34

Es WAR DER SCHMERZ, der ihm bewies, daß er noch lebte. Kein Teil seines Körpers, der nicht von unerträglichen Qualen gepeinigt wurde. Er konnte weder Zunge noch Kiefer bewegen und versuchte mühsam, um Atem zu ringen. Er erbrach sich. Plötzlich konnte er sich den Ort vorstellen, an dem er sich befinden mußte: eine der Folterkammern, deren sich die heilige Inquisition bediente. Er hatte mit einer der Hexen die Rollen vertauscht, um Studien für sein Buch zu schreiben, sein Buch … Aber war es nicht schon veröffentlicht?

Der widerliche Geschmack von Erbrochenem wurde von einer kaum weniger widerlichen, bitteren Flüssigkeit verdrängt, die er eingeflößt bekam. Er versuchte, auszuspucken, aber jemand hielt ihm den Mund zu. Irgendwo spürte er auch die Klinge eines Messers in seinem Fleisch und fragte sich, ob dies alles zu einer peinlichen Befragung gehörte. Doch es wurden keine Fragen gestellt, und er versank erneut für kurze Zeit in der erlösenden Dämmerung. Dann brachte ein andauerndes Gewitter von Schlägen in sein Gesicht ihn wieder zu sich.

»Verdammt sollst du sein, Riccardo«, rief eine Stimme, die er gut kannte, »du wirst leben! Erinnerst du dich? Du wirst leben!«

Aber er konnte die Eindrücke nicht sinnvoll zusammenfügen. Er wußte auch nicht, wer Riccardo war. Er war Richard Artzt, soeben aus Wandlingen in Augsburg angekommen, und er versuchte verzweifelt, sich in dem riesigen Gebäude am Rindermarkt zurechtzufinden. Irgend jemand erwartete ihn dort dringend. Er suchte nach der richtigen Tür, aber er stieß nur auf Gänge und endlose Reihen von Pforten, hinter denen weitere Gänge lauerten.

Es kam noch mehr von der bitteren Flüssigkeit. Diesmal schluckte er sie widerspruchslos, dann nahm ihn das schwarze Nichts wieder auf, und auch die immer schwächer werdenden Schläge konnten ihn nicht zurückholen.

Das erste, was Richard auffiel, als er mühsam ein Auge öffnete, war schmerzendes Licht, das von oben auf ihn herabfiel. Sofort ließ er das Augenlid wieder sinken. Seine Hände ertasteten einen weichen, üppigen Stoff, der ihn bedeckte. Warum eigentlich? War es nicht Sommer?

Dann wurde ihm bewußt, daß es trotz des flackernden Lichts, das sein Gesicht erwärmte, recht kühl war. Vorsichtig öffnete er noch einmal die Augen, alle beide, und erkannte, daß das Licht von einigen Fackeln herrührte, die mit Eisenringen nahe der Decke angebracht waren. Die Decke kam ihm seltsam unregelmäßig vor, und als er die Hand zur Seite ausstreckte, stieß er auf eine ähnlich rauhe Fläche.

Er versuchte sich aufzusetzen, und erst, als ihm das nicht gelang, wurde ihm bewußt, was geschehen war. Er war noch am Leben. Doch wo befand er sich? In einem Gefängnis?

Als er den Kopf zur Seite drehte, langsam, weil jeder Muskel in ihm verletzt zu sein schien, sah er sie. Sie schlief, in einen breitlehnigen Stuhl gekauert, der viel zu groß für sie war und ebensowenig in diese merkwürdige Umgebung zu passen schien wie sie selbst. Ihr Haar war wieder kurz geschnitten, und soweit er dies unter der Decke erkennen konnte, in die sie sich eingehüllt hatte, trug sie auch wieder Hosen.

Lange Zeit sagte er nichts, denn die ungläubige Freude, sie wiedergefunden zu haben, machte ihn sprachlos. Er blieb ganz in ihren Anblick versunken, und erst als sie selbst die Augen öffnete und sich ein wenig reckte, sprach er, flüsterte ihren Namen.

»Saviya.«

Er befand sich in den alten römischen Katakomben, in einem Gewirr aus Höhlen, Kellern und Grüften, welche angeblich schon lange nicht mehr begehbar waren. Noch immer war er nicht fähig, länger als etwa zwei Stunden wach zu bleiben. Saviya war meistens bei ihm, hin und wieder auch einige andere Zigeuner, und sie sprachen mit ihm, um ihn bei Bewußtsein zu halten.

»Du bist hier sicher«, sagte Saviya, »dies ist ein Königreich für sich, und niemand von dort oben wagt sich hierher.« Ärgerlich fügte sie hinzu: »Das sieht dir ähnlich, Riccardo, ohne Vorsichtsmaßnahmen bei einer der mörderischsten Familien in Rom zu speisen. Ich möchte wissen, wozu du deinen Verstand hast!«

Gelegentlich sah er auch hellhäutige, blonde oder braunhaarige Menschen, die ebenso wie die Zigeuner entweder völlig verkommen oder in prunkvoller, aber schlecht zusammenpassender Kleidung auftauchten. Offensichtlich nutzten die lichtscheuen Bewohner Roms die Katakomben als Versteck. Er selbst blieb nicht in der Höhle, in der er zuerst aufgewacht war; als er das nächste Mal zu Bewußtsein kam, lag er in einem kleinen, fast viereckigen Raum, der zum Teil noch mit verblaßten Mosaiken ausgekleidet war.

»Ich dachte, das gefällt dir besser, und außerdem ist es ruhiger und abgelegener«, erklärte Saviya. Er fragte sie, wie sie ihn gefunden habe, und sie entgegnete ein wenig scharf, das sei unvermeidlich gewesen. Seit Florenz hatte sie offensichtlich nicht unter Entsagung gelitten, denn ihre schlanke Gestalt hatte nichts mehr von ihrer ehemaligen Magerkeit, und die Kleider, die sie trug, wirkten keineswegs alt und gebraucht.

»Saviya«, flüsterte Richard, »ich wollte dir nur sagen, daß …«

Sie hielt ihm den Mund zu. »Entschuldige dich nicht, Riccardo, das ist nicht notwendig. Aber mach auch keinen Fehler. Ich helfe dir, weil du mir geholfen hast und weil du durch unser gemeinsames Blut Teil meines Stammes bist. Nicht mehr, verstehst du?«

Er verstand. Und er war nicht in der Lage, etwas daran zu ändern, selbst wenn er es gewollt hätte. Vielleicht, dachte er, war es auch am besten so; die Schwierigkeiten zwischen ihnen hatten schließlich angefangen, als sie Liebende wurden.

»Wolltest du nicht von den Städten fernbleiben?« fragte er sie, und sie schüttelte energisch den Kopf.

»Von Florenz und nur von Florenz, und ich wollte kein Stadtleben führen. Und das tue ich auch nicht. Ich bin frei hier, in Rom, und gleichzeitig bin ich sicher vor den Leuten, die mit der einen Hand um unseren Zauber bitten und mit der anderen Steine nach uns werfen.«

»Du hältst dich also noch immer für eine Hexe«, stellte er resignierend fest, und sofort stahlen sich Mißtrauen und Feindseligkeit in ihre grünen Augen.

»Ich bin eine Hexe, Riccardo.«

Er entgegnete nichts, auch nicht, als sie tatsächlich Worte des Zaubers für seine Heilung über ihn sprach.

Als er sich dann das erste Mal über eine Waschschüssel beugen konnte, um sich selbst zu reinigen, schaute ihm ein Fremder aus dem Wasser entgegen. Daß er an Gewicht verloren hatte, daß seine Wangenknochen hervortraten, und seine Augen in tiefen, dunklen Höhlen lagen, überraschte ihn nicht sonderlich, aber der dichte dunkelbraune Bart, der in seinem Gesicht stand, machte ihm abrupt klar, daß mehr Zeit vergangen sein mußte, als er angenommen hatte.

»Saviya, wie lange bin ich hier?«

»Oh, ein paar Wochen«, antwortete sie gleichgültig.

Zuerst war er entsetzt. Zink mußte ihn für tot halten und sein Verschwinden inzwischen schon Jakob und der Familie gemeldet haben; denn wer mochte wissen, wieviele von Steinen beschwerte Körper nie wieder aus dem Tiber auftauchten?

Dann, als er weiter darüber nachdachte, sah er mit einem Mal die Verlockung der Freiheit, die in dieser Möglichkeit lag. Natürlich würde sein Tod einigen Leuten Kummer bereiten, aber Mario hatte seinen Glauben und seine Bücher, Sybille hatte Jakob, Hänsle und Ursula ihre eigene große Familie. Er wäre nie in der Lage gewesen, das Gemisch aus Dankbarkeit, Schuldgefühlen und Zuneigung, das ihn an Jakob band, hinter sich zu lassen und nicht mehr für das Unternehmen zu arbeiten, aber wenn Jakob glaubte, er sei tot, dann wäre er wahrhaftig frei. Frei von der Vergangenheit, frei von der Familie, frei von seinen Schulden, zwar auch frei von allem, was ihm je etwas bedeutet hatte, aber ebenfalls frei von allen fesselnden Bindungen. Was die Herren Orsini und Pazzi ihm tatsächlich geschenkt hatten, war die Möglichkeit, ein völlig neues Leben zu beginnen.

Der Gedanke an die Männer, die ihn beinahe ermordet hatten, brachte ihn der Wirklichkeit wieder etwas näher. Nun fühlte er den Wunsch in sich aufsteigen, die beiden zahlen zu lassen, und zwar in ihrer eigenen Münze. Eine Anzeige gegen einen Orsini? Lächerlich. Er dachte an das Leben der beiden, an die Tritte, an das Gift und stellte sich ihre Gesichter vor, verzerrt in Todesangst. Langsam begriff er die Gesetze der Vendetta, und er war immer ein guter Schüler gewesen.

Die Phasen der Bewußtlosigkeit wurden abgelöst von Tagen und Nächten, in denen Richard nicht mehr schlafen konnte und ruhelos auf die Mosaiken starrte, die er inzwischen in allen Details kannte. Am schlimmsten war es, wenn sie sich zu Gesichtern formten. Er konnte sich nichts vormachen, er wußte, wer alles um ihn trauern würde. Doch der Wunsch nach Freiheit gewann immer wieder die Oberhand.

Anfangs ließ Richard sich in der trägen Unwirklichkeit des Höhlenlebens treiben. Dann festigte sich in ihm der Entschluß, wieder zu Kräften kommen zu wollen, um nicht darüber nachdenken zu müssen. Er begann, seinen abgemagerten, ausgelaugten Körper wieder zu ertüchtigen. Schon bald kam er sich in seiner Kammer wie ein eingesperrtes Tier vor und fragte Saviya, ob er seine Spaziergänge auf die Katakomben ausdehnen könne.

»Nicht alleine«, entgegnete sie kopfschüttelnd. »Du bist noch zu schwach, Riccardo.«

»Ich wollte nur wissen«, gab Richard mit einem Hauch von verletzter Eitelkeit zurück, denn langsam begann es ihn zu stören, von Saviya ständig wie ein krankes Kind behandelt zu werden, »ob die anderen Bewohner etwas dagegen hätten.«

»Nein, gewiß nicht – sie wissen, daß du einer von uns bist, und auch die Königin ist einverstanden. Ohne ihre Erlaubnis hätte ich dich gar nicht hierherbringen dürfen.«

Es war das erste Mal, daß Richard von der Frau hörte, die Saviya und die übrigen Nachtgeschöpfe, die hier im unterirdischen Reich von Rom ihre Bleibe hatten, nur ›die Königin‹ nannten. Im Moment allerdings sehnte er sich nur danach, möglichst bald wieder stark genug zu sein, um ans Tageslicht zurückzukehren. Er versuchte, sich an die Waffenübungen zu erinnern, die der alte Soldat in Augsburg ihm und Hänsle damals abverlangt hatte, und bat Saviya, einen Freund zu suchen, der bereit wäre, mit ihm zu üben.

»Ich wäre es«, sagte sie gespielt großmütig und wehrte seine Einwände ab, bis Richard schließlich erschöpft meinte: »Selbst wenn wir nur Stöcke benutzen – ich könnte nicht auf dich einschlagen, Saviya.«

»Selbstverständlich kannst du. Denk nur an all die Gelegenheiten, wo du wütend auf mich warst.«

Es erwies sich, daß sie recht hatte. Und mehr noch, in Richard stieg der unangenehme Verdacht auf, daß sie sich unter anderem deswegen zur Verfügung stellte, weil sie ihn schonen wollte und glaubte, daß er einer Begegnung mit einem männlichen Kämpfer, ob Zigeuner oder nicht, nicht gewachsen wäre.

Er machte bald die Erfahrung, daß Saviya mit der Behauptung, sie könne sich sehr gut selbst verteidigen, nicht übertrieben hatte. Wenn sie kämpfte, dann nicht mit den gelangweilten Bewegungen altgedienter Soldaten, sondern mit dem rücksichtslosen, leidenschaftlichen Ehrgeiz zu gewinnen. Daß sie ihn besiegte, krank oder nicht, spornte ihn fast so sehr an wie sein Zorn auf Fabio Orsini und Vittorio de'Pazzi. Langsam wurde er besser.

»Du willst wirklich lernen, wie man einen Menschen umbringt, nicht wahr«, stieß Saviya einmal keuchend hervor, nachdem es Richard ein paarmal gelungen war, ihre Deckung zu durchbrechen.

Erst später, als sie versöhnt und erschöpft auf dem Boden saßen und sich die schmerzenden Knöchel rieben, antwortete er: »Ja und nein. Eigentlich wollte ich jemanden umbringen, doch inzwischen ist mir etwas viel Besseres eingefallen. Aber dann darf ich mich nicht noch einmal überrumpeln lassen.«

Sobald er wieder mehr Ausdauer hatte, führte Saviya ihn durch die endlosen Gänge zu den Kellergewölben, in denen die gemeinsamen Mahlzeiten stattfanden. Nicht selten handelte es sich dabei um das Untergeschoß eines Palazzo, und gelegentlich erlebte es Richard auch, daß sie in den Palazzo selbst eindrangen.

»Woher wißt ihr, welches Gebäude leer ist?«

Saviya warf ihm einen etwas spöttischen Blick zu. »Das sind unsere Kunden. Fast jeder Reiche in Rom braucht einmal eine Hexe – oder einen Dieb – oder einen Mörder. Wir kennen sie, aber sie kennen uns nicht.«

Jetzt, da es ihm besser ging, verschwand Saviya manchmal tagelang, und so lernte Richard auch die finsteren Seiten seines seltsamen Asyls kennen. Hin und wieder begegnete er Männern, die eine Leiche trugen, ohne daß er je Zeuge eines Mordes wurde. Als er einen der Zigeuner danach fragte, bekreuzigte sich der Mann und spuckte auf den Boden.

»Niemand würde je hier töten. Unsere Gesetze verbieten es, und sie würde jeden sofort strafen, der dagegen verstößt.«

Je weiter seine Genesung fortschritt, desto mehr drängte es Richard, seinen Racheplan umzusetzen. Dabei wußte er genau, daß ihm kein Fehler unterlaufen durfte. Zunächst mußte er so viel wie möglich über die Lebensgewohnheiten seiner Feinde in Erfahrung bringen. Einmal mehr bewährte sich die dunkle Welt Roms, denn jeder hier kannte die Orsini, und auch Vittorio de'Pazzi. Aus dem, was man ihm erzählte, setzte Richard allmählich ein immer klarer werdendes Bild zusammen. Vittorio de'Pazzi war es seinerzeit offenbar gelungen, sich mit einem Großteil des Vermögens nach Rom abzusetzen, als die Verschwörung seiner Familie in Florenz mißlang. Das war auch der Grund, warum ihn einige der Orsini, ihren Verbindungen zu den Medici zum Trotz, so schätzten. Hinzu kam, daß der mißtrauische und vorsichtige Vittorio sein Vermögen in Rom stetig vergrößern konnte, manchmal auch durch das gewaltsame Ausschalten mißliebiger Konkurrenten. Gerade die jungen Orsini, vor allem Fabio, befanden sich häufig in Geldnot, und ein reicher Freund war daher sehr wichtig für sie.

Eines Abends begann Saviya sehr nachdenklich: »Wenn du dich wirklich rächen willst, dann sprich mit der Königin.«

Richard war schon seit längerem neugierig auf ›die Königin‹; er hatte Saviya einmal gefragt, warum er ihr auf ihren endlosen Wegen durch dieses unterirdische Reich noch niemals begegnet war, doch Saviya war ihm die Antwort schuldig geblieben.

Nun führte sie ihn schweigend zu einem Palazzo. Zu seiner Überraschung verließ sie das Kellergewölbe. Er folgte ihr zögernd. Dieser Palazzo unterschied sich völlig von denen, die er bisher gesehen hatte. Er war so prächtig ausgestattet, daß er einem Kardinal hätte gehören können, doch alle Fenster waren mit Tüchern verhängt, wie in einem Haus, in dem die Pest Einzug gehalten hatte. Die Diener, denen sie begegneten, hielten Saviya nicht etwa an, sondern nickten ihr nur zu, und er begriff, daß der ganze Palazzo von ›der Königin‹ bewohnt wurde.

In dem gedämpften Licht war es fast unmöglich, etwas zu erkennen, und erst als Saviya stehenblieb und in die Knie sank, erkannte er, daß sie am Ziel angelangt waren. Von irgendwoher hörte er Harfenklänge. Es war das erste Mal, daß er Saviya sich vor jemandem verbeugen sah, und als er die Augen hob, erblickte er die große, schlanke Gestalt einer Frau, die vor ihnen auf einem mächtigen Eichenstuhl saß. Sie hielt ein Buch in den Händen, das sie niederlegte, als Saviya sich wieder erhob. Ihr Gesicht war von einem Schleier verhüllt. Ihre Stimme, gleichmäßig und sanft, klang erstaunlich jung.

»Ihr also«, sagte sie, »seid der Mann, der durch seine eigene Dummheit in eine Falle geriet und damit eine meiner besten Hexen zwei Monate lang von der Arbeit abhielt?«

Gerade der Umstand, daß sie ohne jede Schärfe sprach, machte den Sarkasmus ihrer Worte um so verletzender. Früher wäre Richard aufgebraust und hätte ihr als erstes seine Meinung über Hexen, Aberglauben und solche, die ihn unterstützten, gesagt, doch nun beherrschte er sich. Er wollte etwas von ihr, und das war wichtiger.

»Ich bin der Mann, der aus seinen Fehlern gelernt hat«, entgegnete er daher, »und der Mann, der Fabio Orsini und Vittorio de'Pazzi etwas über Rache beibringen wird, das sie noch nicht wissen.«

Die verschleierte Frau ignorierte ihn und wandte sich an Saviya. »Du hast mir erzählt, daß er ein Narr ist, aber ist er es auch in dieser Beziehung?«

»Ich glaube nicht«, antwortete Saviya, und Richard spürte plötzlich, wie sie ihm kurz die Hand drückte.

»Dann laßt mich Euch etwas über Rache lehren, Riccardo Artzt, und daß sie kalt oft am besten genossen wird.«

Er hörte ihr gelbliches Seidenkleid rascheln, sah sie ihre Röcke heben und bemerkte jetzt erst mit Entsetzen, daß sie keine Beine mehr hatte. Mit einer anmutigen Bewegung löste sie für einen Augenblick ihren Schleier. Richard würde nie vergessen, was sie ihm da gezeigt hatte.

Die linke Gesichtshälfte war die einer schönen Frau unbestimmbaren Alters, mit glatter, reiner Haut und einem großen, dunklen Auge. Doch die rechte Hälfte war bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Über der Augenhöhle hingen die Reste eines eingezogenen Lids, und er fragte sich voll Grauen, ob Feuer die entsetzlich vernarbte Masse erzeugt hatte.

»Würdet Ihr glauben, daß ich einmal die begehrteste Kurtisane in Rom war?« hörte er ihre gleichbleibend klangvolle Stimme. »Bis ich den Fehler machte, Vittorio de'Pazzi abzuweisen und mich gleichzeitig bei den hohen Kirchenfürsten, die mich besuchten, für eine Aufhebung der Exkommunikation von Lorenzo de'Medici einzusetzen. Ich kannte Lorenzo aus meiner Kindheit in Florenz, aber solche Rührseligkeiten sollte sich eine Kurtisane nicht leisten. Eine Hexe übrigens auch nicht. Vittorio de'Pazzi brachte mir das bei. Er stellte mich bei Kardinal Orsini wegen Zauberei bloß, und als die Inquisition mit mir fertig war und ich immer noch nicht gestanden hatte, war das von mir übrig. Das!«

Für einen Moment geriet ihre Haltung ins Schwanken, doch sie fing sich rasch wieder. »Glaubt Ihr nicht, Tedesco, wenn es so einfach wäre, Vittorio umbringen zu lassen, daß ich es nicht schon längst getan hätte? Nicht nur, daß er zu vorsichtig ist, er hat auch zu mächtige Freunde. Das Geheimnis eines erfolgreichen Mörders besteht darin, sich keine falschen Leichen zuzulegen.«

»Ich will ihn nicht umbringen«, sagte Richard. »Weder ihn noch Fabio Orsini. Aber wenn Ihr meinen Plan unterstützt, dann werden wir beide unsere Genugtuung bekommen.«

»Und wie«, erkundigte sie sich, »sieht Euer Plan aus?«

Unwillkürlich trat Richard einige Schritte näher. »Ich bin bereits im Vorteil, weil mich die beiden für tot halten, und das soll auch so bleiben. Ich werde Pazzi über Orsini angreifen, weil ich glaube, daß Fabio Orsini eine schwache Stelle hat. Pazzi mag der Argwohn in Person sein, aber Orsini nicht.«

Die Königin lachte, ein seltsam freudloses, unruhiges Geräusch, das kaum zu ihrer melodischen Stimme paßte. »Ah, Fabio Orsini mit seinen verschwiegenen kleinen Lastern! Sprecht weiter, Tedesco. Ich denke, ich ahne schon, worauf Ihr hinauswollt.«