Kapitel 14
Tatjana drehte sich um und ließ Achim Schwätzer stehen. Ohne ihm Gelegenheit zu geben, auf ihre Bemerkung zu reagieren, ging sie über den Damm zurück zum Vent Fou. Ihre Schritte, die bei ihrer Ankunft so forsch und entschlossen gewirkt hatten, waren jetzt müde und schleppend.
Pippa sah ihr nach. Ich hätte nicht gedacht, dass Teschkes Unfall sie so mitnimmt, dachte sie.
»Ein wirklich hübsches Mädchen«, sagte Leo hinter ihr, »aber mit dir kann sie nicht konkurrieren.«
»Das tun die hübschen Mädchen nie, mein Lieber«, erwiderte Pippa und wandte sich zu ihm um. »Du hast nie verstanden, dass ich nicht in diesen Kategorien denke.«
»Immerhin habe ich nicht eine von denen, sondern dich geheiratet.«
»Hast du gedacht, das würde mir als Liebesbeweis reichen?« Sie schüttelte den Kopf. »Mir ist nicht genug, diejenige zu sein, zu der du immer wieder zurückkehrst, Leo. Ich bin gegangen, weil ich die Einzige sein will, die Geliebte. Nicht das gute alte Butterbrot, das praktische Hausmütterchen, das brav und berechenbar daheim wartet und nur deine ungewaschenen Socken und den Alltag abkriegt.«
Leo legte seinen Kopf schief und sah sie eindringlich an. »Das habe ich mittlerweile verstanden. Aber was willst du dann mit Pascal?«
Für einen Moment hielt Pippa betroffen inne. War es so, dass ein Schwerenöter den anderen sofort erkannte, oder warum stellte Leo diese Frage?
»Er kocht besser als du«, sagte sie dann, um das Thema zu beenden.
Sie wandte sich ab und marschierte auf den Wald zu. Ein kleiner Spaziergang um den See würde ihr jetzt guttun. Als sie hörte, dass Leo ihr folgte, beschleunigte sie ihre Schritte noch. Sollte er sich ruhig ein wenig anstrengen, wenn er sie begleiten wollte.
Sie liefen schweigend nebeneinander her, bis sie auf Tisserand und Vinzenz Beringer trafen, die auf einer Bank mit Blick auf den See saßen und ernst miteinander sprachen. Pippa wollte mit einem Nicken vorbeigehen, aber Tisserand sprach sie an.
»Heute wird es wohl nichts mit den Forellen.«
»Ich denke, nach diesen Neuigkeiten ist niemandem mehr danach zumute«, erwiderte Pippa. Sie fühlte sich erschöpft, die wattige Schwüle des Tages machte ihr zu schaffen.
Tisserand deutete zum dicht bezogenen Himmel. »So, wie ich die Gegend hier kenne, wird sich das schöne Wetter nicht mehr lange halten – und bei Sturm oder Regen ist es oben im Wald unangenehm. Falls du wirklich noch einmal auf Forellen gehen willst, sollten wir das spätestens morgen tun.«
»Vielleicht ist das für alle eine Abwechslung«, sagte Vinzenz. »Ich werde den Kiemenkerlen vorschlagen, auch auf den Berg zu gehen. Dann müssen die Jungs nach diesem traurigen Tag nicht am See stehen, wo alles sie an Franz erinnert.«
»Werden die Kiemenkerle denn überhaupt noch angeln?«, fragte Pippa. »Wollt ihr nicht sofort abreisen?«
Vinzenz zuckte mit den Achseln. »Schätze, das hängt von den Formalitäten ab und wie schnell der Leich… Franz überführt werden kann. Zumindest so lange müssen wir bleiben.«
»Nur rumsitzen und warten«, gab Tisserand zu bedenken, »das macht trübsinnig. Ein Ausflug auf den Berg ist eine schöne Ablenkung, denke ich.«
Leo lächelte ironisch. »Darf man auch mitkommen, wenn man Angeln für überflüssig hält, solange Trattorien leckeren Fisch anbieten, ohne dass man sich zuvor stundenlang an einen Teich stellen muss?«
Pippa verdrehte die Augen und zog Leo weiter. Konnte er sich nicht ein einziges Mal seine blöden, überheblichen Bemerkungen verkneifen, die automatisch aus ihm heraussprudelten, sobald sie mit einem anderen Mann sprach? Wütend presste sie die Lippen zusammen und versuchte, Leos Anwesenheit zu ignorieren.
»Ich verstehe, dass du über meine Vorschläge noch in Ruhe nachdenken musst«, sagte er schließlich.
»O bitte, Leo – nicht schon wieder«, gab sie verärgert zurück und ging zielstrebig über eine kleine Brücke, vor der sich der Weg gabelte. Ein Wegweiser zeigte zum Dorf, ein anderer verkündete, dass bis zum Grillplatz auf dem Berg etwas mehr als drei Kilometer Aufstieg zu bewältigen waren.
Leo blieb stehen und blickte über das Brückengeländer.
»Was ist denn das?«, fragte er und wies auf eine leere, ausgemauerte Wasserrinne unter ihm. »Von euch Deutschen bin ich eine so übertriebene Ordnung ja gewöhnt – aber wieso betonieren die Franzosen mitten in der schönsten Natur einen Bachlauf aus?«
»Weil alles hier künstlich angelegt ist«, Pippa beschrieb mit einer Armbewegung das ganze Rund des Stausees, »aber sich in Hunderten von Jahren hervorragend in die Umgebung eingepasst hat. Und ich glaube, das ist kein Bachlauf, sondern eine sogenannte Rigole. Sie sorgt bei Regen dafür, dass das Wasser dorthin gelangt, wohin es soll: in den See. Pia und ihre Freundin haben mir davon erzählt.«
Sie holte tief Luft. »Was hältst du davon, wenn du hier so lange stehenbleibst, bis das passiert? Auf jeden Fall – lass mich endlich in Ruhe!«
Zielstrebig marschierte sie weiter in Richtung Dorf, als sie ein Stück Holz entdeckte. Es hatte genau die richtige Größe, um die Notausgangtür am Zufallen zu hindern, wenn sie wieder auf der Feuertreppe saß, um frische Luft zu schnappen. Als sie sich bückte, um es aufzuheben, hatte Leo sie eingeholt.
»Ziehst du mir das über den Schädel, wenn ich dich nicht in Ruhe lasse?«
»Probier es aus«, knurrte Pippa.
»Tut mir leid – aber in deinem eigenen Interesse kann ich deinem Gesuch nach Ruhe nicht stattgeben«, sagte er fröhlich. »Erstens lasse ich dich nicht schutzlos allein durch den dunklen Wald gehen, und zweitens haben wir zufällig den gleichen Weg. Außerdem bist du es, die mir folgt, denn ich bin auf direktem Weg zu meiner Unterkunft.«
»Zu deiner Unterkunft?« Pippa zog die Augenbrauen hoch. »Wo soll denn das sein?«
Sie bogen in die Geschäftsstraße ein, und Leo deutete auf die Kreuzung am Ende der Ladenzeile.
»In der Auberge Bonace. Gasthaus Windstille – nie wurde ein unpassenderer Name vergeben. Die Häuser sollten tauschen: Vent Fou – Verrückter Wind – würde wesentlich besser zur Chaos-Truppe des Bonace passen.«
Pippa horchte auf. Das war interessant – und die einmalige Chance, Leo von seinem Lieblingsthema abzulenken. »Erzähl mal.«
»Die Söhne der Didiers sind das reinste Strafbataillon.« Er lachte leise. »Jeder von ihnen hat ständig etwas auf dem Kerbholz – und das wird lautstark von der ganzen Familie diskutiert. Aber eines muss man den Jungs lassen: Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Keiner verrät den anderen. Echte Brüder. Gepetzt wird nicht – lieber treten sie alle gemeinsam eine Strafe an.«
»Werden die Jungs denn überhaupt bestraft?«
»Sollte mich wundern, wenn irgendein Tag ohne Küchendienst vergeht. Ziemlich praktisch – so müssen die Didiers kein Geld für eine Küchenhilfe ausgeben.«
»Tatsächlich? Ich hatte das Gefühl, dass die Eltern ihnen so einiges durchgehen lassen. Nach außen hin scheint es, als dürften sich die Jungen alles erlauben. Auf mich wirken sie wie kleine egoistische Monster.«
»Diesen Eindruck hast du gerne von uns Männern.«
»Und der wird zumindest von dir auch immer wieder bestätigt.«
»Man tut, was man kann.«
Leo verbeugte sich galant, und wider Willen musste Pippa lachen. Noch etwas, was Leo perfekt beherrschte: Auch wenn sie noch so wütend auf ihn war, schaffte er es immer, sie zum Lachen zu bringen.
Sie hatten die Brasserie gegenüber der Auberge Bonace erreicht, und Pippa blieb stehen.
»Wollen wir eine Kleinigkeit essen?«, fragte Leo und hielt ihr die Tür auf.
»Ich möchte dort hineingehen. Allein.«
Gleichmütig zuckte Leo mit den Achseln. »Wie du willst. Ob es dir allerdings ohne ausgewählte Gesellschaft so gut schmecken wird …«
Pippa war erleichtert, dass er sich ohne Protest abwimmeln ließ, und betrat die wohltuend kühle Brasserie.
Der Wirt bot ihr sofort den Spähtisch am Fenster an, aber Pippa lehnte ab. Sie wollte in Ruhe nachdenken, der Blick in den Hinterhof des Bonace würde sie nur ablenken.
Sie sah sich im Gastraum um. Drei Tische waren mit Gästen besetzt, an einem davon erkannte sie die freundliche Riesin aus der Ferme de las Cases. Sie nickte zu ihr hinüber, und die Frau antwortete mit einem einladenden Lächeln. Da ihr nicht nach Konversation zumute war, suchte Pippa sich dennoch einen Einzeltisch.
Der Wirt wandte sich wieder der Tätigkeit zu, die ihn bereits vor Pippas Eintreten beschäftigt hatte: Er nahm vergilbte und verstaubte Fotografien des Lac Chantilly von der Wand. Wo sie gehangen hatten, blieben auf der Wand helle Rechtecke zurück, die von einem dunklen Rand umgeben waren.
Die junge Bedienung trat an Pippas Tisch. Nach einem schnellen Blick zu ihrem Vater sagte sie laut: »Bonjour, Madame. Wir haben Cinsault und Cassoulet. Alles andere ist aus.«
»Danke, sehr freundlich, aber weder noch. Ich hätte lieber nur eine Flasche gut gekühltes Wasser, ein paar Oliven und etwas Baguette«, antwortete Pippa und murmelte halblaut, mehr zu sich selbst: »Und eine große Portion Vergessen.«
Auf dem Weg zur Theke ging die Kellnerin an ihrem Vater vorbei und machte eine entschuldigende Ich-habe-es-immerhin-versucht-Geste.
Das Mädchen servierte eine beschlagene, eiskalte Flasche Wasser und goss ein Glas ein, das Pippa sofort in einem Zug leerte.
Der Wirt begann Aquarelle mit Ansichten des Sees und der Umgebung auf die vorhandenen Nägel zu hängen und schlug so zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Bilder verliehen dem Raum nicht nur ein frischeres Aussehen, sondern verdeckten durch ihr größeres Format auch die Spuren der alten Fotografien.
So kann man natürlich auch renovieren, dachte Pippa.
Direkt neben ihren Tisch platzierte der Wirt ein Gemälde des Pavillon d’amour.
Er bemerkte ihren Blick und sagte: »Die Bilder habe ich günstig von einem Maler aus Toulouse. Er war ein paarmal zum Essen hier. Der wollte haargenau die gleichen Sachen wissen wie Sie … und hat die Informationen mit diesen Bildern bezahlt.« Er trat einen Schritt zurück und begutachtete das Gemälde. »Ich habe ein gutes Geschäft gemacht, finde ich. Für einen Amateur sind die Bilder wirklich gut.«
Er redet von Tisserand, dachte Pippa. Vielleicht denkt er, Alexandre und ich sind Journalisten, die hier für einen Artikel das Geheimnis der Rue Cassoulet recherchieren.
»Tja, wenn einer meiner Mitarbeiter schon alle Informationen hat, muss ich Sie ja nicht mehr belästigen«, sagte Pippa ironisch.
Das Gesicht des Wirts verdüsterte sich, als er erkannte, dass aus Pippa kein Profit mehr zu schlagen war.
»Die Bilder sind tatsächlich gut«, fügte Pippa hinzu.
Die Hünin am Nachbartisch hatte ihr Mahl mit einer Tasse Kaffee abgeschlossen und winkte den Wirt zu sich. »Das finde ich auch. Sag mal, wie heißt der Maler? Der könnte mein Paradies malen.«
Pippa entsann sich des Wimpels am Roller der Frau – ihr gehörte also das Chambres d’hote oben auf dem Berg!
»Tisserand heißt der Mann, Régine«, antwortete der Wirt. »Alexandre Tisserand. Macht gerade Urlaub im Vent Fou.«
»Schreib mir den Namen bitte auf, Antoine«, bat die Frau und erhob sich. »Und wenn er wiederkommt, sag ihm, ich habe einen Auftrag für ihn.«
Siehe da – Régine Nummer zwei. Und du solltest dich eigentlich an den Namen des Malers erinnern, Régine-Deux, dachte Pippa, zeichnet das nicht eine gute Wirtin aus? Der Mann macht seit Jahren bei dir Urlaub. Pascal hat sich Tattis Namen bestimmt schon nach ihrem ersten Besuch gemerkt.
Pippa verließ die Brasserie und ging in die Rue Cassoulet, um sich ein Bild vom Fortgang der Bauarbeiten zu machen und Tibor von Pias Entscheidung wegen der Fliesen in Kenntnis zu setzen. Das Thema vorhin auf dem Parkplatz anzuschneiden war ihr deplatziert vorgekommen.
Als sie anschließend ins Vent Fou weiterwollte, bemerkte sie, dass Tibor noch etwas anderes unter den Nägeln brannte.
»Gibt es noch etwas, das wir klären müssen?«, fragte sie.
»Es geht um … es ist wegen …«, druckste Tibor und fasste sich dann ein Herz: »Wegen Franz Teschke.«
»Ja, das ist wirklich ein trauriges Ende eines schönen Urlaubs.«
»Hm … ja … natürlich. Aber was ist denn jetzt mit den Wetten? Soll ich weitermachen?«
Das hätte ich mir denken können, dachte Pippa und sagte: »Damit habe ich nichts zu tun, Tibor. Möchte ich auch gar nicht, um ehrlich zu sein. Wenden Sie sich damit an die Kiemenkerle.«
»Wirklich tragisch. Ich hatte große Pläne mit dem Mann.« Tibor schüttelte enttäuscht den Kopf. »Den hätte man ganz groß rausbringen können – bei dem Talent an der Angel … ein herber Verlust. Der wäre eine wirkliche Berühmtheit geworden. Und dann hätte er doch bestimmt einen cleveren Manager gebraucht, nicht wahr?«
Pippa war bereits Stunden in ihre Übersetzungsarbeit vertieft, als Karin anrief.
»Mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen, du Intrigantin«, sagte Pippa. »Ich weiß alles über das Komplott mit Pascal.«
»Und? Findest du ihn etwa nicht nett? Als ich ihn in Berlin kennenlernte, dachte ich sofort, er ist der richtige Mann für dich.«
»Ach so? Du hast ihn sogar kennengelernt? Und als er durch deine Qualitätskontrolle gelaufen war, hast du beschlossen, mich nach Frankreich zu verschachern, oder wie war das? Du kannst mich wohl nicht schnell genug loswerden.«
»Unsinn!«, rief Karin erschrocken. »Ich wollte nur, dass du wieder glücklich bist, und hielt ihn für das passende Geschenk zu deinem Vierzigsten.«
»Das sagen normalerweise Mütter zu ihren Töchtern. Bei mir reicht die Mutter allein nicht aus, da hängen sich noch eine Freundin mit rein und eine Großmutter und …«
»Stopp! Zur Ehrenrettung deiner Mutter solltest du wissen, dass sie uns davon abhalten wollte. Sie meint, du findest dein Glück ohne Hilfe von außen – oder es findet dich.«
»Und damit hat sie absolut recht«, sagte Pippa. »Schade, dass ihr sie überstimmt habt. Tut mir den Gefallen und helft in Zukunft nicht mehr nach, ja?«
»Jetzt erzähl schon, wie es dir geht«, forderte Karin ungeduldig. »Es ist nicht zufällig gerade neuer Besuch eingetroffen?«
»Du meinst Leo. Ja, er ist hier. Und bei der Gelegenheit: Einen schönen Gruß an Ede Glasbrenner, er kann sich schon mal warm anziehen und auf meine Rückkehr freuen.«
»So schlimm?«
Pippa seufzte. »Schlimmer. Leo reckt schon wieder den Hals nach anderen Frauen, und Pascal kocht sich für mich die Seele aus dem Leib. Und dazu die Berliner Angler. Einer von ihnen wurde heute tot aufgefunden. Ein tragischer Unfall. Es könnte mir also nicht besser gehen.«
»Sag ein Wort, und ich mache mich sofort auf den Weg und rette dich.«
»Nicht nötig, wirklich.« Pippa lachte leise. »Gib lieber deinen Kindern ihren Seelenfrieden zurück. Die Ärmsten denken, dass die versprochene Reise nach Frankreich gestrichen ist.«
Wolfgang Schmidt wirkte abgekämpft, als er später bei ihr vorbeikam.
»Begleitest du mich heute Abend?«, bat er.
Sie stimmte zu und fragte: »Hast du beim Beerdigungsinstitut etwas erreicht?«
Schmidt nickte müde. »Sie haben Franz abgeholt und erledigen auch sonst alles Nötige.«
Er sah so erschöpft aus, dass Pippa ihn einfach an der Hand nahm. Sie zog ihn aus dem Zimmer und hinunter zur Restaurantterrasse.
Die Kiemenkerle waren vollzählig versammelt. Alle trugen ihre grünen Anglerhosen und karierte Flanellhemden. Schmidt bemerkte Pippas verblüfften Blick und erklärte: »Das ist ihre Art, Franz zu ehren: Anglergruß.«
Die Männer suchten sich Plätze an der langen Tafel, und Pippa setzte sich zwischen Wolfgang und Bruno.
Gerald Remmertshausen erhob sich und klopfte an sein Glas. »Liebe Freunde, wir haben uns hier versammelt, um unseres Freundes Franz Teschke zu gedenken. Er war ein großer Angler und geschätztes Mitglied der Kiemenkerle. Als letzten Beweis seiner Kunst zog er gestern einen bemerkenswerten Karpfen aus dem See und brach damit den bisherigen Vereinsrekord. Auf Franz!«
»Auf Franz!«, wiederholte die Runde am Tisch und trank.
»So muss man abtreten«, sagte Hotte, »im Augenblick des größten Triumphs.«
Zunächst blieb die Stimmung am Tisch traurig und gedämpft. Aber Flasche um Flasche Blanquette, Clairette und Cinsault wurden serviert und geleert, und bald klang vereinzelt erstes Gelächter auf. Es wurde viel über Franz Teschke geredet – und nicht nur Gutes, wie Pippa heraushörte.
»Dann kannst du dein Boot jetzt doch an mich verkaufen, Achim«, rief Hotte quer über den Tisch, »ich trage dir nicht nach, dass du Franz vorziehen wolltest.«
Schwätzer verdrehte die Augen. »Noch einmal zum Mitschreiben: Ich will mein Boot nicht verkaufen, an dich nicht und auch an keinen anderen.«
»Das hat sich gestern Abend aber ganz anders angehört!« Rudi nickte seinem Kumpel Hotte zu. »Ich habe genau mitbekommen, wie Franz zu dir gesagt hat …«
»Richtig – Franz hat gesagt, nicht ich.« Schwätzer blickte die Freunde wütend an. »Nur weil Franz mal wieder sein dummes Maul zu weit aufgerissen hat …« Er unterbrach sich, weil alle am Tisch ihn empört anstarrten. »Ist doch wahr …«, murmelte er.
Nach einem Moment betretenen Schweigens fragte Blasko: »Was ist mit der Rechnung für heute Abend? Wollen wir einfach durch alle Anwesenden teilen? Wir sind …« Er begann, durchzuzählen, aber Gerald Remmertshausen unterbrach ihn.
»Lass mal, Blasko. Das ist ein Essen für Franz. Das zahlen wir aus der Kasse der Mitgliederbeiträge. Hotte?«
Der Kassenwart hob bedauernd die Hände. »Geht leider nicht. Da ist nicht mehr genug drin.«
»Wie bitte?« – »Das ist unmöglich!« – »Mach keine schlechten Scherze, Hotte!« – »Wo ist das ganze Geld?«, riefen die Männer am Tisch durcheinander.
Hotte wand sich verlegen, als hätte er sich vor genau diesem Moment schon lange gefürchtet. Endlich sagte er: »Vor unserer Abfahrt habe ich Franz das Geld gegeben, damit er das Licht und die Tür des Kühlwagens reparieren lässt.«
»Das ist wieder typisch Teschke!«, donnerte Blasko wütend. »Nimmt der Trottel das Geld und vergisst dann den Auftrag. Sieht ihm ähnlich.«
»Ganz so war es nicht«, meldete Hotte sich wieder zu Wort.
Alle wandten sich ihm zu, und er fuhr zaghaft fort: »Er hat eine Rechnung für Ersatzteile eingereicht. Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass er den Wagen repariert hat.«
»Hat er nicht – sonst würde er ja noch leben«, fauchte Blasko.
»Immerhin …«, Hotte sah sich panisch in der Runde um, »es gibt diese Rechnung. Darauf stehen eine neue Tür und seine Arbeitsstunden. Ich habe ihn gefragt, ob es ein neuer Riegel nicht auch getan hätte, aber er sagte, das reiche nicht. Ich dachte noch, dass wir für das Geld fast einen gebrauchten Kühlanhänger in Topzustand hätten kaufen können.«
Blasko schlug mit der Faust auf den Tisch, dass Gläser und Geschirr laut klirrten. »Dieses Kameradenschwein – lässt sich für Arbeitsstunden bezahlen, die er gar nicht geleistet hat.«
»Warum hast du Franz das durchgehen lassen und uns nicht informiert?«, fragte Wolfgang Schmidt ärgerlich.
»Ich wollte uns allen den Urlaub nicht verderben«, antwortete Hotte.
»Die Tür hat jedenfalls noch den gleichen Defekt wie vorher«, sagte Rudi. »Und somit wissen wir endlich, wie er die Schickimicki-Angel mit der Speedjiggingfunktion bezahlt hat.«
»Dann hat ihn seine verdammte Gier das Leben gekostet?«, fragte Lothar und schüttelte entsetzt den Kopf.
»Hört sich für mich nach ausgleichender Gerechtigkeit an«, polterte Blasko.
»Liebe Freunde!«, rief Bruno erschüttert. »Was ist mit euch los? Ein Clubkamerad ist tragisch ums Leben gekommen, und ihr …« Er konnte nicht weitersprechen.
»Bruno hat recht«, sagte Achim Schwätzer scharf, »wir sollten kein vorschnelles Urteil fällen. Vielleicht hat Franz die Ersatzteile gekauft und es nur nicht mehr geschafft, alles rechtzeitig einzubauen. Wir sitzen hier zusammen, um Franz zu ehren – und über einen Toten soll man nichts Schlechtes sagen.«
»Das sagt der Richtige!«, höhnte Blasko. »Seit wann fällt ausgerechnet dir zu anderen etwas Gutes ein?«
Alle am Tisch redeten durcheinander, schimpften oder diskutierten miteinander.
»Hier ist ja was los«, flüsterte Pippa Wolfgang Schmidt zu.
In diesem Moment verschaffte sich Remmertshausen wieder Gehör, indem er ein weiteres Mal an sein Glas klopfte. »Bitte, meine Herren, wir werden uns doch zu benehmen wissen. Es geht hier um Wichtigeres.«
»Wir sind schließlich auch hier, um über den Wettbewerb zu sprechen«, sagte Vinzenz, der sich bisher zurückgehalten hatte. »Wie soll es damit weitergehen?«
»Genau!«, meldete Achim Schwätzer sich zu Wort. »In unserer Mannschaft fehlt jetzt ein Angler. Das ist ungerecht. Wir sollten Tibor fragen, ob …«
Beringer machte eine Handbewegung, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen, und unterbrach seinen Kollegen. »Wir sollten den Wettbewerb absagen. Wir bleiben noch, bis Franz überführt wird, und begleiten ihn zurück nach Berlin – das ist mein Vorschlag.«
Bruno nickte zustimmend. »Das ist ein guter Vorschlag. Ein wirklich guter Vorschlag. Und bis dahin angeln wir einfach des Angelns wegen.«
»Und das ganze Geld?«, rief Hotte aufgebracht. »Die zehntausend Euro? Was wird mit dem Preisgeld?«
»Damit bezahlen wir Franz’ Überführung und seine Beerdigung«, schlug Vinzenz vor.
»Genau«, sagte Wolfgang Schmidt trocken, »er hätte das Geld sowieso gewonnen.«