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Halt still, komm, halt doch still, lass
dich gehen!« Magdalena versuchte zu entkommen, aber der Druck
seiner Daumen an ihrem Rückgrat war fordernd und
entschlossen.
»Ich wollte zum Einkaufen. Wir haben kein Brot
mehr.«
»Du willst später zum Einkaufen, jetzt willst du
hierbleiben!« Mit den Fingern strich er durch die Vertiefung in
ihrem Nacken bis zum Haaransatz hoch, an den Ohren vorbei und
kreisend auf ihren Hinterkopf zu. Eine Gänsehaut ließ sie
erschauern, und ihre Brustwarzen wurden hart. Gut, dass er hinter
ihr saß, der Frauenverbraucher, er sollte das nicht sehen.
Frauenverbraucher, so hatte Nina ihn doch genannt, er wusste, was
er konnte, doch sie würde sich niemals in den Reigen seiner naiven
Bewunderinnen einreihen. Da stehst du doch schon längst, sagte die
unbestechliche Stimme in ihr, die einfach nicht zum Schweigen zu
bringen war. Gut, am Anfang schon, aber ich wehre mich jeden Tag
dagegen. Ja, richtig, hier sehen wir gerade eine Demonstration
deiner akuten Gegenwehr.
»Komm, ich zeig dir ein paar Tricks aus der
Thaimassage«, hatte Roberto gesagt und Magdalena auf dem Boden
seines Zimmers Platz nehmen lassen, während er sich selbst auf sein
Bett setzte. Widerstrebend hatte sie gehorcht. Er sollte nicht
denken, dass sie dauernd verfügbar war, sie hatte sich vorgenommen,
nicht zu springen, sobald er pfiff. Sie entschied, wann sie
Lust auf ihn hatte. Leider war das ständig der Fall.
Doch wieder einmal musste sie zugeben, dass er ein
Meister im Massieren war, er riss nicht an ihren Haaren, war nicht
zu sanft und nicht zu heftig. Erneut lief eine Gänsehaut in Wellen
an ihr hinab, schwierig, ihn das nicht merken zu lassen.
»Mit wie vielen Männern hast du schon geschlafen?«,
fragte er auf ihren Hinterkopf hinunter.
»Wie bitte?!«
»Du hast schon verstanden, wie viele waren
es?«
»Äh, und du?«
»Ich bin Argentinier, bei uns fängt man schon früh
damit an, amore zu machen. Mit zehn, mit elf. In Europa
redet man eher darüber - wir tun es. Es gehört einfach zum Leben
dazu.« Magdalena machte unwillkürlich ein schnaubendes Geräusch
durch die Nase.
»Mit zehn habe ich auch noch nicht darüber
geredet, sondern bin den ganzen Tag Rollschuh
gelaufen!«
»Aber jetzt bist du dreißig, da werden doch schon
ein paar Freiwillige zusammengekommen sein.«
Volontari. Freiwillige, sie musste kichern
und lehnte sich zurück, ihm entgegen.
»Siehst du, jetzt entspannst du dich, das ist
gut!«
»Vier.«
»Nooo! Das glaube ich dir nicht!« Doch, vier
Männer waren es bisher gewesen, angefangen bei Tommi Hagedorn, der
bei ihrer Entjungferung noch nicht einmal seine Brille abgenommen
hatte, Marc mit dem Mercedes Kombi von seinem Vater, in dem es auf
der Ladefläche viel Platz gab, und Johann Hanauer, genannt Jojo, in
den sie jahrelang so unglücklich verliebt gewesen war, dass es sich
völlig falsch anfühlte, als er sie endlich bemerkte und eine Woche
später das erste und einzige Mal mit
ihr schlief. Als Letzter in der Reihe der »Freiwilligen«: Florian,
ihr Liebhaber mit der zahlenden Zahnärztin, Freund ihrer Freundin,
die unterste Schublade, moralisch gesehen. Magdalena zählte ihm nur
die Namen auf, aber Roberto wollte offenbar mehr hören. Er lief in
die Küche, kam mit einem Martini d’Oro wieder und reichte ihr das
Glas.
»Dai, nimm, und jetzt erzähl!« Sie trank und
lehnte sich an seine Knie, die Eiswürfel knisterten leise, sie
überlegte. Roberto würde sie vielleicht mit ihnen aufziehen und
ärgern, die Namen wiederholen, an die sie nicht mehr so gern denken
wollte. Er ahmte gern ihren deutschen Akzent nach, nannte alle
Deutschen »Fritz« oder »crucca« und behauptete, ihre
Aussprache höre sich genauso schrecklich an wie die des Papstes.
Nein, besser, sie würde es dabei belassen.
»Komm, sag schon, welcher war der Beste? Wie habt
ihr es getan, was war der ungewöhnlichste Ort, an dem du es je
gemacht hast?« Er hatte sie noch nie zärtlich geküsst, immer nur
bissig und zugegebenermaßen ziemlich geil, und jetzt wollte er sich
an ihren Geschichten hochziehen, Magdalena wurde ganz zappelig vor
Verlegenheit, da half auch der goldgelbe Martini in ihrem Glas
nicht. Sie blieb stumm, es war zu schnell, zu intim, aber Roberto
schien auf die Beantwortung auch nicht allzu viel Wert zu legen,
denn er war schon bei der nächsten Frage: »Warum gehst du nie an
den Strand?« Seine Finger suchten sich ihren Weg unter ihr T-Shirt
und strichen über ihre nackten Schultern.
»Gebräunte Haut hat so etwas ganz Glattes,
Unnachahmliches, das bekommt man mit keiner Creme der Welt hin.«
Seine Stimme wurde zärtlich: »Also los, erzähl mir von dir!«,
wisperte er dicht an ihrem Ohr. Sie schüttelte den Kopf, sie musste
hart bleiben, musste sich gegen ihn durchsetzen.
»Ich rede nie über Dinge, die ich mit irgendwem
getan
habe«, behauptete Magdalena. Das war zwar Quatsch, hörte sich aber
geheimnisvoll an. Er zog sie auf das Bett und streichelte ihr das
T-Shirt herunter, sie trug keinen BH. Jetzt ging das wieder los …
sie wusste, sie würden miteinander ringen, ein Kampf, der mit zwei
Besiegten enden würde. Es war eine perfekte Choreografie, die sich
aus dem ergab, was man mit zwei Körpern machen konnte. Mit einer
Ausnahme, aber wer weiß, vielleicht brachte sie ihn heute dazu
…
Mit einem kleinen Klaps auf ihren Po sprang er auf
und zog ihr damit ihre Rückenlehne weg. Sie kullerte ins Leere. In
was für eine Gier sie gerade gefallen war, ohne zu denken, wach und
gleichzeitig verloren in ihm, völlig abgedreht.
Sie beobachtete ihn, pfeifend riss er den
Kleiderschrank auf, nahm eins der weißen Hemden vom Bügel und
verschwand im Bad. Sie blieb lächelnd auf dem Laken zurück.
Auf der steil abfallenden Küstenstraße nach Cavoli
konnte sie den warmen Wind auf der Haut spüren. Hier, im westlichen
Teil der Insel, war es wärmer als anderswo auf Elba. Sie hatte
gelesen, dass die geschützten Buchten und die Felsen darüber die
Temperatur um ein paar Grad erhöhten, und es bei ihren Ausflügen
mit dem Roller selbst auf der Haut spüren können. Die Felswände
direkt neben ihrem rechten Ellbogen waren nur an manchen Stellen
zum Schutz gegen Steinschlag mit Stahlmatten überzogen. Jeden
Moment konnte ein Gesteinsbrocken auf sie herunterkrachen. Wieder
geschafft!, dachte sie im Vorbeifahren. Magdalena lächelte unter
ihrem Helm vor sich hin. Erst diese Vorstellung gab ihr das Gefühl,
nicht als kleiner Punkt auf einer orange eingezeichneten
Küstenstraße zu existieren, sondern wirklich dort zu sein. Sie
wusste, dass Nina neuerdings jeden Nachmittag in Cavoli lag, die
Bucht von Fetovaia
war bei ihr abgemeldet, zu viele Leute dort, hatte sie gesagt.
Wahrscheinlich Bewunderer, die ihr auf die Nerven gingen. Vor zwei
Tagen hatte Nina per SMS bei Magdalena angefragt, ob sie nicht auch
nach Cavoli kommen wollte, doch nachdem sie Roberto mit dem
Strohhut flirten gesehen hatte, hatte sie keinen Drang mehr
verspürt, sich in der prallen Sonne im Sand auf einem Handtuch zu
drehen. Nun aber wollte sie plötzlich gebräunte Haut, sie
verzichtete darauf, genauer über die Gründe für diesen Sinneswandel
nachzudenken. Roberto schaffte es mit seinen beiläufigen
Bemerkungen immer wieder aufs Neue, ihre aufgeräumten, ordentlich
auf Kante zusammengelegten Gedanken wie T-Shirts auf dem Wühltisch
durcheinanderzuschmeißen. Jedes Mal, wenn sie aus seinem Bett kam,
fühlte sie sich zufrieden, wunderbar verdorben und frei. Dieses
Gefühl hielt nur leider nicht lange an. Vor einigen Minuten hatte
sie noch triumphiert, ihm nicht von ihren spärlichen
Liebeserfahrungen erzählt zu haben, und nun bereute sie es schon
wieder. Sie widerstand ihm ab und an und spielte die Unabhängige,
Starke, doch kurze Zeit später, wenn er seine Aufmerksamkeit von
ihr abzog, lechzte sie nach mehr, wie ein vertrockneter
Zitronenbaum nach Wasser, so ähnlich jedenfalls … Was für ein
dummes Spiel.
Mit angezogener Bremse fuhr sie die steile Straße
hinunter in die Bucht und stellte den Roller am Rande des
Parkplatzes unter einer Schirmpinie ab.
Die Bucht war nicht sehr breit, Magdalena
durchquerte das Strandcafé und schaute sich um. Rechts waren blaue
lettini aufgestellt, abgegrenzt durch dicke Taue bildeten
sie eine Phalanx von Schirmen, Liegen und Tischchen, dahinter waren
die Umkleidekabinen. Sogar ein Drehkreuz aus Holz gab es, das man
passieren musste, um dort hineinzukommen.
Links dagegen lag man auf Handtüchern im Sand, die
Borten der Sonnenschirme flatterten im Wind. Magdalena packte ihre
Strandtasche und stapfte durch den feinen Sand an den Liegen
vorbei, hinten bei den Steinen, die die Bucht begrenzten, war es
ganz leer, dort wollte sie ihr Lager aufschlagen und Nina später
suchen gehen.
Das Wasser war kalt, aber schon nach wenigen
Schwimmzügen hatte sie sich daran gewöhnt, es ließ ihren Kopf klar
und wach werden. Ohne Schwimmbrille war es allerdings nicht ratsam,
die Augen zu öffnen, blind schwamm sie ein Stück hinaus. Das Salz
brannte in ihrem Mund, unter ihr war es wahrscheinlich schon recht
tief. Beunruhigt kraulte Magdalena weiter, wie tief war recht tief?
Zehn Meter, hundert Meter? Allein die Vorstellung, keinen hellblau
gekachelten Boden unter sich zu haben, zog sie hinab, sie drehte
sich auf den Rücken und schaute über den Strand in den Berghang
hinauf. Zwischen kargen Felsen und versprengtem Grün guckten einige
rote Terrakottadächer hervor, Ginster blühte in leuchtendem Gelb,
und über allem spannte sich der blaue Himmel. Es war viel zu
trocken, im Mai hatte es kaum geregnet, und auch in den drei
Wochen, in denen sie nun schon hier war, war kein Tropfen
gefallen.
Magdalena schwamm zurück und ließ sich erschöpft
auf ihr Handtuch fallen, nur ein paar Wochen ohne Training, und
schon hatte sie keine Kondition mehr. Die Sonne wärmte ihre nasse
Haut, sie schloss die Augen und zwang sich, alle störenden Gedanken
auszuschalten. Robertos massierende Hände und die Strohhutfrau, weg
mit den beiden, auch Olmos spitze Eckzähne, die sie immer noch
nicht gesehen hatte, verdrängte sie. Die Tage verflogen, bald war
ein ganzer Monat um, nur nicht daran denken. Aber was war mit Nina,
sie wollte doch
nach Nina suchen … nicht jetzt, sei einfach mal faul, tue nichts,
genieße jeden Augenblick! Langsam britzelten die Sonnenstrahlen die
restlichen Wassertropfen von ihrer Haut, sie döste vor sich hin, da
betrat jemand ganz leise und leicht ihr Handtuch. Magdalena öffnete
die Augen und blinzelte in die Sonne. Ein mopsiger, ungefähr
zweijähriger Junge hatte seine dicken Füßchen dicht neben ihre
Hüfte gestellt und sah interessiert auf sie herunter. Magdalena
setzte sich auf. »Ciao, chi sei?«, fragte sie lächelnd, aber
der Kleine wollte nicht verraten, wer er war. Sie rückte beiseite
und machte ihm Platz. Er stand einen Moment unbeweglich da, dann
bekam er plötzlich ganz glasige Augen, und sein nur mit einem
dunklen Haarflaum bedeckter Kopf wurde puterrot. Er pupste
vernehmlich laut, und schon floss ein Bach aus seiner winzigen
101-Dalmatiner-Badehose an seinem Bein herab. Kein Pipi! Braun und
wässrig wurde es von ihrem Handtuch aufgesogen. Magdalena sprang
auf und packte den Kleinen vorsichtig unter den Armen, er war
schwerer, als sie gedacht hatte. Sie hielt ihn ein wenig von sich
ab und schaute in die Runde: Vermisste vielleicht jemand das
Durchfallmonster, das ihr zugelaufen war? Er blickte hoch, und in
seinen Augen lag solch ein grenzenloses Vertrauen zu ihr, dass ihr
ganz warm in der Brust wurde und sie ihn noch höher hob. Der Kleine
strampelte ein bisschen mit den Beinen, als ob er langsam Fahrrad
fahren wollte, er gluckste, es gefiel ihm offenbar, mit seinen
Füßen über dem Sand zu schweben. Fast hätte sie ihm einen Kuss auf
seinen runden flaumigen Kopf gedrückt. Als ich in seinem Alter war,
lebte meine Mutter schon nicht mehr. Ob ich Oma Witta und Opa
Rudolf auch so angeschaut habe wie er mich jetzt, nur weil sie sich
um mich kümmerten? Wie schnell habe ich mich an sie gewöhnt? Ob ich
am Anfang sehr geweint habe? Oder einfach vertrauensvoll die
nächste Hand ergriffen habe, die sich mir bot? Auf einmal war
Magdalena zum Heulen
zumute, das kleine Kind, das sie selbst einmal gewesen war, tat
ihr schrecklich leid.
»Diego!«, rief die junge Frau in dem zu engen rosa
Bikini erleichtert und eilte auf sie zu, ihr Bauch, ihre Schenkel,
alles an ihr wippte und wackelte. Magdalena verharrte mit Diego in
der Luft, schnell warf sie einen Seitenblick auf ihr Handtuch, das
konnte sie vergessen, bei Roberto gab es keine Waschmaschine, und
auf Handwäsche hatte sie bei dieser Materie keine Lust. Die rosa
Bikini-Frau folgte Magdalenas Augen, schaute dann auf Klein-Diegos
Dalmatinerhöschen und nahm ihn in derselben gespreizten Haltung mit
einem dankbaren Lächeln aus ihren Armen entgegen.
»Amore, Diego«, schnatterte sie los, »was
hast du denn da gemacht …?« Sie lachte verlegen auf, wurde dann
aber ernst: »Das tut mir leid, ich lass das waschen, ach was, ich
kaufe Ihnen ein neues, das ist mir wirklich furchtbar
unangenehm!«
»Nein, das macht doch nichts, kein Problem!«,
antwortete Magdalena automatisch und freute sich: Ihr Italienisch
wurde immer besser.
»Sie sind doch hier im Urlaub, Sie haben sicher
keine Waschmaschine?«
»Das stimmt«, gab Magdalena zu und bereute es
sofort.
»Ich kann Sie doch nicht so stehen lassen. Ach,
Diego, was hast du getan, mein kleiner …« Sie gebrauchte ein
italienisches Wort, was wahrscheinlich so viel wie Kacker,
Hosenscheißer oder Held bedeutete. Zumindest strahlte sie ihn an
wie einen Helden und ließ ihn endlich wieder hinunter in den Sand.
Sofort senkte er seinen glatten Murmelkopf und rannte wie ein Stier
auf das Wasser zu. Die Frau setzte ihm hinterher, Magdalena folgte
den beiden im langsameren Laufschritt.
»Gib mir die Hand, Diego!« Diego wollte keine Hand
geben, sondern ließ sich auf den nassen Sand an der Wasserkante
fallen und wurde von seiner Mama sofort wieder hochgezogen.
Vielleicht ist es ihr peinlich, sein Kinderkacka jetzt im Meer vor
mir abzuspülen, dachte Magdalena und beschloss, eine Zeit lang mit
dem Schwimmen auszusetzen.
»Meine Mutter hat eine Pension, die wäscht sowieso
den ganzen Tag Handtücher. Wissen Sie, was, ich nehme das Handtuch
mit und bringe es Ihnen ins Hotel!« Während sie mit dem ins Wasser
drängenden Diego kämpfte, schaffte sie es, Magdalena kräftig die
Hand zu schütteln. »Ich bin übrigens Sonia!«
»Angenehm!« Auch Magdalena stellte sich vor. Ihr
gefiel diese Frau mit den energischen Bewegungen, deren Körper
vielleicht noch von der Schwangerschaft und guter Pizza einige
Kilos zu viel aufwies, aber dennoch zu ihr passte. Sonia war jünger
als sie, bestimmt noch keine dreißig.
»Ich arbeite abends in der Bar Elba in
Procchio, es ist zwar nicht nötig, aber wenn Sie unbedingt wollen,
können Sie das Handtuch dort abgeben.«
»Procchio!? Meine Mutter wohnt da! Kennen Sie die
Pension Natale?« Magdalena verneinte. Sonia zog Diego wie
einen Ackerpflug im Sand hinter sich her.
»Bar Elba! Buonissimo!«, sagte sie außer
Atem, als wieder an Magdalenas Liegeplatz angekommen waren. »Ich
bringe das Handtuch, sobald es wieder sauber ist! Und er
wieder sauber ist!« Sie lachte, rollte Magdalenas Badelaken
vorsichtig zu einem Paket zusammen, nahm es in die eine und Diego
an die andere Hand und zog von dannen.
»Magdalena, ciao, da bist du ja, gibt’s
Probleme?« Nina winkte von einer der letzten blauen Liegen herüber,
sie hatte ihre Unterhaltung mit Diegos Mutter bestimmt beobachtet.
Nein, leider keine Probleme, die du lösen könntest, Nina, dachte
Magdalena, freute sich aber dennoch, sie zu sehen.
»Hej, cooler Bikini!«, rief Nina noch lauter über
den Strand. »Holger hat mir schon davon erzählt, komm zu uns, hier
ist noch was frei!« Magdalena nahm ihre Korbtasche und ging
hinüber, Nina stand auf und küsste sie auf beide Wangen.
»Hier, komm unter den Sonnenschirm, leg dich da
drauf, ich habe auch noch ein Handtuch!« Evelina räumte die Liege
neben sich frei und cremte dann weiter an ihrem Gesicht
herum.
»Also, wie war er, was hat er gesagt, du warst ja
gestern im Giramondo, oder?«
Heute ist sie wieder gut drauf, wie kommt das?
Magdalena setzte sich.
»Also, ich war gestern wirklich da. Aber es war
schwierig, vielleicht kannst du nächstes Mal mitkommen, allein
kriege ich nichts aus ihm raus.«
»Aber ist er es, oder ist er es nicht?«
»Vom Gefühl her würde ich sagen, er ist es! Er hat
sich komisch benommen, als ich ihn nach einer Heidi fragte, hat
sofort alles abgeblockt und ist ganz hektisch herumgerannt.«
»Wisst ihr, wer es auch noch sein könnte?«,
unterbrach Evelina. »Marco, dem da oben in Portoferraio das
Caffescondido gehört. Der ist so toll, und er hat genau
dieses Lächeln wie der Junge auf dem Foto! Und damals hat der
bestimmt auch schon alle Mädels vernascht, also ehrlich, er ist
immer noch…« Den Rest von Evelinas Ausführungen verstand Magdalena
leider nicht.
»Was heißt denn ›un gran figo‹?«
Nina antwortete nur zögernd. »Äh, auf Deutsch würde
man vielleicht sagen, er sieht noch immer dermaßen geil aus …« Auf
Italienisch fuhr sie fort: »Evelina, wir suchen nur ihren
Vater.«
»Ja, was denn!? Das weiß ich doch, ihr sucht nach
tollen Typen im richtigen Alter, der ist auch uralt, bestimmt schon
fast fünfzig!« Magdalena musste innerlich lachen, Evelina schwärmte
für jeden auch nur halbwegs gut aussehenden Mann und unternahm
alles, um ihre Auserwählten gehörig zu verschrecken, indem sie
ihnen sofort und viel zu nah auf die Pelle rückte.
»Grazie, Evelina! Man kann nie wissen, ich
werde ihn mir auf jeden Fall angucken.«
»Dann komme ich aber mit! Ich bin total verknallt
in den!«
»In meinen Vater?« Nina und Magdalena prusteten
gleichzeitig los.
»Wie geht es denn so in der Bar?«, fragte Nina ein
paar Minuten später träge unter dem Schirm ihrer Baseballkappe
hervor. Magdalena erzählte von Cristina, die jetzt bei ihnen
eingestellt worden war, ein Mädchen extra nur für die Eistheke, die
den ganzen Abend Waffeln und Pappbecher mit Eiskugeln befüllte und
Franco von dieser zeitaufwendigen Arbeit befreite.
»Sie kommt aus Livorno und ist ganz nett, ich
verstehe sie allerdings kaum, ihr Dialekt ist heftig, und sie
spricht rasend schnell mit mir. Ich bereite ihr jeden Abend den
Obstsalat für den Mangia&bevi-Becher vor.«
»O ja, einen von euren
Mangia&bevi-Bechern, den hätte ich jetzt gern«, stöhnte
Nina genießerisch mit geschlossenen Augen, »aber mit Rahm!«
»Es ist anstrengender, als ich dachte«, fuhr
Magdalena fort, »jetzt haben wir immer bis eins auf, und ich
verschlafe den ganzen Vormittag.«
Nina blinzelte in die Sonne und zupfte an ihrem
Bikinihöschen. »Bei uns ist es noch ruhig. Nur am letzten
Wochenende war es richtig voll. Aber kein Vergleich zum
August.«
»Wie ist es, im, im … in dem anderen Laden zu
arbeiten?«
»Im Club 64?«
Magdalena seufzte: »Ich vergesse immer den Namen,
scusa.«
Nina stützte sich auf ihre Ellbogen: »Ist doch ganz
einfach: neunzehnhundertvierundsechzig ist das Ding als erste
Freiluftdiskothek
in ganz Italien eröffnet worden. Deshalb Club 64, auf
Italienisch: sessanta-quattro.« Magdalena wiederholte den
Namen flüsternd ein paarmal.
»Werde ich mir ab jetzt merken können,
danke!«
»Es läuft gut, absolut gut. Laura ist auf Draht,
ihr Bruder Daniele total nett und ziemlich g’scheit, die beiden
haben uns sogar einen Vorschuss angeboten.«
»Hast du ihn angenommen?«
»Nein, brauch ich nicht«, sagte Nina abwesend,
während sie in ihrer Tasche nach etwas kramte. Brauch ich nicht,
das bedeutet, sie hat nicht nur eine Wohnung in Rom, sondern auch
reichlich Geld, überlegte Magdalena.
Gegen sechs machte sie sich auf den Heimweg.
»Morgen wieder hier?«, rief Nina ihr nach. »Oder
komm doch vor der Arbeit mal zu uns ins POLO.« Magdalena
nickte und nahm sich vor, Matteo bei der Gelegenheit endlich nach
Ninas Vergangenheit zu fragen. ›Mehr kann ich dir im Moment nicht
erzählen‹, hatte er im Zitronengarten gesagt, aber vielleicht
jetzt, wann auch sonst? In einer Woche fuhr sie doch schon wieder
nach Hause.