Kapitel 10
In Chantilly führte Régine Pippa direkt zur Gendarmerie. Als sie die Polizeistation betraten, hatte Pippa das irrationale Gefühl, seit ihrem ersten Besuch wäre die Zeit stehengeblieben: Ohne von ihrem Eintreten Notiz zu nehmen, saß Gendarm Dupont an seinem Schreibtisch und las konzentriert in einem Heftroman.
»Huhu!«, rief Régine fröhlich und trommelte mit den Fingern auf den hölzernen Tresen, um den Polizisten aus seiner Versunkenheit zu wecken.
Dupont blickte ärgerlich auf und schlug sein Heft zu. Jetzt verstand Pippa Régines geheimnisvolle Bemerkung zur Schießerei am O. K. Corral: Auf dem Titelbild standen sich auf der staubigen Straße einer klassischen Westernstadt zwei Männer mit gezückten Colts gegenüber, bereit zum Duell in der Mittagssonne.
Sieh da, dachte Pippa amüsiert, ich habe wohl die Bandbreite der literarischen Interessen Monsieur Duponts unterschätzt. Solange er nicht selbst den Revolver zieht, nur weil wir ihn gestört haben, soll es mir recht sein.
Aber der Gendarm reagierte gänzlich anders als am Vortag. Als er Régine erkannte, strahlte er, sprang auf und kam dienstfertig zum Tresen geeilt, wo er sich die Uniformjacke glattzog und sich hinter seinem rot-gelben Namensschild in Positur warf.
»Meine liebe Régine, wie ich mich freue! – Madame.« Er nickte Pippa zur Begrüßung kurz zu, dann wandte er sich wieder an ihre Begleiterin. »Was führt dich her? Was kann ich für dich tun?«
Régine erwiderte den tiefen Blick des Polizisten und gurrte: »Du musst uns helfen, mein Lieber.« Sie unterbrach sich und fuhr lächelnd fort: »Was sage ich: Nur du kannst uns helfen. Ich kenne niemand Besseren als dich, wenn es um polizeiliche Unterstützung geht.«
Dupont errötete tief und verwandelte sich vor Pippas Augen in ein Hündchen, das darauf wartete, ein Stöckchen apportieren zu dürfen.
Ich sollte nur noch mit Régine oder Tatti unterwegs sein, wenn ich etwas erreichen will, dachte sie beeindruckt, von den beiden kann ich einiges über den Umgang mit Männern lernen.
»Es geht um den Fall in der Rue Cassoulet 4«, sagte Régine ohne weitere Umschweife. »Wir wüssten gern, was in der Akte steht.«
Duponts Gesicht zeigte reines Bedauern. Er hob beide Hände und schüttelte den Kopf. »Das ist mehr als zwanzig Jahre her – damals war ich noch nicht einmal auf der Polizeischule.«
Pippa traute ihren Ohren kaum, als er hinzufügte: »Ich kann mir die Akte aber ansehen. Die müsste in Revel liegen.« Er beugte sich über den Tresen näher zu Régine. »Das mache ich sehr gern, wenn ich dir damit helfen kann.«
Régine berührte mit der Hand seinen Arm. »Das wäre doch ein guter Anfang, mein Lieber.«
Dupont starrte auf Régines Hand und stammelte: »Wann … ich meine … Wie schnell braucht ihr das denn?«
»Sagen wir … spätestens Sonntag?«, erwiderte Régine leichthin.
Dupont nickte beflissen. Fehlt nur noch, dass er ihr aus Dankbarkeit, für sie arbeiten zu dürfen, die Hände küsst, dachte Pippa.
Dupont nahm sichtlich allen Mut zusammen. »Dann … Dann können wir zusammen essen gehen, und ich erzähle dir, was ich herausgefunden habe …?«
Sein Vorschlag klang wie eine vorsichtige Frage, bei der er mit einer ablehnenden Antwort rechnete. Er atmete auf, als Régine zustimmte: »Aber gerne: Sonntagmittag im Vent Fou. Du zahlst.«
Kaum standen sie wieder auf der Straße, platzte Pippa heraus: »Was war das denn bitte? Ich habe den Herrn Gendarm ganz anders kennengelernt! Der ist in deiner Gegenwart vollkommen verändert!«
»Findest du?« Régine grinste geschmeichelt. »Ich weiß eben, welcher Tag für eine kleine Bitte gut ist.«
»Offenkundig ist Dienstag ein guter Tag.«
Régines Grinsen vertiefte sich. »Ein sehr guter Tag.«
»Verstehe. Dienstags eifert er seinen Westernhelden nach.«
»Sozusagen.«
Durch das Fenster sah Pippa, dass Dupont wieder am Schreibtisch saß und sich erneut seiner Lektüre widmete.
»Interessant. An welchem Tag reitet er denn als Robin Hood durch Sherwood Forest? Oder sitzt als edler Ritter an König Arthurs Tafelrunde?«
In Régines Augen blitzte Heiterkeit auf. »Entnehme ich deiner Nachfrage, dass du dir mehr aktive Hilfe von der hiesigen Polizei wünschst?«
»Das würde einiges vereinfachen.«
Régine lachte leise. »Wenn du dich da mal nicht täuschst. Wir sind in Okzitanien … So etwas wie Berechenbarkeit gibt es hier nicht.«
Sie gingen am Bonace vorbei die Straße hinunter. An der Kreuzung blieb Régine stehen und verabschiedete sich. »Wir sehen uns am Sonntag. Zum Abendessen im Vent Fou.«
Während Régine nach Haus ging, schlenderte Pippa Chantillys kleine Einkaufsstraße hinunter, um endlich ein Fernglas zu erstehen. Im Camping- und Outdoorladen neben der Brasserie sah sie sich begeistert um. Der Verkaufsraum war nicht nur mit Campingartikeln aller Art, sondern auch mit typischen Andenken vollgestopft.
Solange der junge Verkäufer noch mit anderen Kunden beschäftigt war, schlenderte Pippa zwischen den Regalen umher und suchte nach Souvenirs, mit denen sie Lisa, Sven und ihre Familie überraschen konnte. Durch ihre intensive Suche bemerkte sie nicht, dass Abel Hornbusch von draußen durch das Schaufenster des Campingladens ins Innere spähte und erleichtert aufatmete, als er sie sah.
Als der Verkäufer endlich Zeit für sie hatte, erklärte Pippa ihm, wonach sie suchte. Der junge Mann präsentierte ihr eine Auswahl günstiger Ferngläser, und Pippa entschied sich für eines, das ihr auch im Theater gute Dienste leisten würde.
Sie ging zur Kasse und bezahlte, als Cateline Didier den Laden betrat und sich dicht neben sie stellte.
Cateline deutete auf das Fernglas, das der Verkäufer in eine Tüte packte. »Brauchen Sie das, um besser spionieren zu können?«
Pippa fuhr wie ertappt zusammen und starrte die Frau an, vor Schreck zu keiner Entgegnung fähig.
»Warum reden Sie mit allen möglichen Leuten, aber nicht mit uns?«, fragte Cateline weiter. »Um uns geht es doch, oder?«
Obwohl die Fragen weniger wütend als vielmehr resigniert klangen, suchte Pippa verzweifelt nach Worten, um sich zu erklären, und stotterte verlegen: »Ich wollte nur … Lisette … das Haus … wir … Pascal …«
»Genau. Pascal.« Cateline nickte langsam. »Der hat den Stein ins Rollen gebracht, nicht wahr? Oder war es Ihre Freundin aus Deutschland?«
Pippa überfiel das gleiche Gefühl wie am Vorabend beim Gespräch mit Lisette: Das war kein Spiel, hier ging es um echte Menschen und echte Schuld. Wieder fiel ihr keine Antwort ein, obwohl sie gern etwas gesagt hätte. Lediglich ihr Mund öffnete und schloss sich wie das Maul eines Fisches, der auf dem Trockenen verzweifelt nach Luft schnappt.
»Jeder redet über uns – aber niemand redet mit uns«, sagte Cateline.
»Aber nein! Sobald wir die Geschichte besser verstehen, hatten Pippa und ich genau das vor«, sagte plötzlich Abel Hornbusch hinter ihnen. »Je mehr wir wissen, desto leichter wird es uns fallen, Ihnen die richtigen Fragen zu stellen und mit Ihrer Hilfe alles in die richtige Reihenfolge zu bringen.«
Die beiden Frauen fuhren herum.
Hornbusch hob ein großes, in Papier eingeschlagenes Kuchentablett, das er in den Händen trug. »Natürlich können wir bei Obsttörtchen mit Sahne und einem leckeren Kaffee auch jetzt schon Einzelheiten austauschen. Dann wird es für alle Beteiligten leichter. Wir dürfen Sie doch einladen, Madame Didier? Kommen Sie. Wir freuen uns.«
Weder Pippa noch die überrumpelte Cateline erhoben Einwände, als Abel Hornbusch sie sanft, aber bestimmt aus dem Laden geleitete und zum Picknickgelände am See führte. Auf dem kurzen Weg dorthin machte er leise Konversation mit Cateline, während Pippa – noch immer verwirrt durch die unerwartete Entwicklung der Ereignisse – hinter den beiden hertrottete. Für sie war Abel Hornbusch bisher nur der ehemalige Schwager von Wolfgang Schmidt gewesen, der sich in dessen Gegenwart stets im Hintergrund hielt. Von ihm hätte sie zuallerletzt erwartet, dass er sie aus dieser prekären Situation rettete.
Am Rand der Wiese, im Schatten eines Baumes, saß Bruno Brandauer auf einer Picknickdecke und blickte ihnen neugierig entgegen. Vor ihm stand eine riesige Thermoskanne.
Wenn ich nicht genau wüsste, dass dies alles improvisiert ist, könnte ich tatsächlich auf den Gedanken kommen, die beiden hätten mich gesucht, dachte Pippa. Aber wozu? Nur, um mit mir Kuchen zu essen?
»War gar nicht so schwer, die Damen zu finden, Bruno«, sagte Abel munter, bevor dieser den Mund aufmachen konnte. Stattdessen nickte der gutmütige Hüne nur und holte Kuchengabeln, Tassen und Teller aus dem mitgebrachten Korb.
Drei Gedecke, dachte Pippa. Irgendjemand war hier nicht eingeplant.
Bruno machte eine einladende Geste. »Setzen Sie sich doch bitte, meine Damen, und schlagen Sie kräftig zu. Abel schwört auf den Kuchen aus der Brasserie.« Lächelnd tätschelte er seinen Bauch. »Ich verzichte lieber auf die Zwischenmahlzeit, sonst passe ich nicht mehr in meine Anglerhose.«
Er übernahm es, die Tassen zu füllen, während Abel Cateline freundlich nötigte, auf der Decke neben Pippa Platz zu nehmen, und dann den Obstkuchen verteilte. Aus einer Pappschale häufte er großzügig Sahne neben den Kuchen und überreichte Cateline augenzwinkernd den ersten Teller mit den Worten: »Aber bitte mit Sahne! Chantilly am Lac Chantilly. Stilecht, oder?«
Sie aßen schweigend, und Pippa bemerkte, dass Bruno und Abel beredte Blicke wechselten, bis der bärige Sozialarbeiter schließlich kaum merklich nickte.
»Es freut mich sehr, Madame Didier, dass wir endlich die Gelegenheit haben, mit Ihnen zu sprechen«, sagte Bruno. »Mein Angelfreund Wolfgang Schmidt hatte bereits gestern das Vergnügen – allerdings hat er fahrlässigerweise nur die männliche Seite Ihrer Familie zu unserem Wettbewerb eingeladen.«
Er berichtete von der Gründung der überwiegend weiblichen Mannschaft, den Blinkerbabys, und schloss seinen kleinen Vortrag mit den Worten: »Und sehen Sie, die Damen sind alle ganz neu in diesem Metier. Sie brauchen dringend Hilfe von kompetenter Seite.« Er sah Cateline erwartungsvoll an.
Diese ließ ihre Kuchengabel sinken und fragte erstaunt: »Und da fragen Sie mich?«
»Ganz genau.« Bruno nickte bestimmt. »Sie und Lisette Legrand.«
Catelines Gesicht ließ nicht erkennen, wie sie über den Vorschlag dachte. Elegant stellte sie ihren Kuchenteller auf die karierte Decke und strich sich sorgfältig eine nicht vorhandene Falte aus dem Kleid.
Bei dieser kleinen Geste wurde Pippa die große Ähnlichkeit Catelines mit ihrer älteren Schwester Lisette bewusst. Um eine Reaktion herauszufordern, sagte sie wie nebenbei: »Lisette hat zugesagt.«
Endlich hob Cateline den Kopf. »Was wollen Sie erreichen? Meine Schwester und ich reden schon seit Jahren nicht mehr miteinander.«
»Wir wollen die Fische ja auch nicht aus dem Wasser quatschen«, brummte Bruno, was ein schnelles Lächeln über Catelines Gesicht huschen ließ.
»Mit Reden gewinnt man keinen Angelwettbewerb«, warf Abel ein, »Sie gelten als hervorragende Anglerin, Madame Didier.« Er warf Pippa einen Seitenblick zu. »Wir haben uns erkundigt.«
»Und zwar, wie ich hörte, bei allen, die das beurteilen können«, erwiderte Cateline ironisch.
Abel lachte und stürzte sich in einen Monolog über den Wettbewerb, die zu gewinnenden Preise und besonders über den Pokal, der von den Legrands gestiftet wurde. Sein wortreicher Eifer ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er Cateline unbedingt zur Teilnahme überreden wollte, aber Bedenken hatte, nicht überzeugend genug zu wirken.
»Nicht nur die Damen brauchen Ihre Unterstützung«, schloss er, »ich selbst bin auch Mitglied der neuen Mannschaft. Und ich habe noch nie geangelt!«
Cateline schwieg einen Moment und trank einen Schluck aus ihrer Tasse. Dann sagte sie: »In Ordnung. Thierry und ich sind dabei. Unter einer Bedingung.«
Pippa, Bruno und Abel warteten gespannt darauf, dass Cateline weiterredete. Diese stellte ihre Tasse ab, erhob sich langsam von der Decke und strich wieder ihre Kleidung glatt.
Dann sagte sie ruhig und mit klarer Stimme: »Keine Nachforschungen mehr über Jean Didier.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und ging quer über die Wiese in Richtung Pavillon d’amour.
Pippa, Bruno und Abel sahen ihr stumm hinterher.
»Das ist eine Zwickmühle. Eine echte Zwickmühle«, murmelte Bruno endlich.
Pippa schüttelte den Kopf. »Recht hat sie. Bisher haben unsere Nachforschungen eher neue Gerüchte in die Welt gesetzt, als alte zum Verstummen zu bringen. Ich werde erst mit Lisette und dann mit Pia reden. Was ist letztendlich wichtiger: ein altes Geheimnis zu lösen oder zu helfen, dass hier und heute wieder Frieden einkehrt?«
Die drei räumten das benutzte Geschirr in den Picknickkorb und achteten sorgfältig darauf, den Platz so sauber zu hinterlassen, wie sie ihn vorgefunden hatten, dann schlenderten sie gemächlich um den See herum zum Lager.
Pippa fröstelte. »Bilde ich mir das ein, oder ist es kühler geworden?«, fragte sie und warf sich die Picknickdecke über die Schultern. Sie schaute hinauf zum Himmel, an dem kleine Wolken schwebten.
»Ich glaube nicht«, sagte Abel. »Es ist wohl eher die angespannte Situation, auf die du gerade reagierst.«
»Mag sein. Das alles nimmt mich doch mehr mit, als ich dachte.« Sie seufzte und zog die Decke enger um sich. »Was ist denn eure Meinung? Was ist damals wirklich passiert?«
»Zunächst einmal: Mir tun alle leid«, antwortete Abel. »Ich möchte mit keinem der Beteiligten tauschen. Stellt euch vor, jemand verschwindet, und du bleibst zurück. Ganz gleich, auf welcher Seite du stehst – die Tür ist zu. Du kannst nicht mehr mit ihm reden, nichts mehr klarstellen, dich nicht mehr entschuldigen. Das ist grausam. Das wird bei allem, was du tust, immer in deinem Kopf sein, ein dicker, dunkler Fleck aus Schuld. Für den Rest deiner Tage wirst du alles, was dir begegnet, im Licht dieser Erfahrung bewerten.«
Er schauderte, als hätte der kühle Hauch, den Pippa zu spüren glaubte, jetzt auch ihn erreicht. »Dann doch lieber eine unschöne Scheidung wegen eines klügeren Mannes, der auch noch mehr Geld verdient«, fuhr er fort. »Das sind wenigstens klare Verhältnisse, auch wenn es schmerzt.«
Pippa war von Abels Einfühlungsvermögen und seiner Offenheit beeindruckt.
»Dein Plädoyer lässt es noch notwendiger erscheinen, die übrigen Familienmitglieder wieder zusammenzuführen«, sagte sie.
Die drei gingen schweigend nebeneinander her und hingen ihren Gedanken nach.
»Die Daheimgebliebenen machen sich gegenseitig für das Geschehene verantwortlich«, sagte Pippa schließlich. »Das verstehe ich. Aber was ist mit Jean? Wenn er wirklich noch lebt, warum versteckt er sich? Aus Wut auf seinen Vater? Kann man wirklich so lange auf seinen Vater böse sein? Angst vor Bestrafung wird es wohl nicht mehr sein.«
Bruno schüttelte den Kopf. »Er schweigt nicht aus Angst oder Wut – er schweigt aus Scham.«
»Aus Scham?«, fragte Pippa erstaunt. »Aber man hat ihm seine Teenager-Schwärmerei für Cateline und seinen Ausraster doch bestimmt längst vergeben.«
»Aber er sich nicht. Er sich selber nicht«, sagte Bruno ernst.
Abrupt blieb Pippa stehen und sah die beiden Männer an. »Muss man sich wirklich jahrzehntelang dafür schämen, wegen einer jugendlichen Verliebtheit dumme Dinge gesagt und getan zu haben? Das scheint mir doch reichlich übertrieben.«
»Deswegen nicht«, erwiderte Abel. »Aber erinnere dich: Es war Blut auf der Treppe. Von wem stammt dieses viele Blut? Und wie kam es da hin?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Pippa zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass dieses Blut der Auslöser für die Mordtheorie war.«
»Bruno und ich glauben es zu wissen – und Cateline hat uns mit ihrer Bedingung die Bestätigung für unseren Verdacht gegeben.«
»Welche Bestätigung? Habt ihr beide mehr gehört als ich?«
»Wir können zählen. Gut zählen. Stimmt’s, Abel?«
Dieser nickte. »Allerdings.«
Pippa verdrehte die Augen. »Hört bitte auf, in Rätseln zu sprechen, und sagt mir endlich, was Cateline eurer Meinung nach bestätigt haben soll.«
»Wie viele Kinder haben Cateline und Thierry?«, fragte Abel mit der geduldigen Stimme eines Grundschullehrers.
»Vier. Vier Söhne.«
»Und? Ist einer davon vierundzwanzig Jahre alt?«
Pippas Verwirrung wuchs. »Natürlich nicht. Der älteste der Jungs ist vielleicht achtzehn oder neunzehn.« Sie stutzte. »Ihr meint … was Vinzenz erzählt hat! Cateline war schwanger, als dieses verhängnisvolle Essen bei den Didiers stattfand. Das war die Neuigkeit, die Jean so ausrasten ließ. Es kam zu Handgreiflichkeiten, und dabei …« Sie verstummte erschrocken.
»… ist sie die Treppe heruntergefallen«, vollendete Abel.
»Und hat ihr erstes Kind verloren …«, sagte Bruno.
Wieder schloss Abel den Satz ab. »… und sehr viel Blut.«
Pippa wurde eiskalt. »Ihr denkt, es war Absicht?«
Bruno verzog bekümmert das Gesicht. »Das denken wir. Genau das denken wir.«
»Deshalb sollen wir nicht weiter nach Jean suchen«, sagte Pippa nachdenklich. »Sie will ihn nicht wiedersehen, weil sie ihm nicht verzeihen kann. Aber dann erklärt mir eines: Warum haben die Didiers das nie jemandem erzählt? Das hätte sie doch entlastet.«
»Nur wenn man daran glaubt, dass der Junge freiwillig gegangen ist«, gab Abel zu bedenken.
»Verstehe«, sagte Pippa langsam. »Thierry war wütend, und Jean musste verschwinden. Für immer.«
Bruno sah aus wie ein trauriger Rauhaardackel, als er sagte: »Verschwinden. Für immer. So … oder so …«