23
Gordon Ho blinzelte. Hinter ihm stand Pohaku, der mich anfunkelte.
»Es stoppen?« wiederholte er. »Projekt Sonnenfeuer stoppen? Warum? Ich gebe zu, ich hielt es tatsächlich für gefährlich. Aber es gibt Gefahren, und dann gibt es Gefahren, wenn Sie wissen, was ich meine.« Er deutete aus dem Fenster auf die Konzern-Kampfhubschrauber am Himmel.
Ich seufzte. »Vielleicht hätte ich Ihnen schon früher davon erzählen sollen«, sagte ich. Dann faßte ich das, was Wanzen-Bubi mir erzählt hatte, so kurz und bündig wie möglich zusammen.
Ho blieb während meines Berichts ruhig, stellte nicht einmal eine Frage. Aber er verstand, was ich ihm sagte, das konnte ich an der Art und Weise sehen, wie sich seine Augen verengten und seine Gesichtszüge verhärteten. Schließlich, nachdem ich etwa fünf Minuten lang geredet hatte, schloß ich: »So, wie ich es sehe, werden Ihre Kahunas vom Projekt Sonnenfeuer einen Haufen mehr bekommen als das, was sie bestellt haben.«
Der ehemalige König Kamehameha V. nickte nachdenklich. »Falls Sie glauben, daß Ihnen ein Insektenschamane die Wahrheit sagt«, bemerkte er zögernd.
Ich zuckte unbehaglich die Achseln. Das war der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte, oder? Glaubte ich Wanzen-Bubi? »Eigentlich habe ich kaum eine andere Wahl.«
Ho sah weg, als wolle er meinem Blick nicht begegnen. Ich wußte, was jetzt kam. »Ich verstehe, Dirk«, sagte er leise. »Wirklich. Aber...«
»Sie ist nicht Ihre Schwester«, sagte ich mit einer Stimme, die sogar in meinen Ohren kalt und düster klang.
Der Ex-König zuckte die Achseln. »Ich verstehe Ihre Besorgnis«, fuhr er fort, meinem Blick immer noch ausweichend. »Aber ich muß an mehr als eine Person denken. Die ganze Nation...«
»Wird von diesen ›Wesenheiten‹ zur Schnecke gemacht werden«, unterbrach ich ihn scharf. »Falls Wan-zen-Bubi die Wahrheit sagt. Drek, vielleicht lügt er wie gedruckt. Aber ich weiß es nicht und Sie auch nicht.« Ich beugte mich vor. »Sie haben recht, Sie müssen an Ihr Volk denken - an Ihr ganzes Volk. Sind Sie gewillt, es solch einem Risiko auszusetzen?«
Da fixierte mich Ho mit seinem Blick, und wieder spürte ich die immense Kraft seines Willens, seiner Persönlichkeit, die ich bereits erfahren hatte, als ich ihm im Thronsaal des Iolani-Palasts zum erstenmal begegnet war. »Sie vertreten Ihren Standpunkt sehr gut, Dirk«, sagte er gelassen. »Aber bin ich gewillt, es dem Risiko auszusetzen, das die Konzerne darstellen? Ich weiß, daß dieses Risiko existiert. Das, wovon Sie reden...«
»Ist nicht unmittelbar, das stimmt«, sagte ich. »Drek, vielleicht ist es nicht einmal real. Aber zwischen den beiden gibt es einen verdammt großen Unterschied, e Ku'u lani. Mit Megakonzernen kann man verhandeln...«
Ho mußte lächeln, »...und mit böswilligen ›We-senheiten‹ nicht. Zugegeben.« Er seufzte. »Falls Ihnen mal irgend jemand erzählt, er wäre gerne Staatsoberhaupt...«
»Dann sage ich ihm, er weiß nicht, wovon, zum Teufel, er redet«, beendete ich den Satz für ihn. »Also, wie wird Ihre Entscheidung ausfallen, e Ku'u lani?« Auf meiner Brust lag ein tonnenschwerer Druck, als greife eine eiskalte Faust in meinen Hals und versuche mir die Lunge von innen nach außen zu kehren. Ich fürchtete, ich wußte, in welche Richtung der Zug fahren würde. Drek, ich an seiner Stelle würde vermutlich ebenso entscheiden. Welche Bedrohung würde eine vernünftige Person als wichtiger betrachten? Eine, die jeder mit zwei Augen erkennen konnte? Oder eine, die ausschließlich auf der Aussage eines seelenverschlingenden Insektenschamanen beruhte?
Ja, ich glaubte zu wissen, wie sich Gordon Ho entscheiden würde, entscheiden mußte. Und was, zum Teufel, würde ich dann tun?
Ich wäre fast von meinem Sessel aufgesprungen, als eine andere Stimme meinen Gedankengang unterbrach. »Der Insekten-Kahuna hat die Wahrheit gesagt.«
Wie zwei Marionetten an denselben Fäden flogen Hos und mein Kopf herum, um Akaku'akanene anzustarren. Die vogelknochige Frau saß immer noch in ihrem Lotus und starrte ins Leere. Nach allem, was sie bisher an Reaktion gezeigt hatte - oder auch jetzt zeigte -, hätte ich geschworen, daß sie zu sehr darin vertieft war, mit Gänsen zu reden, als daß sie auch nur ein Wort von dem, was wir gesagt hatten, mitbekommen haben konnte.
Gordon Ho beugte sich vor, und sein Blick bohrte sich förmlich in sie. »Sag das noch mal«, befahl er. Seine Stimme war leise, aber es war trotzdem ein Befehl.
In diesem Augenblick richtete Akaku'akanene ihren Blick tatsächlich auf ihren Herrscher. »Der Insekten-Kahuna hat die Wahrheit gesagt«, wiederholte sie gelassen. »Nach bestem Wissen und Gewissen.«
»›Nach bestem Wissen und Gewissem? Was soll das heißen?« hakte Ho nach.
Die Neneschamanin zuckte ihre hageren Schultern. »Er hat die Wahrheit gesagt, wie er sie sieht«, erläuterte sie fast beiläufig. »Er hat keine Tatsachen verdreht oder Dinge verschwiegen. Er hat nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit gesagt. Das hat mir Nene verraten.«
»Aber er könnte sich irren«, setzte Ho nach.
»Gewiß«, gab Akaku'akanene bereitwillig zu. »Aber er glaubt das nicht.«
Der Ex-König verfiel in Schweigen, und ich konnte seinen Verstand fast arbeiten hören. Ungebeten produzierte mein Gedächtnis ein Bild von Theresa - von ihren glasigen, starren Augen. Alles in mir schrie danach, jedes Argument, das mir einfiel, vorzubringen, um Akaku'akanenes Sicht der Dinge zu unterstützen. Aber ich wußte, daß das der größte Fehler gewesen wäre, den ich im Moment begehen konnte. Ho mußte seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen. Es war eines der schwierigsten Dinge, die ich je getan habe, aber irgendwie schaffte ich es, den Mund zu halten.
»Was glaubst du, Makuahine?« fragte er nach einer Zeitspanne, die mir wie eine Ewigkeit vorkam.
»Du weißt, was ich glaube, e Ku'u lani«, sagte die alte Frau achselzuckend. »Was ich immer gedacht habe und was ich dir immer gesagt habe. Du hast es vergessen, nicht wahr?«
Gordon Ho lächelte ein wenig schief. »Nein, Makuahine, ich habe es nicht vergessen.« Er wandte sich an mich. »Was wollen Sie in dieser Sache unternehmen, Dirk?«
Ich wollte mich in meinen Sessel zurücksinken lassen und einfach die Erleichterung genießen, die mich überkam. Aber dafür war später noch Zeit. »Das Projekt Sonnenfeuer stoppen«, sagte ich kategorisch.
Zu meiner rechten hörte ich einen Ausruf von Po-haku, den dieser jedoch rasch unterdrückte. Ho wandte sich an den Leibwächter und hob fragend eine Augenbraue. »Sie haben etwas zu sagen, Pohaku?« fragte er trocken.
Der Leibwächter schluckte sichtlich. »Nein, e Ku'u lani«, sagte er fest. »Ich... Nein. Kala mai ia'u, verzeihen Sie meine Unhöflichkeit.«
Ich warf dem Leibwächter einen scharfen Blick zu. Von wegen, du hast nichts zu sagen, dachte ich.
Der Ex-Ali'i redete weiter, und ich wandte mich von Pohaku ab. »Projekt Sonnenfeuer stoppen«, wiederholte er mit einem schiefen Grinsen. »Das klingt so einfach. Aber wie, Dirk? Ich bin nicht mehr Ali'i, vergessen Sie das nicht. Und die Regierungsfraktion, der die direkte Kontrolle über Projekt Sonnenfeuer untersteht, ist dieselbe Fraktion, die für meine Absetzung gesorgt hat. Irgendwie glaube ich nicht, daß sie sich einem Dekret fügen werden, das Projekt zu beenden, oder was meinen Sie?«
»Sagen Sie es ihnen nicht nur. Tun Sie es.«
»Und was schlagen Sie vor, wie ich das schaffen soll?«
Ich schluckte hart. Wir wußten alle, daß es darauf hinauslaufen würde, oder? »Schicken Sie mich«, sagte ich. »Bei allen verdammten Geistern, ich werde das Projekt stoppen.«
Er fixierte mich mit seinen stechenden, dunklen Augen. »Wie, Dirk?«
»Das spielt keine Rolle, oder?« konterte ich schroff. (Übersetzung - ich habe nicht die leiseste Ahnung...) »Geben Sie mir nur ein paar Leute und etwas Ausrüstung, und bringen Sie mich hin. Den Rest erledige ich.«
Hos Blick ruhte unverrückbar auf mir, und ich fühlte mich, als würden sich seine Augen tief in mein Gehirn brennen. »Sie haben Ihre Gründe dafür...«, sagte er zögernd.
»Du auch, e Ku'u lani«, warf Akaku'akanene ein.
Der Augenblick dehnte sich, bis ich kurz davor stand zu schreien. Doch dann nickte der Ex-Ali'i einmal. Er schien zu schrumpfen, als sei er - nur für einen Moment - einfach nur Gordon Ho und nicht König Kame-hameha V. »Wissen Sie, Dirk«, sagte er leise, »abgesehen von Akaku'akanene sind Sie der einzige, der mich wie eine Person behandelt und nicht wie ein König. Sie sagen mir, was Sie glauben, und es ist Ihnen egal, ob ich Ihrer Meinung bin oder nicht. Haben Sie eine Ahnung, wie erfrischend das ist?«
Er seufzte, und seine Miene veränderte sich. König Kamehameha V. löste Gordon Ho wieder ab. »Was brauchen Sie?« fragte er mich.
Wenn Hos Möglichkeiten durch seine Absetzung eingeschränkt worden waren, bin ich nicht sicher, ob ich wissen wollte, wie allumfassend sie zuvor gewesen waren. Mit Ausnahme Jacques Barnards hatte ich es noch nie mit jemandem zu tun gehabt, der einen Militärtransporter, persönliche Ausrüstung und Personal mit einem einzigen Anruf herbeipfeifen konnte. (Es war schon komisch - Ho entschuldigte sich lang und breit dafür, daß er nur einen Militärtransporter zur Verfügung stellen konnte und sich das angebotene Personal auf Louis Pohaku, Alana Kono, Akaku'akanene... und ein Taktisches Einsatzteam im SWAT-Stil beschränkte. Nur! Ich glaub's einfach nicht.)
Wir - Pohaku, Akaku'akanene und ich - fuhren mit dem Fahrstuhl nach unten. Der Ex-Ali'i hatte uns mit einem weiteren Anruf einen Wagen besorgt - einen Toyota Elite, wie sich herausstellte, der im Licht des unterirdischen Parkhauses wie polierter Stahl glänzte. Meine Begleitung und ich stiegen ein - Alana Kono wartete bereits im Wagen auf uns -, und schon brausten wir in westlicher Richtung über halb verlassene Straßen.
Es war nicht gerade das, was man als kameradschaftliche Fahrt bezeichnen würde. Akaku'akanene redete wieder mit den Gänsen und starrte ins Leere wie ein Chiphead. Alana Kono sah aus, als sei sie vielleicht zu einem freundlichen Gespräch bereit... hätte ihr Boß, Pohaku, nicht seine beste Imitation der genervten Statue zum besten gegeben. Also seufzte ich nur, machte es mir in den Polstern so bequem wie möglich, versuchte mich zu entspannen... und versuchte mir darüber klarzuwerden, in was, zum Teufel, ich mich wieder hineingeritten hatte.
Als wir auf den Kamehameha Highway fuhren und dann weiter nach Westen in Richtung Flughafen, fragte ich mich nebenbei, wie es wohl wäre, von jemandem abzustammen, nach dem sie verdammte Autobahnen benannten.
Der Flughafen rauschte an uns vorbei. Ich war weiß Gott kein Experte, was die Honoluluer Geographie betraf, aber ich erkannte einen Flughafen, wenn ich einen mit 200 Stundenkilometern an mir vorbeirasen sah. Ich beugte mich vor und hämmerte gegen die Trennscheibe aus Kevlarplex. »Hey, Mann!« schrie ich den Fahrer an. »Du hast die verdammte Abzweigung verpaßt« - ich zögerte einen Augenblick - »oder nicht?«
Pohakus Eisenhand auf meiner Schulter zog mich zurück. Er grinste mich höhnisch an und stellte fest: »Glauben Sie etwa, wir fahren zum zivilen Flughafen... e Ku'u haku?« Sein Tonfall verwandelte die Respektbezeugung in ein übles Schimpfwort.
»Wohin darin?« stellte ich die Gegenfrage, in die ich so viel Sarkasmus legte, wie ich spontan erzeugen konnte.
Pohaku machte sich nicht einmal die Mühe zu antworten. Statt dessen wandte er sich ab und sah ostentativ aus dem Fenster des Elite.
Alana Kono berührte meinen Arm und warf mir ein leicht verlegenes Grinsen zu. Offenbar war sie endlich zu dem Schluß gekommen, daß nichts an ihrem Job da-gegensprach, sich hin und wieder doch wie ein menschliches Wesen zu benehmen. »Zum Kaiao-Flugplatz, Mr. Dirk«, erklärte sie leise. »Die ehemalige Luftwaffen-basis Hickham.«
Ich lehnte mich zurück und versuchte so zu tun, als sei ich ebenso unbesorgt wie Akaku'akanene. Aber es war nicht leicht. Glaubte Gordon Ho tatsächlich, daß er noch Einfluß auf das Militär hatte?
Nach wenigen Minuten wurde der Elite langsamer, und wir fuhren eine langgezogene Linkskurve und kamen auf eine kleinere Verbindungsstraße. Ein paar hundert Meter rechts von uns konnte ich die Flutlichtmasten und Warnschilder eines militärischen Sperrgebiets sehen. Vor uns lag...
Nun, nichts, was ich sehen konnte. Alles war pech-schwarz... offenbar bis zum Horizont. Die einzige Lichtquelle waren die Scheinwerfer des Toyota Schließlich, nach einer weiteren Minute, erfaßten diese Scheinwerfer einen soliden Kettenzaun, dessen Abschluß obenauf haarfeine Linien aus gebrochenem Licht bildeten, die ich als Monofaserdraht identifizierte Auf einem Schild am Zaun stand, »Lahui Mea Ki'ai o Hawai'i«. Das sagte mir im wesentlichen nichts, bis ich die Übersetzung in kleinen Buchstaben darunter sah: »Nationalgarde Hawai'i.«
Der Elite hielt vor dem massiven Tor an. Uniformierte Wachen stürzten aus einem gepanzerten Wachhäuschen, dann salutierten sie plötzlich vor dem Wagen oder auch allem anderen, das sich zufällig in ihrem Blickfeld befand - und stürzten wieder in ihr Häuschen zurück. Das Tor öffnete sich lautlos, und der Elite beschleunigte hindurch.
Wir fuhren auf die Rollbahn einer kleinen Basis, bogen dann scharf links ab und hielten schließlich vor etwas, das wie ein Verwaltungsgebäude aussah. Ein uniformierter Unteroffizier - ein Troll, der mir zu geleckt aussah -öffnete die Tür der Limousine und salutierte wie aus dem Lehrbuch, als ich ausstieg. »Willkommen, Sir!« bellte er fast. »Wenn Sie mir bitte folgen würden...«
Glauben Sie mir - ich habe noch nie zu diesen Härtefällen gehört, die glauben, Glück sei, eine warme Kanone zu haben, aber...
Bei Gott, es fühlte sich gut an, die Hände um etwas mit ein wenig mehr Autorität als eine Pistole zu legen, das kann ich Ihnen sagen, Chummer. Der geleckte Troll herrschte über ein Arsenal, bei dem sich ein NRA-Heini in die Jeans gemacht hätte. Im wesentlichen hatte ich mir aussuchen können, was ich an Waffen und Rüstung aus der ausgedehnten Sammlung der Nationalgarde von Hawai'i haben wollte. Vollständiger Körperpanzer? Welche Größe, Hoa? Panther Sturmkanone? Mit oder ohne Smartverbindung, Sir?
Verstehen Sie mich nicht falsch - ich rastete nicht etwa aus. Es gibt Leute dort draußen, die glauben, daß sie von Natur aus fähig sind, mit jeder militärischen Hardware umzugehen. Aktive Kampfanzüge? Einmann-Mi-nikanonen? Immer her damit!
Ich nicht. Drek, ich weiß noch ganz genau, wie sehr mein Gleichgewichtssinn darunter litt, als ich während meiner Ausbildung auf der Lone-Star-Akademie zum erstenmal eine schwere Sicherheitsrüstung anprobierte. Ich hätte mich fast auf die Nase gelegt, als ich aufzustehen versuchte. Jeder Verkäufer, der Ihnen sagt: »Jeder kann jede Art von Rüstung tragen, und zwar direkt aus dem Regal«, redet dummes Zeug, glauben Sie mir.
Also verbannte ich meine Ängste in die Tiefen meines Unterbewußtseins und zügelte meine plötzlichen Eingebungen. Keine schwere Sicherheitsrüstung und auch keine Minikanonen für mich. Ich suchte mir einen netten, vertrauten paßgenauen Körperpanzer der Klasse 3 aus und - okay, vielleicht übernahm ich mich damit ein wenig - ein Äres-Hochgeschwindigkeits-Sturmgewehr. Gewissermaßen als Nachschlag suchte ich mir noch eine nette Kampfweste aus - im wesentlichen ein Geschirr mit dem einzigen Zweck, darin eine obszöne Anzahl von Reserve-Magazinen unterzubringen -, dann war ich fertig.
Als ich aus der Waffenkammer kam, warteten meine ›Truppen‹ bereits auf mich: Pohaku, Kono und acht hart aussehende Militär-Typen.
Schön, okay, offenbar waren es nicht meine Truppen. Als ich unter der Last der tödlichen Artillerie und in dem Gefühl, wie eine billige Kopie von Slade dem Heckenschützen auszusehen, ins Freie stolperte, würdigten sie mich keines Blickes. Statt dessen schien sich ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf Pohaku zu konzentrieren. Einen Augenblick lang erwog ich, mich darüber zu beschweren, aber dann siegte doch mein gesunder Menschenverstand über die Überdosis Testosteron, die die Waffenkammer in mir freigesetzt zu haben schien. Was, zum Teufel, wußte ich schon von Truppenführung? Einen Drek, das wußte ich. Also war es besser das jemandem zu überlassen, der sich zumindest für qualifiziert hielt.
Pohakus Miene verriet mir, daß er meinen Standpunkt teilte. Er nahm sich die Zeit, mir ein gemeines höhmisches Grinsen zuzuwerfen, dann wandte er sich an meine ›Truppen‹ und schnauzte: »E hele!« Das Kommando setzte sich im Laufschritt in Bewegung wobei Pohaku die Nachhut bildete. Kono war ebenfalls dort, und sie bedachte mich mit einem, wie ich fand mitfühlenden Lächeln. Aber dann rannte sie auch schon hinter der Kampfeinheit her.
Akaku'akanene lief nicht los, sondern wartete auf mich. Die Schamanin hatte weder Rüstung angelegt noch sich bewaffnet. Offensichtlich war sie mit ihrem formlosen Sack von einem Kleid zufrieden. Sie drehte sich zu mir um und bedachte mich mit einem Zahnlücken-Grinsen.
Prächtig. Moralische Unterstützung von jemandem der sich mit Gänsen unterhielt. Ich drehte mich um und trabte hinter den kleiner werdenden Gestalten der Militär-Typen her.
Es ging auf das Rollfeld, und dort sah ich mein Kontingent in eine Merlin steigen, einem Senkrechtstarter mit Kipprotoren, der nach denselben Prinzipien gebaut ist wie ein Federated-Boeing Commuter, aber wesentlich kleiner ist. Ich warf einen Blick über die Schultet Akaku'akanene hatte die Nachhut übernommen, aber ihr eigenes gemütliches Tempo angeschlagen. Die Merlin heizte bereits die Triebwerke auf, und ich erwog, irgend etwas zu brüllen, um die alte Schachtel auf Trab zu bringen...
Und dann erstarrte ich. Nicht meine Idee - jeder gottverdammte Muskel in meinem Körper verkrampfte sich augenblicklich. Ich schwankte einen Moment lang auf einem Bein und verlor dann das Gleichgewicht, während der Belag des Rollfelds auf mein Gesicht zu-schwang.
In diesem Augenblick lösten sich meine Muskeln wieder aus der Starre, und ich fing mich mit jenen übertriebenen, rudernden Bewegungen, die man von Zirkusclowns erwartet. Leise vor mich hin fluchend, schaute ich mich um. Ich wußte, was ich sehen würde.
Und dort war er, wie erwartet. Quirin Harlech, oder wie, zum Teufel, er hieß. Er war in Schatten gehüllt... obwohl der Abschnitt des Rollfelds, auf dem er stand, gut beleuchtet war. Er trug irgendeine militärische Uniform, die aber schon ein paar Jahrzehnte aus der Mode war. Wäre sein Grinsen noch etwas breiter gewesen, hätte er seine beiden Spitzohren verschluckt, während er mir entgegenstolzierte.
Ich sah mich kurz um. Akaku'akanene war ein paar Meter hinter mir und sah wütender aus als eine nasse Katze. Sie war mitten im Schritt erstarrt und balancierte auf den Zehen eines Fußes und auf der Ferse des anderen. Sie konnte noch atmen, aber sie hatte keine feinmotorische Kontrolle mehr über Kehle und Mund - das wußte ich, weil ihre Versuche, zu fluchen und zu toben, wie »Aaaaah, aaaaahhhh!« klangen.
Quinn Harlech trat noch einen Schritt näher, und ich versuchte instinktiv, mein glänzendes, brandneues Ares-Sturmgewehr auf ihn anzulegen. Kein Glück. Ich konnte immer noch atmen - den Göttern sei Dank für größere Gefälligkeiten -, und ich konnte auch das Gleichgewicht halten, aber ich konnte nicht das Sturmgewehr auf die Brust des Elfs richten. Ich erwog einen Augenblick, ihm den Gewehrkolben durch das Gesicht zu ziehen... und sofort verkrampften sich auch die Muskeln, die ich dafür gebraucht hätte.
»Ist ja schon gut«, knurrte ich. »Was?«
Harlech lächelte, aber es war nicht die selbstsichere Miene, an die ich mich noch von unserer letzten Begeg- nung erinnerte. Wenn überhaupt, sah er wie ein Teenager aus, der seinem Dad zu erklären versucht, wie es kommt, daß er Familie 3220 ZX umgelegt hat. »Gerelan-o té-makkalos-ha, goro«, sagte er. »Entschuldigen Sie meine Dummheit, Mr. Montgomery.« Er schüttelte den Kopf. »Ein Mißverständnis. Es ist lange her« - er runzelte die Stirn -, »sehr lange, daß ich etwas so gründlich mißverstanden habe.«
Ich versuchte wiederum das Sturmgewehr anzulegen. Nicht so sehr, weil ich ihn umlegen wollte, sondern nur, um zu sehen, ob ich es konnte.
Ich konnte nicht.
»Wovon, zum Teufel, redest du, Dreksack?« wollte ich wissen.
Harlech zuckte unbehaglich die Achseln. »Ich habe Sie falsch eingeschätzt, Mr. Montgomery«, sagte er. »Ich hielt Sie für einen destabilisierenden Einfluß. Statt dessen waren sie bemüht, die Lage zu stabilisieren. Ich habe Ihren Platz im zarien mißinterpretiert. Verstehen Sie?«
»Eigentlich nicht«, sagte ich.
»Ich war bemüht, eine Kraft auszuschalten, die das se-curo ja-rine unterstützte«, sagte er sehr ernst. »Das Chaos. Dafür hielt ich Sie. Tatsächlich hätten meine Handlungen das se-curo-ja-rine, das ich verhindern wollte, sehr gut herbeiführen können. Verzeihen Sie mir, goro?«
Ich schüttelte bedächtig den Kopf. »Vielleicht«, sagte ich. »Wenn ich je verstehe, wovon in aller Welt Sie überhaupt reden.«
»Lassen Sie mich helfen, die Dinge ins rechte Lot zu bringen.« Harlech streckte in einer flehentlichen Geste die Hand zu mir aus. »Das kann ich nämlich, müssen Sie wissen. Lassen Sie mich mit Ihnen kommen.«
Und da fing ich an zu lachen. »Sie machen wohl Witze.«
Seine monoklingenscharfen blauen Augen blitzten. »Ich weiß Dinge, die Sie nie wissen werden, Mr. Mont- gomery«, sagte er leise und eindringlich. »Ich kann Dinge vollbringen, die Sie nie werden vollbringen können. Dinge, ohne die Sie keinen Erfolg haben werden.«
»Dann bin ich erledigt, nicht?« konterte ich mit harscher Stimme. »Ich würde lieber einem Moloch den Hintern küssen, als Ihnen zu vertrauen, Dreksack.«
Ich konnte die plötzliche Wut des Elfs wie eine elektrische Ladung in der mich umgebenden Luft spüren. Aber dann spürte ich auch, daß er sie bewußt unterdrückte. »Lassen Sie sich zumindest von mir begleiten«, sagte er in vernünftigem Tonfall, indem er auf die Merlin deutete.
»Zum Teufel mit Ihnen«, sagte ich zu ihm. »Wenn Sie versuchen, den Vogel zu besteigen, lasse ich Sie auf der Stelle erschießen.«
Harlech senkte den Kopf und funkelte mich von unter seinen Brauen her an. In diesem Augenblick empfand ich echte Furcht. »Glauben Sie wirklich, Sie könnten das?« flüsterte er.
Aus dem Augenwinkel sah ich Akaku'akanene, die sich immer noch gegen die magische Kontrolle wehrte, die sie lähmte. »Vielleicht nicht, Quirin«, sagte ich im Plauderton. »Aber was wollen Sie wetten? Wollen Sie Ihr Leben darauf verwetten, daß Sie mich kontrollieren können und die Soldaten in dem Vogel... und dazu noch sie davon abhalten können, Ihnen den Kopf abzureißen?« Ich deutete mit dem Kinn auf die Neneschama-nin. »Wollen Sie darauf wetten, Quirin?«
Die Augen des Elfs verengten sich, und mir drehte sich der Magen um, als ich plötzlich davon überzeugt war, daß er es schaffen konnte. Aber dann hellte sich seine finstere Miene auf, und er zuckte unbeschwert die Achseln. »Ein Punkt für Sie, mein Freund«, sagte er. »Aber Sie werden feststellen, daß es schwierig wird, mich vom Haleakala fernzuhalten. Wir sehen uns wieder.«
Harlech wandte sich ab, und sein altmodischer Tarn- mantel flatterte hinter ihm wie ein verkürzter Umhang. Noch einmal - wenn auch nur der Vollständigkeit halber - versuchte ich mein Sturmgewehr anzulegen.
Diesmal funktionierten meine Muskeln zur Abwechslung. Mein Finger berührte den Abzug, und der Ziellaser leuchtete auf, ein rubinfarbenes Glühwürmchen, das auf Harlechs Rückgrat ruhte...
Und in diesem Augenblick verwandelte er sich in ein prismatisches Flimmern. Einen Moment später war er verschwunden, als habe er nie existiert.
Mit einiger Mühe ließ ich den Abzug los, ein oder zwei Gramm vor dem Druckpunkt. Irgend etwas verriet mir, daß es bestimmt nicht das Klügste war, mitten in der Nacht eine Basis der Nationalgarde von Hawai'i niederzumähen.