27

DIE FRAGE, OB ES LORENZO gelingen könnte, Catarina Sforza, die Witwe seines Erzfeindes Riario, einem der Hauptschuldigen der Pazzi-Verschwörung, mit seinem Vetter zu verheiraten, bot Florenz ausreichend Gesprächsstoff. Zunächst war das ganze nur ein Gerücht, das von vielen belächelt wurde. Dann, als mehr und mehr Boten mit dem Wappen der Sforza und dem der Riario in Florenz auftauchten, verwandelte sich die Stadt in einen Bienenkorb, dessen Gesumme zeitweilig sogar die Bußpredigten Savonarolas übertönte.

»Unmöglich!« meinte Roberto Salviati, ein Bankier, der viele Geschäfte mit dem Fondaco laufen hatte, als Richard einmal bei ihm zu Gast war. »Catarina Sforza? Das ist keine Frau, das ist eine Tigerin, wie für die Vendetta geboren. Als die Orsi den alten Girolamo endlich umbrachten, ihre Kinder als Geiseln nahmen und ihre Festung stürmten, wißt Ihr, was sie da gemacht hat?«

Salviati nahm einen kräftigen Schluck Wein und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ihr müßt Euch das vorstellen: Die Orsi standen da unten, hielten den Bälgern ihre Messer an den Hals und drohten, sie umzubringen, wenn Catarina ihnen die Festung nicht überließ. Und sie stand auf der Mauer dort oben, hob ihre Röcke und schrie: ›Ihr Bastarde, ist euch noch nicht der Gedanke gekommen, daß ich noch weitere Kinder bekommen kann! Seht her, ich habe das Instrument dazu, und ich bin wieder schwanger!‹«

Ein schockiertes Gemurmel ging um den Tisch, obwohl einige die Geschichte schon kannten. »Und haben sie die Kinder getötet?« fragte Salviatis junge Frau entsetzt. Unwillkürlich blickte sie auf ihren eigenen schwangeren Leib hinab.

Er schüttelte den Kopf und tätschelte ihre Hand. »Nein, nein. Madonna Sforza feuerte zur Unterstützung ihrer Worte ein paar Kanonen ab, die Orsi zogen sich verwirrt in die Stadt zurück, und einen Tag später waren die Truppen ihres Onkels aus Mailand da.«

»Jeder wußte, wieviel Gnade von Lodovico Il Moro zu erwarten ist, nämlich gar keine«, fügte der ebenfalls anwesende Tommaso Soderini ein wenig spitzbübisch hinzu, »aber niemand konnte sich erklären, wie Il Moro so schnell von Catarinas Bedrängnis erfahren hatte, wo sie doch keine Möglichkeit hatte, ihm einen Boten zu schicken. Seid Euch nur nicht zu sicher, Roberto, ich glaube, Catarina Sforza wird einen Medici als Gemahl akzeptieren.«

Richard hakte sofort nach. »Ihr meint, Lorenzo hat ihr geholfen?« Soderini zuckte mit den Achseln. »Er würde der Witwe von Girolamo Riario keine florentinischen Soldaten schicken, aber einer zukünftigen Cousine eine helfende Hand zu reichen, in Form einer Botschaft …«

»Ach, Unsinn«, unterbrach Salviati leicht verärgert. »Ihr verliert Euch in Spekulationen. Sei dem, wie es will, Catarina Sforza ist jetzt die unumschränkte Herrin einer reichen Grafschaft – und Lorenzo kann ihr noch nicht einmal einen seiner Söhne anbieten. Piero ist schon verheiratet, Giovanni Priester und Giuliano noch ein Kind. Warum sollte sie den Vetter eines Mannes nehmen, der kein Adeliger ist und auch nicht besonders vermögend, wo sie Herzöge haben kann?«

Die schüchterne Stimme seiner Frau erhob sich wieder. »Er wird sie doch nicht selbst heiraten – Lorenzo, meine ich?«

Roberto Salviati verschluckte sich; er prustete, setzte seinen Weinbecher ab und ließ sich auf den Rücken klopfen, bis er wieder zu Atem kam. »Madonna, ich hoffe es nicht! Wenn sie das ist, bin ich sicher, daß sie die Vendetta weiterführt!«

»Schließen wir eine Wette ab«, schlug der unternehmungslustige Colino Ridolfi vor. »Ich setze auf Il Magnifico; er wird sie überreden. Wer hält dagegen?«

Saviya hatte Richard nicht begleitet, obwohl er sie darum gebeten hatte; in diesen Dingen war sie realistischer als er. Es gab Einladungen, zu denen ein Mann seine Geliebte mitnehmen konnte, doch dies war keine davon, besonders, wenn die Geliebte eine Zigeunerin war. Das hieß nicht, daß sie die Angehörigen der wichtigen Florentiner Familien nicht schon kennengelernt hätte; auch sie hatte Einladungen erhalten, Einladungen, von denen Richard nichts wußte.

Sie wartete im Zimmer der Herberge auf Mario. Doch heute hatte sie keine Bücher im Sinn; sie mußte etwas mit Riccardos Freund besprechen, sie mußte ihm ihr Geheimnis offenbaren, es blieb ihr keine andere Wahl.

Als Mario eintrat, schaute sie zu ihm auf, rührte sich jedoch nicht. Sie trug ihre alte Kleidung, Hosen und Wams, und kniete vor einem sorgfältig aufgestellten Kreis aus Kerzen. Innerhalb des Kreises hatte sie den Reisig ausgebreitet, den sie so gut zu lesen verstand. Der Priester wurde bleich, nur einen Moment, doch Saviya wußte, daß er ihr Geheimnis erkannt hatte. Sie zog noch ein letztes Schutzzeichen um den Kreis.

»Ich habe versucht, es Riccardo zu erzählen«, sagte sie ein wenig trotzig zu Mario, »aber ich konnte es nicht.« Sie schaute auf den goldenen Ring, den sie trug, den Ring, den Richard ihr gegeben hatte. »Ihr wißt, warum.«

Mario ging nicht darauf ein. »Warum erzählst du es mir?« fragte er tonlos. Saviya berührte die eingebrannte kleine halbmondförmige Narbe an ihrem Handgelenk, das Zeichen, das sie zur Nachfolgerin ihrer Mutter, der Zauberin des Stammes, gemacht hatte.

»Er will mir nicht glauben, was ich sehe, und ich kann nicht sagen, daß ich es sehe. Also müßt Ihr ihn überzeugen. Tod liegt über der Stadt.«

»Über wem genau?« fragte Mario und trat ein paar Schritte näher, achtete aber darauf, den Kreis aus Kerzen nicht zu berühren. Saviya starrte ihn an.

»Seit ich in der großen Kirche war, bin ich sicher. Der Fürst wird sterben und der Mönch auch, im Feuer, aber vorher wird er das Feuer noch für viele andere entzünden. Es geht Tod von ihm aus, und sein Schatten fällt auf Riccardo und …«

Sie hielt inne und schaute wieder auf den Reisig. Mario sagte nichts. Seit dem Ende der Fastenzeit hatte sich der Sommer nicht mehr aufhalten lassen, und es war so heiß, daß seine Kutte überall unangenehm an seinem Körper klebte. Unbewußt griff er nach der Kordel, die das Mönchsgewand zusammenhielt, und schlang sich das herabhängende Ende um die Finger, verknotete es, straffte es, bis seine Knöchel weiß wurden.

»Und wenn ich dir auch nicht glaube?« sagte er schroff. »Du magst dich für eine Hexe halten, aber das beweist noch lange nicht, daß …«

Saviya stand auf. Ihre grünen Augen verengten sich. »Du willst Beweise?« stieß sie hervor und gab den Anschein einer respektvollen Anrede dem Priester gegenüber jäh auf. »Das ist nicht weiter schwer … Fra Mario. Riccardo ist nicht der einzige, der Erfahrungen mit Hexen und Inquisitoren hat, nicht wahr? Du warst nicht immer hier in diesem Augustinerkloster in Florenz, o nein. Du warst einmal bei den Schwarzgewandeten in Pisa, du hast zugesehen, wie sie eine Hexe verbrannt haben!«

Mario stand reglos da. Er schaute sie an, ohne sie wirklich zu erkennen; mit grauen Lippen flüsterte er: »Ein Jahr. Es war nur ein Jahr, während meines Noviziats, weil ich gehört hatte, daß der große Bernardo di Pisa, der gelehrteste Mann der Toskana, einen Adlatus suchte.«

»Und dann«, sagte Saviya schneidend, »entdeckte der gelehrteste Mann der Toskana, der zufällig auch einer von euren Inquisitoren war, ein paar gottlose Zigeuner in der Stadt, die von einer Hexe angeführt wurden.«

In Marios Antlitz kam wieder Farbe; sein Blick wurde fest und konzentrierte sich auf sie, als sei sie das einzig Verläßliche in einer Umgebung, die zerfiel.

»Du warst dabei«, sagte er fassungslos und sprach damit unabsichtlich Saviyas Anschuldigung aus, »du warst dort. Es war dein Stamm.«

Saviya erwiderte seinen Blick. »Es war meine Mutter«, sagte sie leise und kalt. »Mein Großvater verkleidete mich als Jungen, und es gelang ihm, mich und ein paar andere aus der Stadt zu schaffen. Es war meine Mutter, die ihr gefoltert und verbrannt habt, du und dein Inquisitor, und jetzt sag mir, daß ich keine Hexe bin, Mönch!«

Gott ist gerecht, dachte Mario, während der bittere Geschmack der Wahrheit sich in seinem Mund ausbreitete, Gott ist wahrhaftig gerecht. Er hatte selbstverständlich gewußt, daß Bernardo di Pisa mit der Inquisition betraut worden war, als er seinen Abt bat, ihn für ein Jahr zu den Dominikanern gehen zu lassen, doch er hatte keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Der Ehrgeiz, bei dem großen Bernardo zu studieren, dem einzigen Gelehrten von diesem Rang, den Lorenzo nicht nach Florenz geholt hatte, war stärker als alles andere gewesen; im übrigen hatte er auch noch nie sehr über das Hexenproblem nachgedacht, bis es ihm in aller Deutlichkeit dargelegt wurde, Befragung auf Befragung, Folterung auf Folterung, bis hin zum Scheiterhaufen. Ehrfurcht vor Bernardo und pures Entsetzen hatten ihm damals den Mund verschlossen, doch die Schreie der dunkelhäutigen Frau hatten nie aufgehört, in seinen Ohren zu klingen.

Deshalb hatte er Richard und seine Beweggründe immer so gut verstehen können. Anfangs hatte er die Begegnung mit Richard als Möglichkeit der Buße gesehen. Doch Richard war sein Freund geworden und die Buße damit vergessen. Gott, schloß Mario, brachte Saviya, um mir deutlich zu machen, daß es damit nicht getan war.

»Wie lange … Hast du mich gleich zu Anfang erkannt?« fragte er sie abrupt und war auf absurde Weise erleichtert, als sie es verneinte.

»Dazu«, erwiderte sie, »habe ich dich nicht oft genug gesehen.« Sie ging um ihren Kreis herum und packte ihn am Handgelenk. »Also versprich es mir! Versprich mir, daß du Riccardo überredest, diese Stadt zu verlassen!«

Plötzlich ließ sie ihn wieder los und ging zu einer Truhe, die in der Ecke stand. Sie öffnete das Schloß, klappte den Deckel zurück und nahm einen Packen Kleider heraus, den sie achtlos auf den Boden legte.

»Er braucht nicht mehr für dieses Unternehmen zu arbeiten! Ich habe Geld, ich habe genug Geld, und ich verdiene immer mehr.«

Sie drehte sich um, und in ihren Händen hielt sie, so gut sie konnte, mehrere fette Geldbörsen. Zunächst empfand Mario ungläubiges Staunen, dann Schrecken.

»Du hast doch nicht etwa«, sagte er langsam, seinem furchtbaren Verdacht nachgehend, »für Geld Wahrsagereien und irgendwelche Zauberkünste angeboten?«

Nun war es an Saviya, verblüfft zu sein. »Aber das siehst du doch! Jede Familie, die etwas gilt, will unbedingt ihre Zukunft kennen oder die ihrer Nachbarn. Sie sind alle meine Kunden«, sagte sie mit einem gewissen naiven Stolz, der Mario die Kehle zuschnürte.

Saviya verstaute die Beutel wieder sorgsam in der Truhe und schichtete Hemd um Hemd darauf. »Jedenfalls«, sagte sie dabei mit dem Rücken zu Mario, »haben wir Geld, und wenn du Riccardo überzeugst …«

Es war dem Mönch unverständlich, wie jemand gleichzeitig so vernünftig und so dumm sein konnte. Er fragte sich einmal mehr, wie alt sie wohl war; er hatte keine Erinnerung mehr an die Zigeunerkinder.

»Saviya«, begann er, und sein behutsamer Ton ließ sie innehalten und trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht, »selbst wenn du genug Geld hättest und wenn Richard all seine Verpflichtungen hinter sich lassen könnte – er würde nie Geld von dir nehmen, und er würde nie damit fertig werden, daß du eine … daß du dich für eine Hexe hältst. Für ihn darf es keine Hexen geben.«

»Ich weiß«, antwortete sie wütend. »Was meinst du, warum ich es ihm nicht gesagt habe? Oh, er hat mir nie etwas erzählt, aber ich habe die Zeichen an ihm erkannt, und als er mir den Ring gab, da wußte ich auch den Rest. Aber das ist mir gleich. Bring ihn aus der Stadt heraus, Priester. Es kümmert mich nicht, wie, aber wenn du es nicht tust, dann erzähle ich ihm von dir und dem Schwarzrock in Pisa, und was glaubst du«, schloß sie feindselig, »was er dann noch von dir hält.«

Die steigenden Temperaturen machten Eberding diesmal wirklich zu schaffen. Während der Lärm aus der Loggia zu ihm drang, saß er in seinem Kontor, tupfte sich den Schweiß von der Stirn und wünschte sich, wieder in Augsburg zu sein. Ein kühler Herbsttag, dachte er sehnsüchtig, an dem der Wind die Blätter aufwirbelt oder, noch besser, ein Wintertag. Er verstand sich selbst nicht. Eigentlich hielt er sich nun schon lange genug im Land der Welschen auf, um sich an das Wetter dort gewöhnt zu haben; es gab keinen Grund, sich wie ein heimwehkranker Junge nach Schnee zu sehnen. Es muß das Alter sein, schloß er, und der Gedanke hob seine Stimmung nicht gerade.

Als Richard eintrat, warf er ihm einen gereizten Blick zu. Dem jungen Artzt schien es nie einzufallen, sich über die Hitze zu beschweren, obwohl es fast nicht mehr menschlich war, bei einem solchen Wetter nicht wenigstens etwas Erschöpfung zu zeigen. Aber Richard Artzt, dachte Eberding mürrisch, sah ja selbst aus wie einer der Welschen – dunkel genug war er.

»Nun, Artzt«, sagte er brüsk, »heute kam ein Eilbote für mich aus Augsburg. Könnt Ihr Euch denken, was er mitbrachte?« Ohne auf eine Antwort zu warten, zerrte er unter den Papieren auf seinem Schreibtisch eine Zahlungsanweisung hervor. »Da habt Ihr Euren Willen! Ihr könnt losziehen und auf Kosten des Unternehmens verrottete alte Schnitzereien und Steine kaufen! Aber nur damit Ihr es wißt, junger Mann, ich schätze es ganz und gar nicht, wenn man mich hintergeht. Ich bin der Leiter des Fondaco!«

»Ich habe Euch nicht hintergangen«, versetzte Richard ruhig. Er mußte sich beherrschen, um seine Freude nicht zu zeigen. »Ihr wart der erste, dem ich vorgeschlagen hatte, die unruhige Lage in Florenz auszunutzen, um antike Stücke in größeren Mengen zu erwerben. Wie Ihr Euch erinnern werdet, wart Ihr damals dagegen.«

»Das bin ich auch jetzt noch«, knurrte Eberding, und sein grobschlächtiges Gesicht verzog sich in noch mehr feindselige Falten, »aus gutem Grund. Außer Lorenzo de'Medici will doch niemand das Zeug, und wenn er es nicht gekauft hat, warum sollten wir dann Geld dafür ausgeben? Könnt Ihr Euch vorstellen, wie König Max einen dieser heidnischen Nackedeis in seiner Ratskammer aufstellt? Na, also. Aber wie dem auch sei, ich bin angewiesen, Euch Geld und Kredit bei den Banken, bei denen wir Konten haben, zur Verfügung zu stellen.«

Endlich gestattete Richard sich ein zufriedenes Lächeln. Er war überzeugt, für alles, was er kaufte, Abnehmer finden zu können, doch in Wahrheit kam es ihm gar nicht einmal so sehr darauf an. Das war nur ein Argument gewesen, mit dem er Jakob hatte überzeugen wollen. Endlich in der Lage zu sein, selbst einige dieser wundervollen Kameen zu besitzen oder ein paar kleinere Statuen, vielleicht sogar alte Manuskripte, und sei es auch nur für ein oder zwei Wochen, versetzte ihn in Aufregung.

»Ach ja«, fuhr Eberding deutlich besser gelaunt fort und unterbrach seinen Gedankenfluß. »Ihr agiert natürlich nicht allein. Schmitz kommt mit Euch. Ich kenne Euch zu gut, um Euch ohne Begleitung auf einen Haufen welscher Steinbrüche loszulassen. Mag sein, daß Schmitz nicht so gut Italienisch spricht wie ihr, doch er kann besser rechnen.«

Richard gestattete sich ein Achselzucken. Wolfgang Schmitz oder nicht, die nächsten Wochen würden herrlich werden. Er wußte inzwischen genau, wer in Florenz und der näheren Umgebung seine Schätze als ›weltlichen Luxus‹ ansah und veräußern wollte. Danach wartete eine Reise durch die Toskana auf ihn, vielleicht auch durch die Romagna, die Lombardei, nach Venedig, überall, wo es keinen Savonarola, aber dafür sehr viele schönheitshungrige adlige Familien wie die Este oder die Gonzaga gab. Eine Reise zusammen mit Saviya, die auf diese Weise ihre übertriebene Furcht vor Florenz hinter sich lassen und vergessen konnte …

»Noch etwas.« Eberding kniff die Augen zusammen. »Mir ist egal, was Ihr in Eurer freien Zeit tut, Artzt, und wieviel Geld Ihr dafür ausgebt, aber laßt mich eines klarstellen – das Unternehmen Fugger bezahlt keine Reisen für Eure Konkubine.«

Befriedigt registrierte er, daß der letzte Schuß ins Schwarze getroffen hatte – Richard verlor etwas von seiner sonst so ruhigen Haltung und versteifte sich. »Die Dame, von der Ihr sprecht«, sagte Richard scharf, »ist meine Verlobte.«

Entgeistert starrte ihn Eberding an. »Ihr wollt eine Zigeunerin heiraten? Das kann doch nicht Euer Ernst sein!«

In Wahrheit hatte Richard noch nie darüber nachgedacht, doch Eberdings ständige Feindseligkeiten begannen ihre Wirkung zu zeigen, und außerdem – warum nicht? Er liebte Saviya, und sie liebte ihn.

»Verlobte oder nicht«, sagte Eberding, mühsam um Fassung ringend, »ich gestatte nicht, daß Ihr sie mitnehmt. Das wäre eine überflüssige Ausgabe und eine Ablenkung obendrein, und erhofft Euch in diesem Punkt nur keine Unterstützung aus Augsburg!«

Augsburg! Der Kaufmann stellte sich vor, was die Fugger wohl sagen würden, wenn ein Familienmitglied, und sei es auch nur ein angeheiratetes, eine Zigeunerin zur Gemahlin nehmen würde. Eine Katastrophe. Oder, überlegte Eberding und musterte Richard abschätzend, ein Glücksfall. Der junge Artzt leistete gute Arbeit hier, das konnte man nicht leugnen. Doch es war untragbar, daß ein simpler Angestellter dem Unternehmen näherstehen wollte als der Leiter eines Fondaco, Verwandtschaft hin, Verwandtschaft her. Falls der Junge jetzt ihm gegenüber ausfällig wurde, würde er, Eberding, den Eilboten mit einer Beschwerde an Jakob Fugger zurückschicken. Mit einer sehr ausführlichen und fundierten Beschwerde. Erwartungsvoll verschränkte er die Arme.

Doch Richard enttäuschte ihn. Seine Miene wurde mit einem Mal ausdruckslos. »Wie Ihr wünscht, Meister Eberding«, antwortete er mit tadelloser Höflichkeit. Er hatte entschieden, daß es sich nicht lohnte, wegen einer Reise Streit mit Eberding anzufangen. Mit etwas Glück würde sein Gewinnanteil beim Verkauf von so kostspieligen Dingen wie Statuen und antiken Schmuckstücken hoch genug sein, um sich später selbst eine Reise mit Saviya leisten zu können, und es war auch nicht unrealistisch, in nächster Zeit von Jakob eine Lohnerhöhung zu erwarten. Aber nicht zum ersten Mal zog er es in Erwägung, Jakob zu bitten, ihm zu gestatten, sich in Florenz aus den normalen Geschäften des Fondaco herauszulösen – immer noch im Dienst des Unternehmens, aber nicht mehr unter Eberdings Oberaufsicht. Die Zusammenarbeit mit dem angriffslustigen Schwaben wurde mit jedem Monat mühsamer.

Ausgestattet mit neuen Geldmitteln, fiel es Richard nicht schwer, die Savonarola-Anhänger unter den reicheren Familien in Florenz dazu zu überreden, sich von ihren Schätzen zu trennen. Einige hatten schon an Lorenzo verkauft, doch erstens standen auch Il Magnifico nicht unbegrenzt Gelder zur Verfügung, und zweitens hatte er, wie sich ein Mitglied der Familie Ricci ausdrückte, ›zur Zeit auch anderes im Kopf‹.

Dennoch stattete Richard auch dem Palazzo Medici einen Besuch ab. Er hatte das Relief von Michelangelo Buonarroti nicht vergessen und meinte, wenn die Este in Ferrara angeblich Unsummen für einen römischen Herkules geboten hatten, würden sie sich vielleicht auch für ein zeitgenössisches Stück begeistern lassen. Ein Diener führte ihn zu den Gartenanlagen, wo er bald heftiges Hämmern hörte. Der Lärm wurde lauter, bis sie auf eine Reihe verlassener Tische, bedeckt von Zeichnungen und Wachsmodellen, stießen. Nur an einem Tisch wurde gearbeitet; dort stand Buonarroti und hieb mit einer wütenden Intensität auf einen Marmorblock ein, der etwa so groß wie ein zehnjähriges Kind war. Da der Diener es eilig hatte und sofort verschwand, rief Richard dem anderen eine Begrüßung zu, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Der junge Bildhauer schien ihn nicht zu hören. Richard wußte nicht, ob er nähertreten sollte oder auf diese Art bereits abgewiesen worden war, als er bemerkte, daß sich noch jemand im Garten aufhielt. Contessina de'Medici stand in einiger Entfernung gegen einen der Tische gelehnt und beobachtete den Schützling ihres Vaters. Richard ging zu ihr hinüber, und sie legte die Finger auf den Mund.

»Ihr kommt zu einem ungelegenen Moment«, flüsterte sie. »Bertoldo ist heute morgen gestorben.«

Verwirrt wollte er sie fragen, wer Bertoldo war, als es ihm wieder einfiel. Bertoldo, selbst Schüler des legendären Donatello, war der Leiter jener Bildhauerschule, die Lorenzo im Garten seiner verstorbenen Frau ins Leben gerufen hatte. Also sagte er nichts und schaute wie sie Michelangelo Buonarroti zu. Richard hatte noch nie einen Bildhauer bei der Arbeit beobachtet, doch er hatte sich vorgestellt, daß der Handwerker beim Entstehen einer Statue oder eines Reliefs sehr langsam und vorsichtig vorging; schließlich konnte ein einziger Schlag alles verderben, und, anders als bei einem Gemälde, war keine Korrektur möglich.

Der Begriff ›Vorsicht‹ allerdings schien nicht in Michelangelos Welt zu gehören. Richard zuckte zusammen, als ein fast kopfgroßer Marmorbrocken zu Boden krachte, und versuchte vergeblich, Michelangelos schnellen Bewegungen mit den Augen zu folgen. Endlich gab er es auf.

»Wie macht er das?« murmelte er, an Contessina gewandt. Ihre Mundwinkel zuckten belustigt. »Das ist wie das Rätsel der Sphinx. Es gibt keine einfache Antwort. Bertoldo«, ihre Stimme wurde wieder traurig, »Bertoldo meinte, er wäre ein begnadeter Verrückter, aber ich habe ihn einmal gefragt, und er sagte, der Stein gibt dem seine Kraft zurück, der ihn gut behandelt.«

Sie unterbrach sich; ein jäher Hustenanfall schüttelte sie, und Richard erinnerte sich an das Florentiner Gerücht, das sagte, Lorenzos Gemahlin Clarissa sei an der Schwindsucht gestorben und habe sie ihren Töchtern vererbt. Ein wenig verlegen stand er daneben, während Contessina ein Taschentuch gegen ihren Mund preßte. Das Hämmern hörte auf; Michelangelo mußte sie beide jetzt doch bemerkt haben. Er gesellte sich zu ihnen und musterte Contessina besorgt. Dann schaute er mißtrauisch zu Richard, erkannte ihn jedoch, und sein Blick hellte sich auf.

»Ah, der Tedesco«, sagte er nicht unfreundlich. »Alles in Ordnung bei Euch?«

»Alles«, entgegnete Richard hastig, dem mit einem Mal der Anlaß ihrer letzten Begegnung wieder einfiel, ein Anlaß, den er möglichst vergessen wollte. Und die Gelegenheit war günstig, seine Frage anzubringen.

»Habt Ihr Eure Zentaurenschlacht eigentlich schon verkauft? Ich meine, an jemand anderen als Savonarola?« erkundigte er sich mit einem leichten Augenzwinkern. »Falls nicht, dann würde ich Euch gerne ein Angebot machen.«

Michelangelo biß sich auf die Lippen und sah zu Contessina. »Die Zentaurenschlacht gehört Il Magnifico«, erwiderte er fest, doch mit einem Hauch von Bedauern; der Tedesco wäre sein erster wirklicher Käufer gewesen.

»Aber, Michelangelo, Papa hätte bestimmt nichts dagegen, wenn du sie an jemand anderen verkaufst.«

Ihr Freund schüttelte den Kopf. »Ich habe sie für Lorenzo gedacht.«

»Schon gut«, fiel Richard beschwichtigend ein, »aber wie wäre es mit Eurer nächsten Arbeit – wenn sie fertig ist?«

»Woher wollt Ihr wissen, ob sie gut ist oder schlecht«, fragte Michelangelo argwöhnisch zurück, »oder ist Euch das gleich – Marcatore?«

»Ich habe Eure Faunsmaske und die Zentaurenschlacht gesehen«, sagte Richard bestimmt. »Ich weiß, daß sie gut werden wird.«

Sie waren etwa gleichaltrig, doch diesmal kam sich Richard viel älter vor, denn der sichtbare Kampf in dem Bildhauer, weder zuviel von seiner Freude über das Kompliment zu verraten noch zu unhöflich zu wirken, hatte etwas sehr Jungenhaftes.

»Sie wird gut werden«, stieß Michelangelo schließlich hervor, »und Ihr …«

Ein Geräusch ließ ihn innehalten. Jemand rief ziemlich laut Contessinas Namen. Richard sah, wie die beiden Blicke wechselten. »Piero«, sagte Contessina schließlich resignierend.

Der älteste Sohn der Familie Medici erschien wenige Augenblicke später. Er war wie immer prächtig genug gekleidet, um ein Taufbankett zu besuchen, und strahlte eisige Mißbilligung aus, als er die Männer um seine Schwester erkannte. Seine Augen wanderten von Michelangelo, staubig und verschwitzt, über Richard mit seiner zwar nicht armseligen, aber durchschnittlichen Kleidung zu seiner Schwester. Er machte sich nicht die Mühe einer Begrüßung.

»Geh ins Haus, Contessina«, sagte er harsch. »Es ziemt sich nicht für dich, hier mit einem Arbeiter und einem Krämer herumzustehen.«

Contessina holte empört Luft, und Michelangelo stieg das Blut in den Kopf.

»Die Buonarroti sind mindestens so lange in Florenz wie die Medici, und …«

»Piero«, unterbrach ihn Contessina hastig und ergriff beruhigend die zerschürfte Hand ihres Freundes, »wenn sich hier jemand unziemlich verhält, dann bist du es. Selbst ein Bauer ist höflich zu seinen Gästen, und nur ein Narr beschimpft die eigene Herkunft. Hast du vergessen, daß wir genau das sind – Krämer? Oder siehst du dich lieber als einen adligen Orsini aus Rom?«

Wahrscheinlich traf das letztere zu, dachte Richard, doch Piero di Lorenzo de'Medici würde es wohl kaum öffentlich eingestehen – und schon gar nicht vor ›einem Arbeiter und einem Krämer‹. Piero erinnerte ihn plötzlich an jemanden, aber er kam beim besten Willen nicht darauf, an wen.

Piero fühlte sich mit einem Mal ins Unrecht gesetzt. »Mir ist es nur um die Ehre unseres Hauses zu tun«, gab er verärgert zurück und fügte listig hinzu: »Wenn man bedenkt, was dieser Mönch Papa jetzt schon vorwirft, sollte man meinen, daß du den Leuten keine Gelegenheit geben wolltest, noch mehr über die Medici zu klatschen.«

Bedeutungsvoll sah er auf Contessinas Hand, die Michelangelo immer noch festhielt; aus einem plötzlichen Impuls heraus entschied sich Richard, für die beiden in die Bresche zu springen.

»Verzeiht, wenn ich mich einmische, Messer«, sagte er gelassen, »aber meines Wissens nach beschäftigt sich der Klatsch in Florenz zur Zeit hauptsächlich mit den Ausgaben Eurer edlen Gemahlin.«

Hätte die Erde angefangen, unter ihm zu beben, Piero de'Medici hätte nicht entgeisterter dreinschauen können. Sein hübsches Gesicht verzerrte sich, und er krächzte beinahe, als es aus ihm ausbrach: »Das … das ist wohl die größte Unverschämtheit, die ich je in meinem Leben gehört habe! Wenn Ihr nicht ein dreckiger Fremder wäret, würde ich Euch zum Zweikampf fordern!«

Jetzt wußte Richard, an wen Piero ihn erinnerte: Ulrich von Remar, der Graf mit einer Vorliebe für junge Mädchen, der während des königlichen Besuches bei ihm einquartiert gewesen war. Beide verfügten über eine unüberbietbare Mischung aus Eitelkeit und Arroganz. Doch Ulrich von Remar war nicht der älteste Sohn des wichtigsten Mannes von Florenz. Richard fragte sich, ob er nicht eben das bewiesen hatte, was laut Jakob der verhängnisvollste aller Fehler war: Unüberlegtheit. Aber er brachte es trotzdem nicht fertig, jetzt eine kriecherische Entschuldigung vorzubringen.

Contessina, die sehr wohl bemerkt hatte, daß Richard ihren Bruder von ihr und Michelangelo hatte ablenken wollen, entschied, ihm den Gefallen nun zu erwidern.

»Gehen wir zusammen hinein, Piero«, sagte sie besänftigend und hakte sich bei ihm unter, »und vergessen die ganze Geschichte. Schau, die Tedeschi sind eben anders als wir …«

»Anders!« ächzte Piero.

»… und Messer Riccardo hat Papa das Leben gerettet«, fuhr Contessina unbeirrt fort. »Papa schätzt ihn sehr, und du weißt doch genau, wie schlecht er sich in den letzten Wochen gefühlt hat. Du möchtest doch nicht, daß wir ihm jetzt noch mit so einem albernen Streit kommen, oder?«

Während sie sprach, manövrierte sie ihren Bruder unauffällig von Richard und Michelangelo fort, und die Geschwister wandten beiden bereits den Rücken zu, als sie Pieros unsichere Stimme hörten: »Nein … natürlich nicht, aber …«

Michelangelo grinste und schlug Richard auf die Schulter. »Per Bacco, das hat gesessen! Aber nun kommt, verschwinden wir hier. Ich bringe Euch aus dem Garten heraus, ohne daß wir noch einmal Piero begegnen.«

Während sie durch die Laubengänge eilten, stellte Richard fest, daß sein Zusammenstoß mit Piero ihm in Michelangelos Augen offensichtlich einen neuen Status verliehen hatte. Die mürrische Zurückhaltung des Florentiners war vorbei, statt dessen zeigte er, daß er, wenn er wollte, durchaus über einen Teil der toskanischen Beredsamkeit verfügte.

»Pieros Gesicht, also das werde ich niemals vergessen, Te-, nein, wie war noch einmal Euer Name? Riccardo? Also, Riccardo, wißt Ihr, Piero hat mich nämlich einmal zu sich befohlen – wirklich befohlen –, um ein Porträt von seiner Gemahlin zu machen. Habt Ihr die alte Ziege schon mal gesehen? Nein? Preist Euch glücklich. Erstens sieht sie aus wie ein menschliches Gewitter, und zweitens benimmt sie sich, als sei ganz Florenz ein übles Wirtshaus, in dem sie leider über Nacht bleiben muß. Also, ich weigerte mich natürlich, und Piero drohte damit, mich sofort hinauswerfen zu lassen, aber Lorenzo – es gibt keinen zweiten Mann wie Il Magnifico, das laßt Euch gesagt sein! Ich verstehe nicht, warum Fra Savonarola –, nun ja, ist ja auch gleichgültig. Jedenfalls, als Piero sagte …«

»Es tut mir leid«, unterbrach ihn Richard, »aber ich muß heute leider noch einige Sachen erledigen. Deswegen wollte ich Euch fragen – seid Ihr prinzipiell bereit, mir Euer nächstes Werk als erstem zum Verkauf anzubieten?«

»Gewiß«, antwortete Michelangelo fröhlich. »Wartet, bis ich das meinem Vater erzähle. Er ist beim Zoll, wißt Ihr, und hat mich schon für verrückt erklärt, als ich Lehrling bei Ghirlandaio wurde, aber als ich dann Bildhauer werden wollte – Madonna! Ich hätte genausogut auf das Familiengrab pinkeln können. Er hält die Bildhauerei für den brotlosesten Beruf der Welt.«

»Da steht er nicht allein«, sagte Richard im Gedenken an Eberding und fügte spitzbübisch hinzu: »Aber wer will schon Brot, wenn er einen Braten haben kann?«