17
Licht. Morgen.
Ich lag dort - wo das auch war - eine unmeßbare Zeitlang und starrte einfach zu dem weichen Licht hinauf, das von nirgendwoher zu kommen schien. Wenn dies der Tod war, gefiel er mir irgendwie. Keine Schmerzen, keine Sorgen, keine Ängste. Auch keine richtigen Gedanken und schon gar kein analytisches Wissen um die Zukunft. Ich war nur das ewige, lebende Jetzt und sorgte mich ebensosehr um Vergangenheit und Zukunft wie ein verdammtes Kaninchen. Es war angenehm, und eine ich weiß nicht wie lange Weile ließ ich mich einfach treiben.
Natürlich war dieser Zustand nicht von Dauer - das sind die guten Sachen nie. Viel zu früh wurde ich mir meines Körpers bewußt. Des trägen Pochens meines Herzens. Der langsamen, rhythmischen Tätigkeit meiner Lungen. Der Berührung weicher Laken und einer festen Matratze unter meinem Rücken.
Und des pochenden Schmerzes einer Einstichwunde mitten auf meiner Brust.
Diese Erkenntnis bereitete dem zeitlosen Dahintreiben ein Ende, das kann ich Ihnen sagen, Chummer. Als hätte die Bewußtwerdung des Schmerzes eine Art Schleuse geöffnet, wurde mein Verstand von Erinnerungen an die Vergangenheit und Ängsten vor der Zukunft überflutet. Ich glaube, an dieser Stelle habe ich gewimmert. Jemand hatte mich geschnappt, und zwar glatt und sauber. Die Elfen-Schnalle hatte mich mit ihrem Aussehen und ihrer Körpersprache abgelenkt und mir dann einen Narkosepfeil in die Brust gejagt. Gute Taktik mit viel Voraussicht und Planung. Damit blieben aber immer noch eine Menge wichtiger Fragen offen.
Wer? Und, was noch wichtiger war, warum? Zuerst das »Wer«, entschied ich.
Moko und Kat? Wohl eher nicht, Chummer. Eine schnelle Vorbeifahrt war mehr ihr Stil. (Drek, wäre ich eine Millisekunde langsamer gewesen, hätten sie Erfolg gehabt und ich wäre jetzt tot.) Ryumyo? Wohl eher nicht. Kat und ihre Freunde waren mit einiger Sicherheit auf seinen Befehl hinter mir her. König Kamehameha? Wohl eher nicht. Er hatte mich im Iolani-Palast in den Klauen gehabt und mich ziehen lassen. Harlech, der Elf? Wohl eher nicht, und zwar aus denselben Gründen. Blieb noch ...
Blieb noch die verdammte Yakuza, oder? Die Yaks konnten so brutal und direkt wie jeder andere auch sein, wenn es die Umstände rechtfertigten, aber sie konnten auch ein sauberes, elegantes Ding abziehen, wenn sie wollten. Wie die Sache mit der Elfen-Schnalle und ihrem Armband.
Und das beantwortete das ›Warum‹ nur zu gut. Ich hatte ihren Oyabun umgelegt... oder zumindest war ich in an seinem Tod ziemlich stark beteiligt. Die Yaks hatten schon immer viel von Racheaktionen, Lektionen und unmißverständlichen Botschaften gehalten. Das bedeutete, die Tatsache, daß ich noch lebte, war nicht notwendigerweise beruhigend. Es bedeutete lediglich, daß sie vorhatten, sich für meinen Tod Zeit zu nehmen.
Welche Freude.
Mein Körper entzog sich noch der völligen Kontrolle durch den Verstand, aber schließlich gelang es mir, mich aufzurichten und mich umzusehen. Ich befand mich allem Anschein nach in einem Krankenhaus- oder Klinik-Zimmer. Dafür sprachen zumindest das Elektro-Bett und die antiseptischen weißen Wände. Außer dem Bett gab es keine Möbel - keine Stühle, keinen Nachttisch, nichts, das als Waffe oder Gelegenheit hätte dienen können. Und es gab auch kein Fenster.
Die Tür befand sich rechts von mir und schloß bündig mit der Wand ab. Keine Klinke, nur eine Vertiefung zum drücken, was bedeutete, daß sich die Tür nach außen öffnete. Was wiederum bedeutete, daß der alte Trick, sich hinter der Tür zu verbergen und die erste Person flachzulegen, die einem einen Besuch abstattet, nicht in Frage kam. Natürlich war die Tür verschlossen.
Und das war es, was den Raum betraf. Kein Wandschrank, keine Tür zu einem angrenzenden Raum. Nicht einmal eine Lampe an der Decke, sondern nur die normalen, in die Deckenfliesen eingelassenen Lichtleisten.
Ich warf das Laken zurück, das mich zudeckte. Natürlich war ich nackt. Das überraschte mich nicht. Es war lediglich ein weiterer Zug im vertrauten Sicherheitsspiel. Meine Häscher wußten, wieviel schwerer es ist, heroisch und kreativ zu sein, wenn man nackt ist. Mit einem lautlosen Fluch nahm ich das dünne Bettlaken und wickelte es mir um die Hüften. Besser wie ein Flüchtling von einer Toga-Party aussehen, als meine Unzulänglichkeiten in aller Öffentlichkeit zur Schau zu stellen, dachte ich mir. Dann schlich ich im Raum umher, auf der Suche nach... nun, nach allem, was mir dabei helfen konnte, hier rauszukommen. Ich wußte nicht genau, was das sein konnte, aber wahrscheinlich würde ich es wissen, wenn ich etwas sah.
Meine Häscher ließen mir nicht viel Zeit. Das Klicken eines sich öffnenden Magnetschlosses ließ mich mitten im Herumschleichen erstarren. Ich war an der Wand, die der Tür gegenüberlag, und somit viel zu weit weg, um sie so rechtzeitig zu erreichen, daß ich versuchen konnte, den Helden zu spielen. (Und natürlich hatten meine Häscher das gewußt, da sie mich per Überwachungsmonitor beobachtet hatten, und ihren Auftritt entsprechend geplant.) Ich sammelte das bißchen Würde, das mir noch geblieben war, richtete mich zu voller Größe auf und bereitete mich darauf vor, dem ersten Yak-Soldat, der durch die Tür kam, mit einer gewaltigen Dosis gebieterischen Stinkeblicks zu begegnen.
Aber es war kein Yak-Soldat, der durch die Tür kam. Zumindest nicht das, was ich mir unter einem typischen Yak-Soldaten vorstellte. Sie war Elfe und Polynesierin -dreimal daneben, soweit es die Yaks, die ich kenne, betrifft: männlich, menschlich und japanisch ist mehr ihr Stil. Sie bedachte mich mit einem höflichen, aber kühlen Lächeln und sagte: »Guten Morgen, Mr. Montgomery.«
(Ich seufzte. Was war nur los? Hinz und Kunz kannte meinen Namen...)
Die Elfe sah kompetent und selbstsicher aus. Sie trug keine offensichtlichen Waffen - vernünftig, da es durchaus vorstellbar war, daß ich ihr eine Waffe abnehmen und selbst benutzen konnte -, aber sie wirkte gelassen und bereit, wie eine Expertin in der Kunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Sie trug konservative Konzem-mode - nicht extravagant oder protzig, aber trotzdem ziemlich teuer.
Aus dem Augenwinkel registrierte ich eine Bewegung im Flur vor der Tür. Dort draußen waren zwei weitere Gestalten. Ich sah keine Einzelheiten, aber ich war sicher, daß diese beiden gut bewaffnet und bereit waren, von ihren Waffen Gebrauch zu machen, wenn ich Anstalten machte, die Elfen-Schnalle anzugreifen. Ich seufzte wieder und blieb einfach, in mein Laken gehüllt, mitten im Raum stehen.
»Hier«, sagte sie, indem sie einen kleinen Koffer aus einem weichen Material auf das Bett warf. »Ziehen Sie sich bitte an, Mr. Montgomery«, fuhr sie emotionslos fort. »Jemand wird kommen und Sie abholen.« Und damit wandte sie sich ab und ging hinaus. Die Tür schloß sich hinter ihr, und das Magnetschloß klickte, als es einrastete.
Ich ging zum Bett und ließ mich schwer darauf fallen. Ein paar Minuten lang starrte ich den Koffer an, als rechnete ich damit, daß ihm Fangzähne wachsen und er nach meiner Kehle schnappen würde. Was, zum Teufel, ging hier überhaupt vor? Vielleicht waren es gar nicht die Yaks, die mich einkassiert hatten. Wenn ich nichts Bedeutsames übersah - keine so abwegige Möglichkeit, wie ich zugeben mußte -, konnten die Yaks kein anderes Interesse an mir haben als das, mich auf so blutige und langwierige Weise wie möglich umzubringen. Dieses Spielchen konnte eigentlich nicht beinhalten, mir zuvor Kleidung zu bringen, oder doch?
Ich schüttelte den Kopf. Dann öffnete ich den Koffer.
Wäre dies ein altmodischer Action-Spionage-Film gewesen, hätte es sich bei der Kleidung im Koffer um ein erstklassig geschnittenes Dinnerjacket mit schwarzer Krawatte und Lacklederschuhen gehandelt. Fehlanzeige, Chummer. Der Koffer enthielt einfache, tropentaugliche Freizeitkleidung: Hemd, Hose, Schuhe und Unterwäsche. Übrigens alles in meiner Größe - oder zumindest nahe genug daran. Wie vorauszusehen, kein Körperpanzer und ganz eindeutig nichts, was sich als Waffe benutzen ließ. Sogar die Schuhe waren offenbar nach dem Gesichtspunkt ausgewählt worden, ihre Tauglichkeit als Waffe zu minimieren, falls ich ein Experte in Savat war. Die Schuhe bestanden aus einem groben, juteähnlichen Stoff, die Sohlen aus Seil. (Ohne Drek - aus Hanfseil.) Aber sie waren einigermaßen bequem, und mehr war im Moment nicht wichtig. Außerdem enthielt der Koffer meine Brieftasche, meinen Compi und alle meine Kredstäbe.
Also zog ich mich an. Das Überstreifen des Hemdes machte mich mit einem komplexen Schmerzspektrum bekannt, das seinen Ursprung in der Region meines linken Schulterblattes zu haben schien. Ich holte tief Luft, ließ die Schulter kreisen... und bereute es augenblicklich. Der Schmerz war so stark, daß ich mich beinahe auf den Hintern gesetzt hätte. Ich versuchte es noch einmal mit Luftholen, diesmal jedoch vorsichtiger.
Okay, die Schmerzen waren schlimm, aber mehr von der matten, pochenden Art, die eine größere Quetschung verursacht. Mein leichter Körperpanzer hatte die kinetische Energie des Schlags auf einen so großen Bereich verteilt, daß er meine kostbare Haut nicht weiter beschädigt hatte. Die Tatsache, daß es sich bei den Schmerzen nicht um messerscharfe Stiche handelte, verriet mir außerdem, daß meine Rippen nicht gebrochen waren. Sei dankbar für die kleinen Freuden, sagte ich mir.
Kaum hatte ich mich angezogen, als das Magnetschloß wieder klickte. (Ja, ich stand ganz eindeutig unter Beobachtung.) Dieselbe Elfen-Schnalle erschien in der Tür, unterstützt von denselben zwei Gestalten im Flur hinter ihr. »Kommen Sie bitte mit, Mr. Montgomery«, sagte sie.
Ich kam. Was, zum Teufel, hätte ich sonst tun sollen? Ich folgte der Konzern-Schnalle aus dem Zimmer auf den Flur, wobei ich mich einen guten Schritt hinter ihr hielt. Die beiden Schatten - ebenfalls Elfen, aber von erstaunlich kräftiger Statur für diesen Metatyp - hängten sich seitlich versetzt an mich. Beide trugen Taser am Gürtel und hielten übergroße Betäubungsstäbe in den Händen. Cool bleiben, Brüder, wollte ich ihnen sagen, ich habe nichts Gewalttätiges vor, wenn ihr mich nicht dazu zwingt. Aber ich hielt meine Zunge im Zaum.
Wir gingen durch den Flur, die Elfen-Schnalle voran, ich in der Mitte und meine beiden bewaffneten Begleiter am Schluß. Einrichtungsmäßig sah es immer noch wie in einem Krankenhaus aus, aber ich brauchte nicht lange, um diese Schlußfolgerung zu verwerfen. In Krankenhäusern - zumindest in denjenigen, die ich besucht habe - hasten immer antiseptisch aussehende Leute mit Taschencomputern und -Scannern hin und her. Überall liegt der typische Krankenhausgeruch in der Luft - der sich zu gleichen Teilen aus Desinfektionsmitteln, Urin, Angst und Verzweiflung zusammensetzt -, und immer fordern Lautsprecherdurchsagen Dr. Soundso auf, dieses und jenes zu tun. Hier nicht. Wir waren allein auf dem Flur, meine Begleiter und ich. Die Luft war völlig geruchlos, und das lauteste Geräusch war das Tap-tap der Stöckelschuhe der Elfen-Schnalle auf den Acrylfliesen des Fußbodens.
Wir gelangten an eine T-Kreuzung und wandten uns nach links. Ein idealer Platz für ein Schwesternzimmer, wenn dies ein Krankenhaus gewesen wäre. Hier befand sich jedoch lediglich eine Reihe von drei Fahrstühlen. An einem öffneten sich die Türen, als wir uns näherten, und die Elfe bedeutete mir, stehenzubleiben.
Hätte ich fliehen wollen, wäre dies der ideale Zeitpunkt gewesen. Etwas, das ich schon sehr früh während meiner Ausbildung beim Star gelernt habe, ist die Tatsache, daß das Betreten eines Fahrstuhls mit einem Gefangenen - ebenso wie das Einsteigen in einen Wagen - eine Handlung ist, die gute Technik erfordert, wenn man nicht will, daß der Gefangene die Situation ausnutzt. Die Technik der drei Elfen war gut. Einer meiner beiden stämmigen Begleiter ging mit bereitgehaltenem Betäubungsstab hinein. Dann winkte mich die Schnalle hinein. Der zweite Muskelmann folgte, wobei sein Betäubungsstab ganz leicht meine Nierengegend berührte. Erst als ich im Fahrstuhl und an der Leine war - ein Betäubungsstab in den Nieren und ein anderer vor dem Schritt ist nicht gerade ein Anreiz dafür, eine Dummheit zu versuchen -, betrat die Konzernschnalle den Aufzug.
Hey, sie hätten sich die Mühe sparen können, wenn sie mich einfach gefragt hätten. Einen Fluchtversuch zu machen, wo ich nicht einmal wußte, wo ich mich befand und in welche Richtung ich fliehen sollte, schien im Moment keine vernünftige Option zu sein.
Nehmen Sie zum Beispiel die Tatsache, daß das ›Kran-kenhaus‹ offenbar zwei Etagen unter der Erde lag - zumindest der Kontrolliste des Fahrstuhls nach zu urteilen. Drek, wenn ich vorher einen Fluchtversuch unternommen hätte, wäre ich wahrscheinlich eine Feuerleiter hinuntergerast und ziemlich schnell am Ende meiner Möglichkeiten angelangt.
Die Tür schloß sich seufzend, die Konzernschnalle drückte auf den AUFWÄRTS-Knopf, und los ging's. Augenblicke später öffneten sich die Makroplasttüren wieder, und unsere Gesellschaft verließ den Aufzug.
Und betrat anscheinend den Empfangsbereich eines offenbar ziemlich vornehmen Konzerngebäudes. Haufenweise Chrom, haufenweise polarisierte Spiegelbeschichtung, haufenweise Techno-Prunk. All das Drum und Dran, was man normalerweise erwartete: Holos von Pinkeln an den Wänden, die mit Politikern und anderen Gaunern schmusten; Wartezimmermöbel, die mehr kosteten, als eine Eigentumswohnung in der Seattier Innenstadt; Empfangstresen mit bildhübscher Empfangsdame, die ins System eingestöpselt war; ein großes Konzern-Logo an der Wand hinter besagtem Empfangspult. Ich konzentrierte mich zunächst einmal auf dieses Logo.
TIC stand dort in schnörkeliger stilisierter Schrift. Und darunter in kleineren Buchstaben - fast wie ein nachträglicher Einfall - die Erklärung: Telestrian Industries Corporation.
Telestrian. Bei welcher Gelegenheit hatte ich diesen Namen schon gehört?
Ich glaubte mich zu erinnern. Handelte es sich nicht um einen in Tir Tairngire beheimateten Konzern mit einer Arcologie irgendwo in Portland? Nicht viele Aktivitäten außerhalb Tirs - hatte ich jedenfalls geglaubt. Diese Anlage schien auf das Gegenteil hinzudeuten. Der Name wäre mir nicht bekannt vorgekommen, hätte es nicht vor ein paar Monaten diesen Schlamassel im Zuge einer personellen Umstrukturierung des Elfenkonzerns gegeben, über die in den Medien lang und breit berichtet worden war.
Die Empfangsdame hinter dem Tresen - natürlich eine Elfe - bedachte mich im Vorbeigehen mit einem Fünfzehn-Gigawatt-Lächeln. Es schien überhaupt keine Rolle zu spielen, daß ich von zwei Muskelmännern begleitet wurde, die mir beide mit einem Betäubungsstab im Rücken herumstocherten. Ich hatte den Eindruck, daß sie mir selbst dann noch ihr vielgeübtes Lächeln zugeworfen hätte, wenn ich splitternackt und in Flammen durch die Lobby gerannt wäre.
Meine Freunde und ich gingen weiter, am Empfangstresen vorbei und in das Atrium des TIC-Gebäudes.
Ich blieb wie angewurzelt stehen - was mir zwei schmerzhafte Nierenstöße einbrachte, die ich aber kaum zur Kenntnis nahm. Ich habe noch nie sonderlich auf die typische Konzernarchitektur gestanden. Zu viele Konzerne scheinen auf den alten Macho-Drek nach dem Motto »Ich habe den größten Architekten« abzufahren und zu vergessen, daß in ihren Monumenten für zu viele Kreds und mit zu wenig Geschmack tatsächlich Leute leben und arbeiten müssen. Nicht TIC - wenigstens nicht hier.
Alles war hell und luftig, das Atrium nach oben zum azurblauen Himmel hin offen. In allen drei Etagen des Gebäudes gab es seitlich zum Atrium hin offene Gänge. In diesen Gängen gingen Leute ihren Konzerngeschäften nach. Während ich mir das alles ansah, griff ein Bursche im ersten Stock über das Geländer und pflückte sich eine Blüte von einem der blühenden Bäume -genau, Bäume -, die im Atrium wuchsen. Er beroch die Blüte anerkennend und steckte sie sich dann ins Knopfloch, bevor er weiterging. Vögel zwitscherten und tschilpten, die auf den Ästen und Zweigen über mir hockten, und es roch nach Parfüm.
Unter einem der Bäume stand ein kleiner Konferenztisch. Ein halbes Dutzend konzentriert wirkende Konzerntypen diskutierten irgendwas - diskutierten es ziemlich hitzig, ihrer Körpersprache nach zu urteilen. Ich konnte jedoch nicht das geringste von dem verstehen, was sie sagten. Der ›Konferenzraum‹ war offenbar mit Geräuschunterdrückern ausgestattet.
»Ist ja schon gut«, sagte ich übellaunig, als mir meine beiden Begleiter wieder in den Rücken stießen, und wir gingen weiter. Zum anderen Ende des Atriums und eine Rolltreppe in den ersten, dann eine weitere Rolltreppe in den zweiten und obersten Stock hinauf.
Der oberste Stock - die Exec-Suite. Das wußte ich sofort. Der perlgraue Teppichboden war flauschiger. Die Kunst an den Wänden war zurückhaltender, eleganter und offenbar teuer. Die Leute, die vorbeigingen, waren besser gekleidet. (Verstehen Sie mich nicht falsch: Auch im Erdgeschoß trugen die Leute Anzüge, die ebensoviel wie ein Wagen kosteten. Der einzige Unterschied im zweiten Stock war das Modell des Wagens - Jackrabbit oder Westwind.) Ich konnte die Kreds beinahe in der Luft riechen.
Wir gingen einen der seitlich offenen Gänge entlang, um uns dann vom Atrium abzuwenden und emsthaftes Pinkel-Land zu betreten. Wir näherten uns einer großen Doppeltür, die aus echtem Mahagoni und nicht aus Duraplast mit Holzmaserung bestehen mußte. Die Türen öffneten sich lautlos, als wir sie erreichten. Die Konzern-Schnalle schlenderte mit mir im Kielwasser hindurch. Die beiden Muskelmänner kamen jedoch nicht mit, da sich die Türen unmittelbar hinter mir wieder schlossen. Was natürlich massive Sicherheit auf dieser Seite der Türen implizierte. Mindestens Überwachungskameras und wahrscheinlich Geister oder Elementare an sehr kurzer Leine. Da traf es sich ganz gut, daß ich im Moment nichts Ungehöriges plante.
Die Elfen-Schnalle ging weiter, an verschiedenen Bürotüren vorbei - alle aus Mahagoni, alle ohne Namensschilder. Wenn man nicht wußte, wo sich das Büro befand, in das man wollte, gehörte man ganz einfach nicht hierher. Noch ein paar Biegungen und eine weitere Doppeltür. Diesmal ganz und gar aus Transpex, aber mit irgendeinem chromatischen Überzug, der die Türen wie große schillernde Seifenblasen aussehen ließ. Wiederum öffneten sich die Türen, als wir uns näherten, und wiederum schlossen sie sich unmittelbar hinter uns.
Offenbar das Ende der Fahnenstange. Die Elfe blieb mitten in dem Vorzimmer oder Warteraum stehen und deutete schweigend auf eines der korallenfarbenen Ledersofas. Und dann, immer noch ohne ein Wort zu sagen, machte sie kehrt und ging wieder durch die Seifenblasentüren hinaus.
Aus einer Laune heraus versuchte ich ihr zu folgen. Wie vorauszusehen, öffneten sich die Türen für mich nicht so wie für sie.
Okay, also war ich von Profis geschnappt und zu einem hohen Konzernpinkel gebracht worden, der mir etwas mitteilen wollte... vermutlich. (Es sei denn, TIC war eine Yak-Fassade und dies das Vorzimmer zur Folterkammer.) Ich erinnere mich, einmal gelesen zu haben: »Das Leben ist nur eine Aneinanderreihung mieser Erfahrungen.« Falsch. Es ist eine Wiederholung ein und derselben miesen Erfahrung.
Ich wanderte zurück in die Mitte des Wartezimmers und sah mich gründlich um. Die Seifenblasentüren nahmen den größten Teil einer Wand ein. In der Mitte der gegenüberliegenden Wand befand sich eine einzelne Holztür. (Nicht Mahagoni. Etwas, das noch üppiger aussah und eine noch stärkere Maserung aufwies. Vielleicht eine einheimische Holzsorte?) Auch an dieser Tür gab es kein Namensschild. Aber sie brauchte auch keines. Ich kann die Bürotür des Oberbonzen auch ohne äußerliche Hinweise erkennen.
An den anderen beiden Wänden standen Sofas in einem zarten Korallenrot, die perfekt zu den pastelligen Tapeten und Teppichen paßten. An den Wänden hingen drei große Gemälde.
Ja, ich meine Gemälde. Flache Dinger ohne 3D-Effekt. Farbe, die per Hand auf irgendein Hintergrundmaterial aufgetragen worden war. Dieser Tage sehr selten und deswegen ganz allgemein sehr teuer. Aus Neugier - und weil ich im Moment nichts weiter zu tun hatte - ging ich zu dem nächsten Gemälde und betrachtete es genauer.
Merkwürdiger Drek, Chummer. Es zeigte eine Unter-wasserszene komplett mit Korallen, kleinen Fischen in leuchtenden Farben und glücklich lächelnden Delphinen. (Delphine? Ich nehme an, das war ein Hinweis auf das Alter des Bildes. Delphine sind schon vor längerer Zeit ausgestorben, weil sie sich einfach nicht an die Konzentration giftiger Stoffe anpassen konnten, die wir in ihre Ozeane kippten. Und Sie können darauf wetten, daß sie schon lange vor dem Ende nicht mehr gelächelt haben.) So weit, so gut, würde ich sagen. Aber dann wurde es verdreht. Auf dem Meeresgrund gab es Säulen im griechischen Stil, Tempel und anderen Quatsch - sogar Pyramiden, um Himmels willen! -, und die glücklich lächelnden Delphine schwammen zwischen ihnen herum. Hmm.
Ich ging weiter zum nächsten Gemälde. Im wesentlichen dasselbe: dieselben Korallen, dieselben Ruinen, dieselben glücklich lächelnden Delphine. Nur, daß diesmal vom Innern der Ruinen eine Art Leuchten ausging. Und vielleicht sahen die Delphine auch noch eine Winzigkeit glücklicher aus, ich weiß es nicht.
Das dritte Gemälde, und wieder genau dasselbe, nur noch mehr davon. Und diesmal war über dem leuchtenden Eingang zu einer der Pyramiden irgendein seltsames Symbol in das Gestein gemeißelt. Eine Mischung aus dem Auge des Horus und dem Warnzeichen für Bio-Gefahren, so sah es aus, aber ich habe von Kunst keine Ahnung, also ist es möglich, daß ich mich irrte. Verdrehter Kram. Atlantis?
Ich beugte mich vor, um mir die Signatur anzusehen: ein unentzifferbares Gekritzel, das ›Andrew Annen-ir-gendwas‹ heißen konnte oder auch nicht. Das Datum war 1996.
»Was halten Sie davon, Mr. Montgomery?«
Der heisere Kontraalt ertönte direkt hinter mir. Ich versuchte meine Schließmuskeln unter Kontrolle zu behalten und mühte mich, meine Bewegungen weltmännisch und gewandt aussehen zu lassen, als ich mich umdrehte.
Die dunkle Holztür hatte sich lautlos geöffnet, und ebenso lautlos war eine Elfe aus dem Zimmer dahinter getreten. Sie war groß und schlank, und ihr feines blondes Haar war zu einem Knoten geflochten, der sich der Schwerkraft zu widersetzen schien. Ihre Augen waren blaß - hellblau oder vielleicht grau. Sie trug ein breitschultriges Kostüm, das aus flüssigem Gold zu bestehen schien. Auf einer Epaulette war das Markenzeichen des Modeschöpfers - das stilisierte Z von Zoé. Auf der anderen war das Logo von Telestrian Industries Corporation.
Die Elfe lächelte mich an und streckte die Hand aus, die ich reflexhaft ergriff. Ihr Händedruck war fest, ihre Haut kühl und seidenglatt. »Ich habe schon wieder das Gefühl, daß ich im Nachteil bin«, sagte ich so gelassen zu ihr, wie es mir möglich war. »Sie kennen meinen Namen...«
Sie lächelte. »Ich wollte nicht unhöflich sein, Mr. Montgomery.« Unter den richtigen Umständen hätten sich beim Klang dieser Stimme meine Zehen krümmen mögen. Aber im Moment war ich dazu nicht in der Stimmung. »Ich heiße Chantal Monot.« Sie sprach den Namen sehr französisch aus.
Ich zermarterte mir das Hirn nach allen Einzelheiten über TIC, an die ich mich noch erinnern konnte. »James Telestrians... Schwiegertochter?« riet ich, indem ich den Namen des Oberbosses des gesamten TIC-Imperiums nannte.
Das Lächeln der Elfe wurde breiter. »Der Nepotismus ist in unserer Gesellsfhaft nicht so ausgeprägt«, schalt sie mich leichthin. »Nicht jeder Exec ist mit James verwandt. Viele, aber nicht alle.«
Das akzeptierte ich mit einem Nicken. »Und Ihre Stellung, Ms. Monot, ist...?«
»Ich bin Präsidentin und geschäftsführende Leiterin der Telestrian Industries Corporation, Abteilung Südpazifik.«
Ich blinzelte. Also schön... Es zahlt sich immer aus, wenn man weiß, mit welcher Etage man zusammenarbeitet. (In diesem Fall mit der höchsten.)
Monot deutete mit dem Kopf auf das Gemälde und wiederholte ihre Frage. »Was halten Sie davon, Mr. Montgomery?« Sie kicherte. »Und, bitte, kommen Sie mir nicht damit, Sie hätten keine Ahnung von Kunst, wüßten aber, was Ihnen gefällt.«
Da das genau das war, was ich ihr hatte sagen wollen, dachte ich einen Augenblick darüber nach. »Kräftige Farben und eine ziemlich gute Technik«, sagte ich schließlich. »Aber neben der falschen Einrichtung wirkt es zu überwältigend.«
In anscheinend aufrichtiger Belustigung zog sie eine Augenbraue hoch. »Und das Thema?«
Ziemlich daneben schien nicht die politisch korrekte Antwort zu sein, also entschloß ich mich zu: »Interessant.«
»Ja«, stimmte sie mit schelmischem Lächeln zu. »Nicht wahr?«
Drek, das ist einer der Gründe, warum ich es geradezu hasse, mich mit Elfen abzugeben. Nein, Korrektur -mit einigen Elfen. Es ist diese ständige ›Ich weiß etwas, das du nicht weißt, bäh‹-Haltung, die so vielen Elfen eigen ist. Ziemlich nervig.
Chantal Monot deutete auf die offene Tür. »Bitte«, sagte sie. »Es gibt da ein paar Dinge, die ich gerne mit Ihnen besprechen würde.«
Natürlich gab es die. Ich zuckte die Achseln und ging ihr durch die Tür in ihr Büro voran.
Ich wußte, wie Diamond Head von Westen aussah -von der Honolulu-Seite. Jetzt bekam ich den Krater von der anderen Seite zu sehen, und ich mußte zugeben, daß der Anblick ebenso umwerfend war. Das TIC-Gebäude war nur drei Etagen hoch, aber es schien auf einer Klippe oder einem Vorsprung errichtet worden zu sein, so daß es nichts gab, was der Präsidentin den Blick auf den alten, erodierten Krater versperrte.
Während ich noch starrte, nahm Monot hinter dem großen Schreibtisch Platz. Sie deutete auf einen der be quem aussehenden Besuchersessel, und ich setzte mich »Tee?« fragte sie. Bevor ich annehmen oder ablehnen konnte, wandte sie sich einem silbernen Samowar auf der Anrichte neben sich zu und füllte zwei Tassen. Tatsächlich sogar Gläser, also im russischen Stil. Sie reichte mir eines. Ich roch daran, kostete und verzog anerkennend das Gesicht. Haben Sie schon mal echten Oolong-Tee probiert? Nicht? Schade für Sie.
»Es war mir ernst, was das Thema der Gemälde draußen betrifft«, sagte Monot schließlich. »Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie weit verbreitet die Legende von einem versunkenen Kontinent, eigentlich sogar einer versunkenen Welt, ist?«
Ich zuckte die Achseln. »Das hat mich eigentlich noch nie um den Schlaf gebracht«, mußte ich zugeben.
»Aber es ist interessant. Was wissen Sie über Lemu-ria?«
Wiederum zuckte ich die Achseln. »Stammen dort die Lemuren her?«
Ich hatte eigentlich eine witzige Antwort geben wollen, aber sie nickte beifällig. »In gewisser Weise, ja. Wußten Sie, daß die Wissenschaftler, bevor die Geologen das Phänomen der Kontinentaldrift entdeckten, ziemlich verwirrt ob der Tatsache waren, daß man versteinerte Lemurenknochen auf zwei verschiedenen Kontinenten fand, die durch Tausende Kilometer Ozean voneinander getrennt sind? Wie waren die Lemuren von einem Kontinent zum anderen gekommen... wenn es nicht irgendwann einmal eine Landbrücke gegeben hatte, einen Kontinent mitten im Ozean, der die beiden verbunden hatte? Da es keine derartige Landbrücke gab, lautete die einzig logische Schlußfolgerung, daß sie vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden versunken sein mußte.«
Ich beschloß, bei meiner Antwort auf die Frage nach den Gemälden zu bleiben. »Interessant.« (Tatsächlich hätte mir die Sache kaum gleichgültiger sein können, aber ich dachte mir, es sei wohl das beste, sich in bezug auf die abwegigen Überzeugungen der Präsidentin und geschäftsführenden Leiterin der Telestrian Industries Corporation, Abteilung Südpazifik, diplomatisch zu verhalten.)
»Nicht wahr?« stimmte sie zu. »Was ich noch interessanter finde, ist die Tatsache, daß die Legenden über Le-muria indirekt auch die Inseln von Hawai'i miteinbeziehen. Wissen Sie, wer diese Inseln ursprünglich kolonisiert hat, Mr. Montgomery?« Ich schüttelte den Kopf, und sie beantwortete ihre eigene Frage. »Polynesier aus Tahiti. Einigen Überlieferungen zufolge fuhren sie auf der Suche nach ihrem versunkenen Kontinent über das Meer. Einige behaupten sogar, daß dieser versunkene Kontinent eines Tages wieder aus dem Wasser auftauchen wird, und zwar mit dem Vulkan Haleakala als höchster Erhebung.«
Sie lächelte rätselhaft. »Es ist interessant, wie verschiedene, scheinbar untereinander nicht in Beziehung stehende Faktoren tatsächlich miteinander verbunden sind, wenn man unter die Oberfläche schaut.« Sie hielt inne, und ich wußte, daß sie jetzt zum Geschäft kam. Der ganze Drek über Lemuren und versunkene Kontinente war nur die Einleitung.
»Wie Sie, Mr. Montgomery«, fuhr Monot nach einem Augenblick fort. »Sie scheinen einer dieser Faktoren ohne Bezug zu sein. Aber Sie sind nicht ohne Bezug nicht wahr? Tatsächlich sind Sie direkt oder indirekt mit vielen verschiedenen... nun, nennen wir sie Fäden ... verbunden.«
Ich schnaubte. Während ihres Lemurengeschwafels hatte sich in meiner Brust ein beklemmendes Gefühl aufgebaut. Jetzt wurde mir klar, worum es sich bei diesem Gefühl handelte - Wut. »Hören Sie«, sagte ich scharf, »ich habe genug von diesem ganzen vagen und obskuren Geheimnisvolle-Andeutungen-Quatsch, verstanden? Jeder redet mit mir, als wüßte ich viel mehr über die Vorgänge, als das tatsächlich der Fall ist, und das geht mir gewaltig auf die Nerven. Barnard hat es getan, Ho hat es getan, dieser verfluchte Ryumyo hat es getan, Harlech hat es getan, und jetzt tun Sie es...«
Ich hielt mitten in meinem Vortrag inne, als Monot eine schlanke Hand hob. Ihre Brauen zogen sich zu einem Stirnrunzeln zusammen. »Wer?« fragte sie.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich die gedankliche Schleife zurück vollzogen hatte. Ich zählte sie an den Fingern ab. »Barnard, Ho, Ryumyo, Harlech...«
»Harlech«, wiederholte sie, indem sie mich erneut unterbrach. »Wer war das?«
Ich zögerte. Monots Miene hatte einen seltsamen Ausdruck angenommen - einen Ausdruck, der mich vermuten ließ, daß sie es ganz genau wußte und ihr das nicht im geringsten gefiel. »Quentin Harlech«, sagte ich. »Er sagte, ich solle ihn Quinn nennen.«
Sie erbleichte ein wenig und murmelte etwas vor sich hin. Es hätte eine Wiederholung des Namens sein können, den ich ihr genannt hatte, aber in der Reihenfolge, wie man den Namen in einer Datenbank finden würde, den Nachnamen zuerst. Oder es hätte auch etwas anderes sein können. (Es war wieder ›Großer Wurm‹/›Ho-sengurt‹-Zeit...)
»Das ist der Bursche«, bestätigte ich. Obwohl ich nicht die geringste Ahnung hatte, was los war, versuchte ich, meiner Stimme einen selbstbewußten Tonfall zu verleihen. Wenn irgend etwas Monot aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, konnte ich das vielleicht zu meinem Vorteil ausnutzen. »Aber was soll das Theater?« fragte ich. »Er ist auch ein Elf.«
Chantal Monots blasse Augen blitzten vor Zorn. Dann gewann ihre professionelle Kontrolle die Oberhand, und sie zwang sich zur Gelassenheit. »Er mag ein Elf sein«, sagte sie schließlich, »aber Elfen reden nicht mit einer Stimme. Insbesondere nicht bei einer Angelegenheit, die so wichtig ist wie diese.« (Wichtig, neh? Ich merkte mir dieses Juwel von einer Auskunft zwecks späterer Betrachtung.)
Ich zuckte die Achseln. »Nach allem, was ich gehört habe, steht sich TIC so« - ich hielt zwei gekreuzte Finger hoch - »mit der Tir-Regierung. Manchmal ist Ihr Konzern ein Instrument der Politik für die Tir-Nation. Und wenn das nicht ›mit einer Stimme reden‹ ist...«
Sie unterbrach mich schon wieder. »Wir mögen ein Instrument der Politik für die Führung Tirs sein«, korrigierte sie mich kalt, »aber nicht für die Nation.« (Und ich merkte mir auch das. Im Moment ergab es keinen Sinn, aber vielleicht später...)
Monot starrte aus dem Fenster auf Diamond Head. Die Felswand war in das rötliche Licht des frühen Morgens getaucht. Nach etwa einer Minute wandte sie sich wieder an mich. »Sie haben also mit... Quinn Harlech gesprochen, Mr. Montgomery, nicht wahr? Was hat er ihnen erzählt?«
»Ich bin nicht so recht schlau daraus geworden«, sagte ich ihr wahrheitsgemäß. »Er sagte, er würde in irgendeiner Angelegenheit die Katze aus dem Sack lassen. Was mich betrifft, soll er es ruhig tun - ich habe nichts damit zu tun.«
Monot nickte zögernd. »Hat er gesagt, wie?«
»Soviel ich weiß, nein.« Dann zögerte ich. »Jetzt, wo ich darüber nachdenke, ließ er durchblicken, daß er es schon getan hätte.«
»Und ich nehme an, er wußte von Ihrer Verbindung zu Gordon Ho.«
Ich nickte. »Er wußte es tatsächlich.« Er hatte mein Abzeichen gesehen - das jetzt verschwunden war - und schien ganz genau zu wissen, was es bedeutete.
Offenbar waren das keine guten Nachrichten. Chantal Monot sah plötzlich wie eine ziemlich bekümmerte Elfe aus. Nach ein paar Augenblicken des Nachdenkens seufzte sie. »Vielen Dank, daß Sie vorbeigeschaut haben, Mr. Montgomery. Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen.«
Ich schnaubte. »Wenn Ihnen an Offenheit gelegen war, hätten Sie die auch ohne Narkosepfeil bekommen können«, stellte ich fest.
Monot hatte zumindest den Anstand, ein wenig verlegen auszusehen. »Ich entschuldige mich dafür, Mr. Montgomery, aber unsere Agentin« - damit mußte sie die Schnalle mit den Armbändern meinen - »schätzte Ihre geistige Verfassimg als gefährlich ein, sowohl für sie als auch für sich selbst.« (Übersetzung: so verängstigt, daß ich kurz davor gestanden hatte, mir in die Hose zu machen. Zugegeben.) »Sie traf die situationsbedingte Entscheidung, Sie lieber außer Gefecht zu setzen, als etwas erheblich Unangenehmeres für alle Beteiligten zu riskieren.«
Okay, das konnte ich verstehen. Wäre es mein Job gewesen, ein Treffen mit einem irre blickenden Kerl zu arrangieren, der gerade pistolenschwenkend aus einer Gasse gestürzt kam, hätte ich ihn wahrscheinlich auch auf der Stelle flachgelegt. Das hieß jedoch nicht, daß es mir gefallen mußte.
Monot drückte eine Taste des anspruchsvollen Tele-koms, das in ihren Schreibtisch eingebaut war. »Ein Fahrer wird Sie zu einem Ort Ihrer Wahl bringen«, sagte sie.
»Augenblick mal«, sagte ich. »War das schon alles? Sie lassen mich verfolgen und narkotisieren und entführen ... und das war es? Keine weiteren Fragen?«
Monots Blick hatte etwas Freudloses an sich. »Die Fragen, die ich hatte, sind nicht mehr relevant.«
Ich glaube, ich blinzelte überrascht... und dann noch einmal begreifend. »Wollen Sie mich nicht einmal davor warnen, die Nase in Angelegenheiten zu stecken, die zu groß für mich sind?«
Die Elfe sah ehrlich traurig aus, als sie sagte: »Ich glaube, dafür ist es viel zu spät, Mr. Montgomery.«