17
Wann hast du mich am Acquarius abgesetzt? Vor nicht einmal einer Woche, oder? Und jetzt habe ich einen Job, einen Motorroller und - eccolo, auch noch das da!« Magdalena lachte ihn an und wollte ihm am liebsten vor Stolz einen Rippenstoß versetzen, doch Matteo würdigte sie keines Blickes.
»Das kannst du nicht ernst meinen«, brummte er, rüttelte an der Wandverkleidung herum und hielt ihr triumphierend einen Quadratmeter beschichtete Pappe entgegen.
»Hier, alles verschimmelt, gesund ist das nicht!«
»Das ist doch nur außen«, wehrte sie ab, »mach das Ding bitte nicht kaputt!« Das ›Ding‹, das aussah wie ein stellenweise gepelltes türkisblaues Ei, war ihr neues Zuhause! Sie schaute über das wogende Schilfrohr, das den kleinen Wohnwagen meterhoch von hinten umschloss.
»Das kriege ich schon hin, hier ist es doch herrlich, da stört mich keiner!« Sogar ein Ruderboot hatte sie. Vielleicht würde sie es demnächst mit Matteos Hilfe umdrehen und ein Sonnensegel darüberspannen, schon hätte sie einen angenehmen Schattenplatz. Denn Schatten gab es hier nicht. Auf den Wiesen, die an ihr Grundstück grenzten, standen vereinzelt ein paar struppige Büsche, aber kein einziger Baum. Der Schweizer Ull, ein Freund von Matteo, besaß eine Segelschule in Procchio und hatte sich nach längerem Überlegen bereit erklärt, ihr den Roulotte zu vermieten, der zwischen Procchio und La Pila mitten in der macchia, also mitten im Nichts stand.
»Bist du sicher?«, murmelte Matteo, der seinen Kopf kurz in den Wohnwagen steckte und sofort wieder zurückzog. »So eine schiefe Dose, und dann auch noch für dreihundert Euro im Monat, sei di fuori! Ull-der-Schweizer ist auch verrückt, Ull-der-Geizer werde ich ihn ab heute nennen.« Er knackte mit den Gelenken seiner Hand, ballte sie mehrfach zu einer Faust und zeigte dann anklagend auf das Klohäuschen. »Und da hat’s keine Tür drin. Komm wieder mit!« Er klang sehr ernst, schnell schaute sie auf ihre Zehenspitzen, um sein empörtes Gesicht nicht sehen zu müssen.
»Ja, aber wohin denn? Für den Preis! Ich habe nichts anderes gefunden, und ich habe wirklich alles abgesucht, glaub mir!« Wie angenehm, mal wieder deutsche Wörter zu benutzen und sich so gewählt, albern oder nachlässig ausdrücken zu können, wie es ihr gerade in den Sinn kam.
»Ich weiß, die Elbaner vermieten in den Sommermonaten noch den letzten Kleiderschrank für viel Geld, aber dann lass dir wenigstens helfen!«
Magdalena schüttelte den Kopf. Sobald sie ihr Okay gab, würde er mit seinen kräftigen Händen die Polster heraus auf die Wiese werfen und auch die Innenverkleidung abreißen, um ihr zu beweisen, dass es auch dahinter schimmelte.
»Wenn alles fertig ist, lade ich dich ein!«
Matteo stieß mit dem Fuß an die auf dem Boden liegende Pappverkleidung und stupste sie ein wenig vor sich her. Er will nicht gehen, dachte Magdalena, was tue ich nur mit ihm? Über die Fortschritte der Vatersuche reden? Über Nina? Schlechte Themen. Sie ging über die Wiese zu ihrem Roller und streichelte über den hellgrauen Sattel, auf dem ihr neuer Eierschalenhelm lag.
»Ich bin ganz verliebt in ihn!« Matteo schaute auf und nickte, als er sah, dass sie den Roller meinte.
»Dass Kaufen billiger ist als Mieten, hätte ich nie gedacht.«
»Habe ich dir doch gesagt. Natürlich musst du tanken und die Versicherung zahlen, aber du wirst ihn in einem Monat um dasselbe wieder los.«
»Danke, dass du ihn für mich gefunden hast! Die Farbe ist das Schönste.«
Matteo seufzte theatralisch: »Zweiunddreißig PS, drei Gänge, nicht mal sechs Jahre alt, keine Beulen und einen super Preis habe ich für die Signorina ausgehandelt, aber für sie ist die Farbe das Schönste, Madonna
Magdalena grinste, das altmodische Fünfzigerjahre-Hellgrün war einfach wunderschön.
»Gib’s zu, du hast auch den Roulotte nur gemietet, weil du das Azzurro-Blau so magst!«
Er kannte sie schon besser, als sie gedacht hätte. Es stimmte, das verwaschene Türkisblau, das sich auch in den Polstern und der Innenverkleidung des schäbigen Wohnwagens wiederfand, war der Hauptgrund gewesen, warum sie sich überhaupt hatte vorstellen können, in dem Ei zu wohnen.
»Aber auch deswegen!«
Magdalena ging an ihm vorbei und zupfte von einem üppig blühenden Lavendelbusch, der unter dem Boot hervorwuchs, ein paar Blätter ab und zerrieb sie zwischen den Fingerspitzen.
»Das riecht so köstlich nach Süden!« Sie zog den Duft durch die Nase, bis er unter ihrer Schädeldecke angekommen war. »Aber es erinnert mich auch an etwas anderes …«
Matteo setzte sich auf die Stufen innerhalb des Türrahmens und versuchte, seinen Kopf im Schatten zu halten, während er Magdalena ansah. Sie leerte das Putzzeug aus dem Eimer, den sie mitgebracht hatte, drehte ihn um und hockte sich darauf.
»Ich habe als kleines Mädchen angefangen, Gerüche zu sammeln, ich hatte schon damals eine umfangreiche Sammlung: mein Schulranzen von innen, meine Schreibtischschublade mit den Klebstofftuben, Buntstiften und den Stummeln von Wachsmalkreiden. Der Schulflur bei Regenwetter - mein Opa war da Hausmeister -, der Schulflur an einem heißen Sommertag. Und der Dachboden der Schule mit der Turmuhr.«
»Ach? Wie roch der denn?« Matteo war ganz ernst geblieben. Es schien ihn wirklich zu interessieren.
»Glaswolle, Staub, Mörtelbrocken und alte Landkarten.«
»Aha, Glaswolle, die riecht! Überhaupt - eine Geruchssammlung! Und immer diese Farben … Du bist ein sehr, ein komisches Mädchen!«
»Ich bin kein sehr, kein komisches Mädchen, ich bin dreißig!«, widersprach Magdalena und fuhr fort: »Ein Highlight der Sammlung ist der Kleiderschrank von meiner Oma Witta, ganz unten. Sie ist schon lange tot, und irgendwann haben wir ihre Kleider weggegeben, aber es riecht dort immer noch wie früher nach ihrem Lavendelwasser. Und diesen Duft kann ich überall heraufbeschwören.«
Matteo nickte und stand auf: »Komm mit hoch ins POLO, bis wir etwas anderes für dich finden, da gibt es haufenweise Lavendel. Und die Zitronenbäume riechen übrigens auch.«
»Soll ich mich etwa zwischen Tascha, Nina und dem Köter ins Bett quetschen?«Matteo hatte Magdalena auf der Fahrt erzählt, dass die dicke Berlinerin zunächst gegangen, dann aber wieder bei ihnen aufgetaucht war, mit großem Appetit und einem noch größeren Hund im Schlepptau.
»Weißt du, wie sie ihn genannt hat?«, fragte er jetzt. »Flipper! Ein Riesenviech, Mischling, irgendwas von einer Dogge hat’s da sicher mit drin, und wie nennt ihn die Verrückte? Flipper! Jetzt kauft Nina also auch noch Hundefutter!«
»Lenk nicht ab, ich bleibe hier.«
»Das lasse ich nicht zu, sei vernünftig!«
»Das sagt der Richtige!« Magdalena merkte plötzlich, dass sie ihn verletzen wollte.
»Was soll das heißen?«
»Ist es etwa vernünftig, auf die Eröffnung eines Nachtclubs zu warten, der sowieso nicht aufgemacht wird, nicht zu arbeiten, sondern den ganzen Tag da oben rumzuhängen und zu fegen?«
»Du hast keine Ahnung von dem, was ich tue und was ich nicht tue, Magdalena!«
»So? Was tust du denn? Klär mich doch auf!« Was für ein blöder Streit ist das denn?, dachte sie. Warum bin ich so gemein zu ihm?
»Wie du weißt, kümmere ich mich um eine gewisse Person.«
Seine selbstgerechte Miene nervt, manchmal kann er richtig nett sein, doch wenn es um Nina geht, ist er wieder so unnahbar.
»Warum musst du dich immer kümmern, Matteo? Um mich musst du dich jedenfalls nicht kümmern!« Matteos breite Schultern krümmten sich nach vorn, er starrte auf das trockene Gras unter seinen Füßen.
»Ich kann einfach nicht anders. Wenn du mir auch das vorhalten musst, dann …«
»Lass mich doch auf die Schnauze fallen, lass Nina doch auf die Schnauze fallen!« So sprach Opa Rudi mit seinen Boxern, wenn er wütend auf sie war.
»Wenn du meinst, Magdalena, wenn du meinst!«
»Das ist dein Spruch für Nina, denk dir für mich bitte etwas anderes aus, ja?!«
 
Magdalena sah seinem Auto nach, das in einer Staubwolke verschwand. Allein stand sie vor dem Wohnwagen, um sie herum die Dinge, die Matteo für sie transportiert hatte: Plastiktüten mit Bettwäsche, jede Menge nützlicher Kram, wie zwei Taschenlampen, Batterien, Schere, Schnur und ein scharfes Messer, ein Sechserpack Wasser, Tee, Brot, Kekse, Nutella, eine Reisetasche mit ihren neuen Anziehsachen und der umgedrehte Eimer mit dem im Gras verstreuten Putzzeug. Warum hatte sie ihn so angegiftet? Matteo hatte sie schließlich gefahren, Matteo hatte mit ihr das ganze Zeug hier eingekauft, nicht Nina, die hatte ja nach ihrem gemeinsamen Kleiderkauf keine Zeit mehr für sie gehabt, noch nicht mal mehr für eine Antwort per SMS oder einen Rückruf reichte es! Sie wollte doch einen Termin bei ihrem tollen Friseur für sie vereinbaren, zum Sonderpreis. Das ist wieder typisch für sie, dachte Magdalena wütend, kaum geht es mir gut, weil wir wunderbare Sachen zum Anziehen für mich gefunden haben, macht Nina einen Rückzieher. Und Matteo dackelt dauernd hinter ihr her. Magdalena griff eine Flasche mit Glasreiniger und schmetterte sie an die Wand des Wohnwagens. Batsch! Nicht kaputtgegangen. Noch einmal. Als sie das Ding mit voller Kraft zum dritten Mal warf, platzte es endlich mit einem breiten Riss auf und hinterließ einen großen Fleck an der Außenwand. Magdalena schluchzte, schleuderte die leere Flasche ins Schilf hinter dem Wohnwagen und setzte sich in die offene Tür auf die oberste der beiden Stufen, wie Matteo es vor ein paar Minuten getan hatte. Diese Anfälle waren furchtbar, immer zerstörte sie dabei etwas, was sie eigentlich dringend brauchte oder besonders gernhatte. Den dunkelblauen Angorapullover, den hatte sie vor ein paar Wochen zerschnitten, weil Florian ein ganzes Wochenende nicht angerufen hatte. Klamotten, Gläser, Fotos, sogar einmal ein Buch, dabei liebte sie Bücher. Sie war nicht ganz dicht! Magdalena stützte ihr Gesicht in die Hände. Der Wind rauschte im Schilf, und die Sonne brannte immer heißer herab. Wenn sie heute Abend im Wohnwagen schlafen wollte, sollte sie mit dem Putzen beginnen. Magdalena stand auf und nahm sich den Eimer, um Wasser aus dem grob gemauerten, unverputzten Häuschen zu holen, das ungefähr sieben Meter entfernt vom Wohnwagen stand. Es gab eine Dusche und eine Toilette, doch Matteo hatte recht, die Tür fehlte, man konnte von ihrem Klo in die Wildnis über Wiesen und Ländereien schauen, wie romantisch. Der Abfluss der Dusche war von Blättern und Schmutz verstopft, die Toilette stank. Ohne zu zögern, kippte sie einen halben Liter Chlorreiniger hinein und schrubbte mit der Bürste bis zum Ellenbogen darin herum.
Magdalena putzte und kämpfte dabei gegen Spinnen, Käfer, Tausendfüßler und Kellerasseln, die ihr an den unmöglichsten Stellen im Wohnwagen entgegenkamen und keinen Willen zeigten, ihr das jahrelang bewohnte Heim kampflos zu überlassen. Bei Einbruch der Dämmerung stellte sie in einem Topf Wasser zum Kochen auf den Herd und blickte erschöpft über ihr neues Zuhause. Bläuliche Schatten legten sich auf alles, ließen die Farben verschwinden und die Umrisse verschwimmen. Auf der einen Seite des Wagens gab es zwei Bänke mit einem kleinen Tisch dazwischen, ein schmaler Kleiderschrank quetschte sich neben die Tür, unter dem breiten Fenster an der Stirnseite befand sich eine Polsterbank, auf der sie schlafen würde. Sie goss das Wasser in eine Tasse und hängte einen Teebeutel hinein, gab einen Löffel Zucker dazu, dann setzte sie sich mit der Tasse auf ihren Stammplatz in der Tür und schaute den Fledermäusen zu, die am dunkelblauen Himmel ein Wettfliegen veranstalteten. Es war so still um sie herum. Nur ab und zu hörte sie entferntes Hundegeheul und ein Rascheln unter dem Wohnwagen. Wahrscheinlich eine Maus. Ihr fehlte das Schlagen der Turmuhr. Die Stille wurde immer dichter, bis sie in ihren Ohren dröhnte, Magdalena erhob sich und schloss die Tür von innen ab, sie zündete die beiden Gaslampen an, setzte sich an den Tisch und hörte dem Zischen zu. Sie langte nach dem Nutella-Glas neben sich und suchte nach einem Löffel. Mehrere Male grub sie den Löffel ins Glas und ließ ihn dann in ihren Mund wandern, bis sie von der schokoladigen Masse genug hatte. Danach drehte sie die Lampen unter den angekokelten Stoffschirmen wieder aus und legte sich auf das nach Ammoniak riechende Polster unter die dünne Decke. Sofort wurde die Luft stickig, und Mücken stürzten sich auf sie, surrten in ihren Ohren und saugten sich mit ihrem Blut voll. Magdalena nahm die Taschenlampe und ging auf die Jagd, aber die verdammten Viecher waren unsichtbar, sie konnte kein einziges von ihnen entdecken. Sie sprühte sich mit dem kleinen Rest Antimückenspray ein, der noch in der Flasche war, und legte sich wieder hin. Diese Geruchsmischung würde keinen Eintrag ins Buch der Erinnerungen bekommen. Du wirst dich an das Ei gewöhnen, beschwichtigte sie sich, das wird noch ganz prima hier. Erst gefällt es dir irgendwo nicht, und nachher willst du gar nicht wieder weg, das ist bei dir doch immer so. Sie wurde ruhiger, lauschte ihrem Atem, doch dann ging es wieder los mit dem Gesumme, und sie zog das Laken über ihr Gesicht. Stunden später war sie immer noch wach. Es war inzwischen kalt geworden, sie stand auf, zog sich den neuen Pullover an, zu dem Nina ihr geraten hatte, und kroch erneut unter die Decke. Bibbernd schlang sie die Arme um sich. Selbst die rauschenden Wasserleitungen im Hotel, die Fernsehstimmen aus den Zimmern rechts und links von ihrem und der quietschende Fahrstuhl gleich neben ihrer Tür fehlten ihr jetzt.
 
Verschwitzt und mit verquollenen Augen erwachte Magdalena, die Sonne brannte auf das Dach der Wohnwagenbüchse und ließ es knacken und ächzen. Sie nahm sich ein Handtuch und floh nach draußen in den einzigen Schatten, den leider nur das Duschhäuschen bot, aus dem Klo nebenan stank es immer noch.
»Du hattest recht, Matteo, bist du jetzt zufrieden?«, rief Magdalena und hopste unter der eisigen Dusche auf und ab. Holla, war das kalt! Warmes Wasser gab es hier wegen des fehlenden Stroms nicht. Sie rubbelte sich trocken und kratzte einen ihrer zahlreichen Mückenstiche blutig.
In das Handtuch gewickelt, ging sie zum Ruderboot und verdrehte den Kopf, um den Namen lesen zu können, der am Bug stand. »Fiordiligi«. Der Name einer Figur aus »Cosi fan tutte«, ein bisschen viel für einen kleinen Holzkahn. Oma Witta hatte die Opern von Mozart geliebt, ihre Schallplatten standen immer noch im Wohnzimmerschrank, obwohl der Plattenspieler längst kaputt war. Warum trugen Boote eigentlich immer weibliche Namen? Magdalena löste mit spitzen Fingern einige halb abgeplatzte Farbstücke von Fiordiligis ehemals karmesinrot gestrichenem Rumpf. Obwohl sie sich jetzt frisch und wach fühlte, hatte sie heute Morgen überhaupt keine Lust weiterzuputzen. Sie ließ das letzte Stück Rot zu den anderen unter das Boot fallen. Das Gras war nass, ihre nackten Füße kalt, aus dem Wohnwagen hörte sie das Handy klimpern. Eine neue Nachricht.
Wenn das wieder irgend so ein Babylein-Gesülze von Florian ist, flippe ich aus, dachte Magdalena, dann rufe ich ihn an. Nein, ich rufe ihn erst an und flippe währenddessen aus.
 
Als sie in den Wohnwagen kam, schrie sie leise auf. Das Nutella-Glas wurde von Tausenden winzigen Ameisen belagert, anscheinend hatte sie es gestern Abend nicht fest genug verschlossen. In einer betriebsamen Karawane kamen sie von irgendwo aus der Wandverkleidung über den Boden das Tischbein hinaufgewandert, bereit, sich in den Schokoladensumpf zu stürzen. Am unteren Rand des Deckels wimmelte es schwarz. Magdalena packte das Glas, schleuderte es durch die Türöffnung auf die Wiese und versuchte, die Ameisen mit dem Handfeger hinauszubefördern, ohne sie dabei zu töten. Ein paar blieben zusammengerollt auf der Strecke, der Rest marschierte weiterhin unbeirrt in den Wohnwagen ein. O, verdammt! Magdalena schmiss auch den Handfeger auf die Wiese, griff nach dem Handy und setzte sich auf die Stufen. Die Nachricht kam von Nina, die auch aus der Ferne zu spüren schien, wann es ihr schlecht ging:
»Habe Termin bei Holger für Dich ausgemacht, treffen uns um 12.00 Uhr vor der Bar La Pinta
»Oh! Si!’olger!« Sogar Evelina war begeistert gewesen. Er war ja so begabt, so lustig, so schwul und gewissenhaft deutsch, er würde Magdalena bestimmt eine richtige Frisur verpassen können.
Noch zwei Stunden.
 
Mit dem Roller holperte Magdalena dreihundert Meter über den steinigen Feldweg durch die Ödnis, bog an der geteerten kleinen Straße nach rechts und hielt sich an der Hauptstraße links, Richtung La Pila. Sie brauchte keine Karte, ihr Orientierungssinn war ausgezeichnet, und sie liebte es, einfach draufloszufahren, in die kleinen Ortschaften, in denen sie mit Nina vor zwei Wochen die Farbkopien aufgehängt hatte.
Auf nach San Piero, dort kann ich einen Cappuccino trinken, und ein cornetto mit Marmeladenfüllung wird es um diese Uhrzeit dort oben auch noch geben. Das Städtchen lag nordwestlich von Marina di Campo im Inselinneren, in 226 Meter Höhe, eine Zahl, die sie sich beim Betrachten der Karte gemerkt hatte und die seitdem in ihrem Gehirn wie auf einem Computerstick gespeichert war. Sie fuhr an Zypressenreihen vorbei, unter den ausladenden Kronen von Schirmpinien entlang und spielte »Höhenlinien sehen«. Während ihrer Ausbildung hatte sie damit angefangen, es war nicht leicht, aber nun, da sie es konnte, genoss sie das Gefühl für das Gelände, die Formen und die Steigungen. Eine Wandergruppe kam ihr mit Schnürschuhen und Rucksäcken entgegen und versperrte die Abzweigung nach San Piero. Magdalena fuhr vorsichtig an ihnen vorbei. Auch Sant’Ilario, auf 193 Höhenmetern, war ein hübsches Örtchen, auch dort gab es eine Bar, in der man einen guten Cappuccino bekam, sie war mit Nina dort gewesen.
Nach dem Frühstück fuhr sie die Straße ein Stück zurück und noch höher hinauf bis zu den Ausläufern des Monte Perone, dann wieder durch Pinien- und Kastanienwälder an Poggio vorbei und hinunter nach Marciana Marina. Napoleon hatte die Esskastaniensetzlinge von seiner Heimatinsel Korsika herbringen lassen, so stand es in jedem Reiseführer. Unter den Bäumen war es kühl, Magdalena fröstelte und beeilte sich, wieder in die Sonne zu kommen. Ohne Gas zu geben ließ sie den Roller laufen, und nachdem sie sich für die Küstenstraße nach Procchio richtig viel Zeit gelassen hatte, kam sie pünktlich zu dem Treffpunkt vor der Bar La Pinta an.
 
»Wie lebt es sich denn so im Wohnwagen?«
»Gut!«
»Gut?« Nina sah sie an wie ein kleines Kind, das sie bei einer entzückend dummen Lüge erwischt hatte.
»Da vorne ist es gleich, er hat seinen Salon ganz nahe bei deiner alten Heimat«, sagte sie und deutete die Via del Mare hinunter, an deren Ende das Hotel Acquarius lag. »Meine alte Heimat ist doch oben bei euch!«, antwortete Magdalena. »Wie läuft es denn, macht ihr nun bald auf?«
»Frag lieber nicht, Evelina dreht schon durch, und ich überlege ernsthaft, wen wir bestechen könnten, um nicht die gesetzlichen Auflagen erfüllen zu müssen.«
Sie bogen in einen engen Weg zwischen den Häusern ein und erreichten einen von Hauswänden umstellten Vorplatz. Der Eingang zu Holgers Laden lag in einem runden Sonnenfleck, weiße Gazevorhänge wischten träge über den Boden, als sie durch die offen stehende Glastür den einzigen Raum betraten. Ein großes Dachfenster nahm die ganze Decke ein, sie sahen den blauen Himmel und zwei wacklige Trockenhauben, die sich dekorativ von den fensterlosen Wänden zu ihnen hinabbeugten. Ein noch älterer Friseurstuhl stand mitten im Raum. Niemand war zu sehen, nur ein großer Spiegel mit verschnörkelten Goldrahmen lehnte an der Wand, ihm gegenüber stand ein altes, geschwungenes Sofa in Altrosa.
Man hörte gedämpftes Wasserrauschen, dann kam jemand mit elastischen Schritten hinter dem Vorhang am Ende des Raumes hervor. Holger.
»Salve!« Er küsste Nina auf die Wange, gab Magdalena die Hand und stellte sich vor. Mit seiner Glatze und den flatternden weißen Hemdsärmeln stand er wie ein heiterer, schlaksiger Guru unter dem blauen Himmelsquadrat und wies auf den mehrfach geflickten Polstersitz. Prego!
Magdalena setzte sich und zog das Gummiband aus ihrem Pferdeschwanz, schlaff fielen die Haare auf ihre Schultern. Er stellte sich hinter sie, strich ihr mit beiden Händen über den Kopf, als ob er sie segnen wollte, befühlte die Strähnen zwischen seinen langen Fingern und zog sie noch glatter.
»Eine gute Länge! Eine gute Länge, um ein ganzes Stück abzuschneiden.« Nina nickte.
»Ihre Haare standen bei mir noch ganz oben auf der Liste, du musst sie nur überzeugen, dass ihr kürzer besser steht. Hör mal, ich bin spät dran, im Tintorello warten sie schon auf mich.«
»Im Tintorello
»Ich treffe mich mit Giovanni, falls das POLO nicht aufmacht, brauche ich einen Job.« Nina beugte sich zu Magdalena: »Keine Angst, von mir erfährt niemand von deiner Vaterschaftsklage gegen Giovanni«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
»Nina Nannini …! Was ist eigentlich mit deiner Arbeit in Rom?«
»Jetzt fang du nicht auch noch an, du klingst ja schon wie Matteo. Wann soll ich sie wieder abholen?«
»Gib mir zwei, zweieinhalb Stunden.«
Nina schleuderte eine Kusshand in ihre Richtung und lief hinaus. Magdalena stierte auf ihr langweiliges Gesicht, das missmutig aus dem Spiegel zurückstierte. Meine Haare standen bei ihr noch auf der Liste, wahrscheinlich ruft sie mich nie mehr an, wenn dieser Punkt endlich abgehakt ist.
»Allora«, sagte Holger, und sein Lächeln verschwand, »ich würde das hier nicht tun, wenn Nina dich nicht schicken würde. Du bist mit Abstand der schlimmste Fall!« Jetzt klang er wie ein beleidigter Friseur in einem schlechten Theaterstück. Magdalena schaute ihn erschrocken an und stand langsam auf.
»War nur Spaß, Schätzele«, er drückte sie wieder in den Sessel und lachte herzlich, »du hast wunderschöne Augen, dieses Grau ist wirklich ungewöhnlich, habe ich noch nie gesehen, kommt aber hinter deinen blassen Wimpern überhaupt nicht zur Geltung. Ich würde Augenbrauen und Wimpern färben, dann hast du erst mal Ruhe, die Wimpern schwarz, aber die Augenbrauen nicht zu dunkel, es soll ja natürlich wirken. Ein mittleres Braun, höchstens.«
Im Spiegel beobachtete Magdalena, wie Holger ihre Haare mit einer zärtlichen Geste in die Höhe hob, und hörte ihn dabei konzentriert vor sich hin summen. Sie mochte diesen fremden Mann, der sich so ernsthaft mit ihrem Gesicht und ihren Haaren beschäftigte, wie sie es selbst nie getan hatte.
»Frauen sollten lange Haare haben, besonders in Italien«, sagte er, »ich schneide Frauen nie die Haare ab, also fast nie.« Er grinste. Un magico simpatico, hatte Evelina ihn genannt.
»Aber bei dir und deinem Gesicht muss es sein. Es muss.«
»Naturseifengesicht hat Nina zu mir gesagt«, flüsterte Magdalena.
»Ja, das trifft es genau, aber zu viel Natur ist ermüdend, wir machen etwas Besseres draus! Diese Schulterlänge holt nicht optimal alles aus deinem Gesicht heraus, siehst du hier, du hast ja recht viele Haare, aber oben brauchen wir etwas Volumen und unten Sprungkraft.«
Wie nett, er hätte auch »oben sind sie platt und unten hängen sie runter« sagen können.
»Ich schneide bis zu deinem Ohrläppchen, stufe es leicht an, das gibt zusammen mit der Kürze noch mehr Fülle und wird gaaanz anders aussehen!« Ja, das befürchtete Magdalena auch, doch sie nickte und ließ sich von dem sympathischen Zauberer im Stuhl zurückkippen. Während Wimpern und Augenbrauen gefärbt wurden, presste sie ihre Lider so fest zu, dass sie grüne Sonnen vor schwarzem Grund tanzen sah. Blind, mit öligen Wattepads unter den Augen, lag sie wehrlos auf dem alten, erstaunlich bequemen Sessel ausgestreckt und war schon bald Holgers Fragen ausgeliefert:
»Ich lese da gerade so ein Buch … wenn du eine Pflanze wärest, welche wärst du?«
»Du meine Güte, keine Ahnung! Was für eine Pflanze ich wäre …?«
»Mir fiele da eine ein für dich, sofort!«
»Mauerblümchen!«
»Ach Gottchen, nicht doch!«
»Nina wäre eine Passionsblume! Ausdrucksvolle Blüten, breitet sich überall aus, wechselt mehrmals am Tag die Farbe und macht allen Menschen Freude. Manchmal ist sie allerdings geschlossen. Dann geht gar nichts mehr.«
Holger lachte laut. »Genial beobachtet. Aber du, was ist mit dir?«
»Ich weiß nicht, aber ich wäre gerne eine Lotosblume, schön, geheimnisvoll, und alles perlt an mir ab.«
»Aha!« Sie hörte, wie er hinter dem Vorhang hantierte, Schubladen aufzog und wieder schloss.
»Aber ich bin vielleicht doch eher ein Zitronenbaum.«
»Warum das?«
»Ein Zitronenbaum sieht für mich immer aus, als könnte er sich nie wirklich entscheiden, was er tun soll. Er blüht und trägt gleichzeitig Früchte. Er meint, alles alleine zu schaffen, aber wenn man sich nicht um ihn kümmert, rollt er die Blätter ein.«
»Wow, hast du mal Psychologie studiert?« Holger nahm die Wattepads von ihrem Gesicht.
Die Zeit verging schnell, Magdalena lachte zwischendurch immer wieder auf, Holger war so neugierig wie sie, doch im Gegensatz zu ihr traute er sich, die unmöglichsten Fragen direkt zu stellen.
 
»Fantastisch!«, wiederholte Nina immer wieder, als sie zwei Stunden später vor Magdalena stand. »Holger, du hast sie in ein Reh verwandelt, wie diese französische Schauspielerin in … ach, wie hieß denn der Film noch mal?«
»Audrey Hepburn?«
»Nein, oh Dio, Holger, seit wann ist ›Audrey Hepburn‹ ein französischer Film?! Obwohl, das tät auch passen, mit diesem langen Hals, den sie durch den Bob auf einmal hat … fehlt nur noch die Perlenkette.« Nina umkreiste Magdalena andächtig.
»Und wie gefällst du dir selbst?«
Magdalena schluckte. Ihr Haar war kurz, verdammt kurz, es reichte nur noch bis zu den Ohrläppchen. Zwei dicke Strähnen bogen sich wie kleine Henkel in ihr Gesicht, sie versuchte, sie gerade zu biegen, doch sie wippten beharrlich rechts und links vor ihrem Mund herum. Er hatte sie zu einer französischen Modepuppe gemacht … Nein, das stimmte nicht, aber wozu dann?
»Deinem Mund kannst du ruhig ein bisschen Farbe geben.« Holger hielt ihr einen Lippenstift entgegen und schraubte ihn hoch, »Red Velvet, Nr. 128 von Tipo Uno. Dein Ton. Schenke ich dir, aber nur, wenn du ihn auch benutzt!« Ohne den Blick vom Spiegel abzuwenden, nahm Magdalena ihren ersten eigenen Lippenstift aus seiner Hand entgegen und fuhr sich damit ganz leicht über die Lippen. Korallenrot. Sie war das erste Mal in ihrem Leben fasziniert von ihrem eigenen Anblick, und dieses Gefühl war so neu, dass es in diesem Moment egal war, wer ihr bei der Entdeckung zuschaute. Ihre Augen leuchteten hell und groß hinter einem Kranz von dunklen Wimpern, darüber hoben sich zwei Augenbrauenbögen. Durch den minimalen Pony, der ihre hohe Stirn ein wenig verkürzte, sah ihr Gesicht klar und aufgeräumt aus. Und irgendwie angriffslustig. Keck, hätte Oma Witta das genannt.
Ciao, ich bin’s, Magdalena, sagte sie stumm zu ihrem Spiegelbild und drehte den neuen Kopf auf seinem schlanken Hals. Die Sicheln aus Haar wippten wieder. »Es ist schön. Schön anders. Und es ist wirklich…ich meine, das bin immer noch ich, trotz der Veränderung.« Nina und Holger grinsten sich an.
»Viel Glück bei deiner Suche«, wünschte ihr Holger, »wenn du eine Kopie für mich machst, hänge ich das Foto auf jeden Fall im Laden auf! Hier direkt über meiner Psychiatercouch.« Er klopfte auf das rosa Sofa. »Es sieht vielleicht auf den ersten Blick nicht so aus, aber es kommen eine Menge Leute bei mir vorbei, und das nicht nur zum Haareschneiden.«
Sie verabschiedeten sich mit zwei Küsschen voneinander. »Du hast mir gar nicht gesagt, was ich denn nun wäre«, murmelte sie nahe an seinem Ohr.
»Ha noi!«, schwäbelte er, fasste sie an den Schultern und hielt sie ein Stück von sich weg. »Eine wunderschöne Mohnblume, deren Blüte sich gerade entfaltet!«, sagte er und sah dabei so glücklich aus, dass Magdalena ihm einfach glauben musste.
Sie lief hinter Nina her. Jetzt hatte sie nicht nur eine Bleibe und einen Job auf Elba, sondern ab heute auch noch einen schwäbischen Friseur.
 
»Auf dich und deine Verwandlung«, sagte Nina zu ihr. »Und auf den genialen Holger«, fügte Magdalena hinzu, sie stießen die beschlagenen Sektgläser aneinander.
»Er ist unmöglich, zieht einem die letzten Geheimnisse aus der Nase, oder? Vielleicht hätte er lieber Nervendoktor werden sollen.« Magdalena lachte. Sie saßen unter den Holzarkaden im salotto di Procchio.
»In zwei Tagen fängst du drüben an?« Nina schwenkte ihr Glas in Richtung Bar Elba und fegte dabei um ein Haar einen hohen Becher mit Obstsalat und Eis von dem Tablett, mit dem die Bedienung gerade an ihrem Tisch vorbeiging.
»Und was legst du an?«
Magdalena grinste. »Ich dache, ich leg die weiße Hose und das hellblaue Träger-Shirt an
»Das ohne Ärmel, das wir in dem anderen Geschäft gekauft haben?«
»Ja. Bei der Hitze …«
»Nicht ärmellos in der Bar!«
»Wie bitte?«
»Du lachst, aber das Gesetz gibt es tatsächlich: Als Serviererin muss man Ärmel tragen, die die Achseln bedecken, in der Diskothek nicht, aber in der Bar schon. Hygienevorschrift, ich habe mich damit in letzter Zeit ganz genau beschäftigt.« Nina stöhnte auf. »Wegen Leone, diesem coglione, habe ich die Gesetze auswendig g’lernt! Mittlerweile könnte ich selbst einen Club aufmachen. Jetzt haben wir schon den fünften Juni und sind noch keinen Schritt weiter.«
»Was macht … was machen die anderen?« Lieber nicht so direkt nach Matteo fragen. Hatte er Nina von dem blöden Streit gestern erzählt? Nicht anzunehmen, Männer sprachen ungern über Auseinandersetzungen.
»Mikki pennt. Evelina steigt dem Totó, Pippo, Paulo, ach keine Ahnung, nach. Und Matteo kehrt. Läuft. Hüpft Seil. Fuchtelt mit der Heckenschere im Park rum. Und, ach ja, er hat noch einmal alle Feuerlöscher kontrolliert.«
Magdalena hätte gern noch mehr über ihn gehört, doch Nina fragte: »Und wie weit bist du mit der Suche?«
»Ich weiß nicht recht, wie ich weiter vorgehen soll. Ich glaube, ihn können wir vergessen auf dem Foto, man erkennt ja kaum etwas von seinem Gesicht.«
»Aber seine Zähne, diese spitzen langen Eckzähne, die du Gott sei’s gedankt nicht geerbt hast, sind auffällig. Möglicherweise war er ein Vampir.« Magdalena überhörte Ninas letzte Bemerkung.
»Vielleicht erkennt ja jemand meine Mutter auf dem Foto. Ich werde es auch in der Bar Elba aufhängen, wenn ich darf, aber ich werde natürlich nicht gleich am ersten Abend um Erlaubnis fragen.«
»Das hast du wirklich gut hinbekommen mit der Arbeit, du sitzt wie eine Spinne im Netz mitten in Procchio und hast vier Wochen Zeit. Wenn er wirklich noch hier ist, wird er dir auf die eine oder andere Art über den Weg laufen, da bin ich ganz …«
»Nina! Ciao!« Der Ruf schnitt Ninas Satz ab. Sieht gut aus, dachte Magdalena sofort, als der Mann auf ihr Tischchen zukam. Sieht sogar sehr gut aus, korrigierte sie sich. Sie nahm die freudige Anspannung in seinem Gesicht wahr, die er vergeblich zu verbergen suchte. Er grüßte zunächst Magdalena und trat dann an Nina heran, um sie zu küssen. Nina blieb sitzen, also musste er sich zu ihr hinunterbeugen, und sie hauchte die Wangenküsschen rechts und links demonstrativ in die Luft. Wer war das, hatte Nina seinen Namen gesagt? Er schob die Sonnenbrille noch höher in sein dichtes dunkles Haar, seine Augen waren grün, fast zu grün, um echt zu sein. Magdalena wandte schnell den Blick ab. Jetzt guck dir diese Schuhe an! Wer in Italien so derbe Boots trägt, ist ein Einzelkämpfertyp, attraktiv und unerreichbar, ein Mann wie aus der Werbung, der für ein Bier und seine Ruhe endlos durch die Dünen stapft. Sie wagte es, wieder vorsichtig in sein Gesicht zu schauen. Rechts und links neben der Nase hatten sich feine Linien eingegraben. Er war nicht gerade groß, höchstens eins fünfundsiebzig, nur ein paar Zentimeter größer als sie selbst, doch einer jener Männer, die sie eindeutig eher zum Hinterherlaufen statt zum Davonlaufen anstifteten.
Nina war in diesem Sommer auch wieder hier, stellte er fest. Das POLO war also schon offen. Ja, nein, ja, vielleicht. Nina antwortete einsilbig, irgendwas stimmte da nicht zwischen ihnen. Zu offensichtlich waren sie darum bemüht, ihre Stimmen ungezwungen klingen zu lassen. Na dann, wir sehen uns, ciao.
»Auf Wiedersehen, schöne Signorina«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung zu Magdalena und schlenderte lässig die Straße hinunter. Schöne Signorina! Magdalena befühlte ihre kurzen Haare im Nacken, deren Spitzen wie eine weiche Bürste auf ihrem Handrücken aufsetzten.
»Wer war das denn!?«
»Er hat ein Lokal in Marina di Campo, das Il Vizio, direkt am Strand«, antwortete Nina und rief der Bedienung »il conto, per favore!« zu. Für Nina besitzt er also noch nicht mal einen Namen, der es wert ist, ausgesprochen zu werden. Interessant, der erste Mann, der hier nicht beflirtet oder wenigstens mit bestrickend guter Laune bedacht wird.
»Willst du noch mitkommen und dir mein Wohn-Ei angucken?«, fragte Magdalena, nachdem sie bezahlt hatten. »Wir könnten was kochen, ich habe zwei Gasflammen, und es ist echt schön da draußen …«
Doch Nina schüttelte den Kopf.
»Der Exmann von Sabina, weißt du, die im Club 64 an der Kasse sitzt, macht Ärger. Ich habe ihr versprochen, dabei zu helfen, ihre Sachen aus dem Haus zu holen.« Sie umarmten sich, aber sobald Magdalena allein an ihrem Roller stand, fiel ihr die Enttäuschung schwer wie ein nasser Mantel auf die Schultern. Sie hatte sich so darauf gefreut, Nina ihre Behausung zu zeigen. Aber Nina musste sich anscheinend mal wieder um jemanden kümmern, dem es gerade schlechter ging als ihr, und deswegen durfte sie viel früher als erhofft mit ihrem Roller zurück in ihre stickige Konservenbüchse fahren.
 
Die Nacht war kalt und lang, Magdalena fühlte sich so allein wie nie zuvor. Halte durch, sagte sie sich, während sie nach den Mücken schlug, ab morgen spielst du die Spinne im Netz. Du hast genug Zeit, und du wirst ihn finden! Sie wollte ein bisschen weinen, aber selbst zum Weinen braucht man manchmal Gesellschaft. Sie ließ es sein.
Magdalenas Garten
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