SECHZEHN

Kraus war nicht so naiv, an Wunder zu glauben. Aber Freksas Vorschlag einer Partnerschaft war geradezu teuflisch.

»Natürlich muss das Ganze unter uns bleiben. Ich darf mich nicht mit Ihnen sehen lassen. Oder die Anerkennung mit Ihnen teilen. Ich muss weiterhin so tun, als würde ich Sie für ein Judenschwein halten. Aber Sie sind der Kopf bei dieser Sache, Kraus, wirklich.« Freksa ließ sich über die Straße führen. »Sie übernehmen das Denken; ich mache, was Sie mir sagen. Ich habe auch schon damit angefangen.«

Sie hatten mittlerweile den überdachten Bürgersteig auf der anderen Straßenseite erreicht und standen endlich im Trockenen.

»Was meinen Sie damit, Hans?« Kraus schüttelte den Regen von seinen Kleidern. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn sie nicht beide eine Lungenentzündung bekommen würden. »Womit haben Sie bereits angefangen?«

Als sie über die Brücke zurück zur U-Bahn-Station trotteten, erklärte ihm Freksa mit wachsendem Stolz, wie Dr. Weiß ihm Kraus’ Theorien über den Markt der illegalen Händler geschildert hatte. Also war Freksa am nächsten Tag in dieser stinkenden Gasse neben der Landsberger Allee herumgelaufen, hatte Visitenkarten verteilt und allen erklärt, dass er jedem fünfzig Mark geben würde, der Informationen über einen großen, kahlköpfigen Kerl hatte, der ...

Kraus blieb wie angewurzelt stehen.

Jetzt war er wirklich entsetzt. Er konnte nicht glauben, dass Freksa so etwas getan hatte. An einem einzigen Morgen hatte er die ganze Arbeit ruiniert. Von seinen zahllosen Stunden hinter dem Feldstecher wusste Kraus ganz genau, dass alle auf dem Markt Angst vor dem Ochsen hatten. Freksa hatte diesen brutalen Schläger nicht nur gewarnt, sondern ihn geradewegs verscheucht. Kein Wunder, dass der Ochse spurlos verschwunden war.

Freksa war jedoch felsenfest davon überzeugt, dass er richtig gehandelt hatte. Jemand hatte bereits angerufen und behauptet, er hätte Informationen, die weit mehr wert wären als fünfzig Mark, prahlte er.

»Wir treffen uns heute, nur er und ich. Sie werden niemals erraten, wo.« Freksa hob sein Kinn, und sein langes, bleiches Gesicht war immer noch regennass, als er jetzt fast zaghaft lächelte. »Sie hatten recht, Kraus. Auf dem Centralviehhof. Schlachthaus sieben. Um dreiundzwanzig Uhr. In dem Bereich, den vorher Kleist-Rosenthaler gemietet hatten.«

Kraus spannte sich unwillkürlich an. »Das ist nicht Ihr Ernst. Machen Sie das nicht, um Himmels willen. Sie gehen ins Schlachthaus? Allein und mitten in der Nacht?«

Freksa legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Wie rührend, Kraus. Sie machen sich Sorgen um mich?« Er klopfte sich auf die Manteltasche. »Keine Angst. Ich reise nie allein.«

Der Regen hatte nachgelassen, aber es blitzte immer noch, als Kraus in der Beckmannstraße ankam. Er schüttelte seinen Hut aus, bevor er die Eingangshalle betrat. Auf der Treppe stieß er auf Otto Winkelmann, der gerade herunterkam.

»He, Mensch. Wie geht’s dir?«, fragte Kraus.

»Ja, ja. Viel besser. Du erinnerst dich doch an meinen Schwager, Klemper? Er hat mich in seiner Firma eingestellt.«

»Na, ich gratuliere!«

»Natürlich ist es nicht die Art von Arbeit, die ich gerne hätte.« Otto schüttelte heftig den Kopf. »Ich arbeite in der Poststelle. Außerdem musste ich etliche andere Maßnahmen ergreifen, und zwar nicht gerade freiwillig, das kann ich dir versichern. Aber wenigstens kann ich jetzt meine Rechnungen bezahlen, nicht wahr?« Er wirkte ungeheuer erleichtert und schien es gleichzeitig eilig zu haben. »Also, Wiedersehen, Willi.« Er winkte, als wüsste er nicht genau, wann sie sich wieder sehen würden. »Felix holt mich ab, damit ich ein paar Papiere ausfülle.«

Wahrscheinlich muss er in eine Gewerkschaft eintreten, dachte Kraus. Angestellter in der Poststelle. Wie traurig!

Vicki stand in der Küche und richtete Salat an.

»Dem Himmel sei Dank.« Ihre Augen funkelten, als sie ihn sah. »Ich hatte schon Angst, du wärst weggespült worden.«

Sie schüttelte ihren Pony zurück und hob ihr Gesicht, als sie auf seinen Kuss wartete.

Er trat jedoch hinter sie und küsste sie auf den Hals.

»Papa beißt Mama!«, schrie Stefan aus dem Flur.

»Weil ich Nosferatu bin.« Kraus krümmte seine Finger zu Klauen und machte sich auf die Jagd nach ihm. Erich spielte mit, und die drei kämpften kreischend, bis Vicki dem Tumult energisch Einhalt gebot.

Als die Kinder im Bett waren und Vicki und er Furtwängler hörten, der Brahms siebte Symphonie dirigierte, ertappte sie ihn dabei, wie er ins Leere starrte.

»Käthe hat wegen des Passahfestes nachgefragt«, sagte sie leise, als wollte sie niemanden stören. »Ich habe gesagt, ich müsste vorher ... Willi?«

»Was? Du musst mich nicht fragen, Vic. Natürlich können sie kommen.«

»Ich meine etwas anderes ... Was ist los? Ist es wieder dieser schreckliche Freksa?«

Schon, aber nicht so, wie sie dachte.

Kraus hatte Freksa nicht davon abhalten können, heute Nacht zum Centralviehhof zu gehen. Und je mehr er jetzt darüber nachdachte, desto weniger gefiel es ihm. Der Kerl war nicht ganz bei Trost. Was konnte es schaden, wenn er ein bisschen Verstärkung bekam? Nur, was sollte er Vicki sagen? Sollte er ihr ins Gesicht lügen? Er nahm eine Zeitung in die Hand und versuchte zu lesen, aber die Worte bekamen keine Bedeutung in seinem Kopf.

»Liebling.« Er warf die Zeitung beiseite und kam zu dem Schluss, dass eine Halbwahrheit besser ist als gar keine. »Ich mache mir wirklich Sorgen um einen Kollegen. Ich weiß, du hasst es, wenn ich nachts weggehe ...«

»Ach, Willi.«

»Manchmal versetze ich mich an deine Stelle und denke, mein Gott, wenn ihr jemals etwas passiert ...«

Aber die Vorstellung, dass Freksa dort alleine war, beunruhigte ihn noch mehr.

Es herrschte Friedhofsruhe. In wenigen Stunden würden Scharen von Arbeitern in den Viehhof strömen, um sich auf einen geschäftigen Tag vorzubereiten. Jetzt jedoch hörte man nur das Klappern einsamer Pferdefuhrwerke, die Müll transportierten. Kraus fuhr an den verlassenen Verwaltungsgebäuden und riesigen, glasüberdachten Markthallen vorbei, die gerade gereinigt wurden, was er selbst von draußen hören konnte. Sogar in den ausgedehnten Pferchen voller Rinder, Schafe und Schweine herrschte Ruhe. Alle waren in ihren letzten Schlaf versunken.

Der Sturm hatte sich gelegt. Wenn die Wolken aufrissen, lugte der Mond hindurch. Als er den Tunnel verließ und in der Zeile mit den Schlachthäusern herauskam, lagen die langgestreckten Gebäude und Schornsteine unter einer silbernen Decke. Es war fast dreiundzwanzig Uhr. Warum sollte ein Informant sich an einem solchen Ort treffen wollen?, fragte sich Kraus unaufhörlich. Ihm fiel einfach keine beruhigende Antwort ein.

Vor Schlachthaus fünf parkte er den Opel im Schatten und stellte den Motor ab. Seine Erfahrungen hinter den feindlichen Linien hatten Tarnen und Täuschen zu seiner zweiten Natur gemacht. Den Rest des Weges legte er zu Fuß zurück, ohne dass auch nur der Kies unter seinen Füßen geknirscht hätte. Es war feucht und kalt. Aber der Sturm hatte den üblichen Gestank weggeweht, und im Augenblick roch es beinahe angenehm. Als er Schlachthaus sieben sah, blieb er stehen. Ein einsamer Horch parkte vor der Tür, und die Eingangstür des Gebäudes war nur angelehnt. Er schlich dorthin und warf einen Blick hinein. In dem Schlachthaus war es so dunkel wie in der Hölle. Und absolut still. Er schob sich hinein.

Er atmete ganz flach, blieb einen Moment stehen und wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Gestank von Ammoniak stieg ihm in die Nase. Es musste hier drin fast zwanzig Grad kälter sein als draußen, weil dieses zweistöckige Gebäude mit seinen Steinböden so entworfen war, dass die Temperaturen niedrig blieben. Er erinnerte sich, dass Gruber ihm so etwas erzählt hatte. Aus hygienischen Gründen.

Die Wolken rissen auf; Mondlicht schien durch die von Schmutz starrenden Oberlichter und beleuchtete das Innere des Schlachthauses. Es wirkte wie eine jener bräunlichen Sepia-Fotografien aus der Kaiserzeit. Der Raum war riesig. Mehrere Blocks lang. Und er war durch halbhohe Mauern in Bereiche für die verschiedenen Tierarten unterteilt. Einige dieser Sektionen waren von Firmen gemietet, deren Namen auf Schildern standen, die an Ketten herabhingen: R. J. Hessen, Jinks-Escher. Da die Trennwände nicht sehr hoch waren, konnte man alles ziemlich gut einsehen.

Auf der rechten Seite bemerkte Kraus Dutzende von schweren Hackblöcken der Firma Plussgart & Sohn, auf denen scharfe Beile lagen und Federn, die von den Reinigungsleuten übersehen worden waren. Das verriet, dass hier offenbar Geflügel geschlachtet wurde. Links von ihm hatten die Gebrüder Görtner einen erheblich größeren Abschnitt gemietet, mit Rampen und Schwingtoren, durch die offenbar kleine Huftiere getrieben wurden. Auf sie warteten Reihen von hölzernen »Wiegen«, die sie bewegungsunfähig machten, so dass man ihnen einen kurzen Schlag auf den Schädel geben konnte. An der Wand stand eine Reihe von Spießen und eisernen Hämmern. An der Decke liefen lange, stählerne Schienen entlang, an denen zahlreiche Haken hingen, mit welchen die betäubten und gebundenen Tiere offenbar an den Beinen hochgezogen wurden; dann wurden sie weitergefahren, um den Gnadenstoß zu erhalten. Die Messer, mit denen man ihnen die Kehlen durchschnitt, hingen in glänzenden Reihen daneben. In die Schieferböden waren vergitterte Ablaufrillen eingelassen. Weiter hinten in den Bereichen, wo die Tiere gehäutet und das Fett herausgelöst wurde, gab es enorme Bottiche auf Schienen, die offenbar eine einfache Entsorgung gewährleisteten.

Es ging hier zu wie am Fließband.

Kraus blieb stehen und lauschte. Was war das? Hatte es irgendwo weiter vorne gerade gekracht? Oder war es nur das Klirren der Haken im Wind gewesen? Dann hörte er es erneut. Am anderen Ende des Gebäudes; es war ein Knall, wie Donner. Konnte das alles bedeuten, dass nur der Sturm wieder auffrischte? Er lief schneller, wobei er darauf achtete, kein Geräusch zu verursachen, doch dann schoben sich Wolken vor den Mond und zwangen ihn, sich durch die Dunkelheit voranzutasten. Jetzt jedoch hatte Kraus keinen Zweifel mehr, denn irgendetwas vor ihm machte einen Riesenlärm. Der Krach wuchs ständig an Intensität, während er sich der Quelle näherte, bis plötzlich ein grauenvoller Schrei gellte, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. So etwas hatte er seit seiner Zeit auf dem Schlachtfeld nicht mehr gehört.

Mein Gott!

Er blieb stehen, alle Sinne angespannt, und hörte eine ganze Ewigkeit nichts. Dann ... rasche Schritte. Eine Tür, die zufiel. Ein Motor, der draußen startete. Ein Lastwagen? Der Motor heulte auf, wurde lauter, bis das Fahrzeug auf der Gasse vor dem Schlachthaus vorbeifuhr und dann um den Block herum verschwand.

Kraus’ Herz hämmerte wie wild, als er voranstürmte, ohne darauf zu achten, ob er Lärm machte. Als er am anderen Ende des Gebäudes anlangte, waren seine Schultern so angespannt, dass er das Gefühl hatte, er hätte eine Kugel abbekommen. Dort hing immer noch das Schild mit dem Namen Kleist-Rosenthaler, wie er mit einem Frösteln registrierte.

Zuerst roch er es nur. Scharf und stechend. Dann, nachdem er sich verzweifelt umgesehen hatte, bemerkte er es: ein riesiges, fast machetenartiges Hackbeil, von dem immer noch dampfendes Blut tropfte. Und zu seinen Füßen lief am Rand des Bodens Blut in eine Abflussrinne. Seine Augen folgten dem Weg des Rinnsals, bis er ungläubig erstarrte. Zwei Hände schwangen nur Zentimeter über dem Boden, die Finger nach unten gerichtet.

Er blickte hoch.

Freksa hing dort mit dem Kopf nach unten. Sein blondes Haar wehte über einer Pfütze von Blut, seine Augen waren weit aufgerissen, und die Zunge quoll aus seinem Mund. Er baumelte da wie ein Stück Vieh, an zwei Haken, praktisch in zwei Teile zerhackt.