Kapitel 7
Pippa brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass das fordernde Klopfen an der Tür nicht zu ihrem faszinierenden Traum gehörte.
»Pippa? Schläfst du noch?«
Jetzt nicht mehr, Wolle, dachte sie grimmig. Trotzdem rührte sie sich nicht. Wenn sie Glück hatte, vermutete er sie auf einem Spaziergang und verschwand wieder – und sie könnte für ein paar Minuten noch einmal zur umschwärmten Traum-Pippa werden, die sich gerade aus einer beträchtlichen Reihe ansehnlicher Männer einen verlässlichen, treuen Partner aussuchte.
»Pippa!« Seine Stimme wurde schmeichelnd. »Ich habe Frühstück für dich!«
Sie öffnete widerwillig die Augen und sah auf die Uhr. Schon nach zehn! Um diese Zeit hatte sie längst in der Rue Cassoulet sein wollen. Ohne weiter nachzudenken, sprang sie aus dem Bett und öffnete die Tür.
Auf Wolfgang Schmidts Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Wirklich lecker! Und damit meine ich nicht das Frühstück.«
Erst jetzt wurde Pippa bewusst, dass sie höchst unzulänglich gekleidet war. Sie trug ein ausgeleiertes T-Shirt, das ihr Noch-Gatte ihr vor langer Zeit zum Geburtstag geschenkt hatte. Ein Leo-typisches Andenken, denn die Vorderseite zierte der David von Michelangelo – allerdings mit Leos Gesicht.
Spontan knallte sie die Tür vor Schmidts Nase zu. »Stellen Sie das Tablett einfach ab, ich hole es mir später.«
»Keine Chance, Liebling.« Die Stimme des Kommissars klang dumpf von der anderen Seite der Tür. »Außerdem sind wir beim Du, seit wir offiziell ein Paar sind.«
Pippa verzog das Gesicht. Wie hatte sie sich nur auf dieses verrückte Arrangement einlassen können, mit Wolfgang Schmidt ein Liebespaar zu spielen?
»Jetzt stell dich nicht so an, Pippa«, drängte Schmidt weiter, »lass mich rein. Strategie-Gespräch!«
Was soll’s, dachte sie und seufzte. Sie wickelte sich in ihren Bademantel und öffnete wieder. Ehe Schmidt etwas sagen konnte, riss sie ihm das Tablett aus der Hand und verschwand damit ins Badezimmer. Auf dem Frühstücksteller lag eine rote Rose. Ob das Wolfgangs Idee gewesen war? Oder doch Pascals?
»Was machst du da? Duschen?«, hörte sie ihn durch das prasselnde Wasser fragen.
»Was wohl? Die Rose braucht Wasser!«, schrie sie zurück.
Auf der anderen Seite der Tür hörte sie ihn lachen. Sie genoss das warme Wasser auf ihrer Haut und fühlte, wie ihre Lebensgeister erwachten. Heute würde sie ihre Aufgabe als Haushüterin beginnen und sich ernsthaft um das Geheimnis der Rue Cassoulet 4 kümmern.
Sie stellte die Dusche ab, schlang das Badetuch eng um sich und goss sich Kaffee ein. Genießerisch biss sie in ein Croissant.
»Der maître war überhaupt nicht angetan, als ich dein Frühstück einforderte. Ich wette, er hätte es dir liebend gerne selbst gebracht«, sagte Schmidt. Seine Stimme klang so laut, dass er direkt an der Tür stehen musste.
»Hm«, machte Pippa mit vollem Mund und klopfte das Ei auf.
»Sogar ein Blümchen hat er aufs Tablett gelegt, der liebe Pascal. Will der was von dir? Muss ich mir Sorgen machen, Liebste?«
Pippa verdrehte die Augen und giftete: »Das Ei ist hart.«
Schmidt prustete vergnügt. »Das sagt mir immerhin, dass du keine Sonderbehandlung bekommst. Dazu müsstest du auch zuerst unsere Tatti ausstechen. Während der letzten drei Jahre hatte sie ihn nämlich gepachtet. Exklusiv.«
Vergeblich versuchte Pippa, den Unterton in seiner Stimme zu analysieren. War er triumphierend? Bedauernd?
Pippa hielt mit dem Abtrocknen inne – wieso überhaupt Tatti? Sicher, sie flirtete mit Pascal, aber diente das nicht nur dazu, ihren Mann eifersüchtig zu machen?
»Tatti ist doch in festen Händen«, sagte Pippa und bemühte sich, nicht allzu interessiert zu klingen.
Schmidt seufzte theatralisch. »Das dachte ich von uns auch.«
»Lass den Quatsch«, fauchte sie, »wie reagiert denn Remmertshausen auf Tattis Verhalten? Macht es ihm überhaupt nichts aus?«
»Der merkt kaum etwas. Ich finde, er hätte niemals eine zweite Ehe eingehen sollen.«
»Zweite Ehe? Er war schon mal verheiratet?«
»Ist er noch.«
Prompt verhedderte Pippa sich in dem leichten Pullover, den sie sich gerade über den Kopf zog. Es dauerte einen kurzen Moment, bis sie sich befreit hatte. »Wie bitte?!«
»Mit seiner Arbeit. Die schlimmste Form der Bigamie, die es gibt.«
»Sympathischer Zug vom feinen Herrn Doktor.« Pippa schlüpfte in ihre Jeans und begann dann, sich die feuchten Locken zu frottieren. »Wahrscheinlich hat er nie Zeit für seine Frau – und dann schleppt er sie auch noch auf seinen Männerurlaub mit. Als gäbe es keine romantischeren Ziele. Bestimmt nicht abendfüllend für sie, ihm beim Angeln zuzusehen.«
»Da hast du allerdings recht«, sagte Schmidt nachdenklich. »Gerald hat noch nie so viel Zeit im Verein verbracht wie momentan. Sogar zum Vorsitzenden hat er sich wählen lassen. Er steht kurz vor dem Ruhestand und braucht wohl eine neue Beschäftigung.«
»Ha. Und dann sucht er sich ausgerechnet das Angeln aus? Er sollte lieber etwas mit Tatti unternehmen. Kapiert der denn überhaupt nichts?«
»Dafür kapiert Tatti umso mehr. Die Stimmung zwischen den beiden ist höchst explosiv. Irgendetwas muss vorgefallen sein. Jeden Tag gibt es neue …«
Seine Stimme ging im Dröhnen des Föns unter. »Ich kann dich nicht hören!«, schrie sie und widmete sich ganz der Aufgabe, ihre Locken zu trocknen.
Als Pippa das Bad verließ, traf sie fast der Schlag: Nicht nur Wolfgang Schmidt grinste sie an, sondern der halbe Angelverein hatte sich während des Föhnens in ihre Wohnung geschlichen und im Raum verteilt.
»Was macht ihr denn alle …«, entfuhr es ihr, aber dann winkte sie resigniert ab. Schließlich hatte sie selbst die Büchse der Pandora geöffnet, als sie den Kommissar und seine Angelfreunde um Hilfe gebeten hatte.
»Guten Morgen, Pippa. Deine Truppe meldet sich zum Dienst, wie unser Blasko sagen würde.« Rudi Feierabend lächelte jovial. »Und jetzt schlage ich vor, wir lassen die olle Siezerei sein, oder? Schließlich bist du jetzt eine von uns – als Wolles Freundin.«
Die anderen Männer murmelten Zustimmung.
»Gerne«, antwortete Pippa. »Und vielen Dank, dass ihr mich unterstützen wollt.«
»Besser, als durch staubige Museen oder langweilige Klöster zu schlurfen«, brummte Hotte.
Bruno nickte begeistert. »Genau. Eine echte Schnitzeljagd. Das wird spannend. Wirklich spannend.«
»Ich habe mir ein paar Gedanken dazu gemacht.« Blasko stand am Fenster und hob sein unvermeidliches Klemmbrett. »Wenn wir alles generalstabsmäßig organisieren, wird die Suche nach dem Mörder ein Kinderspiel. Ein guter Schlachtplan ist alles.« Er deutete auf einen freien Stuhl am Tisch. »Pippa, setz dich bitte zu den anderen.«
Das war es also, was Wolfgang mit Strategiegespräch gemeint hat, dachte sie. Er war nur die Vorhut.
»Wie bei jeder Truppe gibt es natürlich auch bei uns einige Fahnenflüchtige«, referierte Blasko weiter. »Franz Teschke trainiert lieber, unser Herr Vorsitzender kann oder will nicht von Computer und Funktelefon weg, und Lothar Edelmuth zieht es vor, sich wegen abgängiger Gattin der Melancholie hinzugeben. Unser Angelbruder Achim Schwätzer …« Sein beredtes Kopfschütteln sagte mehr als tausend Worte.
Wahrscheinlich hat Schwätzer dich ob des Ansinnens, mit den anderen auf Informationsbeschaffung zu gehen, schlicht ausgelacht, dachte Pippa amüsiert.
»Jetzt die Aufteilung der Teams.« Blasko Maria Krabbe blickte mit wichtiger Miene auf sein Klemmbrett. »Hotte und Rudi – ihr übernehmt die Bar-Tabac, das ist in französischen Kleinstädten die Nachrichtenzentrale. Eine Kombination aus Kneipe und Tabakladen, perfekt als Sammelstelle für Tratsch und Informationen.«
»Sprecht ihr Französisch?«, fragte Pippa die beiden Freunde.
»Wir können Gebärdensprache …« Rudi fuhr sich mit einer Hand quer über seinen Hals und stieß ein Röcheln aus. »Das dürfte jeder verstehen.«
Die Runde lachte, und Abel sagte: »Ich begleite euch. Mein Französisch ist recht gut – und wird mit jedem Pastis flüssiger.«
»Okay.« Blasko machte sich eine Notiz auf dem Einsatzplan. »Bruno und ich übernehmen den Tennisplatz und befragen den Besitzer. Einverstanden, Bruno?«
Dieser nickte. »Sportplätze sind gut. Verdammt gut. Da gibt es immer Leute, die über alles Bescheid wissen.«
»Und euer Französisch?« Pippa konnte sich die Nachfrage nicht verkneifen.
Bruno strahlte. »Blasko war schon mal auf einem deutsch-französischen Manöver!«
»Ich war bei der Brigade franco-allemande!«, korrigierte Blasko stolz. »Informationsbeschaffung somit gesichert.«
»Nicht schlecht«, sagte Pippa beeindruckt, »aber du hast Vinzenz vorhin nicht erwähnt. Hat er keine Lust, mitzumachen?«
»Der wollte irgendwas besorgen«, meldete sich Wolfgang Schmidt zu Wort.
Und ich kann mir auch denken, was – und mit wem. Pippa grinste, als sie an den Plan dachte, der am Abend zuvor ausgeheckt worden war.
»Sieht also so aus, als wären wir nur zu zweit, mein Schatz. Wir ziehen zusammen los, wie in alten Zeiten auf Schreberwerder«, fuhr Schmidt fort.
Pippa schüttelte den Kopf. »Später gerne, aber jetzt will ich erst in die Rue Cassoulet.«
»Nicht nur du«, dröhnte Blasko, »auch die Fußtruppen müssen den Kriegsschauplatz inspizieren.«
Das geht auf keinen Fall, dachte Pippa alarmiert, Tibor weiß von nichts, und wenn die ganze Bande dort aufmarschiert … »Kommt nicht in Frage. Nur Wolfgang und ich.«
Bruno sah sie gerührt an. »Kann man verstehen. Sie will endlich mal mit Wolle allein sein. Können wir alle verstehen. Wirklich alle. Wir gucken dann einfach später mal über den Zaun.«
Als alle gemeinsam das Vent Fou verließen, nahm Wolfgang Schmidt Pippas Hand. »Etwas verliebter, bitte«, flüsterte er.
Pippa knirschte mit den Zähnen und warf ihm einen giftigen Blick zu. Kaum waren die anderen Männer außer Sichtweite, riss sie ihre Hand aus der seinen, so als hätte sie sich verbrannt. Auf dem kurzen Weg zu ihrem Ziel achtete sie sorgfältig darauf, Abstand zu halten.
»Wir sind da«, sagte sie schließlich und öffnete das Gartentor.
Aus dem Dachgeschoss des Hauses drangen Stimmen und hämmernde Geräusche.
»Tibor? Sind Sie da?«, rief sie laut, und ein kleiner, drahtiger Mann mit sonnenverbranntem Gesicht und schwarzem Haarschopf kam neugierig heraus.
»Madame Pippa?«, fragte er.
Als sie nickte, trat er strahlend auf sie zu und schüttelte ihre Hand, die in seiner schwieligen Pranke beinahe zerquetscht wurde. Obwohl er dem hünenhaften Bruno vermutlich kaum bis zur Schulter reichte, waren Tibors Hände noch größer als die des sanften Riesen.
Der Polier stürzte sich in einen weitschweifigen Bericht über den Stand der Bauarbeiten und nickte nur kurz, als Wolfgang Schmidt fragte, ob er die Toilette benutzen dürfe, und im Haus verschwand.
»Ein Freund von Ihnen?«, fragte Tibor.
»So etwas Ähnliches«, sagte Pippa, »er ist mit Freunden auf Angelurlaub hier. Sie planen einen Wettbewerb.«
Der Polier horchte auf. »Angeln? Um die Wette? Großartig. Meinen Sie, die Jungs und ich können zusehen?«
Ach herrje, dachte Pippa, wie soll ich es Franz Teschke erklären, wenn noch mehr Leute seine Fische vergraulen?
»Ich kann ja mal nachfragen«, sagte sie zögernd und beschloss, rasch das Thema zu wechseln. »Wie wollen wir in den nächsten Wochen vorgehen? Soll ich jeden Tag zur gleichen Zeit auf die Baustelle kommen? Zum Beispiel kurz vor Feierabend? Wenn irgendetwas Wichtiges entschieden werden muss, bin ich auch leicht über das Vent Fou erreichbar. Sie brauchen nur eine Nachricht an der Rezeption zu hinterlassen.«
Tibor winkte ab. »Nicht nötig, dass Sie jeden Tag herkommen. Wir kommen gut allein zurecht. Schließlich habe ich Madame Peschmann versprochen, Sie nur im Notfall zu stören. Meine Jungs und ich sind ein eingespieltes Team. Fragen Sie Lisette.«
Jetzt habe ich seine Berufsehre angekratzt, weil ich ihm über die Schulter schauen will. Da ist meine ganze Diplomatie gefragt, dachte Pippa, denn ganz bestimmt hätte Pia mich nicht den weiten Weg hierher geschleift, wenn sie Tibor das Versprechen abgenommen hätte, mich nicht zu stören.
Wolfgang Schmidt kam zurück. »Da haben Sie aber noch einiges vor. Das Haus hat die Renovierung mehr als nötig«, sagte er zu Tibor.
»Sie sind einer der Angler?«, erwiderte der, ohne auf Schmidts Frage einzugehen. Als dieser nickte, fuhr der Polier eifrig fort: »Haben Sie schon einen Buchmacher? Ich könnte das für Sie arrangieren. Meine Jungs und ich …«
Zu Pippas Überraschung fiel der Kommissar dem Polier sofort begeistert ins Wort. »Das ist eine brillante Idee! In welcher Höhe würde sich denn der zusätzliche Ansporn für uns Angler bewegen?«
Die beiden stürzten sich in eine Diskussion über Anteile und die Möglichkeit, durch zahlende Zuschauer noch weiteres Potential aus dem Wettbewerb kitzeln zu können.
»Ich kümmere mich um alles«, versprach Tibor mit glänzenden Augen. »Natürlich außerhalb meiner Arbeitszeit«, fügte er mit einem schnellen Seitenblick zu Pippa eilig hinzu.
Schmidt und er schüttelten einander die Hand wie alte Freunde. »Kommen Sie doch zu uns ins Camp, bevor wir heute zum Nachtangeln aufbrechen«, sagte der Kommissar. »Die anderen werden begeistert sein.«
»Was war das denn gerade?«, sagte Pippa zu Wolfgang Schmidt, als sie das Grundstück verlassen hatten. »Ein Staatsbeamter wie du sollte eigentlich wissen, dass privates Glücksspiel mit Geldeinsatz verboten ist.«
Schmidt setzte ein harmloses Gesicht auf. »Geld? Wer hat denn etwas von Geld gesagt? Es geht um Ansporn, und der muss zugkräftig sein und zu Höchstleistungen anstacheln. Du als Übersetzerin solltest das eigentlich wissen.«
»Verschone mich mit deiner Wortklauberei. Natürlich geht es um Geld. Und wann hat je etwas mehr angespornt als Geld? Menschen morden dafür – aber wem erzähle ich das?«
Schmidt antwortete nicht, sondern beschleunigte stattdessen seine Schritte, so dass Pippa alle Mühe hatte, mitzuhalten.
»Himmel – musst du so rennen? Wo gehen wir überhaupt hin?«, rief sie außer Atem.
Er blieb kurz stehen und wartete auf sie. »Wo man so hingeht, wenn man einen Mord aufklären will«, sagte er. »Zur Polizei.«
Die Polizeistation befand sich in einem winzigen Gebäude neben der Auberge Bonace. Ohne den blauen Gendarmerie-nationale-Schriftzug hätte es wie ein normales Einfamilienhaus ausgesehen.
An einem Schreibtisch hinter dem abgeschabten Tresen saß ein Polizist mittleren Alters. Er las so konzentriert in einem Groschenroman, dass er beim Lesen die Lippen bewegte. Bei ihrem Eintreten sah er auf und schlug mürrisch das Heft zu.
Er liest einen Nackenbeißer, dachte Pippa amüsiert, als sie auf dem Titelbild des Heftes einen breitschultrigen Mann entdeckte, der dem zarten Mädchen vor ihm auf die weißen Schultern schmachtete. Die habe ich in der Pubertät verschlungen. Ätherische Wesen zähmen ständig widerborstige Helden, die sie dann liebestrunken auf Händen in den Sonnenaufgang tragen. Leider trug mein Leo viel zu schwer an seiner eigenen Eitelkeit, als dass es für mich auch noch gereicht hätte.
In diesem Moment erhob sich der Gendarm widerwillig von seinem hölzernen Drehstuhl. Ein handgeschriebenes rot-gelbes Schild auf dem Tresen wies ihn als P. Dupont aus.
Ohne lange Vorrede zückte Wolfgang Schmidt seinen Polizeiausweis und hielt ihn dem Gendarmen unter die Nase. »Kommissar Schmidt aus Berlin, Kollege Dupont. Ich benötige Amtshilfe. Meine Freundin hier«, er wies mit einem Nicken auf Pippa, »hat Grund zu der Annahme, dass die Besitzverhältnisse des Hauses Rue Cassoulet 4 nicht eindeutig geklärt sind. Ihre Freunde«, wieder ein Nicken in Richtung Pippa, »renovieren momentan das Haus und sind nicht sicher, ob mit dem Kaufvertrag alles seine Richtigkeit hat. An wen können wir uns wenden, um die Bedenken auszuräumen?«
Dupont wirkte alarmiert. Er richtete seine Dackelaugen auf Schmidt und hob beide Hände in einer Keine-Ahnung-Geste. Dann seufzte er demonstrativ und warf einen sehnsüchtigen Blick hinüber zum Groschenheft. »Wir sind die Polizei. Mit An- und Verkäufen von Immobilien haben wir nichts zu tun.«
Der Herr Gendarm ist nicht erpicht darauf, sich stören zu lassen, und schaltet auf verständnislos, dachte Pippa enttäuscht. Und das trotz Wolfgangs erstaunlich lupenreinem Französisch und Lisettes Deutschkursen.
Aber Schmidt war nicht gewillt, aufzugeben und den desinteressierten Gendarmen wieder seiner romantischen Lektüre zu überlassen. Noch einmal trug er eindringlich sein Anliegen vor.
Während die beiden Männer diskutierten, sah Pippa aus dem Fenster neben dem Schreibtisch – und direkt in Cateline Didiers neugieriges Gesicht. Pippa fühlte sich ertappt und schaute schnell zur Seite, aber ihre Gedanken rasten. Ob Cateline wusste, warum sie mit Schmidt in der Gendarmerie stand? Hatten der Wirt der Brasserie oder die junge Kellnerin getratscht? Und falls ja – was hatten sie erzählt? Spielten hier alle Katz und Maus? Und welche Rolle hatte man dabei eigentlich ihr zugedacht?
Dupont warf jetzt den Ausweis, den er sorgfältig studiert hatte, verächtlich auf den Tresen. »So ein Ding kann sich jeder basteln.«
»Sie können gern meine Dienststelle in Berlin anrufen«, erwiderte Schmidt ärgerlich.
»O, là, là, Monsieur!« Duponts Blick wurde hart. »So gehen Sie also mit den Steuergeldern französischer Staatsbürger um. Kommt gar nicht in Frage. Von mir werden Sie die gewünschte Auskunft nicht bekommen. Guten Tag.«
»Das werden wir sehen«, schnaubte Schmidt, drehte sich auf dem Absatz um und zog Pippa mit sich auf die Straße.
»Woher kannst du so gut Französisch?«, fragte Pippa, als sie wieder vor der Gendarmerie standen.
»Collège Français in Berlin.«
»Du warst auf dem Französischen Gymnasium? Ich fass es nicht. Du hast dein Abitur auf Französisch gemacht.«
Schmidt lachte auf. »Leider nicht. Ich habe kurz vorher aufgegeben und an der Abendschule weitergemacht.«
»Oh – weshalb?«
Schmidt grinste ungerührt. »Wegen Französisch!«
In diesem Moment ratterte der jüngste der Didier-Jungs auf einem Skateboard laut polternd auf sie zu und brüllte: »Eric! Franck! Marc! Essen! Schnell, sonst fressen die Pensionsgäste alles weg!«
Pippa sprang erschrocken zur Seite. Schmidt griff blitzschnell zu, zog den Jungen von seinem rollenden Untersatz und nahm ihn in den Schwitzkasten. Seine Brüder stürmten aus drei verschiedenen Richtungen heran. Angesichts der sich ihnen bietenden Szene bremsten sie ab und kamen nur zögernd näher.
»He, lass mich los, Alter!«, protestierte Cedric Didier und versuchte vergeblich, sich aus Schmidts Klammergriff zu befreien.
»Erst wenn du mir versprichst, nicht mehr wie ein Irrer über den Bürgersteig zu rasen und Leute umzufahren, Kleiner«, forderte Schmidt und verstärkte seinen Griff noch ein wenig.
»Au! Ich werde gar nichts versprechen! Wer bist du überhaupt?«
Schmidt schüttelte den Jungen. »Einer mit einem festen Handgriff, mein Lieber.«
Seine Brüder kamen langsam näher. »Lassen Sie ihn sofort los, sonst …«, sagte der Älteste drohend und ballte die Fäuste.
»Sonst?«, gab Schmidt unbeeindruckt zurück. »Alle für einen, einer für alle?«
»Ganz genau«, gab der Teenager zurück, »wir gegen alle. An Ihrer Stelle würde ich mich vorsehen. Wer sich mit einem von uns anlegt, der legt sich mit der gesamten Familie Didier an.«
Schmidt klemmte sich den zappelnden Jugendlichen unter einen Arm und kratzte sich mit der freien Hand grübelnd am Kopf. »Wartet mal, wo habe ich das schon mal gehört? Der Pate, Teil zwölf? Oder Es war einmal in Amerika – französische Sicht?«
Die Jugendlichen starrten ihn verständnislos an.
»Ich merke schon, ihr seid zu jung, um Hollywoods Sternstunden der Verbrecherfrüherziehung zu kennen. Wie schade«, sagte Schmidt und seufzte.
»Aber ich nicht!«, donnerte eine wütende Stimme hinter ihnen.
Thierry Didier war eine eindrucksvolle Erscheinung. Sein sonnengegerbtes, zerfurchtes Gesicht ließ sein volles weißes Haar leuchten. Trotz seines Alters von Mitte sechzig war sein Körper fest und muskulös. Neben ihm sah Cateline aus wie eine Elfe neben dem mächtigen Zauberer: deutlich jünger und zierlicher, mit einem blonden Zopf, der ihr lang über den Rücken hing. Mit ihren tiefgrünen Augen sah sie Pippa unverwandt an.
Warum erinnern mich die beiden jetzt an Duponts Groschenheft?, dachte Pippa und unterdrückte ein Kichern. Ganz sicher, weil die beiden eine Zierde für jedes Nackenbeißer-Cover darstellen würden – als reales Beispiel für ewige, wahre Liebe.
Inzwischen lockerte Schmidt seinen Klammergriff. Sofort rannte der Junge zu seinen Brüdern und warf dem Kommissar einen triumphierenden Blick zu.
Thierry Didier und Schmidt, von gleicher Größe, standen sich schweigend gegenüber.
Schließlich sagte Schmidt ruhig: »Gestatten, Wolfgang Schmidt, friedliebender Erdenbürger auf Angelurlaub. Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihre Sprösslinge einen Waffenschein für diese Skateboards besitzen?«
»Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten«, erwiderte Didier grollend, »sonst …«
»… wären Sie versucht, Ihre Kräfte mit mir auf andere Art und Weise zu messen?« Schmidt hielt ihm die ausgestreckte Hand hin. »Das würde ich sehr begrüßen. Wie wäre es deshalb mit einem fairen Wettstreit beim Angeln? Das Vent Fou hat einen Preis ausgelobt – und ich finde, es wäre nur recht und billig, auch den Anrainern dieses begnadeten Sees die Chance zu geben, ihn zu gewinnen. Schlagen Sie ein.«