25
LORENZOS VORSCHLAG, eine Predigt des hochlöblichen Fra Savonarola zu besuchen, war durchaus mit Berechnung vorgebracht. Es konnte Cesare Borgia nicht schaden, einige Dinge zu hören, die ihm sonst nie jemand sagen würde. Savonarola würde gerade vor einem Borgia nicht mit Anklagen sparen. Lorenzo war nicht nachtragend, doch er hatte sich in letzter Zeit genügend von dem fanatischen Prediger anhören müssen, um jetzt nicht gerne einmal ein anderes Opfer zu beobachten.
Also besuchten die Medici, von Lorenzo bis zu seinem jüngsten Sohn, dem zehnjährigen Giuliano, mit ihrem Gast das Kloster San Marco. Savonarola hatte aus diesem Anlaß neben seiner gewohnten Anhängerschaft nun auch die Müßiggänger zu seinen Füßen, die auf einen gehörigen Skandal hofften. Er enttäuschte sie nicht.
Savonarola begann mit Christus, der die Wucherer aus dem Tempel trieb, und sprang ohne Umschweife auf die Gegenwart über. »Hört, was da geschrieben steht: ›Gesegnet das Haus, das eine fette Pfründe hat!‹ Aber eine Zeit wird kommen, da gesagt werden wird: ›Wehe jenem Haus!‹ Ihr werdet die Klinge des Schwertes auf euch fühlen. Einst schämtet ihr euch noch eurer Sünden, einst hatten die Priester zumindest noch den Anstand, ihre Sprößlinge Neffen zu nennen. Jetzt machen sie sich nicht mehr diese Umstände. ›Ich will auf euch herabfahren in eurer Verworfenheit und Bosheit‹, spricht der Herr, ›auf eure Kebsweiber und Paläste!‹«
Manch einer der Gemeinde warf heimlich einen Blick auf die Bank der Medici, um zu sehen, wie der Sohn des Kardinals Borgia darauf reagierte. Sie wurden enttäuscht. Er beobachtete Fra Savonarola sehr aufmerksam, doch aus seiner Miene ließ sich so wenig ablesen wie am Tag seiner Ankunft. Nur einmal zeigte er eine flüchtige Regung, als Savonarola von ›Marrani und Huren‹ inmitten des Vatikans sprach.
Als ›Marrani‹ wurden die bekehrten Abkömmlinge der spanischen Juden bezeichnet, und für einen Spanier gab es keine tödlichere Beleidigung. Einen Moment lang dachten die entzückten Florentiner, der Borgia würde aufspringen und vor Savonarola seine Beherrschung verlieren, doch er entspannte sich wieder, zumal der Dominikaner schon zu einem anderen Thema überging.
In keiner Predigt verzichtete Savonarola auf einen Angriff auf Lorenzo de'Medici, und er folgte seinem Konzept auch diesmal.
»Schlimmer aber noch als jene, die den Mammon anbeten, wo sie Gott anbeten sollen, ist der Tyrann, der sich selbst anbetet, der versucht, die Schamlosigkeit des Heidentums an die Stelle der Lehren Gottes zu setzen! Hüte dich, Florenz, damit du nicht wirst wie er, eine Diebeshöhle, ein Ort der Verworfenheit und des Lasters!«
Fra Savonarola war kaum aus dem Kirchenschiff gerauscht, als sich Cesare Borgia an Lorenzo wandte und ohne mit der Wimper zu zucken laut und deutlich meinte: »Hervorragender Prediger. Aber warum zum Teufel habt Ihr ihn nicht schon längst umbringen lassen und ihn Euch so vom Hals geschafft?«
Eine Sekunde lang wirkte der Schock, dann begannen alle, die diese Bemerkung gehört hatten, durcheinanderzusprechen. Piero de'Medici stieß empört hervor: »Mein Vater läßt keine Leute umbringen.« Giovanni war entsetzt: »Einen Priester?«, und Giovanni Vera, ein Gelehrter, den Kardinal Borgia seinem Sohn als Präzeptor und ständigen Begleiter mitgegeben hatte, versuchte, die Äußerung seines Schülers mit einem »Ihr solltet nicht auf diese Art scherzen, Monsignore«, wiedergutzumachen.
Cesare erklärte unbeeindruckt, noch immer an Lorenzo gewandt: »Ihr seid einer der mächtigsten Männer Italiens, Ihr müßt doch wissen, daß der Mönch dort eine Gefahr für Euch darstellt. Gefahren muß man so schnell wie möglich im Keim ersticken.«
Lorenzo erwiderte gedehnt: »Durch einen Mord würde ich ihn nicht loswerden. Ich würde ihn unsterblich machen und mich zum Verbrecher, der vor ihm Angst hatte. Laßt Euch das als freundschaftlichen Rat mitgeben, Cesare, Morde beweisen nur, daß man nicht klug oder nicht gelassen genug für eine andere Lösung war.«
Inzwischen hatte sich ein Kreis um die Medici gebildet. Verschiedene Gemeindemitglieder, die eigentlich Savonarola folgen wollten, in der Hoffnung, noch einen Segen von ihm zu erhaschen, waren stehengeblieben, zurückgekehrt und tuschelten jetzt eifrig untereinander. Cesares Blick schweifte über ihre Köpfe hinweg, dann sagte er spöttisch: »Aber selbstverständlich, Messer. Gehen wir? Ich glaube, die Messe ist beendet.«
Nachdem er ein paar Tage lang unansprechbar gewesen war – »Ist wieder eine Beichte fällig, Riccardo?« hatte Mario gefragt – und Saviya auf verschiedene Arten zum Teufel gewünscht hatte, begann Richard, sich mehr und mehr wie ein Narr zu fühlen. Warum nur hatte ihn die ganze Angelegenheit nur derart aufgebracht? Sie hatte einmal »Ich liebe dich« zu ihm gesagt, gut, aber das war im Grunde die Schwärmerei eines Kindes gewesen, genau wie diese eine Nacht vor Florenz. Und wenn sie sich von einer goldenen Kette und ein paar gönnerhaften Worten beeindrucken ließ – was machte das ihm aus, was ging ihn das an? Es war ihr Leben.
Denn er war der einzige, der erkannte, daß sie trotz ihres Äußeren noch ein Kind war – ein sehr launisches Kind, denn warum sonst hatte sich ihre Haltung ihm gegenüber in Florenz so verändert? Und ein Kind, für das er sich irgendwie verantwortlich fühlte.
Aber die Blicke zwischen Saviya und diesem Kardinalsanwärter waren ganz und gar nicht kindlich gewesen.
Richard ging seinen täglichen Aufgaben im Fondaco derart unkonzentriert nach, daß er sich den Tadel Eberdings einhandelte.
»Ich weiß nicht, was er hat«, sagte der Leiter des Fondaco später irritiert. »Er war zwar immer irgendwie eingebildet, aber gearbeitet hat er hervorragend, das muß man ihm lassen.«
»Mein Gott, das ist doch sehr einfach«, antwortete sein italienischer Schreiber. »Ihn hat der Blitz getroffen.«
»Was?«
»Amore, Messer, amore!«
»Blödsinn. Richard Artzt? Der geht doch höchstens mit Forellen ins Bett, bei dem Fischblut, das er bisher gezeigt hat.«
Richard kam es in den Sinn, einfach eine neue Reise zu machen und aus Florenz zu verschwinden. Eberding schuldete ihm ohnehin noch ein paar freie Tage. Aber dann erkannte er, daß er damit nur das tun würde, was Saviya ihm vorgeworfen hatte: davonlaufen. Schließlich entschied er, noch einmal mit ihr zu sprechen.
Er fand die Zigeuner bereits im Aufbruch. »Seid Ihr denn nach Eurem Erfolg nicht in jedem Palazzo gefragt?« erkundigte er sich verwundert.
Der Woiwode, der ihn freundlich begrüßt hatte, zuckte die Achseln. »Gewiß, aber wir müssen weiter. Keine Stadt ist länger zu ertragen, nicht für uns. Außerdem hat uns der junge Raja nach Rom eingeladen.«
»Wer?«
Der Woiwode wurde deutlicher, und Richard rang um Selbstbeherrschung. »Wo ist Saviya?«
»In der Stadt, mit Nauka, um noch ein paar Dinge zu besorgen, die wir brauchen. Laß mich überlegen, poschrat … Sagte sie nicht, sie wolle sich von dir verabschieden, in deinem Haus mit den vielen Waren?« Der Woiwode lächelte unergründlich und fügte hinzu: »Wir reisen übermorgen, Riccardo.«
Richard eilte im Laufschritt zum Fondaco zurück, um dort von einem breit grinsenden Wolfgang Schmitz empfangen zu werden. »Ihr habt Besuch in Eurer Kammer. Keine Sorge, Eberding ist nicht hier, der wird nichts merken.«
»Es handelt sich nicht um die Art von Besuch«, entgegnete Richard verärgert und hastete die Treppen hoch.
Schmitz rief ihm nach: »Aber natürlich!«
Saviya stand an einem Fenster, als er eintrat. Er öffnete den Mund, doch sie drehte sich um und begann sofort zu sprechen: »Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, daß ich die Stadt verlasse. Dann wirst du mich nie wiedersehen, Riccardo, ganz wie du es wolltest und wie ich es mir schon in Bozen gewünscht habe!«
In ihrer Stimme lag eine Mischung aus Auflehnung und Herausforderung, die Richard sofort allen guten Vorsätzen zum Trotz aufgriff. »Damals hielt ich dich nur für launisch«, erwiderte er scharf, »aber inzwischen mußte ich feststellen, daß du auch noch maßlos dumm bist. Ihr geht nach Rom, nicht wahr, und du glaubst selbstverständlich, dieser spanische Bastard hat euch nur eingeladen, weil du ihm gefallen hast!«
Saviya verschränkte die Arme hinter dem Rücken. »Ja, das glaube ich, und zwar deswegen, weil er nicht nur einen Diener zu dem Woiwoden geschickt hat, sondern auch einen zu mir.« Sie dehnte und reckte sich ein wenig. »Er hat mir noch mehr Geschenke gemacht.«
In zwei Schritten war Richard bei ihr, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. »Bist du völlig verrückt geworden? Willst du dich unbedingt verkaufen an jemanden, der dich bald wieder wegwerfen wird wie getragene Kleider? Willst du für so einen zur Hure werden?«
Saviya riß sich los. »Du bist so ungeheuer selbstgerecht, Riccardo, daß es zum Himmel stinkt! Vielleicht hast du vergessen, was ich dir einmal gesagt habe, aber ich nicht! Ich bin nicht damit zufrieden, für immer wie eine Aussätzige auf der Landstraße umherzuziehen, ich nicht! Du, du hast alles, was du dir wünschst an Kleidung, an Reichtum, an Büchern. Ich habe kein Geld, aber dieser Mann hat es, und er wird mir davon geben, und dann werde ich lernen können, was in deinen Büchern steht, dann werde ich reich und glücklich sein, und niemand wird es mehr wagen, mit Steinen nach mir zu werfen oder den Meinen auch nur ein Haar zu krümmen!«
Richard sah sie an und ließ ihre Worte in sich sinken. »Aber doch nicht so«, sagte er leise, »nicht so, Saviya.«
»Nein? Hast du einen anderen Vorschlag für eine Zigeunerin?«
Zorn kroch in ihm hoch. »Du nimmst das alles doch nur als Vorwand, weil du in Cesare Borgia vernarrt bist?«
In Saviyas Augen blitzte etwas auf, dann entgegnete sie, mit einem Mal träumerisch: »Cesare? Ist das sein Name? Ein mächtiger Name … Cesare.«
»Du wirst nicht gehen«, sagte er sehr ruhig.
»Und wer wird mich daran hindern?«
»Ich werde es.«
Er küßte sie auf den Mund, zuerst weich, dann immer heftiger mit all dem Hunger, den er sich so lange nicht hatte eingestehen wollen. Aber daran dachte er nicht, er dachte überhaupt nicht mehr, denn Saviya gab ihm ihre Lippen, erwiderte seinen Kuß voller Leidenschaft. Und all die Türen, die er immer geschlossen geglaubt hatte, öffneten sich.
Die Nachmittagssonne fiel durch das Fenster, streifte den Steinfußboden, Papiere, Kleidungsstücke und ließ Saviyas Haut wie dunkle Seide erglänzen.
»Ich liebe dich, Riccardo«, flüsterte sie, »ich habe dich immer geliebt, aber du bist so ein fürchterlich sturer Dickkopf. Ich dachte schon, ich müßte vor deinen Augen in sein Bett steigen, ehe du etwas unternimmst. Warum hast du nur gedacht, Frauen seien für dich verboten?«
Warm und lebendig lag sie in seinen Armen, und er fühlte ihren Herzschlag wie den zitternden Flügelschlag eines Vogels. Er hielt sie und fand es unglaublich, wirklich hier zu sein, mit diesem Mädchen, das Frau und Kind zugleich war, mit Saviya, die vorhin wie ein Sturm gewesen war und jetzt so zerbrechlich wie eine Tonfigur erschien.
»Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß überhaupt nichts mehr, Saviya … nur noch deinen Namen: Saviya. Saviya, Saviya, Saviya …«
»Eigentlich müßte ich böse auf dich sein, Riccardo. Ich habe nämlich auf dich gewartet, aber es war nicht das erste Mal für dich, nicht wahr, nicht wirklich. Wie heißt sie, und wo finde ich sie, damit ich sie umbringen kann?«
»Es war das …«, begann er zu protestieren, dann sah er ihr Augenzwinkern und stimmte in ihr Gelächter mit ein. Er zeichnete die Linien ihres Mundes nach, die Brauen, die Lider, ihre Wangen, den Mund, als wolle er sie neu formen.
»Ich habe nicht mehr an Wunder geglaubt, schon lange nicht mehr, doch das ist eines. Ich bin dein erster Mann, und du bist meine erste Frau, das ist das Nirgendwo, das du dir gewünscht hast, und die Welt hat gerade erst begonnen.«
Doch während Richard noch sprach, begann das Leben wieder, alltäglichere Züge anzunehmen. Er bemerkte das Chaos auf dem Boden, das Blut und daß Saviya unbedingt frische Kleider brauchte, um diesen Raum verlassen zu können.
»Der Woiwode erzählte, ihr würdet in zwei Tagen weiterziehen …«, begann er, unsicher, wie er sie bitten konnte, die einzige Familie aufzugeben, die sie noch hatte.
»Riccardo«, unterbrach sie ihn gekränkt, »ich bleibe bei dir.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher, aber bist du es denn? Du wirst mich manchmal für ein kleines Ungeheuer halten, und glaub nicht, daß du mich je wieder loswirst, ich warne dich, Riccardo!«
»Du bist ein großes Ungeheuer, mein Herz, und ich zittere jetzt schon«, erwiderte er und küßte sie fordernd. »Laß uns noch etwas im Nirgendwo bleiben, Saviya.«
Der Woiwode schüttelte das Reisigbündel mit Zweigen von sieben verschiedenen Bäumen und warf es zu Boden. Saviya runzelte die Stirn, als sie das Muster der Zweige erkannte, dann hob sie ihre Augen zu dem alten Mann, der ihr mit gekreuzten Beinen gegenübersaß.
»Das hat nichts zu bedeuten.«
»Es bedeutet, was mir ohnehin schon klar war«, erwiderte er, »daß du eine Törin bist, wenn du glaubst, du könntest in den Städten leben. Dein Riccardo mag ein guter Mann sein, ein guter Freund, ein Liebender für eine kurze Zeit, doch was weiß er von dir? Ist er jemals über das Feuer gesprungen, hat er den Mond singen hören?«
»Er weiß genug.«
Der Alte berührte sie an einer bestimmten Stelle ihres Armes. »Aber das weiß er nicht.«
»Nein«, gab Saviya uneingeschüchtert zurück, »doch ich werde es ihm erzählen. Und er wird es verstehen.«
Dämmriges Licht herrschte im inneren des Wagens, und von draußen drangen all die vertrauten Klänge und Gerüche, die sie nun hinter sich lassen würde, herein. Der Woiwode wiegte den Kopf hin und her.
»Mag sein, mag aber auch nicht sein … Und wenn er es tut? Wirst du verstehen, Saviya? Wie wirst du leben in einer Stadt, unter Gorgios, in einem Zimmer eingesperrt, bis er einmal Zeit für dich hat? Ich kann dir nichts befehlen, Enkelin meines Vetters, denn du bist nicht von meinem Stamm. Aber bedenke, wir sind dein Blut. Wir kennen dein Herz. Und die Kinder des Mondes können niemals lange unter den Gorgios leben.«
Mit herabgezogenen Mundwinkeln entgegnete sie: »Ja, Blut. Es ist viel von unserem Blut geflossen, Woiwode, und es wird noch viel mehr fließen, solange wir uns jagen lassen wie Hasen. Ich werde in den Städten überleben, in dieser Stadt, und Riccardo wird mich nicht einsperren. Er wird mich alles lehren, was ich wissen möchte, und ich werde frei sein – unter den Gorgios.«
Der Woiwode wies auf den herabgeworfenen Reisig. Braun und unschuldig lag er da und zeigte immer noch dasselbe beunruhigende Muster. »Und die Gefahr …«
Oh, Woiwode, dachte Saviya, du hast mich doch längst schon verlorengegeben, sonst würdest du nicht auf den Reisig zurückgreifen, den Reisig, den ich soviel besser beherrsche als du. Ein wenig sanfter sagte sie: »Feigheit ist eine Schande, Woiwode. Und Tod kann von allen Menschen kommen … Es wäre mein Tod, Riccardo zu verlassen. Zeichen führen irre, wenn man sie zu ernst nimmt. Liest du darin, daß er den Tod bringt? Ich lese«, sie deutete auf einen querliegenden Zweig, »von ihm kommt Leben.«
Humor blitzte in ihrem Verwandten auf. »Du liest deinen Eigensinn, Saviya … wie immer. Doch was rede ich noch? Du hast dich entschieden. Glück auf deinem Weg, Saviya … Und vergiß die Stimme des Mondes nicht.«
Vor ein paar Monaten war einer der Gehilfen so unklug gewesen, seine Geliebte im Fondaco einquartieren zu wollen. Richard hatte Anton Eberdings Reaktion noch gut genug im Kopf, um sich ein Zimmer zu mieten. Es war nicht billig, doch er konnte es sich leisten. Selbstverständlich blieben die Vorbereitungen zum Umzug nicht unbemerkt, wie auch Saviyas Besuche, und Richard hatte Gelegenheit, sich in Selbstbeherrschung angesichts Dutzender von passenden und unpassenden Scherzen zu üben. Selbst Eberdings »Ihr seid irgendwo verdreht, Junge – von allen Frauen ausgerechnet eine von diesem Diebesgesindel!« überging er.
Womit er jedoch nicht gerechnet hatte, war Marios offene Mißbilligung. »Ich halte das für einen sehr großen Fehler, Riccardo«, erklärte der Augustiner unverblümt.
Richard empfand zunächst eher Verwunderung als Kränkung. »Aber warum? Ich liebe sie.«
»Und wie lange kennst du sie schon? Bist du dir sicher, daß du dich nicht einfach in das erste Mädchen verliebt hast, das … nun, entgegenkommend genug war, um dich von der Vorstellung zu befreien, du wärest zum Zölibat verurteilt?«
Richard verschränkte die Arme. »Ich kenne sie schon lange, ich habe sie schon lange geliebt, ohne daß sie, wie du dich ausdrückst, entgegenkommend war, und außerdem, bist du dir sicher, daß du nicht einfach etwas gegen Zigeunerinnen hast?«
Mario war einigermaßen erschöpft. Er hatte an diesem Tag dem Prior geholfen, dessen Predigt gegen Savonarola vorzubereiten, hatte sich die gequälten Monologe Pico della Mirandolas über seinen seelischen Zwiespalt angehört und außerdem noch erfahren, daß ein Drucker an die zwanzig Seiten seiner Polo-Übersetzung ruiniert hatte. Daher antwortete er etwas kurzangebunden: »Ich habe nichts gegen Zigeunerinnen, aber anders als gewisse unreife Freunde von mir sehe ich sie auch nicht als Göttinnen, nur weil sie bereit sind, das Bett mit mir zu teilen.«
Zu spät erkannte er, daß er zu weit gegangen war.
Eisig erwiderte Richard: »Ich denke nicht, daß jemand, der sich lebenslang hinter seinen Klostermauern vor allen Frauen verschanzt hat, überhaupt beurteilen kann, was Liebe ist.«
Alle Selbstsicherheit und Ironie, die Fra Mario Volterra sonst kennzeichneten, verschwanden für den Bruchteil einer Sekunde. Dann wandte er sich ab und begann seine Manuskripte zusammenzuräumen. »Natürlich«, sagte er tonlos, »ich weiß nicht, was Liebe ist. Bitte entschuldige mich, Riccardo.«
Richard hätte sich die Zunge abbeißen mögen. Er legte dem Priester eine Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid, Mario. Das wollte ich nicht sagen, es war ungerecht … Eigentlich wollte ich dich um etwas bitten.«
Mario hatte sich wieder gefangen. »Nun«, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen, »Bitten anzuhören ist mein Beruf … der meine Berufung. Was gibt es diesmal?«
»Saviya möchte Lesen und Schreiben lernen, Rechnen auch, Geschichte, eigentlich alles, und ich werde nicht immer Zeit haben, sie zu unterrichten. Andererseits weiß ich, was für ein hervorragender Lehrer du bist.«
»In einer Schmeichelei verpackt«, zitierte Mario ein florentinisches Sprichwort, »ruht die Rechnung der Zeche. Aber im Ernst, Riccardo, ich helfe dir gerne. Du sollst mir nicht vorwerfen können, daß ich irgend jemandem gegenüber voreingenommen bin, und außerdem sind wir Freunde. Es wird eine erholsame Abwechslung sein – ich wette, deine Saviya ist der einzige Mensch in Florenz, der nicht ständig von Fra Savonarola spricht!«
Die Boboli-Gärten waren bei Morgengrauen noch in kühlen, herbstlichen Dunst gehüllt. Wie weiße Flecken in einer graugrünen Welt aus Pinien und Olivenbäumen, die sich ineinander verschlungen hatten, so stachen die Marmorstatuen hervor, welche die Familie Pitti hier aufgestellt hatte. Ihr gehörten die Gärten, doch die Pitti machten sich ein Vergnügen daraus, jeden neugierigen Florentiner, der den allmählich entstehenden neuen Palazzo bewundern wollte, hier zu bewirten. Um diese Tageszeit indessen schlief die Stadt noch. Richard und Saviya waren allein, als sie dem Klang eines Vogels nachliefen und die erfrischende Morgenluft in sich einsogen.
An einem der geschickt gestalteten Marmorbrunnen, wo sich fett der trunkene Bacchus über einer Muschelschale wölbte, blieben sie stehen. Richard fing das sprudelnde Wasser in seinen Händen, um Saviya zu trinken zu geben. Sie hatten sich bereits von den skeptischen Stimmen ihrer Freunde erzählt, wobei jeder vor dem anderen etwas zurückhielt.
Nachdem sie getrunken hatte, holte Saviya etwas hervor und sagte etwas schüchtern: »Ich habe noch ein Geschenk für dich, Riccardo.« Es war ein schwerer goldener Armreif, wie er ihn bei den Zigeunern mehrmals gesehen hatte, voller Gravuren und Verzierungen. Saviya begegnete seinem Blick und lachte.
»Ich weiß schon, Riccardo, du fragst dich, woher wir, die wir doch so arm sind, all unseren Schmuck haben. Es sind heilige Erbstücke, jede Familie hat nur ein paar, und sie müssen ständig getragen werden, sonst verlieren sie ihren Zauber. Und sie dürfen niemals verkauft oder gestohlen werden, sonst bringen sie allen nur Unglück.«
»Aber als du damals …«, begann Richard, ehe er sich eines Besseren besann.
Saviyas Gesicht verdunkelte sich. »Ja. Als du mich fandest, war ich ohne Schmuck, und alle unsere Erbstücke waren gestohlen. Aber der Woiwode überließ mir dieses hier und einiges andere, denn ich bin sein Blut …«
Ein fast greifbarer Mantel von Trauer legte sich um sie. Richard dachte daran, daß am gestrigen Tag nicht nur der Sohn des Kardinals Borgia, sondern auch die Zigeuner abgereist waren, und verschloß ihr den Mund mit einem Kuß. Weich wie Farn, stark wie die Wälder, war sie ihm immer noch ein Geheimnis und fremd, selbst wenn er sich ihr nahe fühlte wie jetzt, selbst wenn er sie in seinen Armen hielt.
Der Armreif trug einige Zeichen in einer Schrift, die ihm unbekannt war, und er fragte sich flüchtig, ob der vielbewanderte Pico sie wohl entziffern könnte. Woher waren die Zigeuner wohl ursprünglich gekommen? Aus den arabischen Ländern, wie einige seiner eigenen Vorfahren? Aus Asien? Er sah in Saviyas Gesicht und verstand mit einem Mal überhaupt nicht mehr, wie er ausgerechnet in diesem Moment Überlegungen über den Ursprung eines Volkes anstellen konnte. Um ihr etwas zu geben, das für ihn die gleiche Bedeutung hatte, zog er nach einem unmerklichen Zögern den breiten, goldenen Ring vom Finger, den er erst in Florenz zu tragen begonnen hatte.
»Würdest du ihn von mir annehmen? Er hat meiner Mutter gehört, und es ist das einzige, was ich noch … von meinem ersten Leben besitze.«
Er sah sie zum ersten Mal ein wenig erröten. Saviya kannte den symbolischen Wert dieser Geste, und ihr schien, als hörte sie die mürrische Stimme des Woiwoden, die sie warnte, sie werde niemals gebunden in einer Stadt leben können. Um die Erinnerung zu vertreiben, streifte sie sich den Ring rasch über. Im nächsten Augenblick erblaßte sie, wurde so weiß wie Marmor. Richard erschrak.
»Was hast du, Saviya?«
Sie schüttelte den Kopf, nahm seine Hand und begann wieder zu laufen. »Jetzt haben wir Blut und Gold getauscht«, sagte sie fröhlich und begann zu rennen, »es fehlt nur noch eines, und das kann nur die Zeit bringen.«