VIERZEHN

Wir reiten schweigend dahin. Oder vielmehr ich reite, und Heath geht zu Fuß neben mir her, die Zügel locker in der Hand, während wir beide in unserer eigenen Gedankenwelt versunken sind. Und obwohl er mehr als genug Gelegenheit hatte, mich anzusprechen, ergreift er erst kurz bevor wir ankommen, das Wort.

»Liebst du ihn?«, fragt er, die Worte einfach und direkt, als hätten wir ein Gespräch geführt, das uns ganz natürlich zu dieser Frage führte. Und obwohl er sich bemüht, den Schmerz hinter seiner Frage zu kaschieren, misslingt ihm dies komplett. Ich kann seine Verzweiflung regelrecht spüren.

Ich presse die Lippen zusammen, wende mich ab und wünschte, ich könnte ihm die Antwort verweigern. Die meisten Mädchen würden das tun. Sie würden es als schwere Beleidigung bezeichnen, dass ihr Herz infrage gestellt und ihre Intimsphäre missachtet wird, und ihm erklären, dass das ja wohl kaum seine Angelegenheit sei und so weiter.

Doch ich bin nicht wie die meisten Mädchen. Ich hasse diese Falschheit, diese Spielchen.

Außerdem ist Heath nett und anständig. Ich schulde ihm etwas Besseres, zumindest eine ehrliche Antwort. Ganz egal, wie weh sie auch tut.

Immerhin haben wir uns einmal geküsst.

Oder eigentlich sogar mehrmals – wir haben sozusagen eine Reihe von Küssen getauscht.

Küsse, die – soweit ich das beurteilen kann – ihm wesentlich mehr bedeutet haben als mir.

Ich habe nur experimentiert. Versucht zu ergründen, ob mein Kopf mein Herz beeinflussen kann. Ich wollte wissen, ob alle Küsse so sind wie die von Alrik. Da er der Erste war, konnte ich ihn mit keinem anderen vergleichen. Und obwohl es angenehm war, Heath zu küssen, und ich mich geborgen, ruhig und gelassen fühlte – als triebe ich auf einem weich gepolsterten Floß auf einem schönen glatten Meer –, konnte es sich nicht mit Alriks aufwallender Glut messen. Seiner unvergleichlichen Mischung aus Kribbeln und Hitze.

Unglücklicherweise begriff ich jedoch erst, als mein Experiment gescheitert war, dass Heath ganz andere Absichten verfolgte. Er hat nicht nur einen Test gemacht, sondern sein Interesse an mir bekundet.

Und obwohl mein Leben mit Sicherheit einfacher wäre, wenn ich seine Zuneigung erwidern könnte, so bin ich dazu einfach außer Stande, und es wäre grausam, etwas anderes vorzugeben.

Ich hole tief Luft. Lasse mich von ihm aus dem Sattel heben und auf der Erde absetzen, wo er mich sanft vor sich hinstellt. Sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, seine Hände umfassen nach wie vor meine Taille, und sie strömen auch jetzt das altbekannte Gefühl von Ruhe und kühler Energie aus, das ich seit jeher mit ihm verbinde.

»Ja«, sage ich und versuche das Wort abzumildern, doch ganz egal, wie ich es auch ausspreche, für ihn fühlt es sich bestimmt an wie ein Messerstich. »Ja, ich liebe ihn«, seufze ich, habe indes das Gefühl, das noch weiter ausführen zu müssen. »Ich kann nichts dagegen tun«, füge ich hinzu. »Es ist irgendwie … unerklärlich. Es ist einfach so.«

»Du brauchst nichts weiter zu sagen. Ehrlich. Du bist mir keine Erklärung schuldig.« Sein Blick bohrt sich in meinen, wobei seine Miene seine Worte Lügen straft. Er bemüht sich verzweifelt zu begreifen, es nachzuvollziehen, weil er unbedingt verstehen will, warum ich Alrik ihm vorziehe.

Ich versuche zu lächeln, schaffe es aber nur halb. Meine Stimme klingt dünn und wackelig, als ich zu sprechen beginne. »Oh, da bin ich mir nicht so sicher. Mir kommt es durchaus so vor, als wäre ich dir eine Erklärung schuldig oder … irgendwas.«

Seine Hände werden wärmer, sein Blick eindringlicher, und ehe das Gespräch tiefer gehen kann, wendet er sich ab, und zwar so abrupt, dass ich einen Augenblick brauche, um mich darauf einzustellen.

»Adelina«, sagt er mit leiser, freundlicher Stimme, aus der eine Verehrung klingt, die er allein für mich reserviert hat. »Du weißt um meine Gefühle für dich, also werde ich dich nicht damit langweilen. Aber bitte erlaube mir, als dein Freund zu dir zu sprechen, wenn ich dir sage, dass dein und Alriks Plan mir Grund zu großer Sorge gibt.«

Nicht mein Plan. Alriks Plan. Ich war gar nicht daran beteiligt. Allerdings ist es auch nicht so, dass ich mich ihm verweigert hätte. Schließlich habe ich nicht Nein gesagt. Andererseits kann ich mich auch nicht erinnern, Ja gesagt zu haben. Ich kam ja kaum dazu, ein paar Fragen zu stellen, ehe Heath hereingeplatzt ist und unserer Debatte ein Ende machte. Doch das braucht er nicht zu wissen.

»Zum einen, und das liegt wirklich auf der Hand, wird der König überaus erzürnt sein. Alriks Hochzeit mit Esme war schon lange geplant. Niemand hat sich je eingebildet, dass das eine Herzensangelegenheit wäre – außer vielleicht Esme …« Er überlegt und kehrt wieder zum eigentlichen Thema zurück. »Aber es gibt vieles zu bedenken, und es steht viel Geld auf dem Spiel. Dummerweise braucht Alriks Sippe dringend Esmes Geld, wenn sie ihre Herrschaft fortführen wollen. Aber darüber hinaus müssen auch Esme und ihre Familie berücksichtigt werden. Sie werden mit Freuden eine sehr große Mitgift spenden, wenn das heißt, dass ihre Tochter eines Tages die Krone tragen wird. Und obwohl ich nicht behaupten kann, Esme besonders gut zu kennen, da ich sie nur ein paar Mal gesehen habe, glaube ich doch mit Sicherheit behaupten zu können, dass sie außer sich sein wird vor Zorn, wenn sie erfährt, was ihr beiden getan habt. Und ich habe das Gefühl, dass ihr Zorn noch beängstigender sein könnte als der des Königs. Das Mädchen hat irgendetwas an sich – etwas Ungezügeltes, etwas, das keine Grenzen kennt, keine Schranken irgendwelcher Art.« Er schüttelt den Kopf und fuchtelt nervös mit den Händen. »Und dann ist da natürlich noch Rhys, der abgesehen von dir und Alrik garantiert als Einziger von der Neuigkeit begeistert sein wird – ein Gedanke, der an sich schon beängstigend ist, nicht wahr?« Seine Stimme hebt sich fragend, aber seine Miene bleibt unverändert – fest, ebenmäßig und ohne jeden Hauch von Belustigung. »Selbst wenn ihm das die Freiheit gäbe, um Esme zu werben, würde dies wiederum nur deren Schwester aufbringen. Wie du ja sicher weißt, interessiert sich Fiona schon seit geraumer Zeit für Rhys.«

Ich blinzele Heath an und ringe darum, das alles zu verarbeiten. Obwohl mir das Dreieck aus Eifersüchteleien und unterschiedlich verteilter Zuneigung, zu dem auch ich gehöre, durchaus bekannt ist, wirkt es immer noch verblüffend, es alles so klar dargelegt zu bekommen.

»Was für ein Irrgarten doch die Liebe ist«, flüstere ich, als spräche ich mit mir selbst, ehe ich Heaths Blick auffange. »Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?«, frage ich. »Welche Entscheidung würdest du mir empfehlen?«

»Ich würde dir empfehlen, du entscheidest dich für mich.« Er seufzt, und die Trübsal, die darin mitschwingt, entspricht dem Ausdruck seiner Augen. »Ich werde immer wissen, dass du mich nie so lieben wirst wie Alrik, und das akzeptiere ich. Und ich werde alles tun, was ich kann, um dich glücklich zu machen. Ich verspreche dir, Adelina, ich werde mein ganzes Leben nur darauf verwenden, für dein Wohlergehen und dein Glück zu sorgen.«

»Heath …« Ich schüttele den Kopf und wünschte, er hätte das nicht gesagt.

»Es tut mir leid, wenn dir das unangenehm ist, aber ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich meine Bedenken nicht wenigstens geäußert und versucht hätte, dir einen Ausweg aus einer Lage aufzuzeigen, die meiner Meinung nach für fast alle Beteiligten nur in einem Schlamassel und womöglich großem Kummer enden kann.«

Ich nicke, während seine Worte in mir widerhallen und sich in den Strom in meinem Kopf einreihen. Das Schlimmste daran ist, dass ich kein einziges Wort davon leugnen kann. Seine Bedenken spiegeln lediglich meine eigenen wider.

»Und jetzt, nachdem du deine Bedenken geäußert hast – was jetzt?«

»Jetzt sage ich dir Lebewohl und wünsche dir viel Glück.« Er verneigt sich tief vor mir.

Noch ehe er sich wieder erheben kann, verabschiede ich mich von ihm. Ich drücke die Lippen rasch auf seinen Scheitel, presse sie gegen die widerspenstigen, goldbraunen Strähnen und mache mich auf den Weg zum Haustor. Dabei sage ich mir selbst, dass ich – ganz egal, was auch geschehen mag – nie wieder in derselben Art auf mein Elternhaus, mein Leben oder Heath blicken werde. Ich werde von Grund auf verändert sein.

Ich spüre das Gewicht von Heaths Blick, der nach wie vor auf mir liegt, seine kühle, ruhige Energie, die zu mir strömt und bei mir bleibt, während ich über die Schwelle trete und im Haus verschwinde.