21
Okay, ich hatte also eine Abmachung. Jetzt war die Frage, wie, zum Teufel, ich meinen Teil davon erfüllen sollte. (Und wie, zum Teufel, konnte ich sicher sein, daß Wanzen-Bubi seinen Teil erfüllen würde? Heb dir diese Sorge für später auf, sagte ich mir.) Der Insektenschamane konnte mir erzählen, daß ich Einfluß hätte, bis er schwarz wurde. Wer weiß, vielleicht hatte er von seinem verdrehten, nichtmenschlichen Standpunkt aus betrachtet sogar recht, aber ich wußte nicht, wie, zum Teufel, ich ihn benutzen sollte.
Angenommen, er hatte recht und ein paar Schamanen pfuschten an dieser Barriere - was, zum Teufel, das auch war - an einem der Orte der Macht auf den Inseln herum. Schön, betrachten wir das als gegeben.
An welchem Ort der Macht? Puowaina? Haleakala? Hona-wie-auch-immer Bay? Oder an einem von Gott weiß wie vielen anderen?
Und wann wollten diese Schamanen ihre Missetat vollbringen? Heute nacht? Morgen? Nächsten Monat? Oder hatten sie bereits angefangen?
Also, was, zum Teufel, sollte ich tun? Von meinem ›Einfluß‹ Gebrauch machen, um Vorkehrungen zu treffen, daß alle Orte der Macht rund um die Uhr und bis in alle Ewigkeit bewacht wurden? Ja, klar.
Ich saß auf dem Sofa von Zimmer 1905 im New Foster Tower und starrte aus dem Fenster. Die Sonne war vielleicht vor einer Stunde untergegangen. Einige der hellsten Sterne - oder vielleicht waren es auch Satelliten -waren am schwarzen samtenen Himmel zu sehen. Der Rest konnte sich mit dem künstlichen Feuer der Stadt nicht messen.
Kono und Lupo hatten Theresa und den Insektenschamanen vor ein paar Stunden weggebracht.
Sie hatten nicht gesagt, wohin sie gingen, und ich hatte nicht gefragt. Theresa versprach, daß sie mit mir in Verbindung bleiben würde, und das reichte einstweilen. Kurz bevor er gegangen war, hatte Wanzen-Bubi mir einen Streifen Papier aus dem Thermodrucker eines Taschencomputers gegeben - eine hiesige LTG-Nummer, unter der ich Kontakt mit ihm aufnehmen konnte.
Damit blieben noch Pohaku und Akaku'akanene, um mir Gesellschaft zu leisten. Da mir im Augenblick nicht sonderlich nach Gesellschaft war, nahm ich mit Erleichterung zur Kenntnis, daß sie sich um ihre Angelegenheiten kümmerten. Der Leibwächter nahm in aller Ruhe seine Waffe auseinander, setzte sie dann wieder zusammen und schien sich dann auszuklinken und eine Runde zu schlafen. Die Schamanin hockte sich einfach im Lotussitz in eine Ecke und starrte leer ins Nichts - vielleicht redete sie mit Gänsen oder irgendwas.
Es war vielleicht neunzig Minuten nach Sonnenuntergang, als Pohaku plötzlich aufsprang - ohne Vorwarnung - und mich dabei fast zu Tode erschrak. Lautlos ging er zum Fenster und starrte hinaus und nach unten. Die Lichter der Stadt spiegelten sich in seinen Augen, während er stirnrunzelnd in die Nacht sah.
»Was ist?« fragte ich ihn.
»Ärger«, sagte er leise.
Einen Augenblick später war ich auf den Beinen und neben ihm, wo ich meine Augen anstrengte, um zu sehen, was ihm Sorgen bereitete. Nichts. Keine Feuerblumen, die auf Sand Island erblühten... oder auch sonstwo, was das betraf. Wenn ich die Stirn fest gegen das Transpex preßte, konnte ich nach unten auf die Kalakaua Avenue schauen und die Autos - wahrscheinlich zum größten Teil Konzernlimousinen - beobachten, die dort entlangfuhren und Lichtstreifen bildeten. Weiß auf der einen Seite, rot auf der anderen. Ich blinzelte.
Ein ganzes Stück weiter die Kalakaua Avenue hinauf schien es eine größere Ansammlung roter Rücklichter zu geben.
Nein, wurde mir plötzlich klar, bei dem roten Fleck handelte es sich nicht um die Rücklichter von Autos. Die Farbe stimmte nicht ganz, ebensowenig wie die Art und Weise, wie die Helligkeit zu- und abnahm.
Feuer. Vielleicht eine brennende Barrikade, vielleicht die Nachwirkungen einer Autobombe, ich wußte es nicht. Erst jetzt, als ich wußte, worauf ich mich konzentrieren mußte, konnte ich das entfernte, unterschwellige Gejaule von Sirenen hören. Und noch etwas anderes -vielleicht das Knattern von Schüssen, ich war mir nicht sicher. Aber eines wußte ich - heute nacht gab es Ärger im Paradies.
Hinter mir schüttelte Pohaku den Kopf. »Lolo«, murmelte er vor sich hin... dann registrierte er meine Auferksamkeit und übersetzte. »Albern.«
Wenn ich gedacht hatte, der Leibwächter hätte soeben schnell auf einen Hinweis reagiert, der mir entgangen war, erlebte ich eine Überraschung. Es klopfte an der Tür, und bevor mein Verstand das Geräusch überhaupt vollständig registriert hatte, drückte sich Pohaku bereits an die Wand neben der Tür, seine MP im Anschlag und entsichert.
Akaku'akanene war ebenfalls hellwach und offenbar von ihren Zwiegesprächen mit der Vogelwelt zurückgekehrt. Pohaku nickte ihr rasch zu, und die Frau schloß ihre Knopfaugen. Einen Augenblick später öffnete sie sie wieder und verkündete: »Hiki no.«
Offenbar bedeutete das ›okay‹ oder ›Sahne‹ oder etwas in der Art, weil sich Pohaku sichtlich entspannte Er hielt seine Kanone immer noch bereit, aber sein Finger lag jetzt nicht mehr am Abzug, sondern am Abzugsbügel. Er streckte die Hand aus, um die Tür zu öffnen, und trat dann beiseite.
Ich wollte etwas knurren, wie »Wessen verdammte Suite ist das eigentlich?« oder ähnlichen Drek - bis ich sah, wer mein Besucher war.
Mehrere Besucher, um genau zu sein, aber nur einer von ihnen zählte. Er bedachte mich mit einem schiefen Grinsen, während seine persönlichen Leibwächter die Tür hinter ihm schlossen und verriegelten.
»E Ku'u lani«, begann ich.
Gordon Ho winkte ab. »Ich sagte Ihnen schon, daß diese Anrede im Augenblick unangemessen ist.« Sein Lächeln bekam eine schärfere Note. »Da wir beide Ausgestoßene sind, warum nennen Sie mich nicht einfach Gordon?«
Der Tatsache, daß sich seine Leibwächter versteiften, konnte ich entnehmen, daß ihnen das nicht gefiel, aber zum Teufel mit ihnen, wenn sie keinen Spaß vertrugen. »Dann bin ich Dirk«, sagte ich. Ich zögerte, dann fuhr ich fort: »Ich will ja kein großes Aufheben darum machen, aber...«
»Was, zum Teufel, mache ich hier?« beendete er den Satz für mich. Er zog seine Jacke aus - aus Leder und gepanzert, ein ziemlicher Unterschied zu seinen gefiederten Königsinsignien -, warf sie einem seiner Leibwächter zu und ließ sich auf ein Sofa sinken. Zum erstenmal fiel mir auf, wie erledigt er aussah. »Irgendwo muß ich mich aufhalten«, stellte er fest, »und da ich diesem Raum ohnehin bereits einen beachtlichen Prozentsatz der Leute, denen ich wirklich vertraue, zugewiesen hatte, dachte ich mir: ›Warum nicht?‹« Er seufzte und drehte seinen Kopf, als wolle er eine Verkrampfung in seinem Nacken lösen. »Sie haben nicht zufällig einen Scotch, oder?«
Mir ging auf, daß ich noch gar nicht nachgesehen hatte, ob es eine Minibar in der Suite gab - was nur zeigt, wie abgelenkt ich derzeit war. Dafür hatte Pohaku die Suite gründlich durchstöbert, und er öffnete einen Holzschrank neben dem Trideo, in dem sich eine gut bestückte Bar verbarg. »Machen Sie ruhig zwei«, sagte ich zu ihm. »Und wenn Sie schon dabei sind, Dreistöckige.« Dann pflanzte ich mich auf einen Armsessel gegenüber von Ho.
Pohaku bereitete die Drinks fast so schnell zu, wie er auf Gefahr reagierte, und brachte sie uns - Ho natürlich zuerst. Ich nippte und ließ die Magie des torfigen Schnapses auf meine verklebten Synapsen wirken. Der ehemalige König Kamehameha V. tat dasselbe, und ich konnte beinahe sehen, wie ein Teil der Anspannung von seinem Gesicht wich. Was, zum Teufel, hatte er vorgehabt, bevor er hierher gekommen war? Wohin geht ein König im Exil - per defnitionem eine der auffälligsten Personen überhaupt -, um nicht aufzufallen?
Und was würde mit ihm geschehen, wenn er auffiele? fragte ich mich plötzlich. »Schutzhaft«? Oder eine Halskrausen-Party an der nächsten Straßenecke? Das hing wohl davon ab, wer ihn zuerst bemerkte. Kein Wunder, daß er ein wenig abgespannt aussah.
Wir bewahrten den Frieden, wir zwei, und zwar vielleicht fünf Minuten und hundert Milliliter Single-Malt Scotch lang. Dann seufzte Ho und bemerkte: »Tja, langsam wird es... interessant... dort draußen.«
Ich hatte beschlossen, daß ich nicht der erste sein würde, der zum Geschäft kam, doch nun, da er das Thema angeschnitten hatte, beugte ich mich vor. »Was, zum Teufel, geht dort draußen vor?« Rasch erzählte ich ihm von dem Feuer - oder was auch immer -, das wir vom Fenster aus gesehen hatten.
Er nickte müde. »Gegen die Konzerne gerichtete Gewalttaten«, sagte er ruhig. »Dazu kommt es mittlerweile überall in der Stadt... überall auf der Insel, wenn das, was ich gehört habe, stimmt.«
»Wie schlimm?«
»Bestürzend schlimm«, gab er zu. »Die Aktionen sind nicht gut organisiert - noch nicht -, aber in mancherlei Hinsicht ist ihnen dadurch noch schwerer zu begegnen.«
Ich nickte zustimmend. Wenn ziviler Ungehorsam -und darüber redeten wir ja gerade - organisiert war, konnte man ihn oft ersticken, indem man die Anführer kaltstellte. (Oder zumindest hatte man uns das auf der Lone Star-Akademie beigebracht.) Aber wenn es sich um spontane Aktionen des Mobs handelte? Ein Mob ist eine Kreatur mit ein paar hundert Beinen und ohne Verstand (wiederum ein Zitat aus meiner Akademie-Zeit), also gibt es keinen sauberen und leichten Weg, ihn lahmzulegen.
»Was ist passiert?« hakte ich nach.
Ho zuckte die Achseln. »Was ist nicht passiert?« sagte er deprimiert. »Autos werden umgestürzt und in Brand gesetzt - übrigens ist es wahrscheinlich das, was Sie gesehen haben. Scheiben werden mit Steinen eingeworfen. Manchmal auch mit Molotow-Cocktails. Ein paar Zwischenfälle mit Heckenschützen.«
Das schockierte mich. »Heckenschützen? So weit ist es schon?«
Der Ex-König lächelte, doch ohne jeden Humor. »Die Dinge schreiten rascher voran, als ich erwartet habe«, räumte er ein.
»Wie steht es mit Todesopfern?«
Er zuckte wiederum die Achseln. »Mir werden keine detaillierten Polizeiberichte mehr vorgelegt«, stellte er trocken fest, »aber ich gehe davon aus, daß es wahrscheinlich noch nicht sehr viele gibt.«
»Das wird sich ändern.«
»Ja«, stimmte er zu. Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er leise fort: »Von einem Zwischenfall habe ich gehört. Der Mob hat der Limousine eines Mitsu-hama-Execs den Weg versperrt. Keine offene Gewalt, nur Drohungen... aber seine Leibwächter haben überreagiert und das Feuer eröffnet.« Ich krümmte mich innerlich, als er fortfuhr. »Über dreißig Aufrührer tot... und natürlich die Leibwächter und der Exec, als der Mob durchdrehte. Ich habe gehört, daß sie den Wagen umgestürzt und in Brand gesteckt haben, so daß er bei lebendigem Leib geröstet wurde.«
Es gerät außer Kontrolle. Bei diesem Gedanken lief mir ein kalter Schauer wie ein eisiger Wind über den Rücken. »Jemand steckt dahinter«, stellte ich fest. »Jemand wiegelt den Mob auf.«
»Natürlich«, sagte Ho. (Er sprach das begleitende ›Sie Idiot‹ nicht laut aus, aber seine Miene vermittelte es adäquat.)
»Na Kama'aina, richtig?«
»Anfänglich ja«, korrigierte Ho. »Aber sie haben ebenfalls die Kontrolle über die Situation verloren.« Er lächelte grimmig. »Es scheint, als hätten sie ihre Hunde nicht an einer so kurzen Leine, wie sie glaubten.«
Mir dämmerte es. »ALOHA«, hauchte ich.
»Natürlich. Na Kama'aina hat nie wirklich an die ganze feurige ›Konzerne raus‹-Rhetorik geglaubt. Dafür sind sie viel zu realistisch. Sie wollten sie - und auch ALOHA - nur als Hebel benutzen, um mich abzusetzen.« Er lächelte wieder, diesmal mit bitterem Humor. »Tja, der Teil des Plans hat funktioniert.
Aber jetzt hat ALOHA Blut gewittert. Na Kama'aina kann sie nicht mehr halten.« Er schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Ich frage mich, welche Rolle Ryumyo bei alledem spielt? Weiß er, was ALOHA tut, oder hat er auch die Kontrolle verloren?«
Ich hob die Hände. »Hey, fragen Sie nicht mich«, protestierte ich.
Wir schwiegen beide wieder, während wir unseren privaten Gedanken nachhingen. Hos Interpretation der Lage kam mir nur allzu plausibel vor. Abgesehen davon...
»Sie sagten, Na Kama'aina hätte nie hinter dem Konzerne raus‹-Drek gestanden?« fragte ich abrupt.
»Natürlich nicht«, sagte Ho überrascht. »Schließlich sind sie Realisten. Politiker, noch dazu ehrgeizige, aber trotzdem Realisten.«
»Aber...« Ich kam mir wie bei einer Wanderschaft durch das geistige Äquivalent eines Mangrovensumpfes vor.
»Denken Sie darüber nach, Dirk«, beharrte der Ex-Ali'i. »Was passiert, wenn die Konzerne hinausgedrängt werden?«
»Sie würden sich wehren. Ein neuer Fall Sanford Dole.«
»Exakt. Aber nehmen wir mal an, die Konzerne könnten tatsächlich vertrieben werden. Was wäre dann?«
Ich zögerte. »Polynesien für die Polynesier, nehme ich an«, sagte ich zögernd.
»Das wird nicht geschehen«, konterte Ho entschieden. »Hawai'i war einmal ein Selbstversorger... damals, als die Bevölkerung der gesamten Inselkette weniger als eine halbe Million betrug. Allein in Honolulu leben heute sechsmal so viele. Diese Nation kann sich im Augenblick einfach nicht selbst versorgen. Wenn die Konzerne vertrieben werden, verhungern die Inseln.«
Ich nickte. Das hatte Scott mir bereits vor scheinbar sehr langer Zeit erzählt. »Und das weiß Na Kama'aina?«
»Natürlich. Wie ich schon sagte, es sind Realisten.«
Eine weitere Idee spukte mir im Hinterkopf herum. Ich schloß die Augen und ermutigte sie mit einem weiteren guten Schluck Scotch herauszukommen, so daß ich sie begutachten konnte.
»Wenn die Konzerne tatsächlich ausgebootet würden«, fuhr ich zögernd fort, indem ich die Gedanken aussprach, wie sie mir kamen, »würde ein Machtvakuum entstehen, nicht wahr? Die Inseln sind strategisch wichtig - jedenfalls haben das die ehemaligen Vereinigten Staaten geglaubt. Also wird jemand kommen, um es auszufüllen. Japan vielleicht?«
Ho lächelte. »Mein Stab hat wesentlich länger gebraucht als Sie, um sich das zusammenzureimen«, sagte er ruhig. »Ja, natürlich. Konzerne raus, Japaner rein. Das ist der Grund, warum ich sagte, Polynesien den Polyne-siern‹ wird nie geschehen. Weder die Megakonzerne noch die Japaner würden das zulassen.«
»Vielleicht ist das dann Ryumyos Motiv. Vielleicht will er Hawai'i für Japan.«
»Daran hatte ich auch schon gedacht«, sagte Ho. »Ryumyo scheint zwar in Japan zu leben, aber er und die japanische Regierung haben noch nie auf sonderlich freundlichem Fuß miteinander gestanden.«
»Das ist ein Argument«, gab ich zu. Und damit versanken wir beide wieder in unser privates Nachdenken. In gewisser Hinsicht war es lustig, das mußte ich zugeben. Obwohl der Drek um mich herum am dampfen war, war es beruhigend - in gewisser Weise angenehm -, jemanden bei mir zu haben, der von den Ereignissen ebenso königlich (kein Wortspiel beabsichtigt) überfahren wurde wie ich. Wie lautete noch das alte Sprichwort? »Gleich und gleich gesellt sich gern?« Wir schlürften unseren Scotch, und wir starrten auf den Teppich, und wir gaben uns unseren trübsinnigen Gedanken hin.
Das Telekom klingelte und riß mich aus meinen Grübeleien. Pohaku stand in der Nähe des Telekoms und warf mir einen fragenden Blick zu. Im Augenblick war mir nicht danach, mit einem Fremden zu reden... insbesondere lag mir nichts daran, noch mehr schlechte Nachrichten zu hören. Ein oder zwei Sekunden lang erwog ich, es einfach klingeln zu lassen. Wahrscheinlich keine gute Idee. Nicht, daß viele Leute diese Nummer hatten (hoffte ich), also war es wahrscheinlich wichtig. Ich seufzte. »Ich gehe ran«, sagte ich zu Pohaku, indem ich mich aus dem Sessel hievte und zum Telekom ging.
Ich schaltete die Videokamera aus und nahm den Anruf an. »Ja?«
Der Schirm blieb leer - der Anrufer hatte seine Videokamera ebenfalls ausgeschaltet -, aber ich erkannte die Stimme sofort. »Mr. Montgomery?«
Tiefer Seufzer. Ich schaltete meinen Kamera ein. »Ich bin es«, sagte ich zu Barnard.
Einen Augenblick später füllte sein Gesicht meinen Schirm aus. Ich spürte, wie sich Pohaku neben mir versteifte. Offenbar hatte der Leibwächter in Barnard einen Konzernangehörigen und damit eine potentielle Bedrohung erkannt... oder vielleicht war es auch nur professionelle Paranoia. »Haben Sie Neuigkeiten für mich?« fragte der Pinkel. »Gibt es Entwicklungen, über die ich Bescheid wissen sollte?«
»Haben Sie ein oder zwei Stunden Zeit?« fragte ich trocken. »Zunächst einmal hat man den Thron usurpiert. Ho ist geschaßt worden.«
»Tatsächlich? Gleichlautende Gerüchte waren mir bereits zu Ohren gekommen. Haben Sie dafür eine Bestätigung?«
Ich grinste. »Alle Bestätigung, die ich brauche«, antwortete ich.
»Der Ali´i, ist er in Sicherheit?«
»Im Augenblick schon, würde ich sagen.«
»Und dafür haben Sie auch eine Bestätigung?« hakte Barnard nach.
»Alle Bestätigung, die ich brauche«, wiederholte ich. »Er sitzt direkt neben mir und trinkt Scotch.«
Barnards Augenbrauen ruckten hoch. »Honto? Lassen Sie mich mit ihm reden.«
Sie hätten schon die ganze Zeit miteinander reden sollen, sagte ich nicht. Ich winkte lediglich Ho herüber und räumte meinen Stuhl für ihn. Dann trat ich beiseite, aus dem Aufnahmebereich der Videokamera heraus, aber ich blieb nahe genug, um das Gespräch der beiden mitzuhören.
»Aloha, Gordon«, hörte ich Barnard sagen. »Pe-hia
'oe?«
»Aloha. Pona'ana'a«, erwiderte der Ex-Ali'i leise. »Et Gilles? Comment ça va?«
»Très bien, à tout prendre«, sagte Barnard. »Er ist PR-Manager bei Yamatetsu-UK und auf dem Weg, die eigene Karriereleiter emporzuklettern.« Barnard hielt inne. »Er redet immer noch von seiner Universitätszeit mit dir.«
Gordon Ho lächelte - ein wenig traurig, wie ich fand. »Eine Zeit, in der man sich nur Gedanken um das nächste Semesterzeugnis oder darum machen mußte, ob man seine Freundin ins Haus schmuggeln kann, hat natürlich etwas sehr Anziehendes.«
Während die beiden weiter über alte Zeiten und ähnlichen Drek schwafelten, ging ich zurück zum Sofa und setzte mich wieder, um mich auf meinen Scotch zu konzentrieren. Ich konnte immer noch Gesprächsfetzen hören, wurde aber nicht sonderlich schlau daraus, da Ho und Barnard je nach Lust und Laune zwischen Englisch, Französisch, Hawai'ianisch und Japanisch hin und her wechselten. Nach einer Weile gab ich es ganz auf.
Nach einem vielleicht fünfminütigen Schwätzchen in vier Sprachen wandte sich Ho vom Telekom ab. »Dirk«, sagte er, indem er mich zu sich winkte. Ich rappelte mich auf und schloß mich dem Ex-Ali'i vor dem Telekom an, brachte jedoch diesmal meinen Drink mit, falls ich eine augenblickliche Stärkung brauchte.
»Und?« sagte ich zu Barnard.
»Bei unserer letzten Unterhaltung ließen Sie durchblicken, daß jemand namens Harlech Ihre Konzern-Connection und Ihre Verbindung zu Gordon verraten haben könnte.«
»Quentin Harlech, ja.«
Barnard runzelte die Stirn. »Ich habe noch keine Informationen über ein Individuum dieses Namens erhalten. Wissen Sie irgend etwas über ihn, daß mir weiterhelfen könnte?«
Ich dachte einen Augenblick nach und schüttelte dann den Kopf. »Nichts. Ich habe ihn nur einmal gesehen.«
Barnard nickte. »Noch eine Möglichkeit«, sann er nach einem Augenblick des Nachdenkens. »Fällt Ihnen jemand ein, der Hintergrund über ihn haben könnte?«
Tja, nun, da er es so formulierte... »Vielleicht können Sie einiges von Chantal Monot erfahren«, schlug ich vor. Barnard schüttelte den Kopf, also führte ich das näher aus. »Telestrian Industries Corporation? Die Präsidentin der Abteilung Südpazifik?«
Ich sah die Erkenntnis in seinen Augen dämmern. »Monot, ja.« Dann vertiefte sich sein Stirnrunzeln. »Und wie kommt es, daß Sie Mademoiselle Monot kennen, Mr. Montgomery?« fragte er in trügerisch beiläufigem Tonfall.
Okay, schön, vielleicht hätte ich ihm mittlerweile davon erzählen sollen. Rasch schilderte ich mein Erlebnis mit TIC, wobei ich mit dem Narkosepfeil in der Brust begann und mit meiner ›Überführung‹ zum New Foster Tower endete. »Monot kannte den Namen«, beendete ich meine Ausführungen. »Zumindest glaube ich das.«
Barnard seufzte. »Telestrian Industries Corporation«, sagte er leise, während seine Miene einen komplexen Ausdruck annahm.
»Warum fragen Sie Monot nicht wegen dieses Harlech, wenn Sie ihn für so wichtig halten?« schlug ich vor.
Der Exec kicherte leise. »Ich bezweifle, daß sie mir viel erzählen würde.«
»Warum? Ihr Konzerne seid doch ganz dicke miteinander, oder nicht?«
Barnard sah mich an, als sei ich ein Kind, das mit seinem Toiletten-Training nicht weiterkam und immer noch in die Hose machte. »Megakonzerne sprechen nur selten mit einer Stimme, Mr. Montgomery«, sagte er kalt und kopierte damit unwissentlich Chantal Monots Bemerkung zu einem anderen Thema. »Auf einigen Gebieten arbeiten wir zusammen, das stimmt. Aber vergessen Sie nicht, daß wir in erster Linie in Konkurrenz zueinander stehen. Glauben Sie wirklich, daß ein Megakonzern einem anderen eine Information geben würde, die sich als Wettbewerbsvorteil erweisen könnte?«
Ich nickte ein wenig ernüchtert. Schon begriffen.
»Aber es ist trotzdem interessant«, fuhr Barnard einen Augenblick später nachdenklich fort. »Telestrians Abgeordnete am Konzern-Gerichtshof befanden sich ursprünglich in Übereinstimmung mit einer der größeren Fraktionen, die sich um die Hawai'i-Frage gebildet haben. Und jetzt hat sich Telestrian Industries völlig zurückgezogen... aus beiden Fraktionen in dieser Sache. Ich frage mich, ob da ein Zusammenhang besteht.«
»Augenblick mal«, warf ich ein.
Doch Gordon Ho kam mir zuvor. »›Fraktionen‹?« fragte er scharf. »Und was für eine ›Sache‹?«
Barnard lächelte freudlos. »Was glaubst du wohl, um was für eine Sache es geht, Gordon? Natürlich darum, wie man am besten auf die hawai'ianische Provokation reagiert. Schließlich hat es Angriffe auf Konzerneigentum - sowohl personelles als auch materielles - gegeben. Eine Freveltat wie diese kann man nicht durchgehen lassen, das wirst du begreifen. Der Konzern-Gerichtshof ist mehr oder weniger in zwei Lager gespalten, was die Frage angeht, wie man reagieren soll.«
»Was steht zur Auswahl?« fragte der Ex-Ali'i.
»Noch mal, was glaubst du wohl? Auf der einen Seite diplomatischer Druck - Sanktionen, Embargos und so weiter. Auf der anderen Seite... direktere... Aktionen.«
»Militärischer Art?«
»Die Anhänger direkter Aktionen sind sich uneins in diesem Punkt«, stellte Barnard fest. »Manche glauben, dieser Unsinn mit ALOHA dauere schon viel zu lange und man solle ihn ein für allemal beenden. Andere ziehen ›Vollstreckungsmaßnahmen‹ gegen Regierungsmitglieder vor.«
Ich warf einen Blick auf Ho und sah, daß er erbleicht war. Kein Wunder. Ich kannte den Ausdruck ›Voll-streckungsmaßnahmen‹. Er war normalerweise gleichbedeutend mit »Attentate »Und wo stehst du, Jacques?« fragte der junge Ex-König leise. »Wo steht Yamatetsu?«
»In der Mitte, wo sonst?« sagte Barnard achselzuckend. »Wie sich herausgestellt hat, in einer sehr einsamen Mitte. Die ›Abwarten und Teetrinken‹-Haltung ist am Gerichtshof im Augenblick nicht sonderlich populär.«
»Was ist mit Donald?« fragte Ho abrupt.
»Dein Großonkel findet das alles ganz besonders unerquicklich«, antwortete Barnard. »Im Zürich-Orbital hat er kaum die Möglichkeit, den Kontakt mit den anderen zu vermeiden.«
Ich blinzelte. Also hatte Gordon einen Verwandten im Zürich-Orbital. Ich speicherte dieses kleine Juwel für eine zukünftige nähere Betrachtung ab ... vorausgesetzt, es gab eine Zukunft.
»Zu welcher Seite neigt der Gerichtshof?« fragte Ho.
Barnards Lächeln verblaßte. »Die Befürworter direkter Aktionen scheinen auf dem Vormarsch zu sein«, sagte er leise. »Man wird eine... eine Botschaft senden. Eine Demonstration.« Barnard sah auf die Uhr. »Um Mitternacht lokaler Honolulu-Zeit. Wenn die Regierung dadurch nicht zur Räson gebracht werden kann...« Er zuckte vielsagend die Achseln.
»Eine Demonstration«, wiederholte ich. Das Wort hatte einen beängstigenden Beiklang, einen bitteren Beigeschmack. »Was für eine Demonstration, Barnard?«
»Thorhämmer«, sagte er leise.