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Der Bischof von Viborg bekam Magnus Gregersen als neuen Erzdiakon. Dieser Mann war gelehrter als die meisten; er hatte in Paris studiert, und er war aufrecht und fromm. Aber die Leute fanden ihn zu streng und sagten, sie sähen ihn ebenso ungern kommen – ihn mit seiner langen, dünnen Gestalt und seinem langen, sauren Gesicht – , wie Nie jede andere schwarze Krähe in ihren Feldern sähen. Der Bischof meinte, ein Mann wie dieser werde gebraucht, denn in den Jahren des Aufruhrs, der nach König Waldemars des Siegreichen Tod Dänemark verwüstete, war Laschheit eingerissen.
Auf seinem Ritt entlang der östlichen Küste von Jütland, die er als kirchlicher Profos unternahm, kam Magnus auch nach Alsen, womit nicht die Insel, sondern ein Dörfchen gleichen Namens gemeint ist. Es war arm und einsam, hatte tiefe Wälder hinter sich und die Sümpfe von Kongerslev im Norden. Nur zwei Straßen führten dorthin, eine über den Strand und die andere, die sich in südwestlicher Richtung auf Hadsund zuwand. Jedes Jahr im September und Oktober schlossen sich die Fischer des Dorfes den Hunderten an, die im Sund ihre Netze auswarfen, wenn der Hering zog. Ansonsten sahen die Bewohner wenig von der Außenwelt. Sie zogen ihre Netze durch das Wasser und bestellten ihre mageren Äcker, und sie starben an der Erschöpfung und legten ihre Gebeine hinter der kleinen Holzkirche zur Ruhe. In Orten wie diesen wurden immer noch viele alte Bräuche befolgt. Magnus hielt sie für heidnisch und beklagte, daß es kein einfaches Mittel gab, mit ihnen aufzuräumen.
So wuchs sein fehlgeleiteter Eifer auf das Doppelte, als er gewisse Gerüchte über Alsen hörte. Niemand dort wollte ihm sagen, was seit jenem Tag vor vierzehn Jahren geschehen sei, als Agnete aus dem Meer zurückkam. Magnus nahm sich den Priester allein vor und verlangte von ihm strengen Tones, die Wahrheit zu erfahren. Vater Knud war ein nachsichtiger Mann, in einer dieser winzigen Katen geboren, und er hatte lange Zeit ein Auge vor dem zugedrückt, was er für geringfügige Sünden hielt, die seiner Herde in ihrem harten Leben ein wenig Freude brachten. Aber nun war er alt und schwach geworden, und Magnus hatte die ganze Geschichte bald aus ihm herausgeholt.
Als der Profos nach Viborg zurückkehrte, lohte heiliges Feuer aus seinen Augen. Er ging zum Bischof und erklärte: »Mein Herr, bei meiner Runde durch Eure Diözese habe ich beklagenswert viele Zeichen von Teufelswerk gefunden. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, auf ihn selbst zu stoßen – oder, anders ausgedrückt, auf ein ganzes Nest der übelsten, gefährlichsten seiner Dämonen. Und das fand ich in dem Stranddorf Alsen.«
»Was meint Ihr?« fragte der Bischof scharf, denn auch er fürchtete eine Rückkehr der alten Zaubergötter.
»Ich meine, daß sich vor der Küste eine Stadt des Seevolks befindet!«
Der Bischof entspannte sich. »Wie interessant«, meinte er. »Ich wußte gar nicht, daß in dänischen Gewässern noch welche übrig sind. Das sind keine Teufel, mein guter Magnus. Sie ermangeln der Seelen, ja, wie alle anderen Tiere auch. Aber sie bringen das Seelenheil der Menschen nicht in Gefahr, wie es zum Beispiel die Bewohner eines Elfenhügels tun können. Tatsächlich wollen sie nur selten etwas mit Adams Stamm zu tun haben.«
»Diese sind anders, mein Herr«, antwortete der Erzdiakon. »Hört zu, was ich erfahren habe. Vor zweiundzwanzig Jahren lebte in der Nähe von Alsen eine Jungfrau namens Agnete Einarstochter. Ihr Vater war ein Freisasse, nach Meinung seiner Nachbarn recht wohlhabend, und sie war sehr schön, und folglich hätte sie eine gute Heirat machen können. Aber eines Abends, als sie allein am Strand spazierenging, kam ein Wassermann ans Ufer und warb um sie. Er brachte sie dazu, mit ihm zu gehen, und sie lebte acht Jahre in Sünde und Gottlosigkeit unter dem Wasser.
Dann geschah es, daß sie ihr jüngstes Kind hinauf auf eine Schäre brachte, damit es Sonnenlicht trinken könne. Das war in Hörweite der Kirchenglocken, und während sie dasaß und die Wiege schaukelte, begannen sie zu läuten. Heimweh – wenn nicht Reue – erwachte in ihr. Sie ging zu dem Wassermann und bat ihn, ihr Urlaub zu geben, damit sie wieder einmal das Wort Gottes hören könne. Unwillig gab er seine Zustimmung und brachte sie ans Ufer. Doch vorher ließ er sie schwören, drei Dinge nicht zu tun: Ihr langes Haar nicht herabzulassen, als ob sie unverheiratet sei; sich nicht zu ihrer Mutter in den Kirchenstuhl der Familie zu setzen und sich nicht zu verneigen, wenn der Priester den Allerhöchsten nannte. Aber sie tat alle diese Dinge: das erste aus Stolz, das zweite aus Liebe, das dritte aus Ehrfurcht. Da nahm die göttliche Gnade ihr die Schuppen von den Augen, und sie blieb an Land.
Danach kam der Wassermann sie suchen. Es war wieder ein heiliger Tag, und er fand sie bei der Messe. Als er die Kirche betrat, drehten die Bilder und Statuen die Gesichter zur Wand. Keiner der Versammelten wagte es, die Hand gegen ihn zu erheben, er war so groß und stark. Er bat Agnete inständig, zu ihm zurückzukehren, und es hätte gut sein können, daß er sie zum zweiten Mal überredete. Denn diese Rasse ist nicht abstoßend und hat keine Fischschwänze, mein Herr. Abgesehen davon, daß sie breite Füße mit Schwimmhäuten und große, schräg stehende Augen haben und die Männer unter ihnen bartlos sind und einige grünes oder blaues Haar besitzen, sehen sie im großen und ganzen doch wie schöne Menschen aus. Seine eigenen Locken waren so golden wie ihre. Und er drohte ihr nicht, er sprach mit ihr voll Liebe und Kummer.
Doch Gott verlieh Agnete Kraft. Sie weigerte sich, mit ihm zu gehen, und er kehrte ins Meer zurück.
Ihr Vater verfügte über genug Klugheit und Geld für die Mitgift, daß er sie ins Inland verheiratete. Man sagt, sie sei nie wieder fröhlich gewesen, und es dauerte nicht mehr lange, da starb sie.«
»Wenn es ein christlicher Tod war«, warf der Bischof ein, »verstehe ich nicht, wieso ein bleibender Schaden angerichtet worden sein soll.«
»Aber das Seevolk ist immer noch da, mein Herr!« rief der Profos. »Die Fischer sehen sie oft, wie sie sich lachend in den Wellen tummeln. Soll da ein Mensch, der sich mühsam das Nötigste zum Leben verdient, der in einer armseligen Hütte mit einer häßlichen Frau wohnt, nicht unzufrieden werden, soll er nicht vielleicht sogar Gottes Gerechtigkeit in Frage stellen? Und wann wird ein anderer Wassermann ein andere Jungfrau verführen, dieses Mal für immer? Das wird um so wahrscheinlicher jetzt, da die Kinder Agnetes und ihres Liebhabers erwachsen sind. Es ist ihnen fast schon zur Gewohnheit geworden, an Land zu kommen, sie haben Freundschaft mit einigen Knaben und jungen Männern geschlossen – und mehr als Freundschaft, so hörte ich erzählen, mit einigen Mädchen.
Mein Herr, das ist Satanswerk! Wenn wir Seelen verlorengehen lassen, die unserer Obhut anvertraut sind, wie sollen wir uns beim Jüngsten Gericht verantworten?«
Der Bischof runzelte die Stirn und rieb sich das Kinn. »Ihr habt recht. Aber was sollen wir machen? Wenn die Bewohner von Alsen bereits tun, was verboten ist, wird ein weiterer Bann sie kaum davon abbringen. Ich kenne dieses hartschädelige Fischervolk. Und wenn wir uns vom König Ritter und Soldaten erbitten, wie sollen diese auf dem Meeresgrund kämpfen?«
Magnus hob einen Finger. Es flammte aus ihm heraus: »Mein Herr, ich habe derlei Dinge studiert, und ich kenne das Heilmittel. Diese Meeresbewohner mögen keine Dämonen sein, aber die Seelenlosen fliehen immer vor dem Wort Gottes, wenn es ihnen in der richtigen Weise auferlegt wird. Habe ich Eure Erlaubnis, einen Exorzismus durchzuführen?«
»Ihr habt sie«, antwortete der Bischof erschüttert, »und dazu meinen Segen.«
So kam es, daß Magnus nach Alsen zurückkehrte. Mehr Bewaffnete als üblich klirrten hinter ihm her, für den Fall, daß die Dorfleute Ärger machen würden. Diese sahen zu – einige voller Neugierde, einige verdrossen, ein paar unter Tränen – , als der Erzdiakon sich an eine Stelle oberhalb der Unterwasserstadt hinausrudern ließ. Und da verfluchte er mit Glocke, Buch und Kerze feierlich das Seevolk und befahl ihm in Gottes Namen, für immer zu verschwinden.