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ROM ERLAHMTE UNTER DER drückenden Hitze des Sommers, und als am fünfundzwanzigsten Juli die Glocken zu läuten begannen, um den Tod des Papstes zu verkünden, glich die allgemeine Reaktion fast einem erleichterten Aufatmen. Man hatte so lange darauf gewartet. Nun würde zumindest eine klare Entscheidung getroffen werden, die Rom und der Christenheit einen handlungsfähigen Papst geben würde.

Johannes Zink jedoch meinte warnend zu Richard: »Erhofft Euch nur nicht zu bald eine Audienz, und geht in den nächsten Tagen nicht so oft auf die Straße. Man weiß nicht, wie lange das Konklave dauern wird bei zwei so starken Kandidaten, und in der Zwischenzeit werden die alten Familien ihren Vendettafehden nachgehen, da die Administration jetzt völlig gelähmt und keinerlei Ahndung zu befürchten ist.«

Das Mahl, bei dem Richard vielleicht die Gelegenheit gehabt hätte, ein paar Mitglieder der Familie Orsini kennenzulernen, wurde ebenfalls verschoben, denn Giovanni de'Medici begab sich zusammen mit den anderen Kardinälen ins Konklave. Richard war folglich weiterhin auf Gerüchte beschränkt, die er in Roms eng begrenzten Handelskreisen aufschnappte. Es hieß, der französische König habe zweihunderttausend, die Regierung von Genua hunderttausend Dukaten zur Verfügung gestellt, falls Kardinal della Rovere gewählt würde; Lodovico Sforza stand angeblich mit seinem gesamten Vermögen hinter seinem Bruder, Kardinal Ascanio Sforza; andere wollten gesehen haben, wie vier mit Silber beladene Maultiere vom Palazzo der Borgia zu dem der Sforza geführt wurden.

Noch immer stand das Vertrauen zwischen Mario und Richard auf einem empfindlichen Fundament. In ihren Gesprächen vermieden sie allzu persönliche Themen und beschränkten sich lieber auf das sichere Gebiet der Wissenschaften. Dabei kam Richard immer deutlicher zu Bewußtsein, daß er mit seiner Entscheidung für das Unternehmen Fugger die Dinge, die ihm wirklich von Bedeutung waren, zurückgestellt hatte. Mario war taktvoll genug, nicht mehr davon zu sprechen, bis Richard einmal beiläufig die Größe seines ererbten Vermögens erwähnte.

»Dann verstehe ich nicht«, sagte der Mönch mit hochgezogenen Brauen, »warum du das Kaufmannsleben nicht sein läßt und studierst.«

»Weil du Jakob Fugger nicht kennst«, entgegnete Richard und starrte in seinen Weinbecher. »Oder diese Geschichte aus Hameln, von dem Rattenfänger. Jakob fängt Seelen, und darin ist er der Beste. Dein Gewerbe, Mario.«

»Ich glaube, du trinkst in der letzten Zeit zuviel.«

Richard erwiderte nichts, doch er rührte das anheimelnde Getränk auch nicht an – noch nicht. Er hatte Mario bisher nichts von Heinrich Institoris erzählt, von seinem ganz persönlichen Grund, einen neuen Papst herbeizuwünschen. Was er jetzt nicht gebrauchen konnte, war eine Predigt über Rache.

Also sprachen sie wieder über etwas anderes, und wieder kehrte Richard mit einem Gefühl nagender Unzufriedenheit in das Gebäude, das Zink für das Unternehmen gekauft hatte, zurück. Ursprünglich hatte Richard sich eigene Zimmer in einer Herberge nehmen wollen, doch jeder, der davon hörte, riet ab.

»Außerhalb der Handelshäuser«, hieß es, »sterben Fremde leichter als sonst irgend jemand in Rom, und kaum einer macht sich die Mühe, die Leichen, die aus dem Tiber gefischt werden, zu bestatten, wenn nicht zufällig jemand dabei ist, der sie erkennt. Wollt Ihr unbedingt im Massengrab enden?«

So wohnte er wieder in einer Niederlassung des Unternehmens. In seinen schlaflosen Nächten griff er nach langer Zeit erstmals wieder nach einem Kohlestift. Er war entsetzt über das Ergebnis seiner Zeichenkünste. Als Kind hatte er sich immer für einen begabten Zeichner gehalten, doch inzwischen hatte er die Fresken in den italienischen Kirchen, die Gemälde in den Palazzi gesehen, und er konnte sich auch noch an einige der Skizzen erinnern, die ihm Lorenzos Schützling, Michelangelo Buonarroti, gezeigt hatte.

Dagegen verhielten sich seine Versuche wie grob behauene Steinblöcke zu einem fein gedrechselten Stuhl. Die Herausforderung, doch noch etwas Annehmbares zu Papier zu bringen, ließ ihn nicht mehr los, und er zeichnete bis zum Morgengrauen. Eigentlich überraschte es ihn kaum, daß das, was ihm schließlich entgegenschaute, ein beinahe schmerzhaft genaues Porträt Saviyas war.

Er legte die Zeichnung zur Seite, wusch sich und spürte erleichtert die Wirkung des Wassers auf seinen brennenden Augen. Dann kleidete er sich rasch an; denn er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, allmorgendlich den Platz vor der Peterskirche aufzusuchen, um zu erfahren, ob die Kardinäle sich endlich geeinigt hatten.

Diesmal hatte er Glück. Schon aus der Ferne sah er den weißen Rauch, und während er sich durch die Menge drängte, hörte er, wie ein Prälat über den Platz hinweg lauthals verkündete: »Habemus papam

Der neue Papst nannte sich Alexander VI. Diese Namenswahl, so kommentierten seine Feinde, zeigte bereits den Hochmut, zu dem ihn sein neues Amt verleitete. Aber sehr bescheiden war Rodrigo Borgia ohnehin nie gewesen.

Seine Eminenz Kardinal de'Medici saß ärgerlich in dem privaten Speisezimmer, das ihm der florentinische Botschafter zur Verfügung gestellt hatte, und war abwechselnd damit beschäftigt, auf seinen Beichtvater einzureden und hungrig den gebratenen Kapaun in sich hineinzustopfen, den man ihm gerade aufgetischt hatte. Das Konklave lag bereits einige Tage zurück, aber er hatte, wie Giovanni erklärte, durch die erzwungene Fastenzeit immer noch einiges nachzuholen. Nachdem er die Diener fortgeschickt hatte, brach die aufgestaute Erbitterung in ihm los.

»Ich wünschte bei Gott, Piero wäre nicht mein älterer Bruder, dann würde ich ihm zeigen, was ich von ihm halte! Erst überhäuft er mich hier mit Befehlen, wen ich wählen soll, als ob das nicht meine Sache wäre. Wer ist denn Kardinal, ich oder er? Und ich wollte nun einmal weder Borgia noch della Rovere als Papst, also habe ich für Sforza gestimmt. Das ist mein Recht. Wenn er sich della Rovere und Ferrante von Neapel verpflichtet fühlt, dann ist das seine Angelegenheit. Und jetzt, wo der Borgia Papst geworden ist, weil Ascanio Sforza ihm schließlich seine Stimmen überlassen hat, führt Piero sich so auf, als wäre das einzig und allein meine Schuld. Wißt Ihr, was er getan hat?«

Ein Kapaunschlegel erwies sich als zu saftig, um weitere Reden zuzulassen, und Giovanni sah sich einige Zeit zum Schweigen verurteilt. Doch selbst seine heftigen Kaubewegungen verrieten seine Entrüstung, und Mario wußte nicht, ob er wegen eines normalen brüderlichen Streits belustigt oder wegen der Sache, um die sie stritten, traurig sein sollte.

Nachdem er mit einem genüßlichen Schluck Wein den letzten Bissen hinuntergespült hatte, fuhr Giovanni fort: »Er hat unserem Botschafter geschrieben, er solle künftig ein Auge auf mich haben, damit ich ihn nicht noch einmal zum Narren mache! Stellt Euch das vor, Fra Mario – er gibt mir einen Vormund, als wäre ich ein Kind! Aber nicht mit mir. Er soll mich gefälligst mit etwas Respekt behandeln, schließlich bin ich Kardinal, und wer ist er? Und überhaupt wünschte ich, ich hätte an dieser verfluchten Wahl nie teilgenommen. Es hätte ohnehin keinen Unterschied gemacht.«

»Es macht einen Unterschied für Euch«, sagte Mario beschwichtigend. »Ihr seid Eurem Gewissen gefolgt, Giovanni, was das Richtige war und für Euch spricht.«

Der junge Kardinal schnitt eine Grimasse. »Nicht für Piero.«

»Das finde ich sehr bedauerlich – für Piero«, erwiderte Mario mit einem Augenzwinkern. »Ihr solltet Eure geistige Überlegenheit beweisen, indem Ihr seine Vorwürfe ignoriert und weiter das tut, was Euer Gewissen Euch befiehlt.«

»Zu spät«, sagte Giovanni erheblich besser gelaunt und schenkte sich noch etwas Wein ein. »Ich habe Piero bereits geschrieben, was ich von ihm halte. Aber das macht nichts. Ich bleibe ohnehin nur noch bis zur Krönung in Rom, dann reise ich zurück nach Florenz und werde mich im Umgang mit Piero in christlicher Demut üben, das verspreche ich Euch.«

»Hoffentlich«, meinte Mario trocken und stellte dann die Frage, die ihm am meisten am Herzen lag: »Und was haltet Ihr von unserem neuen Heiligen Vater?«

Schlagartig verlor Giovannis Antlitz jede Heiterkeit. »Er ist zweifellos ein kluger Mann und ein sehr angenehmer Gesellschafter«, antwortete er langsam, »und er hat mir bereits versprochen, die Exkommunikation von Pico della Mirandola aufzuheben. Aber ich kann Cesare nicht vergessen, Ihr wißt schon, seinen Sohn, der mit mir studiert hat. Nachdem wir Fra Savonarola predigen gehört hatten, fragte Cesare meinen Vater, warum er ihn nicht umbringen ließe, und das war kein Scherz, glaubt mir. Das war sein voller Ernst. Und ich denke, auch Kardinal Bor… – der Heilige Vater wäre dazu imstande, wenn man ihm nur genügend Grund gibt.«

Richard hatte einiges an Festlichkeiten in Florenz miterlebt und hatte auch Maximilians Einzug in Augsburg noch in guter Erinnerung, aber die Vorbereitungen für die Krönung des Papstes übertrafen alles, was er bisher kennengelernt oder sich hatte vorstellen können. Angefangen hatte es schon damit, daß die Menge auf dem Petersplatz nach Bekanntgabe des Namens des Erwählten wie von Hunden gehetzt davongeeilt war, nicht etwa in verschiedene Richtungen, sondern alle in dieselbe. Sie liefen nicht nur, sie rannten. Ein atemloser Römer klärte Richard keuchend darüber auf, daß nach altem Brauch der Palazzo eines gewählten Papstes vom Volk geplündert werden darf.

Er hatte es nicht sofort glauben können und ließ sich von der Menge lange genug mitreißen, um mitzuerleben, wie die begeisterten Römer den Palazzo des Kardinals Borgia stürmten, während seine Diener, die sich über die Bedeutung des Aufruhrs im klaren waren, die Tore weit aufrissen und einander freudestrahlend in die Arme fielen.

In den folgenden Tagen ebbte die übermütige Stimmung des Volkes nicht etwa ab, sondern steigerte sich weiter. Die Girlanden, Blumengebinde und Spruchbänder, die in den Straßen aufgehängt wurden, waren bald nicht mehr zu zählen; wer sich nichts dergleichen leisten konnte, hängte einfach ein farbiges Tuch zum Fenster hinaus. Bald konnte man nicht mehr durch die Straßen zwischen Vatikan und Lateransbasilika gehen, ohne an allen Ecken und Enden auf Zimmerleute zu stoßen, die an Triumphbögen bauten, durch die der Papst bei seiner Krönung ziehen würde. Die Inschriften ließen Richard manchesmal daran zweifeln, daß Rom je wirklich christianisiert worden war.

›Rom war groß unter Caesar. Nun ist es noch größer. Caesar war ein Mensch, Alexander ist ein Gott‹, las er auf einer der hölzernen Nachahmungen des Konstantinbogens. Überhaupt waren Darstellungen Alexanders des Großen oder Alexanders III. jenes Papstes, der sich gegen Friedrich Barbarossa hatte durchsetzen können, jetzt überall gefragt, die Kosten schienen auf einmal keine Rolle mehr zu spielen. Richard hatte längst aufgegeben, sich zu wundern, allerdings fragte er sich manchmal, ob niemand in Rom über das nachdachte, was der Krönung folgen würde.

Er selbst hatte keinen Grund, Rodrigo Borgia, den neuen Alexander VI. für einen schlechteren Papst zu halten als einen seiner Vorgänger. Nur die Erinnerung an den offensichtlichen Gefallen, den der Sohn dieses Mannes damals an Saviya gefunden hatte, rief noch immer eine gewisse Feindseligkeit in ihm wach. Doch ganz abgesehen von jenem kurzen Aufwallen mörderischer Eifersucht löste die Hybris, mit der hier eine Papstkrönung inszeniert wurde, Unbehagen in ihm aus.

Am Abend der Krönung war Richard zu einem Bankett in der florentinischen Botschaft geladen und hatte eigentlich kein Bedürfnis, sich vorher den Umzug anzusehen, aber es war zweifellos eines der wichtigsten Ereignisse in Rom.

Mario mußte als Angehöriger eines Kardinalshaushalts an der Prozession teilnehmen, also stand Richard allein unter den Tausenden von Zuschauern, die sich wie er entschlossen hatten, den Zug von San Marco zu beobachten. Die Piazza Venezia bot besonders gute Sichtmöglichkeiten, und zudem war dort ein riesiger Stier errichtet worden, aus dessen Maul und Nüstern Wasser und Wein sprudelten. Als die Prozession sich unter Kanonendonner vom Vatikan her näherte, war selbst der verdrossenste Römer bereit, lauthals sein »Viva il Papa« zu rufen.

Tatsächlich dauerte es noch eine ganze Weile, bis der Papst zu sehen war. Dreizehn Schwadronen schwerbewaffneter Reiter eröffneten den Zug. Richard, der selbst bei Maximilians Besuch in Augsburg nicht so viele Bewaffnete auf einem Haufen erlebt hatte, überlegte, ob das wohl auch ›üblich‹ war oder ob Alexander VI. bereits Stärke gegenüber dem einheimischen Adel demonstrieren wollte. Nach der endlosen Reihe von Rittern folgten die Gesandtschaften der verschiedenen Stadtstaaten Italiens. Die Florentiner Gesellschaft befand sich mit an der Spitze, doch zu Richards Verblüffung wurde sie nicht vom Botschafter angeführt, den er inzwischen kannte, sondern von einem verbissen wirkenden Piero de'Medici. Was tat Piero hier? Man sollte meinen, dachte Richard, Florenz zu regieren, besonders mit Savonarola im Rücken, wäre zu zeitraubend, um sich noch den Luxus zu gestatten, bei der päpstlichen Krönung mitzumarschieren.

Eine gewaltige Welle von Purpur und Weiß kündigte das Erscheinen der Bischöfe und Kardinäle an, die jeweils von zwölf Männern aus ihrem Gefolge begleitet wurden. Richard reckte den Hals, um Mario ausfindig zu machen, und suchte deswegen zuerst nach Giovanni de'Medici. Der kleine Kardinal ging zwischen den wuchtigen Gestalten um ihn herum fast unter, aber schließlich fand Richard ihn und stellte fest, daß Giovanni nur wenig besser gelaunt aussah als sein Bruder. Mario kam direkt hinter ihm, starr geradeaus schauend.

Doch sowohl die Brüder Medici als auch Mario Volterra gaben noch ein Bild der Freude ab, verglichen mit der Miene des Generalkapitäns der Kirche, Virginio Orsini, der das neue Kirchenbanner trug, das Wappen der Borgias: ein riesiger roter Stier. Richard hörte ein paar Leute in seiner Umgebung lachen, andere schimpfen, doch die meisten schrien sich vor Begeisterung die Kehle aus dem Hals, denn nach der Monstranz folgte der Papst selber, gegen die Tradition nicht in einer Sänfte, sondern auf einem Zelter. Die Prälaten hinter ihm warfen freigebig Silbermünzen in die Menge, und der Papst, der sein Pferd anscheinend mühelos im Griff hatte, grüßte lächelnd nach allen Seiten und erteilte seinen Segen.

Richard, der eine gewisse Familienähnlichkeit mit dem athletischen Cesare erwartet hatte, war zunächst überrascht von der wohlgerundeten, behäbigen Gestalt auf der braunen Stute, die Freundlichkeit und Wohlwollen ausstrahlte. Dann erkannte er andere, verräterische Züge: die hervorspringende Adlernase, die durchdringenden schwarzen Augen, die ständig irgend jemanden in der Menge zu fixieren schienen, und die Hände, die, wenn sie nicht gerade winkten oder segneten, sich fest, fast zusammengeballt, um die Zügel schlossen.

»Viva il Papa!«

Er hatte genug gesehen. Richard ließ sich zurückdrängen und verpaßte so die nächste Station des Krönungszuges, die Begegnung des Papstes mit dem Vertreter der jüdischen Gemeinde in Rom, der ihm gemäß der Tradition die Thora entgegenhielt. Der Wortwechsel war dabei ebenso vorgeschrieben wie die Gesten – »Hier geben wir Euch das Gesetz Gottes« – »Ich nehme das Gesetz an, verurteile aber Eure fehlgeleitete Auslegung; doch lebt weiterhin unter den Christen.«

»Es gibt Gerüchte«, erzählte der florentinische Gesandte beim abendlichen Bankett, »daß die Könige von Kastilien und Aragon gegen diesen Teil der Zeremonie Protest eingelegt haben, weil sie erst vor kurzem durch ein Edikt ihre Juden des Landes verwiesen.«

Virginio Orsini, der mit einigen Mitgliedern seiner Familie der Einladung Pieros gefolgt war und bisher schweigsam zwischen den Brüdern Medici gesessen hatte, stieß verächtlich hervor: »Die spanischen Juden werden schon noch alle hierherkommen, wir werden es erleben. Jetzt, wo ein Marrano auf dem Heiligen Stuhl sitzt.«

Seine Anhänger lachten etwas nervös, ebenso einige der Florentiner, doch bei den übrigen Gästen machte sich verlegene Stille breit, bis Giovanni de'Medici ungehalten meinte: »Mag sein, daß Ihr die Borgia nicht mögt, Virginio, aber Ihr wißt genau, daß sie nicht einen Tropfen jüdischen Bluts in sich haben, und etwas anderes zu behaupten ist unsinnig. Ihr solltet lieber auf die wirklichen Fehler …«

»Basta!« unterbrach ihn sein Bruder scharf. Piero de'Medici hatte sich eigentlich vorgenommen, wenigstens während seines Aufenthaltes in Rom gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wenn der Borgia Papst war, dann mußte man ihn als Freund gewinnen, das gebot der gesunde Menschenverstand. Aber er hatte Giovannis Unbotmäßigkeit noch nicht vergessen. In Florenz häuften sich die Schwierigkeiten, und jetzt schien ihm eine willkommene Gelegenheit gekommen zu sein, um seinem aufgestauten Zorn Luft zu machen.

»Wirklich, Giovanni, es wäre besser, du schweigst, wenn Leute reden, die älter und klüger sind als du. Was dabei herauskomme wenn du ihrem Rat nicht folgst, haben wir ja alle gesehen.«

Der jüngere Medici errötete und öffnete den Mund für eine ebenso heftige Entgegnung, doch sein Begleiter legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm und sprach leise auf ihn ein. Giovanni schloß den Mund wieder, starrte auf seinen Teller und schwieg. Piero fühlte fast ein Gefühl der Dankbarkeit in sich aufsteigen; denn inzwischen war ihm der Gedanke gekommen, daß es sich schlecht mit seiner Würde vertrug, der halben florentinischen Kolonie in Rom das Schauspiel eines Familienstreits zu bieten, und er entschloß sich, bei Gelegenheit ein paar freundliche Worte an Giovannis Nebenmann zu richten. Wie war noch sein Name? Ah, richtig, es handelte sich um Fra Mario Volterra, einen von Mirandolas geistlichen Bekannten, der sie in den alten Tagen öfter besucht hatte. War er nicht auch in Careggi gewesen?

Piero war ganz in der Stimmung, wehmütig zu werden. Die Welt aus Kunst, Macht und Geld, die ihm sein Vater hinterlassen hatte, zerbrach unter seinen Händen. Mit der Bank konnte er überhaupt nichts anfangen, die platonische Akademie löste sich auf, und die Florentiner Signoria bildete sich offensichtlich ein, mit ihm wie mit einem grünen Jungen umspringen zu können. Damit nicht genug, bereitete ihm seine eigene Familie Schwierigkeiten. Vetter Gianni schien zu glauben, seine Hochzeit mit der adeligen Catarina Sforza erhebe ihn über Piero, Giovanni spielte den Eigensinnigen beim Konklave, und Contessina ließ die Vorbereitungen zu ihrer Heirat mit einer Leichenbittermiene über sich ergehen, als handele es sich um ihr Begräbnis. Ach, alles war so einfach gewesen, als der Vater noch am Leben und …

Ein zerstreuter Seitenblick auf den Mann, der neben Fra Mario saß, riß Piero abrupt aus seiner Nostalgie. Er mochte hin und wieder Schwierigkeiten haben, sich an unauffällige Freunde der Familie wie Mario Volterra zu erinnern, aber jemand, den er einmal als Feind eingestuft hatte, erkannte er sofort. Dort saß, an seiner Tafel, der unverschämte Tedesco, der es gewagt hatte, eine Bemerkung über die Ausgaben seiner Gemahlin zu machen, und unterhielt sich in aller Ruhe mit Fabio Orsini über die Vorzüge von Saphiren gegenüber Amethysten.

»Saphire«, sagte Richard gerade heiter, »stehen schließlich für die Hoffnung, während Amethysten unter anderem auf die Treulosigkeit in der Liebe hinweisen.«

»Was«, herrschte Piero ihn an, »tut Ihr hier?«

Anders als Giovanni vorhin ließ sich der Tedesco nicht aus der Ruhe bringen. »Ich hatte das Glück, von Seiner Eminenz dem Kardinal eingeladen zu werden«, entgegnete er mit ausgesuchter Höflichkeit, und Piero wandte sich erbost an seinen Bruder, der nur mit Mühe sein Grinsen verbergen konnte. Das sah Giovanni ähnlich, dachte Piero, und setzte zu einem erneuten Tadel an, als der Jüngere unbekümmert sagte: »Ach, Piero, habe ich vergessen, dir zu erzählen, daß Messer Riccardo hier in Rom für sein Unternehmen tätig ist? Das Fondaco in Florenz wird ihn sicher vermissen, und die Römer haben den Gewinn – wie meistens!«

Das brachte ihm wohlwollendes Gelächter aus den Reihen der Orsini ein. Piero schluckte seinen Groll hinunter. Es schien ihm nicht der Mühe wert zu sein, mit und über einen unverschämten Tedesco zu streiten, und außerdem hatte er Giovannis Hinweis auf das Fondaco sehr wohl verstanden. Die Bank befand sich in enormen Schwierigkeiten, und wenn sie überleben wollte, dann brauchte sie die Handelseinkünfte aus dem Fondaco – und es sah so aus, als ob der Krämer in Schwaben, mit dem sein Vater damals das Handelsabkommen getroffen hatte, ernsthaft erwog, es schließen zu lassen. Zumindest zog er mehr und mehr Tedeschi aus Florenz ab. Und so bitter es auch war, auf sein Geld konnte man im Moment noch nicht verzichten. Also entschloß sich Piero, den Tedesco unbehelligt zu lassen und für den Rest des Abends zu ignorieren.

Sein Vetter Fabio indessen hatte aufgehorcht, als Giovanni das Fondaco erwähnte. »Ihr habt für das Unternehmen Fugger in Florenz gearbeitet?« fragte er Richard und sprach es beinahe richtig aus. »Darf ich mich nach Eurem Namen erkundigen?«

»Richard Artzt«, antwortete Richard und fügte hinzu: »Riccardo Medico in Eurer Sprache – leider nur ein medico und nicht viele medici

Sein Wortspiel fand bei Römern und Florentinern gleichermaßen Anklang. Der Botschafter rief lachend zu Giovanni hinüber: »O ja, wir wären alle dankbar, wenn wir zur Familie der medici gehören würden.« Und Giovanni entgegnete gutgelaunt: »Dann macht bei Piero Euren Heiratsantrag – noch ist unsere jüngste Schwester unverheiratet, oder, Piero?«

Sein Bruder versuchte ein wenig gequält, sich ein Lächeln abzuringen, und die Unterhaltung wandte sich wieder der heutigen Krönung zu. Dabei fiel Richard weder auf, daß Fabio Orsini eine Zeitlang nachdenklich dreinsah, bis er sich wieder dem allgemeinen Gespräch anschloß, noch daß Virginio Orsini die Stirn runzelte, als Fabio Richard später zu sich einlud. Er war lediglich dankbar, endlich eine Verbindung zum römischen Adel hergestellt zu haben.