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Der Blick von der Tür
Nach Ashtons Zusammenbruch liefen die an vier Stellen auf dem Rasen postierten Kameras des Videounternehmens noch zwölf Minuten lang weiter und zeichneten das folgende Chaos in vollem Umfang auf. Danach wurden sie abgeschaltet und von Chief Luntz als Beweismittel beschlagnahmt.
Diese zwölf hyperaktiven Minuten waren komplett auf der geschnittenen DVD enthalten, die sich Gurney mit Hardwick ansah: gebrüllte Befehle und Fragen, entsetzte Schreie, Gäste, die zu Ashton und ins Cottage rannten, dann zurückwichen, eine Frau, die stürzte, eine andere, die über sie stolperte und auf sie fiel, Gäste, die Ashton aus dem Blumenbeet aufhalfen und ihn zur Rückseite des Haupthauses führten, Luntz, der die Tür zum Cottage blockierte und hektisch mit dem Handy telefonierte, ein Musiker mit seiner Geige in der Hand, ein anderer nur mit dem Bogen, drei uniformierte Polizisten aus Tambury, die zu Luntz stürmten, der Vorsitzende der British Heritage Society, der sich ins Gras erbrach.
Nach dem letzten digitalen Flattern der Aufnahme ließ sich Gurney langsam zurücksinken und schaute Hardwick an. »Meine Güte.«
»Und, was hältst du davon?«
»Ich glaube, ich würde gern ein bisschen mehr erfahren.«
»Was zum Beispiel?«
»Wann ist das BCI am Tatort eingetroffen, und was habt ihr im Cottage gefunden?«
»Die ersten Uniformierten waren drei Minuten vor dem Abschalten der Kameras vor Ort, das heißt, neun Minuten nachdem Ashton die Leiche entdeckt hatte. Luntz hat seine eigenen Leute gerufen, und andere Gäste haben 911 gewählt, der Notruf wurde an die Bereitschaftspolizei weitergegeben. Die Uniformierten haben sofort das BCI verständigt, der Anruf wurde an mich weitergeleitet, und ich war fünfundzwanzig Minuten später am Tatort. Der übliche Heckmeck war also schon in vollem Gang.«
»Und?«
»Die vorherrschende Meinung war, dass dieser Wahnsinn so schnell wie möglich beim BCI abgeladen werden muss, also bei Senior Investigator Jack Hardwick. Dort ist er ungefähr eine Woche geblieben, bis ich dummerweise unseren geliebten Captain davon in Kenntnis gesetzt habe, dass sein Ermittlungsansatz, von dem er um keinen Preis abrücken wollte, gewisse logische Fehler aufweist.«
Gurney grinste. »Du hast ihm gesagt, dass er ein Vollidiot ist?«
»Sinngemäß.«
»Und dann hat er den Fall Arlo Blatt gegeben?«
»Genau, und der steckt jetzt seit fast vier Monaten fest – hat jede Menge Staub aufgewirbelt, ohne einen Zentimeter voranzukommen. Daher möchte die wunderschöne Mutter der wunderschönen Braut mögliche andere Ansätze ausloten.«
Eine Auslotung, die statt Staub Scheiße aufwirbeln würde, wenn sich die Verantwortlichen veranlasst sahen, ihr Revier zu verteidigen, da war sich Gurney völlig sicher.
Zieh dich zurück, bevor es zu spät ist, flüsterte die Stimme der Vernunft.
Dann meldete sich eine andere Stimme mit unbekümmertem Selbstvertrauen: Zumindest solltest du rausfinden, was in dem Cottage entdeckt wurde. Wissen kann nie schaden.
»Du bist also dort angekommen, und jemand hat dich zu der Toten geführt?«
Um Hardwicks Mundwinkel zuckte es. »Ja, ich wurde zur Toten geführt. Die reichen Scheißer haben mich angeglotzt, als sie mich zur Tür gebracht haben. Ich erinnere mich, dass ich gedacht habe, die erwarten anscheinend eine heftige Reaktion, das heißt, da drinnen ist was Schlimmes.« Er stockte und bleckte kurz die Zähne. »Und ich hatte recht. Hundert Prozent.« Auf einmal wirkte er regelrecht verstört.
»War die Leiche von der Tür aus sichtbar?«
»O ja. Sehr gut sichtbar sogar.«