingefädelt.«

Ihr Gegenüber lächelte. »Ich habe zwei Gläser dabei.«

Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle
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