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Richmond, Virginia,
United States of America, Sol III
1320 EDI, 10. Oktober 2009
Washington hatte den Zeitvorteil auf seiner Seite. Die Luftlinie zwischen Washington und Fredericksburg war praktisch genauso lang wie die zwischen Fredericksburg und Richmond. Der Umweg, den das Staubecken von Occoquan und der massive Widerstand des Neunten und Zehnten Korps erforderlich machten, sorgte aber dafür, dass Richmond die erste Stadt war, die von den sich ausbreitenden Invasionstruppen getroffen wurde.
Und in Richmond waren sie gerade mit den Vorbereitungen fertig geworden.
»Sie glauben also nicht, dass die das entdecken?«, fragte der Specialist, den man Mueller als Fahrer zugeteilt hatte.
»Vielleicht«, meinte Mueller und nahm den letzten Anschluss an der Sensorkapsel vor, die speziell für den Fernbereich modifiziert war. Die winzige Kamera mit ihrem Sender war in einer nur leicht gepanzerten Kapsel so angebracht, dass sie den nördlichen Verlauf der I-95 übermitteln konnte.
»Aber wir werden die Gäule wenigstens einmal unter Artil-leriebeschuss nehmen können. Wenn die sie nicht bemerken oder sie bemerken und nicht abnehmen, dann können wir sie während der ganzen Schlacht für Fernbeschuss und Überwachung einsetzen.«
»Sergeant Ersin?«
»Ja, was ist?« Ersin, der die Anlage eines Minenfelds entlang dem Nordwestrand überwacht hatte, sah sich um. Der Fragesteller war einer der jüngeren Ingenieure, die dem Bezirk zugeteilt worden waren. Der Junge hatte noch nicht einmal seine Lizenz. Er war einfach ein kleiner Handlanger, den eine der örtlichen Ingenieurfirmen zu ihrer Unterstützung geschickt hatte. Aber der Junge wusste wenigstens, dass er noch feucht hinter den Ohren war, und fürchtete sich nicht davor, Fragen zu stellen. In seiner Begleitung befand sich ein hoch gewachsener, etwas korpulenter Zivilist. Das leicht gerötete Gesicht des Mannes und seine legere Kleidung ließen Ersin auf »Vertreter« tippen.
»Der Mann hier versucht mir etwas zu erklären …«, setzte der junge Ingenieur an.
»Tag, Sergeant … Ersin, nicht wahr?«, fragte der Zivilist, schob den jungen Mann beiseite und schüttelte Ersin kräftig die Hand. »Tolert, Bob Tolert, ich vertrete hier in Richmond die Firma Advanced Materials Manufacturing …«
»Wenn es um die Golden Girls geht …«
»Nein, das ist eine völlig andere Firma. Wir führen …«
»Wir haben hier ziemlich viel zu tun …«
»Militärgerät, das ich …«
»… und ich habe wirklich keine Zeit …«
»… meiner Ansicht nach geradezu ideal …«
»Sie hören mir überhaupt nicht zu, nicht wahr?«, sagte Ersin plötzlich mit gefährlich ruhiger Stimme. Die Narben an seinem Hals und in seinem Gesicht hatten sich gerötet.
»Ja, Sir, doch, ich höre schon zu«, erwiderte der Vertreter mit einem breiten Lächeln. »Sie haben im Augenblick den wichtigsten Job, den es in den ganzen USA überhaupt gibt, Sie schützen unsere schöne Stadt, und diese kleinen Fußangeln, die meine Firma herstellt, sind genau das, was Sie jetzt brauchen.« Sein Lächeln war breit und völlig unaufrichtig. Der Vertreter war offensichtlich darauf aus, unter allen Umständen einen Auftrag zu landen.
Ersin zuckte nach vorn, wie eine Schlange, bis sein narbiges Gesicht nur noch wenige Zentimeter von dem des Zivilisten entfernt war. Seine rechte Hand schoss vor, packte ihn am Kragen seines Jeanshemds und zerrte den Vertreter noch näher zu sich heran. »Was haben Sie da gesagt?«
Bob Tolert hatte schon mit so manchem schwierigen Kunden zu tun gehabt. Aber noch nie mit einem, der über die Fähigkeit verfügte, ihn in Sekundenbruchteilen vom Antlitz der Erde verschwinden zu lassen. Er überlegte sich sehr gründlich, wie er fortfuhr.
»Wir haben einen Vertrag, um für die Verteidigungsanlagen in den Bergen Fußangeln herzustellen«, krächzte er. »Ich weiß nicht einmal so richtig, was das eigentlich ist. Einer unserer Vorarbeiter hat mir gesagt, Sie würden vielleicht ein paar davon kaufen wollen.«
»Ich habe das auch nicht gewusst«, sagte der angehende Ingenieur. Dabei machte er Handbewegungen, als wolle er andeuten, dass es vielleicht keine so gute Idee wäre, einen Zivilisten zu töten.
»Wie viele können wir kriegen?«, fragte Ersin mit einem Lächeln, das jetzt mehr wie das eines Raubtiers wirkte.
»Er hat ein paar Kippwagen voll mitgebracht«, erklärte der Ingenieur.
»Können Sie mich jetzt loslassen?«, krächzte Tolert. »Bitte?«
Die Posleen-Kundschafterkompanie trottete in Reih und Glied auf der breiten Fernstraße dahin. Ihr Gottkönig folgte ihnen nachdenklich, obwohl vor ihm hohe Gebäude aufragten, die reiche Beute versprachen. Seine Kompanie war die fünfte des Oolt’ondar, das die Spitze übernommen hatte. Die Horde hatte inzwischen infolge von Überfällen der Tenar und der ballistischen Waffen der Thresh ein Oolt um das andere verloren. Er war fest entschlossen, länger auszuhalten als die übrigen.
Um nicht wie seine Kameraden in einen Hinterhalt zu geraten, hatte er weit vor seinem Oolt einen Kundschafter ausgeschickt. Das Oolt’os war ein besonderes Individuum, es konnte beinahe sprechen. Der einzige Eson’antai des Kessentai war aus ihrer Paarung hervorgegangen, und er vertraute darauf, dass das Oolt’os einigermaßen effizient auf Probleme mittleren Schwierigkeitsgrades reagieren konnte. Wenn es unter den Oolt’os überhaupt welche gab, die ein Problem wahrnehmen konnten, würde es dieses sein.
Deshalb hielt er jetzt seinen Tenar an, als von der Spitze der Marschkolonne ein überraschter Ruf zu vernehmen war, und glitt zur Seite. Aber dieser Ruf drückte nicht Furcht oder Wut aus, und das Oolt’os von der Spitze der Kolonne machte kehrt und rannte zu ihm.
Das Oolt’os hielt einen seltsamen Gegenstand in der Hand. Ein Metallspieß, von dem noch Erde fiel, mit einem Symbol oben drauf. Das Metall des Symbols sah aus wie … aber das konnte nicht sein …
Der Gottkönig stieß einen Schrei ähnlich dem seines Kundschafters aus und riss ihm das goldene Stück Tand aus der Hand. Er tätschelte dem aufgeregten Halbidioten den Rücken und gab ihm ein Stückchen Thresh, um seine Billigung zu zeigen.
Ein Spürmeister von weiter hinten in der Kolonne kam mit seinem Tenar nach vorne geglitten, um nachzusehen, was da Aufregendes passiert war.
Der Gottkönig hielt das Gerät in die Höhe. »Reines Schwermetall«, krähte er und fuchtelte damit herum.
»Nein«, rief der Spürmeister, und sein Kamm regte sich erregt. »Ist da noch mehr?«
»Das wollen wir herausfinden«, rief er und winkte seinen Oolt zu. »Vorwärts, findet mehr! Folgt der Straße!«
»Die sind beim ersten Babe«, sagte Mosovich und drehte am Okular seines Suchfernrohrs. Er lächelte, als er die für ihn lautlose Pantomime in der Ferne sah. »Anscheinend haben die’s geschluckt, samt Köder, Haken und allem, was dranhängt.«
»Dann sollten wir ihnen ein bisschen Zunder geben«, meinte Ersin mit säuerlichem Blick und lehnte sich gegen das Kopfteil des Hotelbetts. Aus der Suite im Marriott hatten sie klare Sicht auf den vorrückenden Feind. Er biss von einem getrockneten Pfirsich aus seiner Feldration und verzog das Gesicht. »Dazu haben wir doch unsere Geschütze.« Er verstummte, als die Frucht alle Flüssigkeit in seinem Mund aufsaugte.
»Wir müssen sie ansaugen, General«, sagte John Keene zu niemand Bestimmtem. »Erst schießen, wenn wir das Gelbe in ihren Augen sehen.« Jetzt, da die Verteidigungsanlagen fertig gestellt waren, wusste er nicht so recht, was er tun sollte. Nachdem er eine Weile überlegt hatte, war er zu dem Schluss gelangt, dass es wohl am besten war, bei dem Special Forces-Team zu bleiben. Unter anderem waren das wohl die einzigen Leute in ganz Richmond, die ihn nicht am liebsten um einen Kopf kürzer gemacht hätten. Außerdem gaben sie ganz gute Leibwächter ab.
Er lag jetzt ausgestreckt auf dem Boden und trank sein erstes Bier seit zwei Tagen. »Die sollen noch tiefer in den Sack hineinrennen«, meinte er.
»Genau«, nickte Mueller, der am Tisch stand und damit beschäftigt war, sich ein Sandwich zu bauen. Er legte sorgfältig eine Scheibe Schinken auf das Brot, dann Salat, dann eine weitere Scheibe Schinken, wieder Salat, Pastrami … »Wir möchten, dass so viele wie möglich von den Biestern nach Schockoe Bottom kommen.«
»Na prima«, schnaubte Ersin zynisch. »Macht’s nur möglichst kompliziert. Und kompliziert bedeutet, dass mehr schief gehen kann.«
»Bis jetzt sieht’s doch ganz gut aus«, verteidigte sich Keene. Er setzte sich auf und leerte die Flasche bis zum letzten Tropfen. »Die machen doch genau das, was wir wollen«, fügte er dann hinzu, rülpste halblaut und warf die Flasche in den Papierkorb.
»Das schon«, nickte Mosovich. »Ich glaube bloß nicht, dass die bis Schockoe durchkommen, ehe einer zu schießen anfängt. Dazu würde es mehr Disziplin brauchen, als diese Armee hat.«
»Komm schön zu Papa«, flüsterte Specialist Fourth Class Jim Turner und schmiegte sein .50-Kaliber-Scharfschützengewehr an seine Schulter. Endlich konnte er das Stativ einsetzen, das man mit der Waffe an ihn ausgegeben hatte, und jetzt wartete er ungeduldig auf den Feuerbefehl.
Die Straße war in regelmäßigen Abständen mit Messstäben markiert worden, an denen farbige Bänder hingen. In der Zeit, die ihnen zur Vorbereitung zur Verfügung gestanden hatte, hatte man jeder Kompanie bestimmte Zonen für den Beschuss zugewiesen und diese dann weiter unterteilt, so dass jeder Mann mit einem Karabiner, jeder Grenadier und jeder Scharfschütze einen ganz speziell ihm zugewiesenen Bereich hatte. Den Scharfschützen hatte man größere Bereiche zugeteilt, aber trotzdem war »sein« Abschnitt der Interstate nur zweihundert Meter lang und hundert tief. Im Augenblick befanden sich drei Gottkönige, sein ganz spezielles Ziel, in seinem Kasten. Er hatte bereits beschlossen, den Hintersten zuerst zu nehmen und sich dann nach vorne vorzuarbeiten. Und der bewegte sich schneller als der Haupttrupp, arbeitete sich, gefolgt von seinen Normalen, nach vorne. Sobald das Signal kam, würde der Typ der Geschichte angehören.
Jim hatte seine Zweifel, ob alle bis zum Signal warten würden. Sie hatten Anweisung, in Deckung zu bleiben und das Heranrücken des Feindes nicht zu beobachten. Den meisten Soldaten hatte man Befehl gegeben, sich auf den Boden zu setzen, ihre Manjacks gesichert zu lassen und abzuwarten, bis der Feuerbefehl kam. Wie viele von ihnen das wirklich taten, wusste er nicht. Er jedenfalls tat es nicht. Und dann gab es fünfzehn- oder zwanzigtausend Manjacks, die so positioniert waren, dass sie die ganze Straße bis hinein nach Schockoe Bottom abdeckten. Dass bis jetzt noch keiner von ihnen das Feuer eröffnet hatte, lag einzig und allein daran, dass alle, an denen die Posleen bis jetzt vorbeigezogen waren, gesichert waren. Über kurz oder lang würden sie den Laserstrahl von einem durchbrechen, der es übersehen hatte, seine Waffe zu sichern. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle die Anweisung mitbekommen und wirklich kapiert hatten, war verschwindend gering.
Andererseits hatte buchstäblich jeder erfahren, dass die Posleen recht heftig auf Beschuss reagierten. Wenn sie nicht auf das Signal warteten und jemand auf eigene Initiative feuerte, würde die geballte Macht der Aliens jenes eine Individuum aufs Korn nehmen. Wenn also jemand Mist baute, würde er das nicht sehr lange überleben, und von den Unteroffiziersdienstgraden und Offizieren erwartete man …
»Turner, verdammt!«, sagte Sergeant Dougherty von der Tür her.
»Ich seh doch bloß zu, Sergeant«, antwortete er ruhig. Dougherty war ein schwieriger Fall. So wie dieses Weib die ganze Zeit rumrennt, als ob man ihr einen Dorn in den Hintern gerammt hätte, hätte sie zu Fleet Strike gehen sollen. Andererseits war sie fair und, was wichtiger war, sie hatte Recht. Er sollte nicht da sein, wo er gerade war. »Ich werde nicht schießen.« Trotzdem trat er einen Schritt von seiner Waffe zurück.
»Ist mir scheißegal, auf den Boden mit Ihnen wie all die anderen auch! Wir haben schon für weniger als das Magazine weggenommen!«
»Yes, Ma’am.«
»Du solltest es wirklich wissen. Wenn du mit der Verantwortung nicht fertig wirst, die es nun mal mit sich bringt, wenn man als Scharfschütze eingeteilt ist, finden wir sicher einen, der das besser schafft! Und spar dir das Ma’am«, herrschte ihn die untersetzte Wasserstoffblondine an. »Ich verdien mir mein Geld mit Arbeit.«
Den Rücken durchgedrückt und die Stirn missbilligend gerunzelt ging sie wieder in den Flur hinaus, um ihre Runde zu vollenden. Vielleicht fand sie noch einen, dem sie den Arsch aufreißen konnte.
Wie nicht anders zu erwarten, wurden nicht alle informiert.
»Wie ist die Straße nach Osten?«, fragte Artulosten. Der zurückgekehrte Spürmeister wirkte mürrisch. Viele seiner Oolt’os hinkten, und alle sahen recht mitgenommen aus.
»Schrecklich«, schnappte Arstenoss. »Dort draußen ist nichts, die Gebäude sind verbrannt und die Straßen zerstört oder mit diesen Dingern hier übersät.« Er hielt Artulosten eine Fußangel hin. »Die Hälfte meines Oolt ist verletzt, und diese verdammten Dinger haben viele davon zu Thresh gemacht.«
Der Schlachtenmeister nahm den anstößigen Gegenstand und musterte ihn verblüfft. Es war ein kleines Stück Metall. Er begriff, was er bezweckte: ein scharfes Messer nach oben gerichtet halten. »Wie können die ein Oolt’os töten?«
»Sie töten nicht. Aber wenn man darauf tritt, bohren sie sich tief in den Fuß, und dann geraten viele der Oolt’os in Panik und wälzen sich auf dem Boden. Und dann werden sie ihnen überall in den Körper getrieben. Ich musste fast zwei Dutzend einschläfern. Schließlich sagte ich, genug, und bin umgekehrt. Dort draußen ist nichts von Interesse. Wie ich höre, gibt es hier eine Straße aus schweren Metallen?«
»Ja, in der Tat. Dies muss ein Ort von sehr großem Wert sein. Der Vortrupp ist auf keinen Widerstand gestoßen und hat ein Zeichen nach dem anderen aus reinem Schwermetall gefunden, die alle so aussehen wie das hier. Sie sind alle auf der einen Straße und weisen anscheinend auf die andere Seite jenes Flusses.« Er deutete in die Ferne, wo der James River teilweise zu sehen war. »Das wäre normalerweise das Ziel«, sagte er und wies auf den Horizont. »Und es ist auch mit Thresh vollgepackt, aber der Schwarm scheint diesen Zeichen zu ihrem Ursprung folgen zu wollen.«
Die Interstate hatte bereits zu einem Bogen angesetzt, der von der eigentlichen Stadt wegführte. »Andere Spürmeister sind mit praktisch der gleichen Nachricht aus dem Westen zurückgekehrt. Dort draußen ist nichts, was Wert hat. Alles, was man hätte brauchen können, ist entweder zerstört oder vernichtet worden.«
»Diese Gebäude sind mit Thresh vollgepackt«, stellte der Spürmeister nach einem Blick auf seine Sensoren fest. Jeder der hoch ragenden Wolkenkratzer war rot markiert. »Warum schießen die nicht?«
»Angst vor der Heerschar«, schnaubte der Schlachtenmeister. Er deutete zur Front, wo Tausende Posleen ihrer Vorhut verteilt waren, und nach hinten, wo weitere eineinhalb Millionen folgten. »Sie sind zahlreich, aber bei weitem nicht so zahlreich wie die Heerschar. Sie wären unklug, wenn sie schießen würden.«
Das Posleen-Normale folgte einem Ruf der Natur. Normalerweise ließen Posleen flüssige wie feste Verdauungsprodukte einfach fallen. Aber die Zeit der Geburt war nahe, und das erforderte ein Mindestmaß an Abgeschiedenheit, damit nicht ein anderes Oolt’os seinem Fresstrieb folgte. Im Lager, selbst in provisorischen Lagern, gab es Eigruben, wo man das lederhäutige Ei ablegen konnte, bis das Junge schlüpfte. Und dort gab es auch Pflegerinnen, die die Nestlinge in die Pferche brachten, damit sie dort ums Überleben kämpften, bis sie den Zustand der Reife erreicht hatten.
Aber wenn die Heerschar in Bewegung war, konnte man die Eier nur beiseite legen und die Nestlinge frei lassen. Die meisten starben, sogar noch mehr als in den Pferchen. Aber auf dem Pfad war alles beschwerlich, und dem Normalen war das gleichgültig. Es wollte lediglich die Unbehaglichkeit und die Übelkeit eines ausgereiften Eies los sein.
Also trottete es von seiner Gruppe weg und die Interstate hinunter nach Osten; der Wall, der sie im Westen von den Thresh trennte, war eine steile Bodenerhebung mit Stacheldraht, die Richtung kam also nicht in Frage. Es musste einen Zaun aufschneiden, aber das war für sein monomolekulares Kurzschwert kein Problem, und dahinter stand ein kleines Gebäude, das offenbar verfügbar war. Es hatte strikte Anweisungen, Gebäude nicht ohne Erlaubnis zu betreten, aber es reichte schon aus, außer Sichtweite der anderen zu sein. Es trottete um das Gebäude herum und begann den Geburtsprozess.
Sein Unterleib begann zu zucken, und gleich darauf reichten die Zuckungen bis hinauf zum Hals. Es hatte schon fast zu lange gewartet. Eine Ausbuchtung zeigte sich am Halsansatz und schob sich nach oben, so wie wenn eine Python eine Katze verschlingt, nur in umgekehrter Reihenfolge. Schließlich spuckte es ein fleckiges, ledernes Ei von der Größe eines kleinen Huhns aus. Es leckte die letzte Geburtsflüssigkeit vom Ei, schubste es angewidert gegen die Wand der verlassenen Mietskaserne und trottete zur Interstate zurück. Erledigt.
Die Kompanie der Normalen hatte inzwischen eine beträchtliche Strecke zurückgelegt. Es hastete durch die zerbombten Gebäude und das niedergebrannte Waldstück entlang der Straße und versuchte zu seinem Gottkönig aufzuschließen. Dabei passierte es einen unsichtbaren Lichtstrahl.
Dann ging alles schief, was schief gehen konnte. Das Manjack war nicht gesichert. Es war mehr oder weniger seitlich in die Zone einer anderen Brigade gerichtet. Und die gekoppelten Munitionsgurte, die zu ihm führten, lagen so ungeschickt um ein Schreibtischbein herum, dass sichergestellt war: Die Waffe würde nur ganz kurz feuern und dann Ladehemmung haben.
Das Team von der Einundsiebzigsten Infanteriedivision hatte die Waffe und die widerwärtig schweren Munitionskisten in unangemessener Hast aufgebaut. Sie waren mehr daran interessiert gewesen, ihr Würfelspiel fortzusetzen als daran, dass die Waffe richtig gezielt aufgebaut war und die Munitionsgurte sich ungehindert bewegen konnten. Der weibliche Sergeant, der eigentlich hätte sicherstellen sollen, dass die Waffe ordentlich ausgerichtet und gesichert war, genoss die Früchte ihrer Position mit einem gut aussehenden, gelenkigen jungen Soldaten. Der First Sergeant spielte mit zwei Platoon Sergeants und einem Warrant Officer vom Nachschub Poker. Der Kompaniechef war beim Bataillon und sorgte dort dafür, dass der Bataillonschef auch ja wusste, wie gut seine Kompanie geführt wurde.
Am Ende war alles gleichgültig. Die Waffe feuerte zwölf Schuss ab und hatte dann Ladehemmung. Die 7.62-mm-Kugeln, zwei davon Leuchtspur, zogen scheinbar träge durch die Luft, bis sie ihren Zielpunkt erreichten und sich in den Boden von Virginia bohrten.
Specialist George Rendel hatte gerade eine Drei geworfen und sich die Würfel wieder geschnappt. Er klapperte ein wenig mit ihnen in der hohlen Hand und schickte sich an, sie erneut zu werfen, als das Manjack auf der anderen Seite des Raums seine zwölf Schuss stotterte. Er erstarrte in seiner Bewegung, und seine und die Augen seiner Mitspieler weiteten sich.
»Wir haben vergessen …«, sagte jemand, und dann stürzte ihre ganze Welt ein.
Die Posleen waren es gewöhnt, gegen Feinde zu kämpfen, die sichtbar waren. Die meisten ihrer Widersacher hatten in ihrer Geschichte nie Krieg geführt und deshalb nie von Begriffen wie Tarnung, Deckung oder Verstecken gehört.
Aber eine Vorgehensweise, um sich mit der feigen Tendenz der Menschen auseinander zu setzen, die sich während des Kämpfens zu verstecken pflegten, hatten sie sehr wohl entwickelt. Die Untertassen der Gottkönige waren nicht nur mit Waffen, sondern auch mit ausgezeichneten Sensoren ausgestattet. Und diese Sensoren konnten den Feind auch dann auf den Punkt genau orten, wenn seine Position nicht ganz klar war. Wenn Hunderte von Positionen feuerten, führte das meist dazu, dass die Systeme überladen wurden, aber wenn es nur um ein einzelnes Ziel ging, war das leicht. Und wohin auch immer der Gottkönig feuerte, feuerte auch seine Kompanie.
In Sichtweite des Manjacks befanden sich über zwanzig Gottkönige. Alle feuerten auf den Sensorpunkt, und annährend achttausend Normale taten es ihnen gleich.
Ein Sturm von Flechettes und sonstigen Geschossen prasselte auf die Wand des Wolkenkratzers. Da das Ziel der Posleen auf diese Distanz schwach war, verteilte sich der Sturm über zwei oder drei Stockwerke und die halbe Gebäudeseite. Der Feuersturm tötete oder verwundete Hunderte von Soldaten in dem ganzen Bau. Die einzigen Überlebenden der unseligen Kompanie waren der Kompaniechef, der sich im Untergeschoss im Bataillonshauptquartier befand, und der First Sergeant und der Platoon Sergeant bei ihrem Pokerspiel.
Die Plasmakanonen und HV-Geschosse, die dazu bestimmt waren, Panzerplatten zu durchschlagen, durchschlugen die Stockwerksböden, die meisten sogar das ganze Gebäude. Stahlträger wurden durchtrennt, und der massierte Beschuss ließ das ganze Gebäude schwanken.
Die ganze Front entlang zuckten Tausende von Köpfen hoch, um zu sehen, wie es zu dem Feuersturm gekommen war. Einige Individuen, die tapferer, dümmer oder verängstigter als ihre Kameraden waren, schickten sich an, das Feuer zu erwidern. Meist setzten sich freilich die klügeren Köpfe durch, und die Soldaten wurden angewiesen, überredet oder mit körperlicher Gewalt daran gehindert, ein weiteres Ziel zu bieten. Der einzelne Feuerstoß hatte bewiesen, dass der Befehl Sinn machte, und deshalb fiel trotz des anhaltenden Feuers der Posleen kein weiterer Schuss.
Und so setzten die Posleen den nur kurz unterbrochenen Vormarsch zu ihrem fernen Eldorado ohne weitere Gegenwehr fort.