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JETZT, DA ES WIEDER EINEN PAPST gab, mit dem man reden konnte, war der rührige Johannes Zink in seinem Element. Ein neuer Papst ließ auch neue Pfründe erwarten, und niemand war so geschickt darin wie Zink, die Abgaben, die eine bestimmte Gemeinde ihrem Prior, dieser dem Bischof und dieser wiederum seinem Kardinal schuldete, so zu vermitteln, daß sie bei Klerikern landeten, die dem Unternehmen Fugger verpflichtet waren und diesem Unternehmen ihrerseits ihr Geld zur Verfügung stellen würden. Und keine der vielen Banken und auch keines der Handelshäuser verstand es, die Gelder der Kirche aus den entlegensten Winkeln der Bistümer der Welt so rasch nach Rom zu transferieren wie Jakob. Zink ging wieder im Vatikan ein und aus; Richard binnen kurzem eine Audienz beim Papst zu verschaffen, war ihm ein leichtes.
Die äußeren Bezirke des Vatikans waren der Öffentlichkeit zugänglich, und Richard hatte sie auch schon oft besucht, doch nun sollte er erstmals die päpstlichen Gemächer zu sehen bekommen. Überall waren Maler und Zimmerleute zugange. Inmitten der Betriebsamkeit tauchten auch immer wieder antike Statuen auf, und Richard blieb so oft stehen, um sie zu bewundern, daß selbst der nicht leicht zu verärgernde Zink ungeduldig sagte:
»Der Heilige Vater wartet! Wenn wir uns nicht beeilen, können wir erst am Dienstag wiederkommen, wenn die öffentlichen Audienzen stattfinden – zusammen mit tausend weiteren Bittstellern!«
Tatsächlich war der Papst nicht der Mann, der ruhig auf jemanden wartete; als sein Kämmerer Richard und Zink meldete, war er gerade dabei, einen Erlaß zu diktieren.
»… angesichts der über zweihundert Toten infolge der Exzesse der Vendetta während des Interregnums befehlen wir, daß künftig die Träger von Dolchen und Degen durch Ordnungskräfte streng auf ihre Absichten geprüft werden, und darauf, ob ihre Klingen vergiftet sind …«
Alexander VI. unterbrach sich und bedeutete seinem Sekretär, zu warten. »Zu den neuen Friedensrichtern für Familienfehden kommen wir später, Niccolo. Wie ich sehe«, er wandte sich an die beiden Neuankömmlinge, die niederknieten, »sind unsere deutschen Freunde eingetroffen.«
Zink hatte Richard schon kurz nach der Wahl voll Freude anvertraut, daß er mit Kardinal Borgia, dem Vizekanzler der Kirche, bereits des öfteren zu tun gehabt habe und nun darauf hoffen könne, von dem neuen Papst als vertrauter Handelspartner erst recht bevorzugt behandelt zu werden. Nun strahlte er, als ihm Alexander huldvoll die Hand zum Kuß reichte und dabei bemerkte: »Giovanni, alter Freund, wie schön, Euch hier zu sehen.«
Der Papst brauchte Geld, konstatierte Richard nüchtern. Besonders nach dem, was er vermutlich für die Wahl ausgegeben hatte, nicht zu vergessen die Krönungsfeierlichkeiten. Zweifellos würde Jakobs Kalkulation aufgehen – eine prozentuale Beteiligung am Ablaßhandel gegen Kredite und die Vermittlung der Schweizer Söldner. Plötzlich wünschte Richard sich, das alles könnte ihm gleichgültig sein, aber in seinem Inneren mahnte ihn ständig eine Stimme, die verdächtig wie die Marios klang, daß der Mann, dessen Ring er soeben küßte, der sich bei Zink mit deutlichem Interesse nach der Gesundheit des werten Messer Fugger in Suavia erkundigte, eigentlich der Stellvertreter Gottes auf Erden war.
»Messer Riccardo hat für Euch eine Botschaft von ihm, Euer Heiligkeit«, sagte Zink und lenkte Richards Aufmerksamkeit damit wieder zurück auf sein eigentliches Anliegen, »in einer höchst bedenklichen Angelegenheit.«
Richard griff das Stichwort auf. »Mein Onkel hat festgestellt«, sagte er, seine Worte sorgfältig wählend, »daß der oberste Inquisitor der deutschen Lande, Bruder Heinrich Institoris von den Dominikanern, sich Nebeneinkünfte in Form von gefälschten Ablässen verschafft, zu Lasten des Heiligen Stuhls.«
Damit überreichte er dem Papst Jakobs Brief und beobachtete, wie das Wohlwollen aus den Zügen Alexanders schwand und einer kalten Wut Platz machte. Die sinnlichen, üppigen Lippen wurden schmal, während der Papst den Brief überflog, und als er sprach, kam sein spanischer Akzent, den er während seiner über dreißig Jahre in Italien nie ganz verloren hatte, deutlich hervor und ließ seine Worte scharf wie ein Schwert klingen.
»Fra Institoris«, murmelte Alexander gefährlich leise. »Wurde er nicht seinerzeit von Kardinal della Rovere empfohlen? O ja, wir erinnern uns.«
Er richtete seinen Blick auf den vor ihm knienden Richard. »Warum habt Ihr uns nicht schon früher benachrichtigt? Auch als Vizekanzler hätten wir in dieser Angelegenheit einiges unternehmen können.«
Zink machte ein alarmiertes Gesicht, doch Richard begegnete den Augen, in denen die gleiche Dunkelheit ruhte wie in seinen eigenen, ohne Furcht oder geheuchelte Demut.
»Man teilte mir mit«, gab er ruhig zurück, »daß nur der Heilige Vater persönlich über Belange entscheiden könnte, die einen Inquisitor betreffen, und der Heilige Vater war kaum in der Verfassung dazu. Auch das Kardinalskollegium schien mir mit … anderen Dingen beschäftigt.«
Einige Sekunden lang fürchtete er, er sei zu weit gegangen. Die dichten Augenbrauen des Papstes zogen sich zusammen, Zink schaute starr auf den Boden, und Richard spürte den harten Marmor unter seinen Knien sehr deutlich. Dennoch rührte er sich nicht vom Fleck.
Plötzlich lachte Alexander, und aus dem bedrohlichen Herrscher wurde wieder ein gutmütiger Kirchenfürst. »Santiago, wir waren mit anderen Dingen beschäftigt! Aber wie dem auch sein mag, wir werden uns um diesen irregeleiteten Dominikaner kümmern, und die Verluste, die durch ihn entstanden sind, werden sich schon irgendwie wettmachen lassen. Wir rechnen dabei auf Eure Mithilfe, Messer Giovanni«, fügte er mit einem für Zink bestimmten Kopfnicken hinzu. Dann wandte er sich wieder an Richard.
»Und Ihr – Riccardo war doch Euer Name? Nun, Messer Riccardo, es scheint Euch wahrhaftig nicht an Mut zu fehlen. Wir erwarten, auch von Euch noch öfters zu hören. Grüßt Euren Onkel und versichert ihn unseres Wohlwollens.«
Damit waren sie entlassen, und der Papst fuhr fort, seinem Sekretär zu diktieren, als befänden sie sich schon nicht mehr im Raum. Erst als er den Vatikan verlassen hatte, wo Zink noch mit mehreren Beamten verabredet war, gestattete sich Richard ein erleichtertes Aufatmen.
Somit sollte er eigentlich in der Lage sein, die Vergangenheit endgültig zu begraben – in diesem Fall, dachte er mit einem aufflackernden Zynismus, wohl kaum die passende Wortwahl. Immerhin sah es so aus, als ob sich die Zukunft gut gestalten würde – ihm war es schließlich gelungen, von einem Orsini, der angeblich nur mit Gott sprach, für den heutigen Abend eingeladen zu werden. Wenn man bedachte, wie leicht ihm das gefallen war, dann hatten Zink und die anderen entweder absichtlich maßlos übertrieben, oder der Pfründenvermittler war als Kaufmann doch nicht so gut, wie Jakob glaubte.
Er verbrachte den Rest des Tages damit, die hiesigen Goldschmiede zu überzeugen, daß ein Fremder ebensogut feilschen konnte wie sie und außerdem etwas von Steinen und Gold verstand, und verabschiedete sich von Mario, der mit Giovanni de'Medici für einige Zeit nach Florenz zurückreiste.
Am Abend machte er sich, von dem Fackelträger begleitet, der in Rom nach Sonnenuntergang unabdingbar war, auf den Weg zum Palazzo der Orsini. Niemand wagte es, allein durch die dunklen Gassen zu wandern, und außerdem war ein Fackelträger auch ein Statussymbol, auf das man bei einem Besuch von möglichen Kunden nicht verzichten konnte.
Wenn man bedachte, daß Fabio Orsini einer der beiden mächtigsten Adelsfamilien Roms angehörte, war das Bankett, das er gab, überraschend klein; außer Richard fanden sich nur noch vier oder fünf andere Gäste ein, zum größten Teil ebenfalls Orsinis, wie es schien. Zu Richards Erstaunen kam keiner in Frauenbegleitung, obwohl bis auf einen etwa fünfundvierzigjährigen Mann, den Fabio Orsini als ›mein Freund Vito‹ vorstellte, alle Gäste jung waren.
Ein rotblonder Mann neben Fabio hatte offenbar schon eine ganze Menge getrunken, und die Folgen waren von Becher zu Becher mehr zu erkennen. Mit einem Mal schlug er mit seiner Faust auf den Tisch und schrie: »Gott verdamme alle Katalanen!«
»Amen«, entgegnete Fabio mit boshafter Sanftmütigkeit, »aber schließt das dich nicht ein, Orso? Immerhin ist deine Mutter die Base unseres verehrten Heiligen Vaters, und das macht dich zu einem halben Borgia.«
Der mit ›Orso‹ Angesprochene legte die Arme auf den Tisch und schluchzte: »Ich weiß. Ich muß ihn auch noch als Verwandten empfangen. Dio, wißt Ihr, wie Ercole Colonna, dieser Bastard, Giulia öffentlich genannt hat? ›Die Braut Christi‹! Und das mir!«
»Ihr müßt wissen«, sagte Fabio mit keineswegs gesenkter Stimme zu Richard, »mein Vetter Orso trägt schwer daran, daß seine junge, hübsche Gemahlin, Giulia Farnese, in einem Haus mit der Base und der Tochter des Papstes lebt – als die Geliebte des Papstes.«
»Es ist eine Schande für die Familienehre!« stieß Fabios Nebenmann hervor. »Keiner kann mir einreden, daß der katalanische Hurenbock das nicht von Anfang an beabsichtigt hat, als er Orso die kleine Farnese als Braut anbot. Aber so etwas macht man nicht mit einem Orsini!«
»Sie ist erst neunzehn«, schluchzte Orso Orsini, wurde von einem weiteren Verwandten jedoch barsch abgefertigt: »Das ist doch Nebensache. Es zählt nur, daß der Borgia, statt uns für unsere Unterstützung während des Konklaves zu danken, uns seit seiner Wahl unausgesetzt beleidigt.«
»Warum habt Ihr ihn überhaupt unterstützt?« ergriff Fabio Orsinis Freund Vito liebenswürdig zum ersten Mal das Wort. In Richard rief seine Stimme ein fast vergessenes Echo wach. Er war sich sicher, diesem Vito noch nie begegnet zu sein, doch irgend etwas an seiner Haltung, etwas in seinem Tonfall kam ihm merkwürdig vertraut vor. Er nahm sich vor, später darüber nachzugrübeln, denn die beinahe erschreckende Offenheit, mit der hier gerade geredet wurde, erforderte seine ganze Aufmerksamkeit.
Fabio zuckte die Achseln. »Die Colonna unterstützten della Rovere, und wir tun immer das Gegenteil. Aber Santino hat recht. Der Borgia wird noch unerträglich werden, wenn man ihm nicht zeigt, wer hier in Rom das Sagen hat. Ich zumindest denke nicht daran, mich von einem päpstlichen Ordnungshüter entwaffnen zu lassen. Und wenn er es wagen sollte, unserer Familie das Amt des Gonfaloniere der Kirche zu entziehen, nur um einen seiner Bastarde damit zu betrauen …«
»Er wird es wagen, verlaß dich darauf«, unterbrach ihn Santino Orsini. »Onkel Niccolo hat mir erzählt, daß er dem Kardinalskollegium bereits seine Kandidaten für Neuernennungen unterbreitet hat. Unter den neuen Kardinälen sind: Juan Borgia, sein Neffe, Cesare Borgia, sein Sohn, und Alessandro Farnese, Giulias Bruder. Seinen jüngeren Bastard, der auch Juan heißt, hat er vom König von Aragon bereits zum Herzog von Gandia machen lassen. Und wie lange glaubst du, wird es dauern, bis einer von seinen Söhnen auf das Amt des Gonfaloniere schielt?«
Richard hätte nicht genau sagen können, warum, aber er konnte die schwüle Atmosphäre von Gefahr fast körperlich spüren. Vor allem störte ihn, daß die Orsini vor einem Fremden gar nicht so offen hätten reden dürfen. Oder verließen sie sich darauf, daß das Wort eines Fremden nichts galt? Er bemerkte, daß Vito ihn beobachtete, und zerbrach sich wieder den Kopf, woher er diesen Mann kennen konnte. Nachdenklich nippte er an dem Wein, dem der unglückliche Orso Orsini so reichlich zusprach.
»Sagt uns, Riccardo«, unterbrach Fabio Orsini seine Gedanken, »wie rächt in Eurem Land eine Familie ihre Schmach?«
»Bei uns sind die Gesetze der Vendetta weniger blutig«, entgegnete Richard mit einem leichten Lächeln. »Man bringt sich nicht gegenseitig um, sondern ruiniert einander das Geschäft.«
Die jungen Orsini ließen spöttische Ausrufe hören, bis auf Fabio und seinen Freund, die beide schwiegen. »Bah! Nur Fische können mit so etwas zufrieden sein«, sagte Santino Orsini. »Für uns gibt es keine Befriedigung … außer durch den Tod.«
Richards unbestimmtes Mißtrauen verdichtete sich zu quälendem Argwohn. Aber Fabio lachte, und er versuchte sich etwas zu entspannen. Welche Gefahr sollte ihm hier schon drohen? Schließlich hatte er die Orsini noch nie beleidigt.
»Genug davon«, sagte Fabio gutgelaunt. »Und auch genug von den Borgia und anderen unerquicklichen Dingen. Ich habe eine kleine Unterhaltung für uns alle vorbereitet.«
Er klatschte in die Hände, und seine Diener löschten fast alle Fackeln, die den Raum bisher erhellt hatten. Eine Trommel begann zu schlagen, und in Richard krampfte sich alles zusammen, als drei buntgekleidete Zigeunermädchen hereinliefen, brennende Holzstäbe in ihren Händen. Keine von ihnen sah auch nur entfernt so aus wie Saviya, aber das flackernde Licht, die fliegenden schwarzen Haare und der quälende, lockende Tanz, all das setzte mehr Erinnerungen in ihm frei, als er ertragen konnte. Vielleicht war etwas mehr von dem süffigen Frascati doch keine schlechte Idee. Sofern Orso Orsini etwas übriggelassen hatte.
Er versuchte, den Rhythmus der Trommeln aus seinem Kopf zu vertreiben. Schon nach erstaunlich kurzer Zeit vernahm er nur noch ein gedämpftes, gleichmäßiges Dröhnen, und die Mädchen schienen zu vielfarbigen Flecken in der Dunkelheit zu verschmelzen. Der Wein in seinem Mund schmeckte plötzlich schal. Irritiert kniff Richard die Augen zusammen und sah dabei zufällig zum anderen Tischende, wo Fabios Freund Vito saß. Das Licht einer Fackel erhellte flüchtig das Gesicht des Mannes, nur ganz kurz, zeichnete Schatten, die wie eine Maske wirkten, und Richard erstarrte.
Plötzlich war ihm wieder eingefallen, wo er Vito begegnet sein könnte.
Du bist es doch, ich habe mich nicht geirrt, Vittorio de'Pa –.
Er versuchte aufzustehen und merkte, daß seine Beine ihm den Dienst versagten. War es möglich, daß er schon so viel getrunken hatte? Von hinten ergriffen ihn plötzlich zwei Hände, und er hörte Fabio Orsini fast zärtlich in sein Ohr flüstern: »Es ist Zeit für Euch zu gehen, Riccardo.«
Richard versuchte sich zu wehren, aber er konnte kaum mehr die Arme heben, geschweige denn, jemanden zurückstoßen. Mindestens zwei Leute hoben ihn auf und trugen ihn aus dem Raum, immer weiter, bis ihm der kühle Luftzug sagte, daß er sich außerhalb des Palazzos befinden mußte. Man ließ ihn fallen, und der Schlamm, in dem er sich wiederfand, bewies, daß man ihn an den Tiber gebracht hatte, nicht auf die Straße. Eine Fackel erhellte auf einmal seinen immer enger werdenden Blickwinkel. Er erkannte die beiden Gesichter, die sich über ihn beugten.
»Einerseits«, sagte Fabio Orsini spöttisch, »möchte ich mich für dieses Vergehen gegen die Gastfreundschaft entschuldigen, andererseits hätte ich Euch kaum zu mir eingeladen, wenn mich nicht mein Freund Vittorio darum gebeten hätte. Es ist mir schon peinlich genug, mit Krämern wie den Medici verwandt zu sein, und ich verkehre nur mit ihnen, wenn es sich nicht vermeiden läßt. Obwohl ich zugeben muß, daß Ihr nicht schlecht ausseht – für einen Krämer.«
»Ihr fragt Euch vielleicht, warum Ihr nicht schon längst tot seid, Tedesco«, sagte Vittorio de'Pazzi im selben Plauderton. »Die Antwort ist, ich möchte Euch an demselben Gift sterben sehen, das ich Euretwegen nicht diesem Dreckskerl Lorenzo verabreichen konnte, und es wirkt langsam. Sehr langsam. Ihr werdet genügend Zeit haben, zu bereuen, daß Ihr mich daran gehindert habt, meine Familie an den Medici zu rächen, und rechnet nicht damit, daß Euch jemand zu Hilfe kommt. Eurem Fackelträger ist mitgeteilt worden, daß Ihr Euch mit einer der Zigeunerinnen vergnügt, und sollte es überhaupt jemand kümmern, was aus einem Fremden wird, dann werden sie glauben, sie hätte Euch ausgeraubt und umgebracht.«
Bisher hatte er offensichtlich neben seinem Opfer gekniet, denn jetzt entfernte sich sein Gesicht wieder. Er stand auf und versetzte Richard einen heftigen Tritt. »Um das Gesagte etwas glaubhafter zu machen.«
»Richtig. Was täte ich nur ohne dich, Vittorio«, stimmte Fabio Orsini zu und räumte Richard nicht eben sanft die Taschen aus. Seine Stimme verschwand irgendwohin in die Nacht, als er dem Beispiel seines Freundes gefolgt war und sich mit einem Tritt verabschiedet hatte.
»Ich fürchte, das war's dann. Addio, bello.«
Richard blieb zurück, das Gesicht in den feuchten Schlamm des Flußufers gepreßt. Er atmete unregelmäßig, sog die Nachtluft tief ein, obwohl es ihm Schmerzen bereitete, aber das feurige Glühen in seinem Hals bewies ihm zumindest, daß noch Leben in ihm war.
Das Entsetzen wollte und wollte ihn nicht übermannen. Statt dessen mußte er gegen die Versuchung ankämpfen, zu lachen. Unter allen Todesarten konnte er sich keine absurdere ausmalen, als hier in Rom an Gift zu sterben, einer alten Fehde wegen, mit der er nicht das geringste zu tun hatte. Wie unsinnig die Prophezeiungen von allen Seiten doch gewesen waren. Nicht die Inquisition, nicht das Feuer hatte ihn schließlich eingeholt, sondern einer dieser sinnlosen italienischen Vendetta-Feldzüge. Ob die Toten auf ihn warteten? Er versuchte sich vorzustellen, bald seine Mutter wiederzusehen, und konnte es nicht. Statt dessen drängten sich ihm andere Bilder auf: Saviya mit dem Messer in der Hand, Mario, der auf der Straße nach Ferrara ein Lied sang, Sybille und Ursula vor dem Kaminfeuer, Jakob über das Schachbrett gebeugt, immer einen Zug voraus.
Es tut mir leid, sagte er zu ihnen allen, während sich seine Lippen tonlos bewegten. Er versuchte noch einmal, eine Erinnerung an seine Kindheit zu finden, und stieß statt dessen auf das Feuer, das brannte, brannte … Er blinzelte. Licht näherte sich ihm, wirkliches Licht, das auf einige bunte Kleider und braune Haut fiel. Saviya hatte ihm ein paar Ausdrücke ihrer Sprache beigebracht, nicht sehr viele, aber mit der letzten Kraft seines schwindenden Bewußtseins stieß er krächzend hervor: »Helft mir!«
Dann umgab ihn die Dunkelheit, und er spürte nichts mehr.