14
Es war Matteo, der sie entdeckte.
»Magdalena! Schön, dass ich dich doch noch sehe. Aber was tust du hier, musst du nicht von Bord!? Wir legen gleich ab!« Mit einer kleinen Reisetasche in der Hand kam er als einer der Ersten die Stufen von den Parkplätzen herauf, doch Magdalena schaute nur kurz zu ihm und blickte dann wieder aufmerksam auf die anderen Passagiere. Wo war der Freund?
»Was ist mit dir los, was starrst du so? Hast du heimlich eine von Mikkis Kräuterzigaretten geraucht? Du wirkst so abwesend.«
»Nein, ja, ich habe ihn gesehen, neben dir, wo ist er, der Mann, mit dem du eben geredet hast, dein Freund?«
Er guckte sie an, als verstünde er plötzlich kein Deutsch mehr.
»Na, dein Freund! Der mit dem Auto!«
»Mein Freund? Der mit dem Auto?«
»Ach, Matteo, der Mann, mit dem du eben unten vor dem Einsteigen geredet hast, wer war das?«
»Ach, du meinst Giovanni! Dem gehört das Tintorello
»Aber hast du ihn dir denn nie richtig angeschaut!? Er sieht doch genauso aus wie der Mann auf dem Foto neben meiner Mutter, er ist der Mann auf dem Foto neben meiner Mutter, das hätte dir doch auffallen müssen!« Sie ließ ihre Augen immer noch suchend über die Passagiere gleiten.
»Bist du sicher, dass du keine Kräuter geraucht hast? Giovanni?!«
»Ja klar, wie alt ist er?«
»Vielleicht Ende vierzig? Keine Ahnung, habe ihn nie gefragt.«
»Na also, das passt doch. Wo ist er?«
»Keine Ahnung. Muss sich wohl von meiner Hand losgerissen haben.«
Magdalena starrte ihn wütend an. Keine Ahnung, keine Ahnung. Es war zum Verzweifeln. Kapierte er denn nicht, wie wichtig dieser Mann für sie war?
»Ich muss ihn finden! Er ist doch mit dir auf die Fähre gekommen.«
»Ja. Aber was ist mit dir? Du musst doch gehen!«
»Ich muss gehen? Warum?« Ihre Stimme klang patzig. Gut so. Sollte sie auch. Er wollte, dass sie verschwand, er war froh gewesen, sie endlich los zu sein, keine zweideutigen Situationen im Zitronengarten, keinen Ärger mit Nina mehr. Sie hatte seine Erleichterung mit ihrem Auftauchen schlagartig zunichtegemacht.
»Was ist mit dem Bus?« Magdalena zuckte zusammen, ach verdammt, der Bus! Ohne den Menschenstrom aus den Augen zu lassen, holte sie ihr Handy hervor und rief Stefan an.
»Ich komme nicht mit«, rief sie ins Telefon, »warte nicht auf mich, es ist etwas Wunderbares passiert: Ich habe meinen Vater gefunden!« Magdalena sah, wie Matteo neben ihr die Augen verdrehte, sie wartete Stefans Reaktion nicht ab, sondern beendete das Gespräch per Tastendruck. Matteo glaubte ihr nicht, und wenn schon, sie hatte nur eine Stunde, und die Fähre war riesig, wenn sie diesen Giovanni jetzt hier am Aufgang im Gedränge verpasste und sie ihn vor der Ankunft in Portoferraio erwischen wollte, musste sie sich beeilen.
»Was hast du jetzt vor?«
»Ich bleibe hier stehen, bis er vorbeikommt!«
Matteo schaute sie von der Seite her an. »Aha, du bleibst hier jetzt stehen. Du bist doch total neben den Schuhen, er ist gar nicht von Elba, er kommt aus den Abruzzen und hat das Tintorello erst seit zehn Jahren, wie kann er dein Vater sein? Ich glaube kaum …«
»Aber ausschließen kannst du es auch nicht, oder?«
»Nein, natürlich nicht«, gab Matteo zu. »Du fährst also wieder zurück nach Elba und bleibst?«
»Vielleicht?!« Magdalena beobachtete seinen Gesichtsausdruck, kam da Unbehagen auf, erschien die Falte zwischen seinen Augenbrauen, wie immer, wenn er sich ärgerte?
»Gut. Nina wird sich freuen.«
»Nina wird sich nicht freuen, das weiß ich auch! Ich werde sie nicht belästigen, und dich auch nicht, ich suche mir ein Hotel.«
Sie merkte, dass er an ihr herabschaute. »Das T-Shirt und die Schuhe …«
»Ja, die hat sie mir heute Nachmittag geschenkt.«
»Sag ich doch, sie mag dich, aber sie hat Angst.«
»Wovor?«
»Das kann ich dir nicht erzählen, weil ich versprochen habe, es für mich zu behalten.«
Magdalena stöhnte, unablässig scannten ihre Augen die heraufkommenden Menschen ab. »Ich finde ihn nicht mehr!«
»Vielleicht erscheint dir mein Verhalten seltsam, aber Nina hat nun mal Vorrecht in meinem Leben.«
»Um dich zu beruhigen: In meinem Leben hat mein Vater Vorrecht, wie du es nennst, okay?«
»Na gut, ich helfe dir suchen, aber überfall ihn nicht gleich, überlass das Reden lieber mir. Ich kenne ihn, er ist manchmal etwas emotional, um nicht zu sagen esplosivo
»Gut.« Magdalena nickte dankbar, sie würde vor Aufregung sowieso kein vernünftiges Wort herausbekommen.
 
Sie hatte sich nicht getäuscht. Als sie ihn endlich alleine an einem der runden Tische in der Nähe der Bar im Salone Grande auf Deck II entdeckten, fiel Magdalena in eine ehrfürchtige Erstarrung, die man als Trance bezeichnen konnte. Matteo schubste sie mit dem Ellbogen leicht vor sich her.
»Guten Tag musst du ihm schon sagen!«
»Ich trau mich nicht!«, wisperte sie. Eine Sekunde lang standen sie wie zwei verloren gegangene Kinder vor dem Tisch.
»Giovanni«, sagte Matteo, »ich will dich nicht stressen, aber vielleicht können wir uns bei Gelegenheit mal einen Augenblick in Ruhe unterhalten …«
»Äh, ja?« Der so Angesprochene schaute irritiert von seiner Zeitung auf, er schien Magdalena gar nicht zu bemerken.
»Weißt du, was, ich komme am besten in den nächsten Tagen mal zu dir ins Tintorello
»Okay«, sagte Giovanni gleichgültig und nickte Matteo zu.
Magdalena erwachte aus ihrem Traumzustand. Was sollte das denn, warum rückte Matteo nicht mit seinem Anliegen heraus? Wieso fragte er ihn nicht direkt, er hatte noch nicht einmal ihren Namen erwähnt. Sie befürchtete gleich zu platzen. »Ich bin deine Tochter, Heidis Tochter! Ihr habt euch gekannt und geliebt damals, neunzehnhundertneunundsiebzig, und dann ist sie schwanger geworden, und deswegen bin ich …«
Eine Frau mit zwei asiatisch aussehenden Kleinkindern hatte sich an den Tisch geschoben, sie schaute mit offen stehendem Mund zwischen Giovanni und Magdalena hin und her und sah dabei nicht besonders intelligent aus.
»… deine Tochter!« Magdalena nickte.
Wenn aus dem Jungen von dem Foto ein Mann geworden war, dann der, der hier vor ihr saß. Augenbrauen, Nase, alles …
In diesem Augenblick brach Giovanni in Gelächter aus, so schrill und verächtlich, dass alle Passagiere des Decks sich nach ihnen umwandten. Sein Mund war zu einem bitteren, rechteckigen Grinsen verzerrt, daraus drangen Laute, die Magdalena nicht verstand, weil Matteo sie schon am Arm mit sich zog.
Magdalenas Garten
gers_9783641048662_oeb_cover_r1.html
gers_9783641048662_oeb_toc_r1.html
gers_9783641048662_oeb_ded_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c01_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c02_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c03_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c04_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c05_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c06_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c07_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c08_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c09_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c10_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c11_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c12_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c13_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c14_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c15_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c16_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c17_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c18_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c19_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c20_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c21_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c22_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c23_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c24_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c25_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c26_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c27_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c28_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c29_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c30_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c31_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c32_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c33_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c34_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c35_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c36_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c37_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c38_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c39_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c40_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c41_r1.html
gers_9783641048662_oeb_c42_r1.html
gers_9783641048662_oeb_elg_r1.html
gers_9783641048662_oeb_ack_r1.html
gers_9783641048662_oeb_cop_r1.html