DREIUNDVIERZIG
Obwohl er sich bereiterklärt hat, es zu tun, zögert er. Seine Hand zittert, und sein Blick ist so voller Kummer und Sorge, dass ich sage: »Schau mich an.«
Er holt tief Luft und tut, was ich sage.
»Lass dies den Beweis sein.«
Er legt den Kopf schief und kann mir nicht ganz folgen.
»Lass dieses Kostüm den Beweis dafür sein, dass ich stets zu dir zurückkommen werde. Ganz egal, was geschieht, wir werden immer zusammen sein, immer einen Weg zueinanderfinden. Ob ich nun Adelina bin, Evaline, Abigail, Chloe, Fleur, Emala, Ever oder irgendwann jemand ganz anders.« Ich lächele. »Ganz egal, welche Verkleidung meine Seele auch anzunehmen beschließt, ich werde immer zu dir zurückkehren. Wie ich es seit jeher getan habe.«
Er nickt, hält meinen Blick fest und hebt den Becher an die Lippen, während ich das Gleiche tue.
Erstaunt stelle ich fest, dass die Frucht ganz und gar nicht so süß ist, wie ich dachte, jedoch nehme ich ihre Bitterkeit kaum wahr – registriere kaum, dass sie sich auf der Zunge gar nicht so gut anfühlt. Ich würge sie einfach hinunter. Beschwöre sie, durch meinen Körper zu strömen, als wäre sie die süßeste Himmelsspeise, die ein Gott nur erschaffen kann, während Damen es mir nachtut.
Als ich sehe, wie der Raum glitzert und leuchtet, als ich sehe, wie die Möbel vibrieren und sämtliche Gemälde lebendig werden, da verstehe ich genau, was Misa, Marco und Rafe dazu veranlasst hat, so zu jubeln und zu jauchzen.
Alles lebt.
Alles strotzt vor Farbe, pulsiert vor Energie, und es ist alles mit uns verbunden.
Wir sind alle Teil des anderen, Teil von allem, was uns umgibt.
Es gibt keinerlei Grenzen.
Die Welt erscheint mir genauso wie damals, als ich als Adelina gestorben bin. Als ich durch den Himmel geschwebt bin und auf die Schöpfung herabgeblickt habe.
Nur dass ich nicht tot bin. Ganz im Gegenteil, ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt.
Ich sehe Damen an und frage mich, ob er sich ändern wird, ob ich mich ändern werde. Doch abgesehen davon, dass mein Haar von dem Rotton, den ich manifestiert habe, wieder zu seinem natürlichen Blond zurückkehrt, abgesehen von der violetten Aura, die mich umgibt, und dem Indigoblau um Damen herum scheint es nicht viel Veränderung zu geben.
Ich fasse im selben Moment nach ihm wie er nach mir. Vorsichtig nähern sich unsere Fingerspitzen einander, als er zusammenzuckt und zurückweicht. »Selbst wenn es nicht funktioniert«, sage ich zu ihm, »selbst wenn wir merken, dass unsere DNA immer noch verflucht ist, selbst wenn einer von uns bei dem Versuch sterben sollte, werden wir einander wiederfinden. Und wieder. Und wieder. Genau wie bisher immer. Genau wie wir uns von jetzt an immer wiederfinden werden. Ganz egal, was auch geschieht, wir werden niemals getrennt sein. Jetzt sind wir wirklich unsterblich. Es ist, als wären wir im Pavillon, genau in dem Moment, in dem wir in die Szene eintreten wollen und ich regelmäßig erstarre – was sagst du dann immer zu mir?«
Er sieht mich an, und seine Züge werden weich, als er sagt: »Glaube.«
Und das tun wir.
Wir gewähren diesen großen Vertrauensvorschuss und glauben.
Die Stille wird von zwei synchronen Atemzügen durchbrochen, als wir die Hände ausstrecken und uns berühren.
Unsere Fingerspitzen berühren sich, drücken sich fest aneinander, ja, sie scheinen fast ineinander zu verschmelzen, bis es unmöglich wird, uns auseinanderzudividieren, zu bestimmen, wo er aufhört und ich anfange. Ich staune über seine Wärme – das Aufwallen reiner, kribbelnder Hitze, das er ausstrahlt. Aber schon bald bin ich damit nicht mehr zufrieden, sondern sehne mich nach etwas Innigerem, und wir gleiten in eine Umarmung.
Meine Hände um seinen Hals, seine um meine Taille, umfasst er mich fest und zieht mich immer enger an sich. Forschend tastet er sich meine Wirbelsäule entlang, ehe er die Finger in meiner dicken Mähne vergräbt und meinen Kopf zu sich dreht, damit seine Lippen die meinen treffen können. Die weiche, üppige Festigkeit seiner Lippen erinnert mich an das erste Mal, dass ich ihn geschmeckt habe – in diesem Leben und auch in allen anderen. Unsere ganze Welt schrumpft zusammen, bis es nichts anderes mehr gibt als das.
Einen perfekten, unendlichen Kuss.
Die Gliedmaßen ineinander verschlungen, sinken wir auf einen antiken Teppich herab, über den schon einige der illustersten Figuren der Geschichte gegangen sind. Damen liegt neben mir, eng an mich geschmiegt, und wir sind völlig überwältigt vom Wunder des anderen, dem Wunder, zusammen zu sein. Wir können kaum glauben, dass der Moment endlich da ist, nachdem wir so lange gewartet haben.
Endlich ist der Fluch gebrochen.
Das Universum arbeitet nicht mehr gegen uns.
Damen macht sich los und scheint mich mit seinem Blick förmlich aufzusaugen, während seine Finger erneut entdecken, wie sich meine Haut anfühlt. Er erforscht die Stellen um meine Schläfen, meine Wangen, meine Lippen, mein Kinn, streift nach unten zu meinem Hals und dann noch tiefer, während meine Lippen sich schon wieder nach seinen sehnen und begierig an seiner Hand knabbern, seiner Schulter, seiner Brust, was immer in der Nähe ist. Ich kann nicht genug von ihm kriegen. Will einfach mehr von ihm haben.
Alles, was ich kriegen kann.
Jetzt.
»Ever«, flüstert er und sieht mich so an wie einst Alrik, nur ist es diesmal besser, da es in Echtzeit geschieht.
Ich hebe den Kopf, drücke meine Lippen auf seine und ziehe ihn wieder an mich. Mir wird heiß und schwummrig, und ich will weiter nichts, als dieses Gefühl zu vertiefen – entdecken, wie weit es gehen kann.
»Ever.« Seine Stimme ist heiser, belegt, und er bringt die Worte nur mühsam heraus. »Ever, nicht hier. Nicht so.«
Ich blinzele. Reibe die Lippen aneinander, als erwachte ich gerade aus einem Traum. Mir wird bewusst, dass wir immer noch auf dem Boden liegen, obwohl es doch weitaus gemütlichere Orte gibt, an denen wir uns aufhalten könnten, einschließlich dessen, den ich schnell noch manifestiert habe, bevor ich hierhergekommen bin.
Ich stehe auf und lotse ihn nach unten, hinaus zu meinem Auto, und fahre mit ihm den kurvenreichen Coast Highway entlang, bis zu einem wunderschönen, verwitterten Steinhaus hoch oben auf den Klippen. Aus den raumhohen Glastüren geht der Blick direkt auf die Brandung des Ozeans hinaus, doch vor einer Stunde gab es hier noch kein Haus.
»Hast du das gemacht?«, fragt er.
Ich nicke grinsend. »Was soll ich sagen? Ich hatte gehofft, wir würden uns einigen. Eigentlich wollte ich uns ein Zimmer im Montague buchen, aber ich fand das hier besser – intimer, romantischer. Ich hoffe, es ist okay?«
Er fasst nach meiner Hand, und gemeinsam stürmen wir auf das Haus zu. Wir steigen endlos lange, gewundene Treppen hinauf, bis wir ganz oben anlangen, atemlos, aber mehr aus Erregung als vom Treppensteigen.
Ich mache die Tür auf und winke ihn hinein. Er lacht, als er den alten Steinboden betritt und sieht, dass das Haus trotz seiner Größe, trotz seiner beachtlichen Quadratmeterzahl lediglich aus einem riesigen Schlafzimmer mit offenem Kamin, einem üppigen Himmelbett, einem herrlichen handgewebten Teppich, einem perfekt ausgestatteten Badezimmer und weiter nichts besteht.
Ich werde rot. Ich kann nichts dagegen tun. Rasch murmele ich irgendetwas von wegen, dass ich nicht viel Zeit gehabt hätte und wir ja immer noch umbauen könnten, wenn wir uns länger hier aufhalten wollen.
Doch er lächelt nur, beendet meine hastig gestammelten Erklärungen mit einem sanft auf meinen Mund gedrückten Finger, den er schon bald durch seine Lippen ersetzt, sodass mein schlagartiges Verstummen in einen langen, innigen Kuss übergeht. Er zieht mich mit sich aufs Bett zu und flüstert mir leise ins Ohr: »Du bist alles, was ich will. Alles, was ich brauche. Ich will gar nichts weiter.«
Er küsst mich erneut sanft, aber intensiv, lässt sich Zeit und bemüht sich ganz offensichtlich, vorsichtig mit mir umzugehen. Und obwohl ich weiß, dass unsere Zeit zusammen unendlich ist, dass wir immer zusammen sein werden, bin ich begierig nach mehr.
Ich zupfe am Saum seines Pullovers, zerre ihn ihm über den Kopf und werfe ihn beiseite. Dann erforsche ich die Landschaft seines Oberkörpers – die sanft geschwungenen Hügel seiner Schultern, das wellige Auf und Ab seiner Bauchmuskeln –, ehe ich meine Finger nach unten wandern lasse und einen Knopf, einen Reißverschluss und einen Gummizug aus dem Weg räume. Und obwohl ich ihn nicht zum ersten Mal nackt sehe, schnappe ich unwillkürlich nach Luft. Kann mir nicht verkneifen, seinen umwerfenden Anblick förmlich in mich aufzusaugen.
Dann zieht er mich aus, wobei seine Finger weitaus geschickter ans Werk gehen als meine, denn er hat ja viel mehr Erfahrung. Es dauert nicht lange, bis nichts mehr zwischen uns steht – weder in physischem noch in mystischem Sinne.
Es gibt nur noch ihn und mich.
Und keinerlei Barrieren mehr.
Er legt ein Bein über mich, umschlingt mich damit und bedeckt meinen Körper mit seinem. Ich bebe innerlich vor Kribbeln und Hitze und schließe die Augen unter seiner Wärme, dem Gefühl seiner Haut, bevor ich die Lider langsam wieder öffne und seinen brennenden Blick auffange. Wir werden beide in den hypnotischen, fließenden Rhythmus des anderen gezogen, und im nächsten Moment dringt Damen in mich ein und vereinigt uns.
Vereinigt uns in der Art von Alrik und Adelina.
Vereinigt uns auf die Art, von der wir die ganze Zeit geträumt haben.
Doch es ist so viel besser als alles, was davor kam.
Weil es real ist.
Weil es richtig ist.
Die endgültige Bestätigung dafür, dass wir füreinander geschaffen sind.
Füreinander bestimmt.
Auf immer und ewig.
Unsere Körper heben sich, steigen auf und schweben höher, immer höher – der Augenblick weitet sich, dehnt sich aus, und wir halten daran fest, solange es geht … bis wir in unserer gemeinsamen Wärme aufgehen und sich der Himmel öffnet und eine Flut herrlicher roter Tulpen auf uns herabregnen lässt.