19
Magdalena öffnete die Augen und schloss sie
sofort wieder, bitte nicht, er stand mit verschränkten Armen vor
ihr und schien ihr schon eine ganze Weile zuzuschauen. Sie drehte
den Kopf zur Seite und brummte ein verlegenes »Guten Morgen«.
»Was ist passiert, ist dir der Roulotte
abgebrannt, oder suchst du jemanden, der sich um dich
kümmert?« Benommen versuchte sie, sich aufzusetzen, gab aber
auf, die Hängematte schwankte zu sehr. »Nein, wollte nur mal
schauen, was ihr so macht.«
»Morgens um halb neun?«
»Ja!«
»Wir machen gar nichts. Wir warten immer
noch.«
»Matteo? Warum passt du auf Nina auf? Es
interessiert mich. Wirklich!« Es lag wahrscheinlich an ihrer
Müdigkeit, sonst wären ihr die Worte nicht entwischt. Matteo
antwortete nicht sofort, sondern inspizierte erst einmal die
Zitronenbäume. Mit dem Rücken zu ihr sagte er schließlich:
»Nina ist aus meinem Dorf, sie ging mit meiner
kleinen Schwester in eine Klasse.« Er drehte sich um. »In Rom haben
wir uns wieder getroffen, sie hatte sich gerade als Übersetzerin
selbstständig gemacht, hatte ein Büro zusammen mit einer Freundin.
Dann ist etwas passiert, wofür ich verantwortlich bin.
Egal, was ich gerade tue, wenn Nina mich braucht, würde ich alles
liegen und stehen lassen, immer. Und das wäre unfair gegenüber
anderen …« Er vollführte eine vage Geste in ihre Richtung,
Magdalena hob abwehrend die Hände: »Nein, nein, nicht meinetwegen,
ich möchte einfach nur Nina besser verstehen.« Er nickte, und in
seinen Augen meinte sie so etwas wie Erleichterung zu
erkennen.
»Ich finde das toll, so einen Freund hätte ich auch
gern«, sagte sie, ihr Lächeln ein wenig zu eifrig.
»Ich finde toll, dass du es verstehst. Mehr
kann ich dir im Moment nicht erzählen.« Er kickte mit dem Fuß nach
einem Pinienzapfen. »Kommst du mit runter? Es hat keine Milch mehr,
und Kaffee ist auch keiner da.«
»Gerne.« Magdalena versuchte sich aus der
Hängematte zu schwingen, gar nicht so einfach, ihr Hintern hing
tief und wollte nicht hochkommen, sie strampelte eine Weile
vergeblich, dann gab ihr Matteo die Hand und zog sie nach
oben.
»Sei una vera amica«, sagte er. Okay, dann
war sie eben eine wahre Freundin, aber warum sprach er auf einmal
Italienisch mit ihr?
»Geh schon mal voraus«, rief er ihr vor der Bar
La Pinta zu, »ich muss nur noch was beim tabaccaio
erledigen.« In der Bar bestellte Magdalena bei Giovanna einen
starken caffè latte und einen dünneren latte
macchiato für Matteo, er schüttete immer literweise Milch in
seinen Kaffee. Dazu zwei cornetti, eins mit crema für
ihn, eins mit marmellata für sie, und schaute aus der Tür
hinüber zum tabaccaio. Matteo kam nicht. Dann konnte sie ja
noch schnell einen Blick in ihre Mails werfen, der Laptop war schon
eingeschaltet und gerade frei.
Posteingang (1): Brömstrup. Betreff:
Stellenausschreibung.
Hallo Magdalena,
das nenne ich Glück, gerade gestern komme ich aus
dem Urlaub und sehe Deine Nachricht.
»Ja!!«, sagte sie leise und biss vor Freude in ihr
Hörnchen, sodass die Aprikosenmarmelade an der Seite heraus auf
ihre Finger quoll.
Es ist ja folgendermaßen: bei uns im Öffentlichen
Dienst …
Rasch überflog sie die Zeilen, jajaja, alles
schwieriger, wenn ordnungsgemäß zur Ausschreibung gegeben, das
wusste sie schon, aber hier:
… in diesem Turnus geht es dann abwechselnd
weiter, das heißt, ab September suchen wir wieder eine Frau, und da
Deine Bewerbung schon vorliegt und die Frau Heetmeyer vom
Personalrat sich noch an Dich erinnert (Du erlaubst, dass ich schon
vorgefühlt habe), solltest Du Dich ab Ende August unbedingt zu
einem weiteren Gespräch einladen lassen …
»Ach, das weißt du?« Matteo zeigte verwundert auf
sein Glas und den Teller mit dem cornetto. »Entschuldige!«
Schnell wandte sie sich vom Computer ab, wie unhöflich, ohne ihn
anzufangen, sie kaute ja bereits.
»Ich dachte nur …« Er grinste und rührte in seinem
Glas. Kein Zucker, er nahm nie Zucker.
»Scusa, aber ich musste noch Lotto spielen,
noch vor neun Uhr, das ist reiner Aberglaube, aber hat schon mal
geholfen. Ein Freund von mir hat immer in seiner Geburtsstunde
gespielt und gewonnen. Vielleicht hilft’s ja.« Bestimmt. Sie hatte
noch nie in ihrem Leben Lotto gespielt.
»Wie ist die Arbeit in der Bar Elba
gelaufen? Gestern war dein erster Abend, oder?«
»Ich bin noch ziemlich langsam, heute Abend kann es
nur besser werden.«
»Alles in Ordnung im Wohnwagen? Steht die Dose
noch?«
»Ja. Alles wunderbar.«
»Irgendwie mag ich es nicht, wenn eine Freundin von
mir so alleine da draußen wohnt.«
»Das geht schon.« Es war gar nicht so einfach, zu
lügen und dabei einigermaßen appetitlich ein kleckerndes
Marmeladenteilchen zu essen.
»Vielleicht komme ich mal in der Bar vorbei.«
Sie nickte und wischte ihre Finger an einer
Serviette ab, tu das, aber bitte stell keine weiteren Fragen.
»Du warst bei Holger?« Er schaute mit zur Seite
geneigtem Kopf auf ihre Stirn, seine Augen waren braun und
warm.
»Ähm, ja.« Sie zupfte an ihrem kurzen Pony herum,
seine Wimpern waren viel zu lang, fast eine Verschwendung bei einem
Mann. Und wie sah sie aus nach dieser Nacht, mit roten Augen
vom wenigen Schlaf und ungeputzten Zähnen? Egal, sie war nur eine
Freundin, eine gute Freundin.
»Steht dir! Vielleicht sollte ich auch mal zu dem
großartigen Figaro gehen, bringt ja alles nichts mehr.« Er strich
sich über den Hinterkopf. »Wenn’s zu wenig dort hat, muss es halt
alles runter. Aber jetzt muss ich los.« Ehe Magdalena ihn davon
abhalten konnte, hatte er bei Giovanna alles bezahlt.
»Grazie, wir sehen uns!«
Wir sehen uns, dachte sie und schaute ihm nach, wie
er sich mit wiegendem Gang entfernte. War er jetzt einer, vor dem
sie davonlief, oder einer, dem sie hinterherlief? Weder noch. Er
war un vero amico. Und auch wenn nicht, hätte sie ihm die
Wahrheit erzählen und als Bittstellerin zum dritten Mal oben im
POLO auftreten sollen? Eben. Magdalena seufzte und las die
Mail von Karsten zu Ende.
… ich bin sicher, Du wirst Dich gegen Deine
Konkurrenz durchsetzen, bis jetzt hat sich nur noch ein Kandidat
inoffiziell beworben, und das ist ein Mann. Es könnte also sein,
dass Du ab September schon eine von uns bist. Ich würde mich in
jeder Hinsicht sehr freuen, Dich jeden Tag zu sehen, Dein guter
alter Kollege Karsten Brömstrup, Dipl. Geograf
Himmel, wie werde ich den bloß wieder los? Es war
unfair, ihn auszunutzen, aber sie brauchte schließlich eine neue
Stelle, wenn sie wieder zurück in Deutschland war. Ich brauche auf
einmal so vieles. Was vorher noch intakt und vorhersehbar war, ist
plötzlich alles nicht mehr da. Magdalena rieb sich die Stirn und
starrte in den Computer.
Opa Rudi hatte geschrieben, die Erdbeeren würden
dieses Jahr reichlich tragen und die Kirschen seien jetzt schon
fast reif. So war es ihm am liebsten, die kleinen Alltäglichkeiten
statt der großen Probleme zu erwähnen. Das kam ihr gerade ganz
recht, denn es blieb genug zu tun. Sie hatte noch nicht mal mehr
ein richtiges Dach über dem Kopf, eine dritte Nacht in dem blauen
Ei würde sie nicht durchstehen, wahrscheinlich hatte es jemand
längst leer geräumt. Sie hatte noch nicht mal abgeschlossen, aber
auch nicht die geringste Lust, den Verursacher des Geräuschs
ausfindig zu machen. Sie würde sich wieder auf Zimmersuche begeben
müssen.
Wenigstens sprang der Roller sofort an, Magdalena
fuhr aus Procchio hinaus und bezwang den Anstieg Richtung La Pila.
Du bist ein Superscooter, ich werde dir keinen Namen geben,
das machen nur alberne Mädchen, die auch Stofftiere ans
Armaturenbrett ihres Autos kleben, aber du bist ein Super…in
diesem
Moment fing er an zu ruckeln und zu husten. Kein Sprit mehr. Wie
dämlich, sie hatte vergessen, den Superscooter zu betanken.
Mit ersterbendem Motor rollte er mit Magdalena den Berg hinab,
vorbei an der kleinen Seitenstraße, die zu der Wohnwagenwiese
führte, auf die Gokart-Bahn zu, die ihr Terrain mit hässlich
rot-weiß angemalten Autoreifen abgesteckt hatte. Magdalena ließ
sich ausrollen, stieg dann ab und schob. Bis zu der Tankstelle in
der Nähe des Flughafens war es noch ein ziemliches Stück, die
kleine Ortschaft Marmi lag gerade erst hinter ihr. Auf der Karte
vier Zentimeter, bei einem Maßstab von 1:25000 also einen
Kilometer. Zehn Uhr, die Sonne knallte auf ihren Helm, den sie als
Sonnenschutz aufgelassen hatte. Vor sich, am rechten Straßenrand,
sah sie zwei Motorräder stehen, es waren carabinieri, die
einen dieser hohen, hippen Geländewagen in der Mangel hatten, mit
denen reiche Leute spazieren fuhren und die an ungelenke
Riesenkäfer erinnerten. Die zwei Uniformierten hatten
offensichtlich zu viele amerikanische Filme gesehen, sie bewegten
sich wie Cops, einer gestikulierte am Seitenfenster mit den
Papieren, während der andere mit größter Vorsicht den Wagen
umrundete, als könne jeden Moment auf ihn geschossen werden. Der
Fahrer stieg aus, ging nach hinten und öffnete die Heckklappe. Der
größere der beiden carabinieri kontrollierte jetzt an seinem
Motorrad über Funk die Papiere, während der kleinere sich in den
Wagen beugte, als ob er sich gleich auf der Ladefläche ausstrecken
wollte. Irgendwie kamen Magdalena die beiden bekannt vor. Als sie
noch näher kam, erkannte sie Ninas Fans: Massimo, den
Autoliebhaber, und Gian-Luca, den sie zuletzt ohne Unterhosen in
der Küche des POLO hatte Sit-ups machen sehen! Ein einfacher
italienischer Satz bildete sich wie von selbst in ihrem Kopf und
wollte unbedingt hinaus, und noch bevor sie weiter überlegen
konnte, rief sie: »Ciao, Massimo, ciao, Gian-Luca, niente
striptease oggi?«
Gian-Lucas Hand mit dem Funkgerät hielt in der Luft
inne »Ouuuh, ciao …« Eine tiefe Röte kroch seinen Hals hoch.
Erschrocken blieb Magdalena stehen, Mist, es war eine dumme Idee
gewesen, die beiden zu grüßen, sich überhaupt bemerkbar zu
machen!
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Fahrer des
Geländewagens eine kleine Vorwärtsbewegung machte und Gian-Luca
sofort mit einer winzigen Geste nach seiner Waffe tastete.
»Niente striptease …«, stellte der Fahrer
fest, und nun erkannte Magdalena auch ihn. Es war der gut
aussehende Typ, den sie mit Nina in Procchio getroffen hatte, der
Mann mit den Camel Boots, die er auch heute wieder trug, und den
beunruhigend grünen Augen. Damit starrte er jetzt intensiv den
langen Gian-Luca an. Dann stand die Szene wieder still, niemand
rührte sich.
»Niente benzina?« Jetzt nahm er sie ins
Visier, sein Mund verzog sich nicht, aber seine Augen lächelten,
als ob er sich köstlich amüsierte, zeigten aber sonst keine
Anzeichen des Erkennens. Er hatte ein paar Falten um die Augen und
war älter als dreißig, Magdalena war mittlerweile gut im Schätzen
von Männergesichtern. Die beiden carabinieri erwachten aus
ihrer Verlegenheitsstarre und gaben ihm seine Papiere zurück. Sie
hatten es plötzlich schrecklich eilig, leichtes Tippen an die
Helme, mit einem »Salve« starteten sie ihre Maschinen und
waren im nächsten Moment auch schon weg.
»Mi hai salvato la vita!« Sie hatte ihm das
Leben gerettet, er lachte. Magdalena verstand sein Italienisch
recht gut, als er jetzt fort fuhr. »Komm, ich bringe dich zur
Tankstelle, die ist nicht weit, Reservekanister habe ich im Wagen.«
Überrascht bedankte sie sich, legte das Ringschloss um den
Vorderreifen des Rollers und nahm endlich ihren Helm ab.
»Sei francese, tu«, stellte er fest, während
er ihr lässig die Beifahrertür öffnete.
»No, tedesca!«
»Aber ich kenne dich von irgendwoher«, sagte er in
seinem abgehackt davongaloppierenden Italienisch. Magdalena stieg
ein. Er schwang sich hinter das Steuer.
»Ich war mit Nina in Procchio, dort haben wir uns
gesehen.«
»Ah, si. Vor Jahren war ich mal in Monaco
di Baviera.« Er schien das Thema Nina nicht weiter aufgreifen
zu wollen.
»Auf dem Oktoberfést.« Wie alle Italiener betonte
er das Fest mehr als den Oktober.
»Damals habe ich in diesen großen Zelten neben
dicken Mädchen in karierten Blusen sitzen müssen, aber anscheinend
gibt es inzwischen in Deutschland mehr schöne Frauen.«
Magdalena grinste und schaute aus dem Fenster. Seit
sie aussah wie ein langhalsiges Reh, schienen Männer sie überhaupt
erst als Frau wahrzunehmen.
»Ich bin übrigens Roberto!«
»Piacere, Magdalena.«
Bis zur Tankstelle war es tatsächlich nicht weit.
Roberto befüllte den Kanister, und bevor Magdalena einfiel, dass
sie gar kein Geld bei sich hatte, waren sie schon wieder bei ihrem
Roller. Er wartete sogar noch, bis sie startete, um zu sehen, ob
auch wirklich alles funktionierte. »Grazie, ci
vediamo!«
»Ja, klar«, antwortete er, »wir sehen uns.«
Langsam fuhr Magdalena hinter ihm her, er gab Gas,
wurde rasch immer kleiner, bremste dann und bog an der Tankstelle,
direkt hinter der Waschstraße, ab. Als sie zu der Stelle kam,
entdeckte sie einen schmalen Weg, dessen Einfahrt zwischen Büschen
versteckt lag. Sie fuhr vorbei. Die Sonne knallte immer noch vom
blauen Himmel, und die Luft war plötzlich durchsetzt mit kleinen
weißen Flocken, die offenbar von einer blühenden
Pflanze oder einem Baum stammten, es sah aus, als schneite es.
Magdalena wendete. Was soll ich in Marina di Campo, dachte sie,
wenn ich zu meinem Wohnwagen will, muss ich in die andere Richtung.
Kurz darauf stoppte sie an dem Weg, der jetzt links von ihr lag.
Nur mal schauen, wie es da oben aussieht - noch eine Ausrede. Sie
gab Gas und überquerte die Straße. Nach wenigen Metern mündete der
Weg in eine steile, von Bäumen gesäumte Auffahrt. Der arme
scooter heulte verzweifelt auf, doch er brachte sie tapfer
nach oben. Sie hielt auf einem von Zypressen und Steineichen
umstellten Platz, dessen Stirnseite eine kleine Kirche einnahm. Ein
großer Feigenbaum schabte mit seinen Ästen an ihren Außenmauern,
die hohe, ehemals grüne Holztür sah aus, als sei sie lange nicht
geöffnet worden. An einigen Stellen hatten sich Baumableger durch
den Asphalt gebohrt, sie arbeiteten daran, den Kirchvorplatz wieder
in einen Wald zu verwandeln.
An der rechten Längsseite des Platzes standen zwei
schiefe Häuschen aus grauem Stein, vor dem einen sah sie den Wagen.
Friedlich wie ein grasendes Mammut war er dort abgestellt.
Magdalena ging auf die Tür zu. Unter der Motorhaube des Jeeps
knackte es leise.
Ich muss die Initiative ergreifen, ich kann nicht
zurück in den Wohnwagen, eine dritte Nacht überlebe ich nicht!
Vielleicht weiß dieser Roberto ja, wo ich wohnen kann … Die Stimme,
die fast nie auf ihrer Seite war, räusperte sich nur leise. Jaja,
schon richtig, eigentlich bin ich nur neugierig und will sehen, wie
er lebt. In der offenen Haustür stand ein Karton, vielleicht Wein?
Auf ihr Klopfen bekam Magdalena keine Antwort, aber sie konnte in
eine große, aufgeräumte Küche blicken, altes Holz, Naturfarben, der
Esstisch stand quer, und Robertos Kopf tauchte plötzlich aus einer
quadratischen Öffnung im Stein fußboden auf. Schnell nahm sie den
Karton und reichte
ihn herunter. Er nahm ihn entgegen, nicht im Geringsten
überrascht, sie zu sehen, und verschwand. Magdalena hörte ihn unten
rumoren, feuchter Kellergeruch wehte ihr in die Nase. Da kam er
auch schon herausgeklettert, schloss die hölzerne Falltür, klopfte
sich die Hände an der Jeans ab und schob den Tisch wieder an Ort
und Stelle. »Allora! Caffè, acqua minerale, champagner!« Das
war keine Frage, sondern eine Aufforderung. Er grinste sie kurz an,
dann fiel das Lächeln genauso schnell in sich zusammen, seine Augen
schauten wieder ernst, aber nicht unfreundlich. Um dieses
unglaublich tiefe Grün hinzubekommen, trägt er wahrscheinlich
gefärbte Kontaktlinsen, dachte Magdalena. »Siediti!«
Gehorsam setzte sie sich auf die Bank und
beobachtete, wie lässig er die Espressokanne mit Kaffeepulver und
Wasser befüllte. Da saß sie nun bei einem gut aussehenden fremden
Mann in der Küche, und ihr Bauch kribbelte vor Glück, oder was auch
immer das war. Fand er sie hübsch? Sie fand sich ja selbst hübsch,
in jeder Schaufensterscheibe, an der sie vorbeiging, selbst in dem
winzigen Spiegel, der im Wohnwagenei auf der Innenseite der
Schranktür klebte, sah sie die fremde Silhouette ihres Kopfes, ihre
hellen Augen hinter den dunklen Wimpern, und war immer wieder aufs
Neue überrascht.
»Also, erzähl mir, was du hier tust,
Maddalena!«
»Was ich hier tue?« Magdalena berichtete von ihrem
Job in der Bar Elba und ihrer vergeblichen Wohnungssuche,
dem einsamen Klo mit Ausblick auf die Wildnis, und sah, wie Roberto
an dieser Stelle lächelte, seine Zähne waren extrem weiß und
endeten alle auf einer Höhe, wie abgeschliffen. »Mmmmh, mmmh«,
machte er, dann drehte er sich zu ihr und sagte: »Tu non sai
cucinare.«
»Nein!«, bestätigte sie lachend, sie konnte
wirklich nicht kochen und hatte auch kein Problem damit, das
zuzugeben.
»Und segeln kannst du auch nicht!« Segeln!? Wie kam
er jetzt darauf?
»Doch, zufällig kann ich segeln.«
»Ein bisschen.«
»Nein, ein bisschen mehr.« Mit Opa Rudi hatte sie
mehrere Kurse belegt, damals in Holland auf dem Ijsselmeer, abends
hatten sie Knoten gelegt und Hering gegessen, grünen Matjes. Wie
sollte sie ihm den Sportbootführerschein Binnen und See erklären,
den sie neben ihrem Führerschein im Portemonnaie mit sich trug?
»Ganz gut sogar.«
»Also wohnst du am Meer.«
»Nein, nicht direkt.«
»A Berlino.«
»Nein, Deutschland besteht ja nicht nur aus Meer,
Berlin und Oktoberfest«, erklärte Magdalena, wieder lachend, sie
freute sich an den italienischen Wörtern, die sich in ihrem Mund
ganz mühelos zu Sätzen verbanden. »Ich wohne im Norden, nahe der
holländischen Grenze.« Also sei sie eine Olandese statt
einer Francese, meinte er.
»Na ja, vielleicht meine Vorfahren.« Magdalena
nickte, er hatte entweder nicht richtig zugehört oder schon wieder
vergessen, dass sie Deutsche war. Wie kann ich ihn nur dazu
kriegen, mich hier wohnen zu lassen?, zermarterte sie sich den
Kopf. Genug Platz gibt es hier doch. In diese farblich wunderschön
abgestimmte Küche passt ein Klappbett wie das von Matteo dreimal
hinein.
Roberto trank im Stehen seinen Espresso aus,
während sie von ihrer Bank aus zu ihm hochschaute.
»Ich habe heute Morgen übrigens abhauen müssen!«
Magdalena erzählte von ihrer Flucht und hoffte, dass er noch einmal
lachen würde.»Und du? Wie lange wohnst du denn schon hier?«, fragte
sie dann beiläufig.
»Ich habe das Haus schon seit drei Jahren jeden
Sommer gemietet. Nur für mich allein, die Besitzerin legt Wert
darauf und lässt nicht mit sich reden.« Mit den Fingern fuhr er
sich wie mit einem Kamm durch seine braunen, dichten Haare und
ordnete sie, ohne hinzuschauen. Dann schien ihm etwas
einzufallen.
»Eine amerikanische Freundin hat trotzdem mal ein
paar Wochen bei mir gewohnt«, sagte er und führte sie vorbei an
seinem Schlafzimmer in einen langen schmalen Vorraum, der als
Windfang vor dem Ausgang zum Garten lag. Ein Klappbett passte hier
auch herein, das sah sie sofort, und was »l’americana«
konnte, war ihr schon lange recht, sie konnte nicht mehr in den
Wohnwagen zurück …
»Sie hat jede Menge hiergelassen.« Roberto schob
einen Vorhang beiseite, der ein Regal verdeckte. »Alles nur
Gerümpel«, stellte er kopfschüttelnd fest. »Das war letztes Jahr«,
fügte er hinzu, weil sie sich umblickte, als könnte die
vergessliche Amerikanerin jeden Augenblick aus dem Garten zur Tür
hereinkommen. Er schaute ihr in die Augen, einen Moment zu lange,
Magdalena wollte nicht als Erste wegschauen. Was hatte sie schon zu
verlieren? Roberto grinste, öffnete, ohne sie aus den Augen zu
lassen, die Glastür, dann wandte er endlich den Blick ab, sie
traten hinaus. Der Garten bestand aus einem ungepflegten
Rasenstreifen, auf dem eine Zinkbadewanne mit gebogenen Beinchen
stand, und staubigen Oleanderbüschen, die sich vor einem Zaun
drängten. Dahinter begann der Wald. Als Magdalena die Lotosblumen
mit ihren runden Blättern in der Badewanne sah, wusste sie
plötzlich, was sie tun musste. Er hatte ihre Lieblingsblumen im
Garten schwimmen, ein gutes Zeichen. Sie streifte sich die
Ballerinas von den Füßen und schleuderte sie in hohem Bogen von
sich. »Lass uns ein Bad nehmen!«, rief sie in Ninas
überschwänglicher Art, wenn sie gut drauf war. Roberto brauchte
keine Frau, die ihn anschwärmte, davon hatten
diese gut aussehenden Männer schon genug, er brauchte eine Frau,
die ein bisschen verrückt war, unberechenbar und bloß nicht zu
anhänglich. Eine Frau wie Nina, die ihn nicht bewunderte.
»Mach!«, sagte er nur. Sie krempelte die weiten
Beine ihrer Hose bis zu den Knien hoch und stieg in die
Wanne.