31
Um Nina nicht zu begegnen, schlich sie die linke Treppe hoch und huschte durch die Büsche, und tatsächlich, dort vorne stand er, schaute sogar in ihre Richtung, als ob er sie erwartet hätte. Noch nie hatte sie sich so sehr gefreut, ihn zu sehen, wie in diesem Moment. Am liebsten hätte sie sich ihm in die Arme geworfen, aber dann beschränkte sie sich auf ein knappes Ciao!, schaute kurz in seine Augen und richtete den Blick dann schnell auf die Hacke in seiner Hand. Sie würde sich zusammenreißen und es ihm nicht erzählen, noch nicht, erst in zwei Tagen, wenn sie eine positive Nachricht von Antonello Puccianos Freund Edmondo erhalten hätte.
»Komm, ich zeige dir was«, sagte Matteo. Das hatte Roberto auch zu ihr gesagt - und was war dabei herausgekommen? Ein Nachmittag mit Schüssen aus einer Pistole, Champagner und nachher Sex in seinem Bett. Ringkampf, nasse Küsse auf ihrem Bauchnabel, auf ihrem Po. Orgasmus - ja, sein Penis in ihr - nein. Bei Matteo würde es definitiv etwas anderes sein, was er ihr zeigen wollte …
»Wo kommst du her? Du siehst irgendwie aus, als würdest du ein schlechtes Gewissen haben.«
»Ich? … Nein!« Ich versuche nur, Roberto in deiner Gegenwart aus meinem Kopf zu verdrängen, fügte sie unhörbar hinzu, und Ninas Tagebücher aus meinem Kopf zu verbannen, ich schleiche durch den Park, um ihr nicht in die Arme zu laufen, und versuche, bei all diesen Bemühungen ganz normal zu wirken.
»Hier«, sagte er stolz, »wenn du dich da oben auf die Mauer setzt … ach, mach’s einfach mal!«
»Wo ist die Brombeerhecke? Du hast alles weggemetzelt!«
»Sieht gut aus, oder?« Magdalena nickte, die Mauer überragte sie um einen Kopf. Erst jetzt, befreit von den dunkelgrünen Ranken, sah man die schönen Natursteine, die die gleiche Tönung wie die Orangerie hatten. Irgendwo dahinter, zwischen den angrenzenden Bäumen des ansteigenden Berges, verlief der Maschendrahtzaun.
»Wusstest du, dass Pflanzen sich das merken?«, fragte sie. »Da gab es mal einen Test, man hat Studenten in einen Raum mit mehreren Pflanzen geschickt, und einer der Studenten hat eine der Pflanzen ausgerissen und zerstückelt.« Matteo schaute skeptisch auf die roten Kratzer der Brombeerranken, die seine Unterarme zierten. »Hinterher haben die anderen Pflanzen den ›Mörder‹ unter den Studenten erkennen können. Sie gerieten in Panik, wenn er den Raum betrat. Hat man an ihren Impulsen messen können.«
»Die zittern jetzt also vor mir … Ich tue euch ja nix, versprochen.« Er machte eine kleine Verbeugung in Richtung der Zitronenbäume.
Magdalena lachte und legte ihre Hände auf die Kante, Matteo zeigt ihr die Vorsprünge, auf die sie ihre Füße setzen sollte. Gut, dass ich Hosen trage, dachte sie und kletterte rasch die Mauer hoch, drehte sich zu ihm um und ließ die Beine baumeln.
»Und? Was siehst du?« Erwartungsvoll schaute er zu ihr nach oben.
»Du hast das eingefallene Mauerstück da hinten wieder aufgeschichtet!«
»Ja, aber was siehst du sonst noch?« Was sah sie sonst noch? Von hier konnte man mühelos über die Zitronenbäume hinwegschauen, in einiger Entfernung waren die Pinien mit ihren nadeligen Zweigen voller Zapfen zu erkennen, dort unten lag unsichtbar die Straße.
»Zitronenbäume? Baumstämme? Pinien?«
»Ja, aber was noch? Rutsch ein bisschen weiter nach rechts und schau doch mal genauer hin!«
Zwischen den Ästen der Pinien gab es an einer Stelle ein Loch, zwei oder drei dicke Zweige fehlten, und durch das entstandene Fenster konnte man - weit weg - das Meer sehen!
»Die hast du aber nicht extra abgesägt!«
»Grundstück mit Meeresblick!« Matteo strahlte und kletterte neben Magdalena auf die Mauer. »Nächstes Mal bringe ich zwei Polster mit!«, sagte er.
»Man könnte ein Café aus dem POLO machen!«
»Aber kein Nachtcafé. Nur tagsüber. Hier sitzen und mit den Beinen baumeln!«
»Ein Café mit einem kleinen Verkauf.«
»Was willst du denn hier verkaufen?«
»Blumen? Honig? Zitronengelee?«
»Zitronengelee!? Gibt es so was?«
Magdalena zuckte mit den Schultern. »Wenn nicht, erfinden wir es. Die Touristen würden es kaufen.«
»Es muss auch ohne gehen, also nicht ohne Touristen, aber man dürfte nicht gezwungen sein, jeden Tag die Busse vorfahren zu lassen.«
»Stimmt«, sagte Magdalena, »zu viele von denen zerstören den Charme recht schnell … Stell dir vor, ein paar Tische hier unter den Bäumen, ein Brunnen plätschert …«
»Du mit deinem Brunnen!«
Magdalena grinste ihn von der Seite an: »Und da hinten auf dem flachen Kiesstück unter den Pinien richten wir eine Bocciabahn ein, mit einer Umrandung aus Holz, so wie in Frankreich.«
»Kannst du Bocce spielen?«
»Bocce? Du meinst Boccia! Nicht besonders gut, aber ich mag das Geräusch, wenn die Kugeln aneinanderklackern.« Magdalena schüttelte den Kopf. »Aber das ist ja alles utopisch, das kostet bestimmt ein Vermögen.«
»Die Pacht ist nicht das Problem, ich habe schon mit Tiziano darüber gesprochen.«
»Tiziano?«
»Tiziano Mazzei, der sindaco, der Bürgermeister.«
»Der, der nicht sehen kann.« Wie unnötig, das zu erwähnen.
»Er war jetzt schon zweimal drüben im Club 64, wir haben uns unterhalten, er gefällt mir wirklich! Er will Elba vor dem Massentourismus retten.«
»Ist ihm dieses Jahr aber noch nicht gelungen. Ich habe das Gefühl, es werden immer mehr Autos, die Strände sind auf einmal so voll …«
»Und wir haben noch nicht mal August, was glaubst du, was dann erst los ist! Tiziano setzt auf kleinere Kulturprojekte, einheimische Produkte, Entspannung.« Er schaute auf seine Armbanduhr.
»Dio! Schon gleich drei. Ich habe Nina versprochen, sie zu begleiten.« Er ließ sich an der Mauer hinunter, Magdalena blieb sitzen.
»Matteo?«
»Ja?«
»Warum ist Nina so … so abweisend? Ist sie sauer auf mich? Ich verstehe nicht, was mit ihr los ist.« Das stimmte, auch bevor sie in den Tagebüchern gelesen hatte, hatte sich Nina merkwürdig ihr gegenüber verhalten.
»Komm erst mal runter.« Er reichte ihr die Hand, Magdalena sprang und landete federnd zwischen den Stümpfen des ehemaligen Brombeerdickichts. Zusammen durchquerten sie den Zitronengarten.
»Das erkläre ich dir später, weil ich jetzt losmuss, aber eins kann ich dir sagen: Es hat nichts mit dir zu tun! Absolut nichts!«
Wenn ich in ihren Tagebüchern schnüffle und sie mich dabei erwischt, hat das garantiert etwas mit mir zu tun.
»Heute ist ein schlechter Tag für Nina. Schlechtes Datum. Auch für mich. Ich tue etwas, damit sie es übersteht.«
»Es vergisst?«
»Nein«, er kratzte sich am Kopf, »dass sie erst recht daran denkt!« Sie waren vor der Treppe zur Straße angekommen.
»Kann ich nicht mitkommen?«
»Das geht nicht«, er legte seine Hände auf ihre Schultern, Magdalena berührte mit ihren Handflächen ganz leicht seine Brust. Wenn man uns so sähe, könnte man denken, wir wären ein Paar, schoss ihr durch den Kopf. Sein Herz klopfte schnell unter ihrer rechten Hand.
»Übermorgen bin ich wieder hier, dann reden wir noch mal über das Zitronengelee«, sagte sie, drehte sich um und sprang die Stufen hinab.
Magdalenas Garten
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