12

DIE NEUIGKEITEN, die aus Italien kamen, nachdem Maximilian seinen Besuch mit einer Jagd und einer Messe abgeschlossen hatte und etwas Ruhe in das Haus am Rindermarkt einkehrte, waren indessen in keiner Beziehung aufheiternd. Papst Innozenz VIII. hatte Pico della Mirandola, nicht zufrieden damit, seine Schrift ›De hominis dignitate‹ zu verbieten, schließlich exkommuniziert.

»Versuche, dich an das zu erinnern, was ich dir über die Stoiker beigebracht habe, und nimm es philosophisch«, sagte Anselm Justinger zu dem aufgebrachten Richard. »Auch der Heilige Vater ist nicht unsterblich. Der nächste Papst kann die Entscheidung wieder rückgängig machen. Außerdem zeigt dieses Ereignis, daß wir in einer neuen Zeit leben. Nach den Lehren der Kirche sollte ein Exkommunizierter gemieden werden wie ein Aussätziger. Dieser Pico dagegen lebt weiter als geehrter Gelehrter in Florenz.«

»Aber«, wandte Richard ein, »es gab doch auch früher Könige und Kaiser, die mit den Päpsten stritten und exkommuniziert wurden, ohne deswegen wie Aussätzige gemieden zu werden.«

Anselm zuckte die Achseln. »Heinrich IV. mußte sich vor Papst Gregor dem Großen bei Canossa demütigen.«

»Aber Friedrich II. wurde dreimal exkommuniziert und war selbst in seinem Tod noch unbesiegt.«

Hänsle, der dem Disput zwischen seinem Lehrer und seinem Vetter bisher eher gelangweilt gelauscht hatte, bekreuzigte sich hastig bei der Erwähnung dieses Kaisers. Zweihundert Jahre waren seit dem Tod Friedrichs vergangen, und noch immer löste sein Name unheilige Schauer aus.

»Richard«, sagte Hänsle beunruhigt, denn seine Keckheit erstreckte sich nie auf das Gebiet der kirchlichen Lehren, »das war der Antichrist.«

Richard war nicht in der Stimmung, auf Hänsles Meinung Rücksicht zu nehmen, insbesondere, da dieser Kaiser, der nur etwas mehr als acht Jahre im deutschsprachigen Teil seines Reiches und den Rest seines Lebens in Italien verbracht hatte und so ganz anders gewesen war als all die sonstigen Herrscher, zu seinen Idolen zählte.

»Antichrist«, sagte er jetzt wütend, »Unsinn. Er hat …«

Anselm griff ein. »Richard, es hat keinen Sinn, wenn du anfängst, über Friedrich von Hohenstaufen zu streiten. Dann werden wir niemals fertig. Im übrigen ist es etwas völlig anderes, einen mächtigen Herrscher zu exkommunizieren, als einen Philosophen, von dem niemand Racheakte zu befürchten hat, sollte er ihn auch wie einen Exkommunizierten behandeln.«

Richards dunkle Augen umwölkten sich. Er strich sich eine braune Haarsträhne aus der Stirn. »Das stimmt. Hat es eigentlich einen Herrscher gegeben, der sich in einem solchen Fall weder gedemütigt hat noch zerstritten mit der Kirche blieb, ich meine, außer dieser Sache mit der babylonischen Gefangenschaft?«

Anselm nickte. »Sicher, sogar mehrere. Ich könnte dir mindestens zwei nennen. John von England und«, seine Stimme wurde etwas boshaft, »Lorenzo de'Medici.«

Richard wußte genau, daß Anselm von ihm erwartete, sofort bei Lorenzo nachzuhaken. Deswegen sagte er absichtlich: »Wie war das mit John?«

Anselm verbreitete sich in einer ausführlichen Lektion über englische Geschichte, bis Richard den Zeitpunkt für gekommen hielt, um sich so harmlos wie möglich zu erkundigen: »Hm … und Lorenzo de'Medici?«

Anselm zwinkerte. »Oh«, antwortete er, »vielleicht sollten wir das auf ein andermal verschieben und den Geschichtsunterricht für heute beenden. Es gibt noch einiges an Naturwissenschaftlichem, was zu bewältigen wäre. Mach nicht so ein Gesicht, Richard, sondern berichte mir über die philosophische Rechtfertigung der Araber des Axioms der Null. Worauf wartest du?«

Richard schwor Anselm heimlich Rache, aber an diesem Tag konnte er wenig anderes tun, als sich der handwerklichen Seite des Lebens zu widmen und wieder einmal Hans Basinger zu besuchen.

Der Goldschmied bedauerte gelegentlich, daß Richard als Neffe seines Vetters nicht einfach sein Lehrling werden konnte. Der Junge hatte Talent, dachte er, wirkliches Talent. Er machte Richard mit dem Formen, Hämmern und Schleifen der edlen Metalle und Steine vertraut, was ihnen beiden viel Freude bereitete, doch Richards Hauptstärke war das Entwerfen von Schmuckstücken, Gefäßen, allem, was Basinger herstellen konnte. Richard konnte sie vor sich sehen, die gleißenden Schönheiten, während er eifrig zeichnete und dem Goldschmied erklärte, welche Edelsteine er sich vorstellte. Und während ein neues Jahr kam und ging, wurde er von Jakobs robustem Verwandten auch in die Sprache der Steine eingeweiht.

»Kann sein, es ist Aberglauben«, sagte Basinger und spie auf den Boden, »aber ich habe noch keinen Goldschmied erlebt, der etwas taugt und sich nicht dran gehalten hat. Bestimmte Steine vertragen sich nicht.«

Richard schwieg. Seitdem ihm Basinger einmal über den Mund gefahren war, weil er behauptet hatte, daß Diamanten in Ziegenblut so weich würden wie andere Steine, und als Beweis den großen Plinius genannt hatte, hatte er gelernt, sich mit dem zurückzuhalten, was er aus seinen Büchern über Edelsteine wußte. Plinius hatte sich nämlich als höchst unzuverlässig erwiesen, und Richard war schamrot geworden, während Basinger schnaubte: »Ziegenblut! Ist das zu fassen?«

»Saphire«, sagte Basinger jetzt, »stehen für die Hoffnung, und Jaspis für den Glauben. Der Amethyst steht für Demut, aber wenn er nahe bei Rubinen liegt, auch für Treulosigkeit in der Liebe. Bestellt deswegen ein Mann etwas für sein Liebchen, dann verbinde niemals Amethysten mit Rubinen. Der Türkis ist die Freude und eignet sich für die meisten Dinge. Rubine sollten immer allein verwendet werden, denn sie stehen für eine Unzahl von Dingen und wirken so am besten. Außerdem sind die meisten Verbindungen mit Rubinen unglücklich, außer bei Diamanten, dann stehen die Rubine für die Erzengel. Beryll bedeutet …«

Jakob äußerte sich nicht zu Richards Goldschmiedeleidenschaft, jedenfalls nicht Richard gegenüber, doch Veronika handelte sich einmal eine schneidende Bemerkung ein, als sie zu ihrem Schwager sagte, es sei vielleicht nicht übel, wenn der Neffe seiner Gemahlin ein Handwerk erlerne, denn schließlich müsse er einmal für seinen Lebensunterhalt sorgen, und Jakob beabsichtigte doch nicht etwa, ihn in das Unternehmen einzugliedern?

»Es würde deinem Sohn Hänsle nicht schaden«, erwiderte Jakob eisig, »das gleiche zu tun, statt nur in den Tag hineinzuleben und das Geld seines Vaters zu verschwenden.«

Nach einiger Zeit forderte Jakob Richard auf, sich die eingehenden Geschmeide, die für den Handel gedacht waren, anzusehen, erhielt zur Antwort, daß Richard dies schon getan habe, und fragte ihn nach seiner Meinung über die Qualität der einzelnen Stücke. Richard erfuhr nie, ob Jakob in dem einen oder anderen Fall auf ihn hörte, denn womit tatsächlich gehandelt wurde und in welchem Umfang, blieb ein Geheimnis, das nicht über die Grenzen des Kontors hinausdrang. Doch inzwischen hatte sich eine weitere Gewohnheit eingebürgert, die Veronika mehr und mehr Kopfschmerzen bereitete: Nach dem abendlichen Mahl nahm sich Jakob, falls er nicht noch Wichtigeres im Kontor zu erledigen hatte, regelmäßig die Zeit, mit Richard eine Partie Schach zu spielen, und unterhielt sich leise mit ihm auf Italienisch.

Richard wuchs noch immer, und Ende 1487, in seinem sechzehnten Lebensjahr, war er ein hochaufgeschossener Jüngling, dessen Gesichtszüge kaum mehr kindlich zu nennen waren. Durch die Arbeit mit dem Goldschmied hatten seine Bewegungen auch nichts von der Unsicherheit und Ungelenkigkeit vieler seiner Altersgenossen, sondern waren knapp und bestimmt.

»Du wirst zu schnell erwachsen«, sagte Sybille einmal und seufzte, denn sie dachte an den kleinen Jungen, der vor mehr als drei Jahren in Augsburg eingetroffen war. Andere machten insgeheim dieselbe Beobachtung, doch mit völlig anderen Schlußfolgerungen.

An einem Tag im Winter kehrte Richard spät in der Nacht in seine Kammer zurück und fand die Magd Barbara, immer noch drall, immer noch hübsch, in seinem Bett vor.

»Nun, junger Herr?« fragte sie ein wenig spöttisch, die nackten Arme hinter dem Kopf verschränkt. In den anderthalb Jahren, die seit jener peinlichen Szene vergangen waren, hatte sie Gelegenheit genug gehabt, sich ihre Meinung über Richard zu bilden. Sie mochte ihn, sie vertraute ihm, und wenn sie damals eher aus Gutmütigkeit und ein wenig Abenteuerlust bereit gewesen war, sich ihm zu geben, so war der dunkle junge Mann, der sie jetzt entgeistert ansah, inzwischen anziehend genug, um ihr Blut in Wallung zu bringen. Als er sich nicht rührte, sagte sie ungeduldig: »Ich bin's wirklich, du brauchst nicht zur Salzsäure erstarren!«

Er kam ein paar Schritte näher und ließ sich auf den Stuhl fallen, der vor dem Bett stand, wie eine Puppe, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Barbara runzelte die Stirn, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und ließ vorsichtig ihre Hand über sein Knie gleiten. Er zuckte zurück. Sie setzte sich jäh auf.

»Was hast du? Bin ich nicht gut genug für dich?«

»Nein«, erwiderte Richard mit genügend Verzweiflung in der Stimme, um sie sicher sein zu lassen, daß er nicht log, »das ist es nicht, du bist hübsch und lieb und alles, was ein Mann sich wünschen kann.«

Besänftigt fragte sie: »Was ist es dann?«

Er wandte den Blick ab und sagte tonlos: »Ich kann bei keiner Frau liegen, bei überhaupt keiner.«

Barbara setzte sich auf. Sie war sich sehr wohl bewußt, daß sie mit ihren üppigen Brüsten und dem aufgelösten Haar eine große Verlockung darstellte, und nahm nun eine Haltung ein, die erfahrungsgemäß unwiderstehlich war.

»Ach was«, sagte sie aufmunternd, »das bildest du dir ein, das hast du bestimmt von diesen Narren von Schreibern. Du bist schon in Ordnung. Glaub mir, ich bin eine Frau, ich weiß es. Damals warst du eben etwas jung und aufgeregt, das war alles.«

Richard wünschte sich zehn Klafter tief unter die Erde. »Barbara, glaub mir, ich kann nicht. Ich …«

Ihm kam eine Erleuchtung. »Ich habe ein Gelübde abgelegt, als ich einmal von einer schweren Krankheit genas, daß ich bis zu meinem zwanzigsten Jahr bei keiner Frau liegen würde.«

Er sah den Zweifel in ihren Augen und gestaltete die Geschichte schnell weiter aus: »Deinetwegen hätte ich es damals fast gebrochen, und das darf nicht noch einmal geschehen. Es war, bevor ich hierhergekommen bin. In meiner Heimatstadt herrschte ein unbekanntes Fieber und …«

»Schon gut«, sagte Barbara. Doch sie änderte ihre Stellung nicht.

»Du mußt dich aber sehr verändert haben, seit du dein Gelübde voller Frömmigkeit abgelegt hast, denn hier gehst du doch nicht einmal zur Beichte.« Sie lachte über seinen überraschten Gesichtsausdruck. »Kann sein, daß du deinen Oheim, deine Tante und die ganze Familie täuschst, aber unsereins merkt, daß du an den Samstagen nicht zur Kirche gehst, um zu beichten, sondern die Stadt verläßt, um Gott weiß was zu tun.«

Richards Stimme wurde schroff. »Und?« Barbara ließ sich wieder auf das weiche Laken sinken.

»Ich glaube nicht an Euer Gelübde, junger Herr.« Plötzlich kam ihr eine Idee, die sie erschütterte. »Magst du etwa lieber Jungen?«

»Wie bitte?« fragte Richard so verdutzt, blanke Unwissenheit in den Augen, daß sie ihren Verdacht fallenließ.

»Schon gut«, murmelte sie und musterte ihn. Er machte noch immer keine Anstalten, sich ihr zu nähern. Barbara war nicht dumm. Aus welchem Grund auch immer, ihre Absicht auf eine nächtliche Zerstreuung war vereitelt worden. Zumindest heute nacht würde daraus nichts werden. Sie fühlte sich enttäuscht, verärgert und herausgefordert.

»Schön«, sagte sie unvermittelt, stand auf und ging zu ihren Kleidungsstücken, die sie auf einen Schemel gelegt hatte. Betont langsam zog sie sich an. Sie spürte, daß Richards Augen ihr folgten, und hütete sich, sich irgend etwas anmerken zu lassen. Wir werden sehen, dachte Barbara, als sie schließlich angekleidet war. Unter gesenkten Lidern verbarg sie einen triumphierenden Blick. Aus Stein war er offensichtlich nicht. Sie unterdrückte ein Lächeln. Wie er wohl das nächste Mal reagieren würde?

»Ihr seht so ernst aus, Doctorus«, sagte Sybille und rückte den Schemel, auf dem sie saß, noch etwas näher an das Kaminfeuer. »Was bedrückt Euch?« Konrad Pantinger seufzte. Er hatte keinen Grund, sich zu beklagen. Dies war sein erster Besuch seit seiner Rückkehr von einem einjährigen Italienaufenthalt, und Sybille hatte ihn wie ein Familienmitglied willkommen geheißen.

Er blickte auf die übrigen Menschen, die sich in diesem Raum befanden, auf Ulrich und Veronika, die leise miteinander sprachen, auf ihre Kinder, die sich um Anna geschart hatten, die Älteste, die im nächsten Sommer heiraten würde, auf Jakob und Richard, die in eine Schachpartie vertieft waren.

Schließlich antwortete er: »Es ist dieses Buch, Frau Sybille, dieses Buch über das Hexenwesen. Im August ist es in Köln erschienen, jetzt haben wir Anfang Januar, und ich muß feststellen, daß es auch schon in Augsburg gedruckt wird. Habt Ihr es gelesen?«

Sybille schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß, was Ihr meint.«

Die beiden Dominikaner Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, die in der Bulle des Papstes ausdrücklich mit der Untersuchung des Hexenwesens in deutschen Landen beauftragt worden waren, hatten nun ihre Überlegungen in dem Werk ›Malleus Maleficarum‹ veröffentlicht. Bald sprach man von nichts anderem mehr.

»Mich beunruhigt die Verbreitung, die das Buch findet, denn ich kann die Thesen nicht billigen«, sagte Pantinger.

»Nicht, daß ich bezweifeln möchte, daß es Hexen gibt«, er bekreuzigte sich, »aber bis jetzt war es mehr oder weniger üblich, sie durch ein Anklageverfahren zu prüfen, nicht durch einen Inquisitionsprozeß, wie es Sprenger fordert. Die Verteidigung der Angeklagten durch einen Anwalt ist so gut wie unmöglich gemacht, wenn er sich durchsetzt, und er hat die Autorität der Kirche hinter sich. Und wenn ich lese, wie diese beiden Dominikaner das Kirchenrecht für ihre Zwecke verdrehen, wird mir übel. Nach kanonischem Gesetz ist es nämlich verboten, die Folter, wenn sie einmal angewendet wurde, zu wiederholen. Im ›Malleus Maleficarum‹ heißt es, der Richter könne eine ›Fortsetzung‹ der Folter zu verschiedenen Terminen anordnen. Eine Fortsetzung! Wißt Ihr, was das heißt? Welcher Mensch würde nicht alles gestehen, wenn man ihn nur oft genug foltert?«

Sybille starrte in die Flammen. »Das ist furchtbar«, sagte sie fast unhörbar. »Glaubt Ihr, daß … daß viele Unschuldige angezeigt werden?«

»Frau Sybille«, erwiderte Pantinger ernst, »nach dem ›Malleus Maleficarum‹ ist jede Frau verdächtig, ganz einfach, weil sie Frau ist. Dort steht, die Frauen seien von Natur aus schlecht, in der Wollust unersättlich und deswegen nur allzugern bereit, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Wenn das erst überall gelehrt wird … Was meint Ihr, wie schnell dann die Anzeigen kommen werden?«

Sybille widerstand dem Impuls, sich ebenfalls zu bekreuzigen. »Werden in diesem Buch auch die Einzelheiten des … des Verfahrens geschildert?«

Pantinger nickte. »So ist es und auf ekelerregende Weise. Deswegen glaube ich …«

Ein Schatten fiel über sie. »In welchem Buch?« fragte Richard. Die Schachpartie war beendet, und er war sofort aufgestanden, um sich zu seiner Tante und dem Doctorus zu gesellen, in der Hoffnung, dieser werde etwas von seiner Reise erzählen. Sybille war entsetzt. Sie hatte Pantinger bitten wollen, nicht mit Richard über das Werk zu sprechen und ihn nach Möglichkeit davon fernzuhalten.

Jetzt schaute der Gelehrte lächelnd hoch und erwiderte bereitwillig: »Im ›Malleus Maleficarum‹ von Jakob Sprenger und Heinrich Institoris. Sei gegrüßt, Richard.«

Doch der sonst so höfliche Richard erwiderte seinen Gruß nicht, sondern fragte mit weißem Gesicht ausdruckslos: »Heinrich Institoris … kann das Bruder Heinrich von den Dominikanern sein?«

»Ebendieser ist es«, entgegnete Pantinger verwundert. »Hast du ihn denn einmal kennengelernt?« Inzwischen war auch Jakob nähergetreten.

»Domini canes …«, sagte Richard wie abwesend, als hätte er die Frage nicht gehört. Dann begegnete er Jakobs Blick. Er zwang sich, möglichst normal auf Pantingers Frage zu antworten.

»Ich kenne den Bruder nur sehr flüchtig. Er besuchte einmal das Kloster, in dem ich erzogen wurde, um … um Studien zu betreiben.« Den letzten Satz zwang er aus seiner Kehle heraus.

An Pantingers Miene erkannte er, daß der Gelehrte mit dieser Auskunft nicht zufrieden war und gleich nach näheren Einzelheiten fragen würde, wenn er ihm nicht zuvorkam. »Aber laßt doch dieses Buch und erzählt von Eurer Reise nach Italien«, bat er.

Pantinger lächelte erleichtert. Richards Blässe und sein Tonfall hatten ihm gar nicht gefallen. Aber diese Frage klang nun wieder ganz nach Richard, und er ging bereitwillig darauf ein.

»Auf dieser Reise habe ich mich von deiner ständigen Neugier erholt, mein Junge«, entgegnete er. »Die Italiener sind viel zu beschäftigt, über den nächsten Papst zu streiten, als daß sie es nötig hätten, mir Löcher in den Bauch zu fragen.«

»Der nächste Papst?« fragte Sybille verwundert. »Ist der Heilige Vater denn krank?«

»Er war nie ganz gesund. Es ist allen ohnehin ein Rätsel, warum er gewählt wurde, denn zu den mächtigen Kardinälen gehörte er nicht. Vielleicht war das auch der Grund. Die anderen Kardinäle wollten wohl nicht allzu offen für Kardinal Giuliano della Rovere oder Kardinal Rodrigo Borgia Partei ergreifen.«

»Das sind wohl die beiden Mächtigsten«, stellte Richard fest. Normal bleiben, um alles in der Welt normal bleiben!

Pantinger nickte. »So ist es, und ihr Machtkampf währt schon viele Jahre. Der vorhergehende Papst bevorzugte Borgia, doch der jetzige leiht della Rovere sein Ohr.«

Jakob fragte unvermittelt: »Was sagt man in Italien über Borgia und della Rovere, Doctorus?«

Konrad Pantinger verzog das Gesicht. »Aber, Jakob, sogar ein weltfremder Gelehrter wie ich weiß, daß Ihr über die Ereignisse in aller Welt viel besser unterrichtet seid als die Menschen, die sich gerade dort befinden.«

Jakob machte sich nicht die Mühe, es zu leugnen.

»Mag sein«, sagte er knapp, »aber ich frage Euch nicht nach Ereignissen, sondern nach Meinungen.«

Pantinger überlegte. »Nun … della Rovere soll etwas von einem Kreuzritter an sich haben. Er haßt das Wuchertum in der Kirche«, sagte er mit einem ein wenig boshaften Unterton, »wie zum Beispiel die Simonie und die Pfründenverhökerung – kein guter Geschäftspartner für Euch, fürchte ich, wenigstens in dieser Beziehung. Aber er dehnt seinen Reinheitswillen auch auf andere Gebiete aus. Man munkelt, daß die Hexenbulle sein Werk gewesen sei, wie auch die Exkommunikation Pico della Mirandolas, Dinge, zu denen er den Papst überreden konnte, anders als bei der Simonie. Ich würde also sagen, ein Kreuzritter mit allen Vorzügen und Nachteilen.«

Jakob nickte, ohne etwas von seinen Gedanken preiszugeben. »Und der Borgia?«

Pantinger neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Er war unter drei Päpsten Vizekanzler der Kirche und kein schlechter. Was für die Kirche aus einer Angelegenheit herauszuschlagen ist, schlägt er heraus. Persönlich soll er sehr anziehend wirken, besonders auf Frauen, was ihm schon einmal einen Tadel von einem Papst eingebracht hat – kein Wunder, bei seiner Schar unehelicher Kinder. Den Künsten gegenüber ist er aufgeschlossen, Hexen und Ketzer sind ihm gleichgültig. Aber was den Verkauf von kirchlichen Privilegien betrifft, da ist er vollkommen skrupellos, und die Thesen, die er über den Ablaß entwickelt hat, könnten«, Pantinger hielt inne und lächelte verschmitzt, »nun, könnten von einem Augsburger Kaufmann stammen.«

Die Hexen schienen vergessen, als sie alle in Gelächter ausbrachen. Doch als Richard nach einem der Becher und dem Krug mit heißem Glühwein griff, die ein Bediensteter ihnen gerade brachte, kreuzte sich sein Blick wieder mit dem Jakobs. Jakob ließ sich ebenfalls einschenken und hob den Becher in einem schweigenden Salut.