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KARDINAL ORSINI WAR EIN sehr alter Mann, in der Tat der einzige noch lebende Orsini seiner Generation. Doch sein Alter hatte ihn nicht blind dafür gemacht, daß man ihm innerhalb des Kardinalskollegiums nur noch unwichtige Aufgaben übertrug. Die Tatsache, daß der Papst ihm das bedeutende Amt der Pfründenverwaltung für die Romagna entzogen und ihm statt dessen die Kommission für Keuschheit unterstellt hatte, betrachtete er als persönliche Beleidigung. Schon öfter hatte er seiner Familie damit in den Ohren gelegen. Um so begieriger griff er den Vorschlag Fabios, den er bisher für einen eher unnützen, eitlen Jüngling gehalten hatte, auf.

»Könnt Ihr Euch das vorstellen?« fragte er seinen Sekretär schmunzelnd: »Der Katalane kommt zurück, und ich sage ihm: Euer Heiligkeit, ich bedaure, aber mein Amt verlangt von mir, Euch darauf aufmerksam zu machen, daß der Kardinal von Valencia sich einer schweren Verfehlung schuldig gemacht hat. Nein, man kann die Sache nicht mehr vertuschen. Das betreffende Mädchen wurde bereits verbrannt. Ein Skandal, Euer Heiligkeit, da stimme ich zu. Wie wäre es, wenn Ihr den Kardinal für eine Weile fortschickt? Nicht, daß diese spanische Brut vor Skandalen zurückschreckt«, fuhr Kardinal Orsini jetzt fort und bohrte den Finger in die Luft. »Diese Neujahrsfeierlichkeiten – das war das Geschmackloseste, was sich ein Borgia je geleistet hat! Wie fahrendes Gesindel für die Unterhaltung der Massen zu sorgen. Aber daran erkennt man das schlechte Blut, die niedrige Geburt. Nur«, sein Schmunzeln wurde zu einem Kichern, »Geschmacklosigkeiten sind eine Sache. Aber die Verwicklung in Schwarze Magie … Nun, das ist etwas ganz anderes …«

»In der Tat, Euer Eminenz«, kommentierte der Sekretär, der den Eindruck hatte, daß eine Bestätigung von ihm erwartet wurde. Er wünschte sich nur, die ganze Angelegenheit wäre schon vorbei. Für den alten Mann und seine Familie mag es wunderbar gewesen sein, dachte er mit einem Hauch von Rebellion, aber ich bin derjenige, der den ganzen Prozeß protokollieren muß, ich bin derjenige, der sehen muß, wie er die nötigen Juroren und Experten zusammenbekommt.

Als hätte er seine Gedanken erraten, sagte der Kardinal plötzlich: »Wir müssen das natürlich so schnell wie möglich erledigen. Ihr habt doch keine Schwierigkeiten, das zu organisieren, oder?«

»Nein, Euer Eminenz«, versicherte der Sekretär diensteifrig. »Oh, da wäre noch etwas, Euer Eminenz. Ein junger Mann hat darum gebeten, Euch in dieser Angelegenheit sprechen zu dürfen.«

»In dieser Angelegenheit?« Der Kardinal zog die Brauen hoch. »Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, daß es sich so schnell herumgesprochen hat. Vielleicht ist das schon unser erster Denunziant. Immer herein mit ihm.«

Während der Sekretär einem der niederen Schreiber den Befehl gab, den jungen Mann zu holen, ging ihm durch den Kopf, daß Kardinal Orsinis Status wahrlich nicht mehr der sein konnte, der er einmal gewesen war. Um einen Kardinal auf der Höhe seiner Macht zu sprechen, mußte man gewöhnlich erheblich mehr Bestechungsgeld bieten, als er von diesem Fremden bekommen hatte, und mächtige Kardinäle ließen sich überhaupt nicht so schnell von Unbekannten sprechen. Sie ließen sich Zeit.

Kardinal Orsini setzte zunächst ein wohlwollendes Lächeln auf, das jedoch bald wieder verschwand, als ihm sein Besucher nach einer ehrfürchtigen und höflichen Begrüßung sein Anliegen darlegte.

»Unschuldig? Was soll das heißen, unschuldig?«

»Da bin ich ganz sicher, Euer Eminenz«, sagte Richard, bemüht, nicht zu drängend zu klingen. »Wer auch immer sie angezeigt hat, hat es aus reiner Mißgunst getan. Sie ist eine gute Christin, und weder übt sie Schwarze Magie aus, noch würde sie einen Diener Gottes vom rechten Pfad abbringen.«

»Junger Mann«, erwiderte der Kardinal scharf, »ich muß mich doch sehr wundern. Die Person, die das Mädchen angezeigt hat, ist völlig vertrauenswürdig, und wir haben genügend Zeugen, um sowohl die Magie als auch den sündigen Verkehr zu bestätigen. Überdies handelt es sich um eine Zigeunerin. Und Ihr wißt, daß Zigeuner an sich schon Kinder des Teufels sind.«

Richard spürte, wie ihm Schweißtropfen den Rücken herunterrannen, aber er verzog keine Miene. Wenn er jemals Selbstbeherrschung gebraucht hatte, dann jetzt.

»Sind nicht alle Menschen Kinder Gottes, Euer Eminenz?« gab er zurück. »Und als solches hat sie doch zumindest Anspruch auf eine Verteidigung. Das entspricht der Prozeßordnung.«

»Gewiß«, sagte Kardinal Orsini langsam und fragte sich, ob dieser unangenehme Eindringling nicht selbst von den Zigeunern abstammte. Seine Haut war ziemlich dunkel, wenn man es recht betrachtete, und die Augen von einem Schwarz, wie es höchstens in Sizilien vorkam, wo man kaum jemanden fand, der nicht arabische, griechische und normannische Vorfahren zugleich hatte.

»Ihr scheint mir recht beschlagen auf diesem Gebiet. Wollt Ihr am Ende selbst ihre Verteidigung übernehmen?«

»Wenn Euer Eminenz es gestatten. Ich bin zwar kein Kleriker, aber das Recht schreibt nur vor, daß der Verteidiger studiert haben muß, und das habe ich.«

Das Gegenteil zu beweisen würde Kardinal Orsini in der Eile unmöglich sein, dachte Richard. Während er immer noch vor dem alten Mann stand, spürte er voll Entsetzen, wie Erschöpfung sich in ihm breitmachte. Nach seinem Besuch bei der Königin hatte er eine weitere Auseinandersetzung mit Zink gehabt, der sich grundsätzlich geweigert hatte, Geld und Ansehen des Unternehmens Fugger für einen skandalträchtigen Prozeß freizugeben.

»Um ganz aufrichtig zu sein«, hatte Zink ungewöhnlich grob gesagt, »mir scheint, Ihr seid nicht mehr ganz bei Trost, Richard. Erst verlangt ihr von mir einen Passierschein nach Florenz, um dort irgend jemanden zu retten, und dann soll ich mich in eine derartig unangenehme Angelegenheit mischen. Wirklich, ich glaube, Ihr reist am besten nach Augsburg zurück.«

Richard versuchte, sich ganz auf den Kardinal zu konzentrieren und nicht an Mario zu denken. Mario mochte in ungeahnten Schwierigkeiten stecken, aber Saviya würde mit Sicherheit sterben, wenn niemand ihr half. Er bemühte sich auch, das zu vergessen, was ihm durch den Kopf geschossen war, als die Königin ihm von Saviya erzählt hatte. Er war erschrocken und entsetzt gewesen, gewiß, auch wütend auf Saviya, weil sie seine Warnungen in den Wind geschlagen und so diese Anzeige erst möglich gemacht hatte, außerdem schuldbewußt, weil er sie in die tödlichen Intrigen der Orsini verwickelt hatte. Doch zugleich erkannte er die unerwartete Gelegenheit, die sich ihm hier bot. Nun konnte er die Vergangenheit noch einmal erleben, durch eigene Kraft umschreiben und dadurch seine Schuld endgültig sühnen: eine Hexe vor dem Scheiterhaufen retten, nicht in Gedanken, nicht durch Bücher, nicht durch Gesuche, sondern in der Tat.

»Nun«, sagte Kardinal Orsini schließlich, »warum eigentlich nicht? Ihr habt recht, selbst eine Hexe hat Anspruch auf einen Verteidiger. Warum nicht Ihr?«

Richard war zu angespannt, um Erleichterung und Dankbarkeit zu spüren, aber er bemühte sich, beides auszudrücken. Er kniete noch einmal vor Kardinal Orsini nieder, küßte den Ring und war sich dabei der Tatsache bewußt, daß der Kardinal ihn offensichtlich entweder für harmlos oder für völlig unfähig halten mußte, denn sonst hätte er der Verteidigung niemals so schnell zugestimmt.

In Rom gab es zwei Gefängnisse. Politische Gefangene setzte man gewöhnlich in der Engelsburg fest, kein besonders angenehmer Aufenthaltsort vielleicht, aber um vieles besser als das überfüllte und verseuchte Stadtgefängnis, in dem die Gefangenen sich häufig gegenseitig umbrachten. Saviya hatte Glück, daß man Hexen grundsätzlich in Einzelzellen sperrte. Dennoch kämpfte Richard mühsam um Fassung, als er zu ihr gelassen wurde.

Um ihm über die ersten Sekunden hinwegzuhelfen, ergriff Saviya das Wort. Mit ihrem leichten, spöttischen Ton, der ihm zeigen sollte, daß sie sich von ihrer Umgebung nicht im geringsten hatte einschüchtern lassen, meinte sie:

»Keine Versuchung ist süßer als die, zu sagen: ›Das habe ich dir ja gleich gesagt‹, nicht wahr, Riccardo?«

»Wenige«, gab er mit einem etwas gezwungenen wirkenden Lächeln zu. »Aber mach dir keine Sorgen, ich werde es nicht sagen. Saviya, ich bin hier, weil mir Kardinal Orsini gestattet hat, deine Verteidigung zu übernehmen.«

Sie biß sich auf die Lippen. »Da gibt es nichts zu verteidigen, Riccardo. Ich bin eine Hexe.«

»Ich weiß, daß du für eine ganze Reihe von Leuten gewahrsagt hast, aber hast du je jemand mit Flüchen belegt? Oder Liebeszauber ausgesprochen oder dergleichen?«

Ein Hauch von Belustigung färbte ihre Augen, die im Halbdunkel der Zelle wie zwei grüne Edelsteine glänzten. »Also wirklich, Riccardo. Natürlich nicht. Es wäre ausgesprochen dumm gewesen, sich auf diese Art die Kunden zu verscheuchen, denn dann hätten sie bald geargwöhnt, ich könnte auch sie verfluchen, wenn mir der Sinn danach stünde.«

»Gut«, sagte Richard erleichtert. »Wenn es für nichts als Wahrsagerei Zeugen gibt …«

»Wo liegt der Unterschied?«

»Prophezeiungen können auf Visionen beruhen, und Visionen kommen von Gott. Ich werde behaupten, daß Gott dir die Gabe verliehen hat, die Zukunft zu sehen, weil der Teufel als Fürst der Lüge es gar nicht kann.«

»Glaubst du das?« fragte Saviya sehr ernst. »Daß Gott mir die Gabe verliehen hat, die Zukunft zu sehen?«

Er fand es unerwartet schwierig, zu sprechen, und schüttelte nur den Kopf. Saviya seufzte und griff durch die Gitterstäbe nach seiner Hand. »Ich muß dir noch etwas sagen, Riccardo …«

»Später«, unterbrach Richard sie abrupt. »Erst müssen wir noch etwas klären. Wie lange«, die Worte schienen sich aus seinem Hals herauszuquälen wie kantige Steine, »wie lange kennst du den Kardinal von Valencia … näher? Wie oft warst du bei ihm, und welche Zeugen gibt es dafür?«

Saviya zog ihre Hand zurück. Sie trat etwas weiter in ihre Zelle zurück, und er konnte sie in dem rußigen Licht, das die Fackeln im Gang verbreiteten, kaum mehr erkennen. »Das ist wichtig für meine Verteidigung, Saviya.«

»Wie willst du mich verteidigen?« fragte sie tonlos. »Du hast nie irgend etwas verstanden, Riccardo. Oh, ich war ein paarmal mit dem Raja zusammen, nachdem ich nach Rom kam, aber als ich dich wiedergefunden hatte, war das vorbei. Ihr Gorgios hört immer nur auf die Worte, nie auf die Stimme des Blutes. Ich habe mein Blut mit deinem getauscht, Riccardo, hast du nie begriffen, daß ich dich liebe und immer lieben werde? Du hast mich nicht gebeten, zu dir zurückzukommen. Statt dessen hast du mich am Neujahrstag als Dirne bezeichnet. Natürlich bin ich danach wieder zu ihm gegangen.«

Schweigen lag zwischen ihnen, so schwer lastend wie die verbrauchte Luft dieser Kerkerwelt.

»Welche Zeugen?« fragte Richard schließlich.

»Alle. Niemand«, antwortete sie kühl. »Es war nicht gerade ein Geheimnis, aber eigentlich ließ er mich kommen, um zu tanzen und seinen Gästen wahrzusagen. Er selbst glaubt nicht daran, genau wie du. Aber er sagte mir, er fände es sehr aufschlußreich, was seine Gäste glauben würden.«

»Gut.« Richard zwang sich, nur die Neugier eines Anwalts zu zeigen. Er wollte sich jetzt nicht Saviya und Cesare Borgia zusammen vorstellen. Und noch weniger wollte er an Saviya und sich selbst denken, die eben ausgesprochenen Worte auf sich wirken lassen und sich ausmalen, was hätte sein können, wenn er seinen Stolz überwunden und ein einziges Mal offen mit ihr gesprochen hätte. Jedenfalls war nun auch geklärt, wie Fabio Orsini die Verbindung zwischen dem Kardinal von Valencia und Saviya entdeckt hatte. Er brauchte nur einmal bei Cesare Borgia eingeladen gewesen zu sein.

»Du hattest also einen guten Grund für deine Besuche?«

»Riccardo«, sagte sie unvermittelt, »hör mir diesmal zu. Ich habe in Florenz immer wieder versucht, deine Zukunft im Reisig zu lesen, zuerst mit dem Woiwoden, dann alleine. Der Woiwode glaubte, daß Tod von dir ausgeht, aber ich sah etwas anderes. Ich sah zwei Straßen – die Möglichkeit zum Leben und Tod für jemanden, der dich liebt. Das verwirrte mich, weil ich nicht wußte, welche Deutung die richtige ist, bis ich es verstand, und es erfüllt sich jetzt.«

Der Schutzwall, den er sich mühsam aufgebaut hatte, brach in sich zusammen und wurde hinweggespült. Er umklammerte mit beiden Händen die Gitterstäbe, und es war nicht klar, ob er sie fortschleudern oder sich an ihnen festhalten wollte.

»Du wirst nicht sterben, Saviya«, flüsterte er rauh, »du wirst nicht sterben!«

»Nein«, erwiderte Saviya traurig. »Ich weiß nicht, warum; denn es sieht nun wirklich nicht gut für mich aus. Aber ich werde nicht sterben. Mario wird sterben.«

»Mario?«

»Ich sagte doch schon, Riccardo, du begreifst nie, wann jemand dich liebt. Aber ich habe das sofort begriffen, und deswegen habe ich ihn gehaßt, noch ehe ich ihn wiedererkannt habe. Bis er mir leid tat, weil du blind bist und er gefesselt von seinem Gott und seinem Gewissen. Er hätte nie etwas getan, was über Freundschaft hinausging, aber er liebt dich, und Gott helfe dir, Riccardo, du liebst ihn auch. Nur muß man dir so etwas sagen, von alleine merkst du es nicht, und ich sage es dir jetzt, weil ich gesehen habe, daß er sterben wird, wenn ich lebe. Und ich will seinen Tod nicht auf meinen Schultern tragen.«

Und wenn es wahr ist, und wenn es wahr ist, dachte Richard, während er durch die nächtlichen Straßen von Rom lief, ohne zu merken, daß er seine Eskorte längst verloren hatte. Sie hatte keine Möglichkeit, zu erfahren, was in Florenz geschehen ist. Und wenn sie sehen kann, und wenn es wahr ist …

Eine Gestalt griff ihn aus der Dunkelheit heraus an. Es mußte ein noch ungeübter Straßenräuber sein, denn er stach nicht sofort zu, sondern versuchte zuerst, die Börse zu erreichen, und Richard wandte erstmals die Verteidigungskünste an, die er sich angeeignet hatte. Mit wenigen Handgriffen, getrieben von Haß, der nicht einem unbekannten Dieb galt, entwaffnete er den Mann und schlug auf ihn ein, bis der Angegriffene zu Boden sank und liegenblieb. Und wenn es wahr ist, was tue ich dann?

Der Kampf mit dem Unbekannten hatte seine Gedanken etwas geklärt, und auf dem Weg zum Fondaco hielt er immer wieder inne, weil ihm mehr und mehr seine eigene Rolle bewußt wurde: ein selbstsüchtiger Narr. Richard Artzt, der Retter der Hexen. Hatte er wirklich ernsthaft geglaubt, daß noch so raffinierte Argumente einen Freispruch erwirken würden? Bei Männern, die fest entschlossen waren, Saviya zu verurteilen? Oh, er hatte mit Widerstand gerechnet, doch um so besser, dann würde der Prozeß andauern, bis der Papst wieder zurück war. Und was genau hatte er vom Papst erwartet? Alexander konnte sich keinen weiteren Skandal mehr leisten, nicht nach der Sforza-Affäre. Es war wahrscheinlich, daß man Saviya einfach verschwinden ließ.

Und wenn nicht, wie sollte er Kardinal Orsini davon abhalten, schließlich die Folter zu befehlen? Saviya mochte in ihrem Leben schon manches ertragen haben, aber niemand widerstand auf Dauer der Folter.

Er mußte Saviya das Leben retten, und er mußte Mario das Leben retten. Beiden, irgendwie.

Schließlich suchte er noch einmal die Königin auf. Sie hörte sich seinen verzweifelten Plan eines Gefängnisausbruchs an und schüttelte dann energisch den Kopf.

»Auf gar keinen Fall. Mir liegt an der Kleinen, aber nicht so sehr, daß ich uns alle gefährden würde. Selbst angenommen, es gelingt Euch, mit ihr aus diesem gutbewachten Gefängnis wieder heraus und in die Katakomben zu entkommen – was ich bezweifle –, wißt Ihr, was dann geschehen würde? Die Orsini sind nicht dumm, und Fabio Orsini kann zwei und zwei zusammenzählen. Zahllose Wachen würden die Katakomben durchsuchen, unsere Verstecke wären zum Teufel, und unsere Geheimnisse für die nächsten zehn Jahre auch. Nein, Riccardo. Tut mir leid.«

Er schwieg, musterte die Frau, die über ein Reich von Menschen herrschte, von denen selbst die Kinder sie ohne weiteres umbringen konnten. Er spürte, daß sie genau wußte, woran er eben gedacht hatte.

»Wie weit reichen die unterirdischen Gänge?« fragte er abrupt.

»Warum wollt Ihr das wissen?« fragte sie mit ihrer unwirklich jugendlichen Stimme zurück, in der sich Anmut mit Drohung mischten.

»Ich möchte wissen, ob Ihr mir helfen könnt, unbemerkt die Stadt zu verlassen.«

»Hmmm«, sie summte leise, »möglich. Die Gänge reichen so weit, aber die äußersten Enden sind vielfach eingestürzt und werden eigentlich nie benützt. Dennoch, Ihr könnt es versuchen. Ich gebe Euch einen Führer mit.«

»Danke. Und dazu brauche ich noch einen Doppelgänger.«

»Einen Doppelgänger?« fragte die Königin, zum ersten Mal ein wenig verblüfft.

»Jemand, der sich für mich ausgibt, jeden Tag Saviya besucht und sich im Handelshof blicken läßt. Er braucht sich innerhalb des Fondacos nur für gewisse Leute sehen zu lassen, die den Hof beobachten, ebenso wie das Gefängnis. Dazu müssen wir natürlich die Kleider tauschen. Wenn ich Erfolg habe, bin ich ohnehin bald wieder zurück. Der Prozeß beginnt bereits übermorgen, und dann nützt ein Doppelgänger nichts mehr.«

»Und wenn Ihr keinen Erfolg habt?«

»Dann werde ich wahrscheinlich als Leiche im Tiber verschwinden, und Ihr braucht Euch ebenfalls keine Sorgen mehr zu machen.«

»Wie beruhigend«, sagte die Königin trocken.