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Ein paar Seemeilen von der adriatischen Küste landeinwärts begannen die Hügel, zu Bergen anzuwachsen. Dieser Rand der Svilaja Planina war auch die Grenze des Bezirks, der sich weiter hinauf in das richtige Hochland zog und für dessen Frieden der Zhupan Iwan Subitsch verantwortlich war. Doch seine Burg stand nicht nahe der Mitte des Landes, sondern bei Skradin, gar nicht weit von Schibenik. Das lag teils daran, daß das Dorf die größte Gemeinde in der Zhupe war, teils daran, daß er im Notfall schnell Hilfe aus der Stadt bekommen konnte. Im allgemeinen gab es jedoch wenig Gefahren; ein großer Teil des Landes bestand aus Wildnis, und die Einwohner waren friedlich. Das war in der Tat eine völlig andere Welt als die an der Küste mit ihren Schiffen und Städten und dem Blick auf den Westen. Hier hatte man die alten Sitten und die alten Dinge bewahrt.
Vater Tomislav schien sie zu verkörpern, als er durch Skradin wanderte. Er stapfte schneller einher, als man es bei einem so wohlbeleibten Mann erwartet hätte. Sein Eichenstock würde eine beängstigende Waffe abgeben, sollte er je angegriffen werden. Die Soutane, die er über staubigen alten Stiefeln hochgeschürzt hatte, war von gröbster Beiderwand, verblichen und gestopft. Der Rosenkranz, der ihm mit pendelndem Kruzifix von der Seite hing, hatte hölzerne, von einem Bauern geschnitzte Perlen. Auch sein Gesicht war bäuerlich, breit, rundnasig, wettergegerbt, mit kleinen, zwinkernden braunen Augen über hohen Wangenknochen. Sein graues Haar war schütter, aber ein mächtiger, angegrauter Bart wallte ihm über die Brust bis beinahe auf den Bauch. Seine Hände waren groß und schwielig.
Während er die Straße hinunterging, wurde er von vielen Leuten gegrüßt. Er antwortete mit dröhnender Stimme, außer wenn ein Kind so nahe an ihn heransprang, daß er ihm die Locken zausen konnte. Ein paar Bewohner riefen ihm Fragen zu. Hatte er etwas über die Fremden erfahren, waren sie gefährlich, hatte ihre Ankunft eine besondere Bedeutung? »Ihr werdet es zur rechten Zeit hören, zu Gottes rechter Zeit«, erwiderte er ihnen, ohne den Schritt anzuhalten. »Inzwischen fürchtet euch nicht. Wir haben wackere Heilige, die sich um uns kümmern.«
Vor der Burg teilte eine Schildwache ihm mit: »Der Zhupan hat gesagt, er wolle Euch in der Falkenkammer empfangen.« Tomislav niccte und hastete weiter über das Kopfsteinpflaster des Hofs in den Hauptturm. Diese Burg war eine kleine Festung, aus gelbbraunem Kalkstein erbaut, der vor mehr als hundert Jahren in einem nahe gelegenen Steinbruch gebrochen worden war. Sie hatte keine Glasfenster, keine richtigen Kamine und keinerlei modernen Komfort. Am Nordende konnte sie sich eines Wachturms rühmen, unter dessen Dach sich ein Raum befand, von dem aus die Männer weit über die Landschaft hinwegblicken konnten. Manchmal ließen sie von dort ihre Falken fliegen. Es war auch ein geeigneter Ort, um ungestört unter vier Augen zu reden.
Tomislav stieg bis nach oben und lehnte sich, während er noch pustete, hinaus und betrachtete den Ausblick. Unter ihm herrschte wie immer reges Leben. Diener, Handwerker, Hunde, Federvieh, Stimmen, Schritte, Klappern von Metall, Geruch nach Rauch und Dung und Brot im Backofen. Dahinter reiften die Getreidefelder der Ernte entgegen und wogten unter einer Brise, die ein paar weiße Wolken über den blauen Himmel segeln ließ. Vögel füllten die Lüfte, Tauben, Krähen, Drosseln und Lerchen. Am südlichen Horizont bildete der Urwald eine grüne Mauer, die von dem See nichts als einen Schimmer sehen ließ.
Tomislavs Blick wanderte den Krka entlang, der an Skradin vorbei-floß und in jenes Wasser mündete. Eine Meile außerhalb des Dorfes wuchsen ein paar Apfelbäume neben dem Fluß. Sie waren umzäunt, damit die Schweine die abgefallenen und die Jungen die noch angewachsenen Früchte nicht nahmen. Tomislav sah den Helm und die Lanzenspitze eines Reiters neben dem Zaun aufblitzen. Weitere Wachen umgaben den ganzen Obstgarten. Unter seinen Zweigen saßen die Fremden als Gefangene.
Schritte auf der Treppe veranlaßten den Priester, sich umzudrehen. Der Zhupan trat ein – ein hochgewachsener Mann mit zerklüfteten Zügen. Die Narbe eines Schwertstreichs verzerrte seinen Mund und zog sich über die linke Wange. Sein von Weiß durchschossenes schwarzes Haar war schulterlang, der Bart jedoch kurz gestutzt. Seine Tracht bestand wie üblich aus einer gestickten Bluse, in die Halbstiefel gesteckten Hosen und einem Dolch im Gürtel. Schmuck trug er nicht.
»Gott gebe Euch einen guten Tag«, grüßte Tomislav und schlug das Kreuz. Dasselbe hätte er zu dem bescheidensten alten Weiblein gesagt.
»Das mag auch von Euch abhängen«, gab Iwan Subitsch trocken zurück.
Tomislav konnte sich ein Stirnrunzeln nicht ganz verkneifen, als Vater Petar, der Burgkaplan, hinter dem Zhupan eintrat. Das war ein hagerer Mann, der selten lächelte. Die Priester tauschten ein steifes Nicken aus.
»Nun, habt Ihr eine nützliche Nachricht für uns?« fragte Iwan.
Tomislav antwortete zögernder, als es seine Gewohnheit war. »Vielleicht – vielleicht auch nicht. Mein Verstand reicht nicht aus, diese Sache auf einmal zu begreifen.«
»Das ist kaum eine Überraschung«, fuhr Petar dazwischen. »Mein Sohn, ich habe Euch gewarnt, es sei nichts als Zeitverschwendung, nach einem zu schicken, der ... der eine tief im Wald gelegene Gemeinde betreut. Nichts für ungut, Tomislav. Ich hoffe, Ihr werdet mir beipflichten, daß diese Angelegenheit von gelehrten Doktoren untersucht werden muß, daß der Ban oder vielleicht des Königs eigene Regenten eine Entscheidung fällen sollten.«
»Wir würden nicht allzubald von ihnen hören«, sagte Iwan. »Inzwischen haben wir mehr als hundert fremdartige Ankömmlinge zu bewachen und zu füttern. Es belastet uns, sie zu ernähren, ganz zu schweigen davon, daß ihre Anwesenheit Unbehagen unter dem Volk hervorruft.«
»Was habt Ihr aus Schibenik erfahren?« erkundigte sich Tomislav.
Iwan zuckte die Schultern. »Was ich Euch schon gestern, als Ihr ankamt, in Kürze mitgeteilt habe. Das sinkende Wrack eines ausländischen Schiffes; Tote von dieser Rasse und von Menschen, die Italiener – höchstwahrscheinlich Venetianer – zu sein scheinen, die sie angegriffen haben müssen. Soviel haben die Leute des Satnik herausbekommen. Klugerweise hat er Vorsichtsmaßnahmen getroffen, daß sich die Kunde nicht ausbreitet. Die Leichen wurden insgeheim beerdigt, die Soldaten erhielten strengen Befehl, niemandem etwas zu sagen. Trotzdem werden Gerüchte entstehen, aber wir hoffen, sie werden nichts als Gerüchte bleiben und nach einer Weile absterben.«
»Ausgenommen hier«, brummte Petar und fuhr mit den Fingern durch seinen blonden Bart. Seine andere Hand ließ die Perlen des Rosenkranzes klappern.
»Ja. Nun, nach und von Skradin gibt es nicht viel Verkehr«, meinte Iwan. »Ich habe eine Bitte um Hilfe abgesandt – nach Lebensmitteln und Verstärkung – , habe aber bisher noch keine Antwort erhalten. Zweifellos hat der Satnik bereits einen Brief an Ban Pawel unterwegs, in dem er um Instruktionen nachfragt, und wird vorsichtig sein mit dem, was er tut, bis er sie hat. Das läßt die ganze Bürde auf meinen Schultern, weshalb ich an Rat suche, was ich bekommen kann.«
»Ganz gleich, von wem?« schalt Petar.
Tomislav wurde ärgerlich, faßte seinen Stock fester und grollte zurück: »Welchen Rat hättet Ihr denn zu geben?«
»Am sichersten ist es, sie zu töten«, erklärte Petar. »Sie mögen menschlich sein oder auch nicht, aber Christen sind sie ganz bestimmt nicht – weder Katholiken nach dem westlichen Ritus, obwohl dieser eine unter ihnen Latein kann, noch unseres Glaubens. Sie sind auch keine orthodoxen Schismatiker, sie gehören nicht der Gefolgschaft des verabscheuungswürdigen Häretikers Bogomil an, ja, nicht einmal Juden oder Heiden sind sie.« Seine Stimme stieg in die Höhe; zwischen den kühlen Steinmauern schwitzte er. »Nackt, schamlos; es wurde beobachtet, daß sie hemmungslos kopulieren ... selbst die schlimmsten Heiden haben doch einigen Anstand, kennen eine Art von Ehe ... Und nichts, das einem Gebet, einem Opfer, einem Akt der Anbetung ähnelt, hat man bei ihnen festgestellt.«
»Sollte das wahr sein ...« – Tomislav sprach mit milder Stimme –»... nun, dann wäre es die schwerste aller Sünden, sie zu erschlagen, wenn wir sie statt dessen zu Gott führen könnten.«
»Das können wir nicht«, verteidigte Petar seinen Standpunkt. »Es sind Tiere, sie haben keine Seelen, oder sie sind etwas noch Schlimmeres, stammen aus der Hölle selbst.«
»Das bleibt abzuwarten«, unterbrach Iwan.
Petar umklammerte das Handgelenk des Zhupan. »Herr ... mein Sohn ... mein Sohn, sollen wir die Gefahr der Verdammung auf uns nehmen, die sie über uns bringen könnten? Die Heilige glagolitische Kirche wird bereits belagert – vom Papst, der unser liebender Vater sein sollte, von den Orthodoxen Serbiens und des Reichs, von den vom Satan inspirierten Bogomils ...«
»Genug!« Iwan riß sich los. »Ich habe Vater Tomislav aus guten Gründen gebeten, herzukommen und sich diese Wesen anzusehen. Muß ich sie Euch wiederholen? Ich kenne ihn von altersher als einen Mann, der auf seine Art weise ist. Auch ist er kein Ignoramus, er hat in Zadar studiert und später dem dortigen Bischof gedient. Was nun Teufelswerk und Hexenkunst betrifft, so lebt er unter Menschen, die darüber mehr wissen als wir. Er selbst wurde davon berührt, als ...«
Hier nahm Tomislavs Gesicht einen Ausdruck an, der den Krieger seine Rede abbrechen und lahm mit den Worten beenden ließ: »Habt Ihr denn etwas entdeckt?«
Der bäuerliche Priester stand einen Augenblick schweigend da und kämpfte seine Gefühle nieder, bevor er antwortete. Dann sprach er langsam und ruhig. »Es mag sein. Als Petar feststellte, daß ihr Anführer ein bißchen Latein spricht, hat er ihn völlig falsch behandelt. Der Mann ist stolz, er leidet an seinen Wunden, er ist krank aus Angst um sein Volk. Fährt man ihn an wie einen Sklaven, beschimpft man ihn wegen ihres Verhaltens, das keinem Schaden tut außer vielleicht ihnen selbst ... was meint Ihr, wie er darauf antworten wird? Selbstverständlich hat er Petar den Rücken gekehrt. Besser habt Ihr uns vertreten, Zhupan, als Ihr Euren Feldscher zu ihnen schicktet, damit er ihre Wunden behandle.«
»Doch dann habt Ihr freundlich mit dem Häuptling gesprochen«, fiel Iwan ein. »Was hat er Euch erzählt?«
»Bisher noch wenig. Ich bin jedoch überzeugt, das deutet nicht auf einen Mangel an Bereitwilligkeit hin. Sein Latein ist dürftig und hat einen schauderhaften Akzent.« Tomislav lachte vor sich hin. »Ich gestehe, mein eigenes hat Rost angesetzt, was die Sache nicht gerade förderte. Außerdem ist der eine für den anderen ein völlig fremdes Wesen. Wieviel kann da in ein paar Stunden erklärt werden?
Er teilte mir mit, sie seien nicht als Feinde, sondern auf der Suche nach einer neuen Heimat hergekommen, die sie unter dem Wasser finden wollen.«
Diese Nachricht rief weniger Überraschung hervor, als man hätte meinen können, denn das Aussehen des Seevolks hatte sofort zu Spekulationen geführt. »Sie wurden aus ihrem Wohnsitz im fernen Norden vertrieben. Ich konnte nicht erfahren, wie oder warum. Er gibt zu, daß sie keine Christen sind, doch was sie statt dessen sind, ist für mich immer noch ein Geheimnis. Er versprach, wenn wir sie gehen ließen, würden sie das Wasser aufsuchen und niemals zurückkehren.«
»Lügen sind billig«, bemerkte Petar.
»Glaubt Ihr, er hat die Wahrheit gesprochen?« fragte Iwan. Tomislav nickte. »Das glaube ich. Natürlich kann ich es nicht auf meinen Eid nehmen.« -
»Habt Ihr irgendeine Vorstellung von ihrer Natur?«
Tomislav bedachte den Himmel draußen mit einem Stirnrunzeln. »Hm-m-m ... vielleicht eine oder zwei Ahnungen. Sie stützen sich auf gewisse Dinge, die meine Herde weiß oder glaubt, auf das, was ich gelesen oder anderswo gehört habe, und auf meine eigene ... meine eigene Erfahrung. Höchstwahrscheinlich irre ich mich.«
»Gehören sie der sterblichen Welt an?«
»Sie können getötet werden, ebenso wie wir.«
»Danach habe ich nicht gefragt, Tomislav.«
Der Priester seufzte. »Ich vermute, daß sie nicht aus Adams Samen stammen.« Hastig setzte er hinzu: »Das bedeutet nicht, sie seien böse. Denkt an die Leschi, Domovoi, Poleviki und ähnliche harmlose Geister – nun, manchmal sind sie ein bißchen boshaft, aber manchmal erweisen sie sich armen Menschen auch als gute Freunde ...«
»Doch andererseits«, sagte Petar, »denkt an die Viljai.«
»Seid ruhig!« rief Iwan in aufflammendem Zorn. »Ich will Euer Unheilkrächzen nicht mehr hören, verstanden? Ich kann auch den Bischof bitten, mir einen anderen Beichtvater zu schicken.«
Er wandte sich wieder Tomislav zu. »Es tut mir leid, alter Freund.«
»Ich ... bin nicht ... so zart besaitet«, brachte der Priester aus dem Wald mühsam hervor. »Es scheint zu stimmen, daß sich in den letzten Jahren eine Vilja in meiner Nachbarschaft bemerkbar gemacht hat. Gott verzeihe den Lästermäulern.«
Er straffte die Schultern. »Meiner Meinung nach täten wir am besten daran – sowohl um unseretwillen als auch im Angesicht Gottes – , diese Leute gehenzulassen. Laßt sie zurück ans Meer bringen, unter Bewachung, wenn Ihr wollt, aber schafft sie weg und sagt ihnen Lebewohl.«
»Das wage ich nicht, es sei denn, ich erhalte von einem Höheren den Befehl dazu«, entgegnete Iwan. »Und selbst wenn ich könnte, würde ich es nicht wollen, bis wir ganz sicher sind, daß daraus kein Unheil entstehen wird.«
»Ich weiß«, sagte Tomislav. »Nun, dann ist hier mein Rat: Haltet sie
als Gefangene, aber behandelt sie freundlich. Und laßt ihren An füllte! mit zu mir nach Hause kommen, damit wir uns besser kennenlernen.« »Was?« zeterte Petar. »Seid Ihr wahnsinnig?«
Iwan selbst erschrak. »Ihr seid zumindest tollkühn«, bemerkte er. »Der Kerl ist groß. Wenn er sich erholt hat, könnte er Euch in Stücke reißen.«
»Ich glaube kaum, daß er es versuchen wird«, antwortete Tomislav leise. »Und schlimmstenfalls, was kann er anderes töten als mein Fleisch, woraufhin meine Pfarrkinder ihn niederstechen werden? Ich habe seit langem jede Angst davor verloren, von diesem Leben Abschied zu nehmen.«
Tomislavs Gemeinde war ein Dörfchen mit weniger als hundert Seelen, dessen Familien nahe verwandt miteinander waren. Es lag eine volle Tagesreise von Skradin entfernt, an einem Weg, der sich erst nördlich, dann westlich durch die Wälder um den See wand, obwohl dieses Wasser nie in Sicht kam. Hier hatten Menschen einmal um einen Windbruch Land gerodet und sich niedergelassen, um von Ackerbau, Holzfällen, Kohlenbrennen, Jagen und Fallenstellen zu leben. Sie bearbeiteten den Boden gemeinsam, wie sie es getan hätten, wären sie freie Bauern gewesen. Die meisten von ihnen waren eigentlich Leibeigene, aber das machte kaum einen Unterschied, denn die Edelleute von Hrvatska waren selten Unterdrücker oder Ausbeuter, und niemand hatte den Wunsch davonzuziehen.
Die Siedlung wurde von einer Doppelreihe inmitten der Felder gebildet. Bäume, die man stehengelassen hatte, spendeten Schatten. Die Häuser, aus Holz gebaut, einen oder zwei Räume enthaltend, mit Stroh gedeckt, standen auf Pfählen. Laufbretter führten von den Ställen zu den Wohnräumen. Der Weg zwischen den Gebäuden war matschig, wenn er nicht staubig war, und dick voller Kot. Doch niemand wurde von üblen Gerüchen belästigt; die duftenden grünen Fernen sogen sie auf. Die Bewohner machten sich auch nicht viel aus den Fliegen im Sommer. Hinter jedem Haus war ein Küchengarten angelegt.
Kleine Scheunen mit Lattenwänden standen umher, auf dünnen Stämmchen errichtet, deren Wurzeln vogelähnliche Füße abgaben, wie auf Baba Yagas berühmtem Wohnsitz. Ein paar Schuppen enthielten Werkzeuge und andere notwendige Geräte. Zweirädrige Karren wurden, wenn nicht gebraucht, auf die Seite gefahren; sie waren bunt gestrichen. An einem Ende des Weges war eine kleine Werkstatt, am anderen Ende die Kapelle, kaum größer, ebenfalls mit einfallsreichen Mustern bemalt. Die Schindeln ihres Dachs bauchten sich zu einer Zwiebelkuppel aus, auf der sich das Kreuz erhob. Eine Mühle hatte das Dorf nicht, aber Fundamente und die zerbröckelten Überreste eines Erdwalls zeigten, daß es früher einmal eine gegeben hatte.
Nirgendwo erstreckten sich Felder und Wiesen weiter, als das Auge reichte. Der Wald umgab sie alle. An einigen Stellen war er weit weg, an anderen kam er nahe heran, aber überall brütete er, die Kronen im Sonnenlicht, doch darunter voller Schatten. Die meisten Bäume waren Eichen oder Buchen, dazwischen verschiedene andere Arten. Das Unterholz wuchs dicht.
Auf mancherlei Art erinnerte die Siedlung Vanimen an Alsen. Im Laufe der Zeit merkte er, wie oberflächlich diese Ähnlichkeit war.
Die Reise nach hier, auf einem geliehenen Esel, war eine Tortur gewesen. Doch sobald er einmal in Tomislavs Haus war, ein Bett zum Ausruhen und reichliches, gutes Essen hatte, wurde der Wassermann schneller gesund, als es bei einem Menschen der Fall gewesen wäre. Ein zweites Geschenk des Feenreichs war die Schnelligkeit, mit der er die hrvatskanische Sprache lernte. Es dauerte nicht lange, und er und der Priester konnten richtige Gespräche führen, die von Tag zu Tag weniger stockend waren. Nachdem die Dorfbewohner die Furcht vor ihm verloren hatten, lernte er auch sie und einiges über ihr Leben kennen.
Er saß zusammen mit Tomislav auf einer Bank vor dem Haus, unter den langen Dachbalken. Es war Sonntag, der Tag, an dem die Menschen von ihrer Arbeit ausruhten. Der Priester hatte bei der Ernte ebenso schwer gearbeitet wie alle anderen; Vanimen, jetzt wieder gesund, hatte seine Kraft zur Verfügung gestellt, die groß, wenn auch ungeschult war.
Der Sommer ging in den Herbst über. Die Blätter zeigten ein blasseres Grün als zuvor, ein paar waren bereits braun, rot und golden. Auch der Himmel war bleich geworden, und darüber zogen Gänse hin, deren Schreie wortlose Sehnsüchte erweckten. Als die Sonne unter die Baumwipfel sank, wurde der bisher kühle Wind kalt. Die meisten Leute saßen müßig zu Hause. Diejenigen, die vorbeikamen, grüßten Tomislav und seinen Gast. Der Anblick war ihnen vertraut geworden. Gekleidet wie die übrigen, abgesehen von seinen bloßen Füßen, hätten man Vanimen beinahe für einen Menschen von mächtiger Statur halten können.
Die beiden tranken Bier aus Holzschalen und waren ein wenig beschwipst. »Ihr seid von der guten Art«, bemerkte der Wassermann. »Ich wollte, ich könnte Euch helfen, besser zu leben.«
»Ein solcher Wunsch bestärkt mich in meinem Glauben, daß Ihr Gottes Gnade gewinnen könntet, wenn Ihr nur wolltet«, fiel Tomislav eifrig ein.
Als Vanimens eigenes Mißtrauen verblaßt war, hatte er offen gesprochen. Der Priester milderte die Geschichte ab, als er sie in einem Bericht niederlegte, den er Iwan durch einen Jungen schickte. »Ich will ihn nicht belügen, aber ich will auch nicht ohne Not die Feindseligkeit gegen Euch verschärfen«, hatte er erklärt.
Tomislav seinerseits hatte versucht, Vanimen auseinanderzusetzen, welche Art Land dies war. Hrvatska teilte die Monarchie mit Ungarn. Von der Natur reich beschenkt, mit zahlreichen Seehäfen für den Handel mit dem Ausland, war es selbst ein bedeutendes Reich. Es wäre noch bedeutender gewesen, hätten die großen Clans nicht ständig im Streit miteinander gelegen, was manchmal zu regelrechten Kriegen führte. Ach, und dann zogen Ausländer, vor allem die verdammenswerten Venetianer, ihren Vorteil aus dem Chaos und besetzten, was nicht ihnen gehörte. Im Augenblick herrschte Frieden. Ein Bündnis zwischen dem Subitsch- und dem Frankapan-Clan hatte eine starke Regierung erzeugt. Am mächtigsten war der Graf von Bribir Pawel Subitsch, der die Stellung eines Ban, eine Provinzherrschers, gewonnen hatte, nur daß seine Provinz heute das ganze Land umfaßte. Iwan war mit ihm verwandt.
An diesem Abend wich Vanimen einem Gespräch über den Glauben aus, indem er sagte: »Arbeit und Armut mögen die Seele reinigen, aber für Körper und Geist sind sie hart. Ihr habt ja nicht einmal eine richtige Haushälterin.« Es kamen abwechselnd Frauen für die Arbeit, aber keine hatte dafür viel an Zeit oder Kraft übrig. Oft mußte der Priester selbst kochen – was er recht gut konnte, denn er hatte Vergnügen am Essen – und saubermachen. Den Garten und das Bierbrauen besorgte er immer allein.
»Ich brauche keine, wirklich nicht. Meine Bedürfnisse sind einfach. Ich bekomme meinen Anteil an Vergnügungen. Wartet, bis wir Erntedankfest feiern.« Tomislav hielt inne. »Mein irdisches Los ist tatsächlich in mancher Beziehung leichter geworden, seit meine arme Frau dahingegangen ist. Sie war lange krank und hilflos und brauchte meine Pflege.« Er bekreuzigte sich. »Gott rief sie, zu ihm zu kommen und geheilt zu werden. Ich bin sicher, daß sie im Himmel ist.«
Erstaunt erkundigte sich Vanimen: »Ihr wart verheiratet? Ich weiß, daß die Kirchenmänner es früher waren, zumindest im Norden, aber seit Generationen hatte ich dergleichen nicht mehr gehört.«
»Wir sind zwar Katholiken, aber von der glagolitischen Observanz, die nicht die Roms ist. Obwohl es den Päpsten immer mißfallen hat, haben sie doch unsere Bräuche nicht direkt verboten.«
Vanimen schüttelte den Kopf. »Ich werde nie begreifen, warum ihr Menschen euch wegen solcher Schneckenhaus-Angelegenheiten streitet – wie ihr es tun mögt, wenn ihr doch währenddessen die Welt genießen könntet.« Er merkte, daß sein Gastgeber einen Disput lieber vermeiden wollte, und fuhr fort: »Aber erzählt mir noch, wenn es Euch gefällig ist, von Eurer Vergangenheit. Bisher habe ich nur Bruchstücke davon gehört.«
»Da gibt es nichts zu erzählen«, antwortete Tomislav. »Ein ganz gewöhnliches, voranstolperndes sterbliches Leben. Es kann Euch nicht interessieren, der Ihr jahrhundertelang Wunder erlebt habt, die über mein Vorstellungsvermögen hinausgehen.«
»Oh doch, es würde mich interessieren«, widersprach Vanimen »Ihr seid für mich ebenso fremdartig wie ich für Euch. Wolltet Ihr mir einen flüchtigen Blick in Euer Inneres gewähren, sähe ich vielleicht – nun, nicht nur, wie der Stamm Adams die Erde bewohnt, sondern auch warum ...«
»Ihr werdet vielleicht erkennen, was Gottes Absichten sind!« rief Tomislav aus. »Ha, diese Möglichkeit ist es wert, daß ich mein Herz vor Euch entblöße.
Nicht, daß ich viel zu enthüllen hätte. Fragt, was Ihr wollt, ich werde Euch antworten.« Seine Stimme war leiser geworden. Sein Blick schweifte in die Ferne, über das Dach auf der anderen Seite des Weges, über die Bäume und den Himmel – zurück zu den verlorenen Jahren, dachte Vanimen. Ab und zu nahm er einen Schluck Bier, aber nicht wie sonst mit dem richtigen Genuß. Das tat nur sein Körper, um die Kehle feucht zu halten.
»Ich wurde als Leibeigener geboren, aber nicht hier, sondern in Skradin, ,im Schatten der Burg', wie die Redensart lautet. Mein Vater war dort Reitknecht. Der derzeitige Kaplan hielt mich für würdig, Unterricht im Lesen und Schreiben zu bekommen. Als ich das richtige Alter erreicht hatte – vierzehn Jahre – , empfahl er mich dem Bischof.
So ging ich nach Zadar, um für die heiligen Weihen zu studieren. Das war wahrlich harte Arbeit, sowohl für das Fleisch als auch für den Geist. Trotzdem, es war eine Stadt voller Leben, Menschen von jenseits jeden Horizonts, weltliche Waren, weltliche Vergnügungen. Ich gestehe, für eine Weile ließ ich mich davon einfangen. Danach bereute ich, und ich wage zu glauben, daß mir vergeben worden ist, und vielleicht habe ich dadurch ein wenig Verständnis für meine Mitgeschöpfe gewonnen.
Doch mit der Reue erwachte die Sehnsucht nach dem Land meiner Geburt, nach den einfachen Sitten, nach meiner eigenen Art von Leuten. Mehrere Jahre lang wurde in keinem Pastorat dieser Gegend eine Stelle frei. In dieser Zeit war ich Famulus des Bischofs.
Ich wandelte die Lust in den Wunsch nach einer gesetzmäßigen Ehe und traf Maßnahmen, eine Frau aus diesem Teil des Landes zu heiraten. Das war, bevor ich die Weihen erhielt, was mehr auf meinen eigenen Wunsch als auf die kanonischen Vorschriften zurückzuführen war. Ah, wie reizend war meine Sina in ihrer Jugend!
Doch schon bald wurde sie von Traurigkeit befallen. Anfangs mag das auf ihre neue Umgebung zurückzuführen gewesen sein. Menschenmengen, Lärm, Feilschen, Intrigen, Ruhelosigkeit, ständiger Wechsel – all das ängstigte sie und lastete auf ihrer Seele. Außerdem verloren wir zwei Kinder durch Krankheit. Die drei, die am Leben blieben, waren für sie ein geringerer Trost als für mich oder als ich es für sie hoffte.
Schließlich erhielt ich diese Kirche. Der Bischof brummte, weil er mich ziehen lassen mußte, aber er gab nach, als ich ihm klarmachte, was es für Sina bedeuten würde.
Doch es nutzte nichts. Weitere Kinder starben oder wurden tot geboren. Und was schlimmer war, unseren drei heranwachsenden Kindern gefiel das Leben hier ebensowenig, wie Sina die Stadt gefallen hatte. Sie vermißten die Außenwelt, sie fingen Streit an, wurden aufsässig. Meine Ordination hatte meine ganze Familie von der Leibeigenschaft befreit. Deshalb waren sie durch kein Gesetz an Ort und Stelle gebunden. Einer nach dem anderen, sobald sie alt genug dazu waren, verleugnete uns und ging davon.
Zuerst ging Franjo zur See. Nach ein paar Fahrten wurde von seinem Schiff nie wieder etwas gehört. Es mag gesunken, es mag Piraten oder Sklavenjägern zum Opfer gefallen sein. Vielleicht ist mein Sohn in diesem Augenblick ein Eunuche in irgendeinem türkischen Harem. Kyrie eleison.
Später lief Juraj, unser jüngerer Sohn, davon. Er ist in Split und arbeitet für einen venetianischen Verwalter – für Venedig, den alten Feind. Ich höre über ihn von Zeit zu Zeit durch die Freundlichkeit eines Händlers, den ich kenne. Aber nie gibt er mir selbst Nachricht. Kyrie eleison.
Vielleicht könnt Ihr Euch vorstellen, wie das Sinas Herz zerriß, das zu verhärten ihr nie gelang. Ein paar Jahre, nachdem sie ihr letztes Kind geboren hatte, zog sie sich in völliges Schweigen zurück, bewegte sich kaum noch ... lag nur im Bett, mit leeren Augen. Obwohl ich weinte, als sie vor zehn Jahren starb, wußte ich, daß es Gottes Gnade war. Und unsere kleine Tochter war damals noch am Leben, war für sie noch am Leben.«
Tomislav schüttelte sich. Er stieß ein Lachen aus. »Ihr müßt mich für ganz durchtränkt von Selbstmitleid halten«, sagte er, als er in die Wirklichkeit des Abends zurückgefunden hatte. »Doch so ist es nicht, ganz und gar nicht. Gott gibt mir so manchen Trost: Sich selbst, den grünen Wald, Musik, Feste, Freunde, das Vertrauen meiner Herde und, ja, die Liebe der kleinen Kinder ...«
Er starrte in seine Schale. »Sie ist leer«, verkündete er. »Eure auch. Ich will neues Bier vom Faß holen. Vor der Vesper haben wir noch Zeit.«
Als er zurückkehrte, bemerkte Vanimen vorsichtig: »Auch ich habe Kinder verloren.« Er setzte nicht hinzu, daß er sie auf ewig verloren hatte. »Ihr erwähntet ein Mädchen, das spät kam. Sagt mir doch, ist sie ebenfalls gestorben?«
»Ja.« Tomislav ließ sich auf die Bank plumpsen. »Sie war ein schönes Mädchen.«
»Was ist geschehen?«
»Niemand weiß es. Sie ertrank im See, wo sie spazierenging. Vielleicht stolperte sie, schlug mit dem Kopf an eine Wurzel. Dies eine Mal kann es nicht die Schuld des Vodianoi sein, denn nach vielen Tagen der Suche fanden wir ihren Körper auf dem Wasser treiben ...«
... aufgedunsen und stinkend, wie Vanimen wußte.
»Ich habe sie nicht bei ihrer Mutter und den anderen begraben lassen«, berichtete Tomislav. »Ich habe den Sarg nach Schibenik gebracht.«
»Warum?«
»Oh, ich dachte mir – oh, vielleicht würde die Erde ihr leichter wer-
den – ich war benommen, versteht Ihr. Der Zhupan half mir, daß ich die Erlaubnis bekam.«
Als wolle er Vanimen angreifen, rückte Tomislav nahe an ihn heran und fuhr fort: »Ich habe Euch gleich gesagt, es würde keine sehr interessante Geschichte werden. Außerdem habt Ihr noch eigenen Kummer zu überwinden.«
Vanimens Verstand arbeitete methodischer als bei den meisten Meerleuten, aber er konnte einen Gesprächsgegenstand oder eine Stimmung so schnell wechseln, wie es wünschenswert war. »Aye, ich sorge mich um meinen ganzen Stamm«, antwortete er. »Ich hätte gern mit Euch darüber gesprochen.«
»Ihr habt das mit Worten getan ...« – Tomislav versuchte zu lächeln – ,,... die beißend wurden.«
»Nur um mich zu beklagen, daß sie immer noch eingepfercht sind, und wie ich höre, hat man die Frauen und Kinder von den Männern getrennt.«
»Nun, ihr Benehmen war unschicklich. Das Gerede darüber wurde zu einer Bedrohung der öffentlichen Moral, behauptete Petar.«
»Wie lange soll das noch so weitergehen?« Vanimen schlug sich mit der Faust auf den Schenkel. »Immerzu sehe, fühle, höre, rieche, schmecke ich ihr Elend in der Unfreiheit.«
»Ich habe es Euch doch erklärt«, sagte Tomislav. »Der Ban hat entschieden, daß sie festgehalten und ordentlich versorgt werden sollen, bis er umfassende Informationen über sie hat. Ich glaube, dieser Zeitpunkt ist nahe. Ihr und ich, wir haben viel voneinander gelernt. Jetzt, wo Ihr die hrvatskanische Sprache beherrscht, könnt Ihr selbst mit ihm sprechen. Er wünscht sich das.«
Der Liri-König schüttelte den Kopf. »Wann? Ich habe erfahren, daß er vielbeschäftigt ist, im Reich herumreist, vielleicht Wochen hintereinander abwesend ist. Inzwischen ist jeder Tag für meine Leute eine stille Qual. Euer Baron glaubt vielleicht, daß er sie gut ernährt, aber mein eigener Magen sagt mir, daß die Nahrung aus zuviel Getreide und Milch und aus nicht genügend Fisch besteht. Sie werden krank werden – auch aus Mangel an Wasser. Zweifellos bekommen sie reichlich zu trinken, aber wann konnten sie das letzte Mal schwimmen, wann waren sie das letzte Mal auf dem Meeresgrund, eine Lebensweise, für die die Natur sie geschaffen hat? Ihr habt mir erlaubt, mich in dem Bach hier zu erfrischen, und trotzdem fühle ich, wie mein Fleisch langsam austrocknet.«
Tomislav nickte. »Ich weiß, Vanimen, mein Freund. Und was ich nicht weiß, kann ich erraten. Aber was können wir tun?«
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte der Wassermann, lebhafter als zuvor. »Ein kurzes Stück von hier entfernt ist ein See. Laßt uns dort frei. Natürlich zu einer bestimmten Zeit immer nur einen Teil von uns; die übrigen bleiben als Geiseln da und warten, bis sie an die Reihe kommen. Der See ist nicht so gut wie das Meer, aber er wird uns erhalten, er wird uns von einem Leben erlösen, das halber Tod ist.
Außerdem habe ich gehört, daß niemand in dem See fischt. Wir könnten und würden es tun. Wir würden gemeinsam ausschwärmen und reiche Beute machen und sie mit euch Menschen teilen. Damit wären die Kosten für unsere Unterhaltung mehr als wettgemacht. Würde das Eurem Baron nicht gefallen?«
Tomislav runzelte die Stirn. »Vielleicht, wenn der See nicht verflucht wäre.«
»Wie das?«
»Ein Vodianoi lauert dort, ein Wasserungeheuer. Er raubte die Netze aus, die die Fischer legten. Als sie ihn mit Booten voller Bewaffneter jagten, konnten ihre Waffen ihn nicht verwunden. Die Boote kenterten, und tapfere Burschen, die nicht schwimmen konnten, ertranken. Einmal wollten die Leute hier eine Mühle errichten, damit sie mit ihrem Korn nicht bis nach Skradin mußten. Als die Mühle beinahe fertig war, kam der Vodianoi flußaufwärts und wälzte sich im Mühlenteich. So groß war das Entsetzen, daß die Leute zerstörten, was sie erbaut hatten, damit er nur ja in den See zurückkehrte.«
Vanimen zwang sich zu der Frage: »Warum hat ihn kein Priester wie Ihr gebannt?«
»Das wollte das Volk nicht haben. Kirche und Adel halten es für das beste, auf seine Wünsche Rücksicht zu nehmen. Ein Exorzismus würde alle Wesen der Halbwelt aus dieser Gegend vertreiben, und von einigen glaubt man, daß sie Glück bringen. Da ist es noch besser, den See nicht nutzen zu können und manchmal im Urwald von den Leschi einen Schabernack gespielt zu bekommen, als keinen Polevik mehr zu haben, der die Ernte vor Mehltau bewahrt, keinen Domovoi als Hausgeist, der über das Wohl der Bewohner wacht, keine Kikimora, die die Laune anwandeln mag, einer Frau zu helfen, die unter ihrer Arbeitslast zusammenbricht ...« Tomislav seufzte. »Das ist heidnisch, ja, aber harmlos. Es berührt den wahren Glauben der Leute nicht und hilft ihnen, ein Leben zu ertragen, das oft voller Kummer und Sorge ist. Die Bogomils haben überall, wo ihre Sekte die Vorherrschaft hat, mit diesen alten Bräuchen aufgeräumt. Aber die Bogomils sind ohne Freude, sie hassen diese Welt, die Gott für uns so schön gemacht hat.«
Nach einem oder zwei Atemzügen setzte Tomislav beinahe flüsternd hinzu: »Ja, was im Wasser und im wilden Wald spukt, kann auch
schön sein ...«
Vanimen hörte es kaum. Er sprang auf die Füße und hob eine Faust gegen den Abendstern, und die Worte sprudelten aus ihm hervor.
»Aber das ist ja etwas, wobei wir euch helfen können, wir Meerleute! Eine Gelegenheit, unsern guten Willen zu beweisen! Ich selbst will die Gruppe anführen, die das Ungeheuer vertreiben wird!«