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Washington D.C.,
United States of America, Sol III
2317 EDI, 5. September 2009
The Sons of Mary seldom bother,
for they have inherited that good part;
But the Sons of Martha favour their Mother
Of the careful soul and the troubled heart.
And because she lost her temper once,
and because she was rüde to the Lord her Guest,
Her Sons must wait on Mary ‘s Sons,
world withont end, reprieve or rest.
»The Sons of Martha«
Rudyard Kipling, 1907
Die Söhne Mariens kümmert es kaum,
Denn sie haben das gute Teil geerbt;
Aber Marthas Söhne achten die Mutter
Mit der sorgsamen Seele, dem bekümmerten Herzen.
Und weil sie einmal die Fassung verlor
Und grob war zum Herren, ihrem Gast,
Müssen ihre Söhne denen Mariens dienen
In der Welt, ohne Ende, Schonung und Rast.
»Die Söhne Marthas«
Sah man einmal von der Fülle von Uniformen ab, dann hatte die Hauptstadt der Nation sich praktisch nicht verändert. Mike hatte den Flughafenbus genommen, und der fuhr zuerst durch die ganze Stadt, ehe er schließlich das relativ nahe gelegene Pentagon ansteuerte. Einmal bekam er kurz die Mall zu sehen, und die Straßen von Georgetown wimmelten zu seiner Überraschung von Zivilisten, die offenbar eine Party feierten.
Jetzt bekam Mike endlich Männer zu sehen, die keine Uniform trugen, Personen, die einer so lebenswichtigen Tätigkeit nachgingen, dass man sie nicht als Kanonenfutter erübrigen konnte. Ihren Anzügen, ihrem Alter und ihrem Haarschnitt nach zu schließen waren sie vorzugsweise Anwälte oder Assistenten von Kongressabgeordneten. Wahrscheinlich ganz gut so, dachte Mike. Weiß der Himmel, was die Typen in Uniform für Unheil anrichten würden.
Im vorangegangenen Jahr, als er nach den Siegen auf Diess gezwungenermaßen auf Tournee gewesen war, hatte Mike genug mit Politikern, deren Stäben, politischen Offizieren und sonstigen Maulhelden zu tun gehabt. Das hatte ihm ein so klares und kompromissloses Bild des bevorstehenden Sturms vermittelt, dass er sich manchmal wie der Einäugige im Land der Blinden vorkam. Und in dieser Zeit war er auch in viel stärkerem Maße, als er das bisher gewöhnt gewesen war, den oberen Rängen der Militärhierarchie ausgesetzt gewesen – ein alles andere als erfolgreiches Erlebnis.
Mikes Vorstellung von Subtilität bestand darin, einem Gesprächspartner nicht ausdrücklich und mit diesen Worten zu erklären, dass er ihn für so dumm hielt, den eigenen Hintern selbst am helllichten Tage und mit beiden Händen nicht finden zu können. Aber die Botschaft kam durchaus rüber. Wenn ein Lieutenant, der er damals gewesen war – selbst ein Lieutenant mit dem höchsten Orden, den es gab – sich gegenüber dreißig oder mehr Jahre älteren Offizieren so verhält, führt das am Ende unweigerlich dazu, dass der Lieutenant den Kürzeren zieht.
Aus O’Neals Sicht bestand das Problem darin, dass die meisten hohen Offiziere, mit denen er zu tun gehabt hatte, zwar darauf vorbereitet waren, gegen Menschen zu kämpfen, sich darauf sogar hervorragend verstanden, sich aber einfach keine Vorstellung von den Posleen machen konnten. Trotz der auf Barwhon herrschenden Patt-Situation und den schrecklichen Verlusten, die dieser Zustand den dort kämpfenden Truppen Tag für Tag eintrug, versteiften sie sich darauf, die Posleen einfach als eine Art selbstmörderisch kämpfender Menschen zu sehen, so ähnlich wie die Japaner im Zweiten Weltkrieg.
Und die Zahlenverhältnisse blieben für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Sie dachten in erster Linie in Waffensystemen, in Kampfpanzern und gepanzerten Truppentransportern und erst dann in Soldaten, weil in ihrer Begriffswelt auch noch so viele Menschen einer modernen Armee einfach nicht nachhaltig Widerstand leisten konnten.
Aber die Posleen verfügten nicht nur über unglaubliche Mengen an Kämpfern, die so fanatisch waren, dass sie mit dem größten Vergnügen jeden angeordneten Verlust an Leben hinnahmen, um ein angeordnetes Ziel zu erreichen, sondern sie verfügten darüber hinaus auch über Waffen, die Panzer und bewaffnete Transportpanzer mühelos außer Gefecht setzen konnten. Obwohl die normalen Posleen ihre Waffen abfeuerten, ohne zu zielen, »aus der Hüfte« schossen, waren eine große Zahl Posleen mit schweren Railguns ausgerüstet, deren Geschosse durchaus die Seitenpanzerung eines M-1-Panzers durchschlagen konnten, oder mit HVM-Granatwerfern, die Geschosse mit Hypergeschwindigkeit abfeuerten und die auch die Panzerung im vorderen Bereich durchschlagen konnten. Die Führungskaste, also die Gottkönige, verfügte entweder über automatische HVM oder über Laser- und Plasmakanonen. Selbst ein Streifschuss aus einer Plasmakanone konnte die Innentemperatur eines Panzers binnen Sekunden so steigern, dass die Besatzung praktisch zerkocht wurde.
Was Mike seinen Gesprächspartnern einfach nicht klar machen konnte, war, dass den Posleen völlig gleichgültig war, wie groß ihre Verluste waren. Sie griffen in solchen Massen an, dass sie, selbst wenn man neunzig Prozent von ihnen tötete, gegenüber den Verteidigern immer noch in der Übermacht waren, ganz zu schweigen von den überlegenen Waffen, über die sie verfügten. Nun, die maßgeblichen Leute würden bald genug lernen, wie sehr sie sich im Irrtum befanden. Unglücklicherweise rechnete Mike damit, dass es in naher Zukunft häufig zu einem Blutbad kommen würde.
Der Bus hielt schließlich am Seiteneingang des Pentagons an, spuckte eine Menge Uniformierter aus und wartete darauf, etwa ebenso viele aufzunehmen, die zum Flughafen wollten. Mike musterte die geschäftig hin und her eilenden Offiziere, jeder einzelne von ihnen darauf erpicht, in seiner eigenen, kleinen Nische Höchstleistungen zu bringen, und fragte sich, was sie wohl alle taten. Was in aller Welt würden dreißig Captains, Majors und Colonels, die meisten mit dem Schulterabzeichen des Militärbezirks Washington, ausrichten, wenn sie um zehn Uhr nachts an entfernte Orte flogen.
»Das ist wahrscheinlich deren Beitrag zum Krieg, denke ich«, murmelte er, während er müde zu dem von Militärpolizisten bewachten Eingang stapfte. Sein Tag hatte schon um drei Uhr morgens begonnen, und er hatte einen vorbereiteten Angriff, eine hastige Verteidigung und eine vorbereitete Verteidigung hinter sich. Er hatte drei virtuelle »mörderisch große Schlachten« geschlagen und war seiner Ansicht nach einigermaßen bettreif.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Captain?«, fragte der MP Lieutenant in seltsam herablassendem Tonfall und versperrte Mike den Weg. Mike waren diese Symptome nicht fremd. In der Army und der Navy gab es viele, die das ganze Konzept von Fleet Strike nicht billigten, die Tatsache nämlich, dass amerikanische Einheiten einer umfassenderen Kommandostruktur unterstellt waren und teilweise außerhalb Amerikas eingesetzt wurden, anstatt ihr Land unmittelbar zu verteidigen. Und dass sie zu allem Überfluss auch noch besser bezahlt wurden, machte das Ganze für sie auch nicht erträglicher.
Da Fleet und Fleet Strike von der Föderation und nicht den Regierungen der Erde bezahlt wurden, erhielten sie ihre Löhnung in Föderations-Credits. In der Föderation gab es eine Gehaltsstruktur, die jede Stufe von Arbeitskräften in der ganzen Föderation umfasste, und die Soldaten und Raumfahrer von Fleet und Fleet Strike waren in jene Hierarchie eingereiht worden.
Eine der für die Menschen so günstigen Eigentümlichkeiten der Föderationsgesetze hatte zur Folge, dass Militärpersonal sich ganz automatisch in einer relativ hohen Kaste wiederfand. Der Gesetzeskodex der Föderation legitimierte unterschiedliche Gesetzesstrukturen für unterschiedliche gesellschaftliche Rangstufen; was für einen Galakter niedrigen Ranges verboten war, konnte einem Galakter höheren Ranges durchaus erlaubt sein.
Da die Galakter keinen Unterschied zwischen ziviler und militärischer Legalität anerkannten, wurden für die meisten militärischen Aktivitäten, wie zum Beispiel das Beenden vernunftbegabten Lebens, Sondergenehmigungen benötigt. Und diese wiederum erforderten eine höhere »Kaste«. Weil sich das so verhielt, war die niedrigste Rangstufe für Soldaten und Raumleute dieselbe wie beispielsweise die eines Junior-Kunstwerkers der Indowy. Die höheren militärischen Ränge waren demzufolge in der allumfassenden galaktischen Hierarchie sehr weit oben angesiedelt.
Dementsprechend hoch hatte man die galaktischen Gehaltsstufen angesetzt. Ein Fleet Strike Captain verdiente genauso viel wie ein Junior-Koordinator der Darhel – fast genauso viel wie ein Major General in der Army. In Anbetracht der für den Krieg vorgenommenen Steuererhöhungen betrug sein Steuersatz andererseits freilich knappe siebenundachtzig Prozent, was auch allgemein als vernünftig angesehen wurde. Mike hatte auch gehört, dass die Föderation für den Einsatz auf Diess einen speziellen Bonus ausgesetzt hatte. Das würde die Ungleichheit der Gehaltsstufen noch verstärken. Wie auch immer es sein mochte, jedenfalls hatte die Gehaltsstruktur erheblichen Ärger ausgelöst.
Nach dem Krieg würde sich das vermutlich legen, immer vorausgesetzt, dass jemand überlebte, weil man dann davon ausgehen würde, dass Army-Einheiten wie Fleet Strike behandelt wurden. Bis dahin war es ein weiterer Störfaktor, den man einfach mit einem Achselzucken abtun musste.
»Ja, das können Sie, Lieutenant. Sie können mich reinlassen. Ich soll mich bei CONARC melden.«
»Tut mir Leid, Captain, da sind Sie wahrscheinlich am falschen Ort. CONARC hat seine Büros in Fort Myer. In einer Dreiviertelstunde fährt ein Shuttle dorthin.«
Mike überreichte dem Militärpolizisten seine Kopie der E-Mail und ließ seine Finger dann über das AID huschen, das er am Handgelenk trug. »Wie Sie hier lesen können, steht in dem Befehl eindeutig, dass ich mich beim CONARC-Kommandeur im Pentagon einfinden soll, nicht in Fort Myer. Wo soll ich also hingehen?«
»Das weiß ich nicht, Captain. Ich bin hier nur die Torwache. Aber dieses Schreiben befugt Sie jedenfalls nicht zum Betreten des Pentagon.« Dem MP schien das aufgetretene Problem nicht gerade unangenehm. »Und falls Ihnen das noch niemand erklärt hat – wenn in einem Befehl steht, dass Sie sich beim Kommandeur melden sollen, dann bedeutet das in Wirklichkeit, dass Sie sich bei jemanden in der Kommandozentrale melden sollen, der Ihr Eintreffen dann weitermelden wird.« Der Lieutenant lächelte wieder selbstgefällig und schien es zu genießen, dass er einem der großen Herren der Flotte eine solche Lappalie erklären musste.
Mikes Finger huschten erneut über sein AID. »Wären Sie so nett, das für mich herauszufinden?«
»Ich habe keine Ahnung, wo ich da anfangen sollte, Captain. Ich nehme an, dass Sie vielleicht CONARC anrufen sollten«, meinte er dann und deutete auf eine Reihe von Telefonautomaten außerhalb des Eingangsbereichs.
»Na schön.« Mike zog das AID von seinem Handgelenk und stülpte es sich über den Kopf, wodurch es sich automatisch in ein Headset mit Mikrofon verwandelte. »Shelly, bitte Verbindung mit Jack.«
»Yes, Sir«, zirpte das AID und nach einer kurzen Pause »General Horner in der Leitung.«
»Mike?«, tönte es knapp aus dem Kopfhörer.
»Yes, Sir.«
»Wo sind Sie?«, fragte General Horner.
»Am Seiteneingang.«
»Sagen Sie dem MP, er soll Sie zum Büro des High Commander durchlassen, und zwar ein bisschen dalli.«
»Yes, Sir.« Er sah den MP an. »Okay, Lieutenant, der Continental Army Commander sagt, ich soll dalli-dalli zum Büro des High Commander. Was meinen Sie jetzt?«
»Ich brauche eine genehmigte Freigabe, um Ihnen den Zugang zum Gebäude zu gestatten«, sagte der MP, dem es sichtlich Spaß machte, den Bluff des hochnäsigen Schnösels von der Flotte platzen zu lassen.
»Jack, er sagt, er braucht eine Freigabe.«
Als Mike den Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee mit Vornamen ansprach, ohne dafür zurechtgewiesen zu werden, wurde das Gesicht des MP käseweiß. Das war also ganz offensichtlich kein Bluff.
»Geben Sie ihm das Telefon«, sagte General Horner eisig.
Mike reichte dem MP das AID, was dieser mit spitzen Fingern entgegennahm, und sah zu, wie der Lieutenant in den Boden versank. Nach drei »Yes, Sir« und einem »No, Sir« reichte er Mike das AID zurück und winkte einen der Wachleute herbei.
»Sergeant Wilson, bringen Sie den Captain direkt zum Büro des High Commander«, sagte er mit leiser Stimme.
»’nen schönen Tag noch.« Mike winkte ihm vergnügt zu, während er sich das schwarz glänzende AID wieder um sein Handgelenk legte.
»Yes, Sir.«
So ein Etappenarsch, dachte Mike.
Obwohl Shelly ihn durch das Labyrinth zu General Horners Büro hätte führen können, war Mike dennoch froh, den Sergeant bei sich zu haben. Der Mann, der sich alle Mühe gab, sich sein Lächeln nicht anmerken zu lassen, führte ihn zunächst zu einer zweiten Wachstation, wo er einen provisorischen Ausweis erhielt, der wie durch ein Wunder bereits für ihn bereitlag, und dann in den Bereich des Pentagon, wo sich früher die Büros der Vereinigten Stabschefs befunden hatten. Sie passierten Reihen angestrengt arbeitender Schreiber, bis sie schließlich das Pult des letzten Bewachers des Allerheiligsten erreichten, eines älteren, schwarzen Warrant Officer, der so aussah, als würde er bereits zum Frühstück Nägel verspeisen. Mike hatte schon von Warrant Officer Kidd gehört, einer Legende der Special Forces, der offenbar der Ansicht war, General Taylor brauche ständig einen Bewacher. Er und der General waren seit undenklichen Zeiten ein Team, und das ging, so munkelte man, auf eine Episode zurück, an der ein übellauniger Alligator und zwei Flaschen Jack Daniels beteiligt gewesen waren. Der Sergeant blieb vor dem Hüter des Allerheiligsten stehen und salutierte. »Chief Kidd, Sergeant Wilson meldet sich mit Captain Michael O’Neal zur Stelle, der zum High Commander beordert ist.«
Warrant Officer Fourth Class Kidd erwiderte die Ehrenbezeigung. »Danke, Sergeant. Sie können an Ihren Posten zurückkehren.«
»Yes, Sir«, sagte der Sergeant, vollführte eine exerzierplatzreife Kehrtwendung und marschierte hinaus.
»Ich denke, dem habe ich den ganzen Tag versaut«, sagte Captain O’Neal.
»Nee. Ich würde eher das Gegenteil sagen. Aber dem Lieutenant haben Sie ganz schön eingeheizt. Zumindest habe ich das gehört«, sagte Kidd mit einem Schmunzeln, das eher grausam wirkte. »Haben Sie CONARC wirklich mit ›Jack‹ angesprochen?«
»Und Sie haben General Taylor nie ›Jim‹ genannt?«, fragte Mike lächelnd.
»Na ja, jedenfalls nicht, wenn ein anderer zugehört hat.« Der Warrant Officer stand auf und ragte jetzt wie ein Turm über dem zwergenhaft gewachsenen Captain auf. »Verdammt, sind Sie klein«, sagte er und streckte ihm die Hand hin.
»Warrant Officer Kidd. Sie dürfen Mister Kidd zu mir sagen.«
»Captain Michael O’Neal«, sagte Mike, als Kidds Hand sich um die seine schloss und sofort zudrückte, was Mike aber dank langjähriger Übung nichts ausmachte, wenn das auch bei der Dimension von Kidds Händen nicht leicht war. Die Kraftprobe dauerte einen Augenblick, bis ein schmerzliches Zucken über das Gesicht Kidds ging. »Als eine besondere Gefälligkeit erlaube ich Ihnen, Mighty Mite zu mir zu sagen«, sagte Mike, als er langsam nachließ.
»Okay«, keuchte Kidd.
»Darf ich jetzt rein?«, fragte Mike ohne loszulassen.
»Werden Sie loslassen, wenn ich ›ja‹ sage?«
»Mike!«, sagte der CONARC und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, »freut mich, dass Sie hier sind. Sie sehen wesentlich besser aus als beim letzten Mal.«
»Danke, Sir«, sagte Mike nach einer lässigen Ehrenbezeigung und schüttelte General Horner die Hand. »Meine Gratulation zum vierten Stern, auch wenn sie etwas spät kommt. Das haben Sie sich wirklich verdient. Tut mir Leid, ich habe keine Zigarren mit, die sind mir ausgegangen.«
»Gute Zigarren sind immer schwerer aufzutreiben«, sagte General Horner und führte ihn zu einer Couchgruppe. General Taylor stand auf und ging zu seinem Schreibtisch, um dort eine Zigarrenkiste zu holen.
»Hier«, sagte der High Commander und hielt Mike die Zigarrenkiste hin, »das geht aufs Haus. Wir haben da einen Typen bei der Bereitschaft, der etwa einmal im Monat nach Guantanamo fliegt. In Anbetracht der freundschaftlichen Beziehungen, die sich derzeit zwischen uns und Kuba entwickeln, sind Zigarren kein Problem. Er bringt mir immer ein paar Kistchen mit.«
Mike nahm eine der langen, schwarzen Panatelas heraus. »Vielen Dank, Sir.«
»Nehmen Sie sich ruhig eine Hand voll. Ich lasse Ihnen ein Kistchen schicken, wenn er das nächste Mal zurückkommt.«
»Sagte er zu dem Captain und dann sauste das Fallbeil herunter«, sagte Mike.
»Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Horner.
»Na ja, Sie sind ja beide furchtbar nett, aber es muss doch einen Grund geben, dass Sie nach Mitternacht noch auf den Beinen sind und mich mit kubanischen Zigarren traktieren«, grinste Mike.
»Eigentlich nicht.« General Taylor schmunzelte und zündete sich eine der langen, schwarzen Zigarren an. »Wir mussten ohnehin wach sein, und da haben wir uns gesagt: warum Sie nicht so schnell wie möglich mit Ihrem vorläufigen Einsatz vertraut machen?«
»Und der wäre?«, fragte Mike, holte sein Zippo heraus und fing gleich darauf heftig zu paffen an.
»Mike«, setzte General Horner an, »wie Sie wissen, und wie alle anderen auch wissen, hat man den Plan, den alle den ›Gebirgsplan‹ nannten, gekippt. Der Präsident und der Kongress wollen nicht zulassen, dass unsere bewaffneten Streitkräfte die Küstenebenen, insbesondere die Städte dort, nicht verteidigen. Der Präsident akzeptiert, dass wir nicht um jeden Fußbreit Land kämpfen können, aber er besteht darauf, dass wir jede größere Stadt verteidigen. So weit klar?«
»Airborne«, sagte Mike und beobachtete die Flamme an der Spitze seiner Zigarre bedächtig. Als sich die richtige Glut entwickelt hatte, nahm er einen langen Zug. Verdammt gute Zigarre, dachte er. »Okay, Boss, klar: Es wird um die Städte gekämpft werden. Ist dem Präsidenten bewusst, dass dabei wahrscheinlich mehr Schaden entsteht, als wenn wir nach zwei oder drei Jahren mit der vollen Unterstützung der Flotte zurückkommen und das ganze Posleen-Geschmeiß rauswerfen?«
»Ja«, nickte Taylor.
»Oh.«
»Darüber gab es sogar eine ganze Reihe Artikel in den Zeitschriften«, meinte General Taylor trocken. »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie in Bezug auf die neueste Entwicklung nicht ganz auf dem Laufenden sind.«
»Ja, Sir, das ist richtig«, erklärte Mike. »Ich habe mir nicht einmal die Nachrichten im Internet angesehen. Ich war ganz darauf konzentriert, meine Kompanie in Bereitschaft zu bringen, so gut das eben ging.«
»Was Ihnen ja anscheinend gelungen ist«, meinte General Taylor schmunzelnd. »Ich habe da eine etwas bruchstückhafte E-Mail bekommen, wonach es in der Software für Ihren Übungseinsatz irgendwo eine Panne gegeben haben muss. Sie konnten in einem Szenario, in dem die Gegenseite hätte gewinnen müssen, hundert Prozent erzielen. Da fragt man sich, ob Sie die Software vielleicht ein wenig frisiert haben.«
»Das glaube ich nicht«, sagte O’Neal und lächelte. »Schließlich ist allgemein bekannt, dass man nur bei den Special Forces schummelt. Wir hatten lediglich Glück, und der Gottkönig, den die Software für das letzte Gefecht eingesetzt hat, war feige und hat Prügel bekommen. Aber in erster Linie hilft es natürlich, wenn man dieselbe Übung ein paar hundert Mal in Virtual Reality durchgespielt hat. Das mache ich nämlich in meiner Freizeit, um mich zu entspannen, Sir, und es wäre gut, wenn die anderen Truppenführer das auch lernen würden. Ich meine, die meisten von ihnen spielen nicht einmal Super Mario mit ihren Kindern.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie mehr Videospiele spielen sollen?«, fragte der High Commander und wunderte sich über diesen ihm kindisch erscheinenden Vorschlag.
»Im Grunde genommen, ja, Sir«, sagte Mike und starrte seine Zigarre mit etwas glasigen Augen an. Er war todmüde, der Tag war lang gewesen und die Tage zuvor auch, und das hatte ihn bei dieser ersten Zusammenkunft mit den Generälen etwas gesprächiger gemacht, als er eigentlich vorgehabt hatte.
Die Ausbildung seiner Kompanie lief auf einem Niveau ab, auf dem er sich heimisch fühlte. Dieses »strategische« Niveau war da etwas völlig anderes. Aber eines hatte er gelernt – man durfte bei seinem Gegenüber nie den Eindruck aufkommen lassen, dass man sich seiner Sache nicht sicher war. Manchmal war der Ruf, den man hatte, das Einzige, womit man seine Leute durch das schlimmste Schlamassel brachte. Und manchmal war die Definition für »seine Leute« ziemlich weit gespannt.
»Die Simulatoren erzeugen die gleiche Scheinwelt wie Videospiele, und im Übrigen basieren die Manöverszenarien ja auf den Grundzügen von Videospielen«, fuhr Mike fort. »Wenn die Jungs weniger Zeit damit verbringen würden, die Arbeit ihrer First Sergeants zu erledigen und Papier zu schaufeln und dafür mehr Zeit in der VR-Umgebung verbrächten, würden sie bei theoretischen Gefechten besser abschneiden.«
»Nun«, sagte General Horner, »wir – und damit meine ich General Taylor und mich und in gewisser Weise auch Sie –, wir müssen eine Entscheidung darüber treffen, wie diese Gefechte und Schlachten beschaffen sein werden und wie wir sie führen müssen. Ich werde Ihnen jetzt in breiten Zügen schildern, wie der Einsatz der GKA in strategischer und operativer Hinsicht angelegt sein sollte, und Sie werden uns im Laufe der nächsten zwei Wochen vorschlagen, wie wir das anpacken sollten, und zwar so detailliert, wie Ihnen das in diesem Zeitraum nur gerade möglich ist. Kapiert?«
»Kapiert«, nickte Mike und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Gleich darauf lehnte er sich wieder vor. Der bequeme Armsessel war der sicherste Weg, ihn in den Schlaf zu versetzen. Wenn er sich vor diesen Offizieren nicht unsterblich blamieren wollte, würde er hellwach bleiben müssen.
»Okay.« General Horner blickte zur Decke, als könnte er aus dem sich dort sammelnden Zigarrenrauch neue Erkenntnisse gewinnen. »Wir haben Anweisung, alles Menschenmögliche zu tun, um die Städte nicht an die Posleen zu verlieren. Zunächst einmal müssen wir definieren, was eine Stadt ist. Wir haben willkürlich entschieden, nur den Stadtkern zu verteidigen, weil wir uns ganz offen gesagt nicht vorstellen können, wie man die Vororte verteidigen kann. Oh, eine gewisse Tiefe ist natürlich schon geplant, und wir werden auch in den Außenbereichen zusätzlich zu den Parasitenfestungen, über die ich gleich mehr sagen werde, einige Verteidiger einsetzen, aber im Grunde genommen werden wir nur versuchen, die so genannten ›Innenstädte‹ zu halten, also den Teil mit den Wolkenkratzern. Die Posleen scheuen sich ohnehin, auf hohen Gebäuden zu landen.
Außerhalb des Stadtkerns, in der Nähe der Ringstraßen, die es ja meistens um einen Stadtkern gibt, werden wir moderne Festungen bauen. Die werden im Gegensatz zu den Planetarischen Verteidigungszentren, den PVZ, nicht neuester Stand der Technik sein, sondern werden eher altmodisch wirken, mit Wällen und einer Art Burggraben sowie massiver konventioneller Feuerkraft. Wir werden den Festungskommandanten weitgehend freie Hand lassen, wenn es darum geht, wie sie ihre Wälle mit Waffen bestücken wollen. Die Absicht, die sich dahinter verbirgt, ist, dass wir die Posleen sozusagen zwischen zwei Feuern fangen wollen – den Festungen in den Vororten und den befestigten Innenstädten. Die äußeren Festungen nennen wir ›Korallen-Forts‹, weil sie wie Korallenbänke sein werden, die sich weiter ausbreiten können.
Die Städte und die Korallen-Forts werden mit genügend Vorräten versorgt sein, um wenn nötig fünf Jahre aushalten zu können. Sie werden alle außer Sichtweite eines planetarischen Verteidigungszentrums liegen; das war bereits in der ursprünglichen Planung so vorgesehen, wir brauchen uns also nicht zu viele Gedanken darum zu machen, dass sie direkt von Landungsbooten oder Kommandoschiffen angegriffen werden. Wenn die Posleen also ihre Schiffe nicht gerade in Massen einsetzen, dann sollten die PVZ imstande sein, sie aus dem Himmel zu blasen.
Falls die Lage für die Verteidiger einer Stadt unhaltbar wird, dürfen sie natürlich versuchen, ihren Zufluchtsort aufzugeben. Für die unmittelbar an der Küste liegenden Städte werden gerade Pläne entwickelt, um sie vom Meer aus zu evakuieren.«
»Wie soll das vor sich gehen, Sir?«, fiel Mike ihm ins Wort. Wenn er eine Schwäche hatte, dann war das der Schlaf. Wenn er den nicht regelmäßig bekam, streikte sein Hirn. Und etwa um die Zeit seiner Landung in Washington hatte es sich bereits im Wesentlichen abgemeldet. Im Augenblick war ihm deshalb überhaupt nicht nach Ratespielen zumute. Er inhalierte eine neue Dosis Nikotin und hoffte, dass damit etwas Klarheit in seine Gedankengänge kommen würde.
»Zum Teil mit Unterseebooten. Wir stellen eine ganze Anzahl der Atom-U-Boote wieder in Dienst, die noch nicht verschrottet wurden. Wir reißen sämtliche Waffensysteme raus und modernisieren die Klimaanlagen. Unserer Schätzung nach können wir fast ein Bataillon allein im Bereich der Raketensilos unterbringen und etwas mehr in den Torpedoräumen, und so weiter. Die Atommeiler ersetzen wir durch Energiekristalle, um so die Umweltheinis zu beruhigen.«
»Als ob es nachher noch eine Umwelt gäbe«, schnaubte General Taylor. Er ging zu einer Anrichte hinüber und goss sich einen Scotch ein. »Möchte jemand einen Schluck?«
»Ich nehme einen Wodka, pur«, sagte General Horner.
»Bourbon auf Eis, Sir, vielen Dank, Sir. Viel Eis, bitte, Sir.«
»Seien Sie nicht so streng zu sich, Captain. Wir sind hier alles alte Soldaten«, sagte der High Commander.
»Yes, Sir«, antwortete Mike und zwinkerte ihm zu. Er hätte lieber um Kaffee gebeten, aber wenn der High Commander einem persönlich einen Drink anbietet, sagt man nicht nein.
General Horner schnaubte und fuhr fort. »Die Navy wird ebenfalls sämtliche Schlachtschiffe wieder in Dienst stellen, aus denen man nicht bereits Rasierklingen gemacht hat. Da es eine ganze Menge davon gibt, die man in Museen umgewandelt hat, und da es ein großes Protestgeschrei gab, als die letzten beiden Schiffe der Iowa-Klasse verschrottet werden sollten, haben wir insgesamt acht davon.«
»Davon habe ich gehört«, nickte Mike. »Halten die Posleen-Waffen stand?«
»Na ja, ihr Gürtel – also die Rumpfpartie, die oberhalb der Wasserlinie liegt, und der größte Teil der Brückenpanzerung – besteht aus zwölf bis vierzehn Zoll homogenem Stahl. Normalerweise wäre das leichte Beute für Plasmakanonen, aber der Stahl, den man für die Schiffe verwendet hat, erwies sich als erstaunlich widerstandsfähig. Darüber hinaus wird man Keramet-Verstärkungen anbringen, die die Widerstandskraft gegenüber Laser- und Plasmafeuer um etwa fünfundzwanzig Prozent erhöhen. Sie werden schon standhalten, selbst auf kurze Distanz, und denken Sie nur an die Feuerkraft! Jeder dieser Pötte hat neun Geschütze, entweder Vierzehn- oder Sechzehn-Zöller.«
»Hat denn die Iowa nicht eine davon in einem Unfall verloren?«, fragte Mike. Er rieb sich das Kinn und überlegte, wie es sein würde, eine Schlachtschiffbreitseite anfordern zu können.
»Ja«, sagte General Taylor. »Aber die haben bei Granite City Steel in St. Louis bereits angefangen, einen neuen Verschlussblock zu bauen. Der sollte in etwa zehn Monaten fertig sein.«
»Und für die Städte, die man nicht vom Meer aus evakuieren kann«, schaltete sich wieder General Horner ein, »brauchen wir eine Alternativplanung.«
»Wenn Sie darauf abzielen, dass die sich durch die angreifenden Posleen durchkämpfen, Sir«, unterbrach ihn Mike, »dann halte ich das für unmöglich. Sprechen wir von Leichter Infanterie, Sir?« Er unterdrückte ein Gähnen und atmete tief ein, um etwas Sauerstoff in sein allmählich streikendes Gehirn zu bekommen.
»In gewissem Maße, aber mit genügend Transportkapazität, um die ganze Chose auf die Straße zu bringen. Zum größten Teil wird es sich um motorisierte Infanterie handeln, Panzergrenadiere oder Panzerkavallerie. Die Panzerfahrzeuge werden in vorgeschobenen Befestigungsanlagen untergebracht werden und die Soldaten in Bunkern. Wenn sie sich zurückziehen oder auch angreifen müssen, werden für den Transport der ganzen Einheit und etwa zurückgebliebener Zivilisten LKWs und andere Transportmittel zur Verfügung stehen. Und zwar genug, um die ganze Aktion in einem einzigen Ausfall zu schaffen.«
»Okay, dann lassen Sie mich das mal auf eine Stadt anwenden, Sir«, sagte O’Neal. Wiederholt rieb er sich nachdenklich das Kinn und zwang sein Gehirn, alle Gedanken an Schlaf in den Hintergrund zu stellen. »Mal sehen, ob ich diesen Plan richtig verstanden habe. Nehmen wir … Sacramento.«
»Eine gute Wahl«, meinte General Horner und lehnte sich zurück.
»Okay, Sir.« Mike tippte sein AID an. »Landkartenmenü.« Er tippte die Icons auf dem Hologramm an, bis er die Karte vor sich hatte, die er brauchte, und gähnte dann wieder. »Von Sacramento bis Placerville, wo meiner Schätzung nach die ersten Gebirgsbefestigungsanlagen angebracht sein dürften, sind es etwa zwei Stunden Fahrt. Einigermaßen richtig?«
»Ja.« General Horner nickte nach kurzem Nachdenken.
»Okay. Das bedeutet etwa sechs bis zehn Stunden Rückzugsgefecht, bis die ersten Verteidigungslinien erreicht sind«, sagte Mike und nahm einen Zug an seiner Zigarre. Er sah zur Decke und klopfte Asche ab.
»Ja, etwa«, pflichtete ihm Taylor, der an der Bar stand, bei.
»Durch einen Schwarm Posleen«, sagte Mike, den Blick immer noch zur Decke gerichtet.
»Ja«, antworteten Horner und Taylor gleichzeitig.
»Nee«, widersprach Mike und schüttelte entschieden den Kopf. »Sirs.«
»Wirklich?«, fragte General Taylor und teilte die Drinks aus.
»Ja, wirklich, Sir. Schauen Sie sich Diess oder Barwhon an. Erinnern Sie sich an diese französische Panzerdivision auf Barwhon, die die Posleen erwischt haben, als sie ihre vorbereiteten Stellungen verließen?«
»Richtig, die Dritte Panzerdivision«, sagte General Taylor.
»Troisieme Armore Chevalier«, korrigierte ihn Mike. »Die haben wie lange durchgehalten? Dreißig Minuten?«
»Die Landung war gerade erfolgt, Mike«, gab General Horner zu bedenken, »die Posleen waren in voller Kampfstärke.«
»Wir müssen davon ausgehen, dass die Evakuierung durch äußere Einflüsse erzwungen wird«, gab O’Neal zu bedenken und nippte an seinem Bourbon. Die Qualität des Drinks ließ ihn eine Augenbraue hochschieben. Der Bourbon stammte aus einer Karaffe ohne Etikett, aber das war höchste Kentucky-Qualität. Wenn man High Commander war, hatte dies offenbar selbst in diesen Tagen allgemeiner Rationierung gewisse Vorteile.
»Okay, das räume ich ja ein«, gab der CONARC zu. »Aber jetzt gehen Sie davon aus, dass der Rückzug von Mobiler Infanterie geschützt wird und die Straßen so angelegt sind, dass das Terrain maximalen Schutz bietet. Wie viel MI-Unterstützung würden Sie haben wollen, um die Überreste eines Korps aus Sacramento zu evakuieren?«
»Oh. Sie sprechen von drei oder vier Divisionen?«
»Ja, oder auch fünf. Ich denke, für Sacramento sind fünf Divisionen vorgesehen.«
»Du lieber Heiland, Sir.« Mike schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass Sie fünf Divisionen nach augenblicklichem Stand an einem Sonntagmorgen in ein Puff führen könnten, geschweige denn durch fünf Stunden Rückzugsgefecht mit den Posleen in offener Feldschlacht.«
General Horner sah zu Taylor hinüber und schob eine Augenbraue hoch. »Wollen Sie das übernehmen, General?«
General Taylor lächelte und schüttelte den Kopf. »Wir hoffen, das unter Kontrolle zu bekommen, Captain.«
Mike schnaubte. »Besser Sie als ich, General. Haben Sie dabei an einen bestimmten Zauberstab gedacht, mit dem Sie herumfuchteln wollen?«
»Mike«, warnte Horner.
»Nein, schon gut«, sagte General Taylor und hob die Hand. »Er hat ja Recht. Die Lage ist tatsächlich völlig beschissen. Das kann man jedem dieser Scheißberichte entnehmen, die wir vom Generalinspekteur bekommen.« Er sah den Captain an, der mit gerunzelter Stirn und glasigen Augen dastand. Es war immer schwer zu erkennen, ob O’Neal sauer war oder nicht, weil dieses Stirnrunzeln fest in seine Züge eingegraben war. »Es gibt keinen Zauberstab. Wir bekommen immer mehr Verjüngte in die Pipeline. Und je mehr Positionen wir besetzen, desto eher werden sich die meisten größeren Probleme von selbst lösen. Sobald Offiziere und Unteroffiziersdienstgrade in genügender Zahl zur Verfügung stehen, um ihre Leute zu führen und Verantwortung zu übernehmen, werden die bereits erlassenen Anweisungen auch greifen.
Wir haben noch knapp ein Jahr Zeit, um die Dinge zurechtzubiegen. Und die meisten Divisionen, insbesondere die schwächeren, werden feste Standorte haben. Also sollte es möglich sein, die ganze Chose unter Kontrolle zu halten, selbst wenn die eine oder andere Division in die Knie geht. Aber ein Ass haben wir noch im Ärmel.«
»Mike«, warf Horner ein, »erinnern Sie sich noch, damals bei GalTech, als wir darüber geredet haben, wer in welcher Reihenfolge einberufen werden würde?«
»Aber sicher«, erwiderte Mike und versuchte sich zu erinnern. »Zuerst Leute mit Kampferfahrung. Angefangen bei den höchsten Rängen, von oben nach unten. Als Letztes Leute ohne Kampferfahrung.« Er dachte nach und lächelte dann. Das war damals gewesen, ehe klar wurde, dass die Galakter Probleme mit der Versorgung hatten. Als alle an ein Allheilmittel glaubten. Als die Pläne noch perfekt und die Zukunft rosig waren. »In der guten alten Zeit«, fügte er dann hinzu.
»Na ja.« General Taylor nickte mit einem verständnisvollen Lächeln. »So lautete damals der Plan. Aber dann haben Plan und Wirklichkeit sich ein wenig voneinander entfernt.«
»Einer meiner ›Computer-Gurus‹«, sagte Horner mit einem Seitenblick auf General Taylor, »hat sich schließlich den Algorithmus angesehen, den das Personalbüro für die Einberufung benutzt hat. Er basierte auf den Leistungsbeurteilungen.«
»Ach du große Scheiße«, murmelte Mike und schmunzelte. Obwohl gute Soldaten gewöhnlich bei den Beurteilungen gut wegkamen, kam der Unterschied zwischen einem guten Führer und einem »Lifer« gewöhnlich bei den Berichten nicht heraus. Ursprünglich hatte die Planung vorgesehen, als erste Welle echte Krieger einzuberufen, um damit denen, die nach ihnen kamen, schon ein gewisses Vorbild zu geben. Aber das war offenbar nicht geschehen.
»Also haben wir veranlasst«, sagte General Taylor, »dass die Software umgeschrieben wird …«
»Von meinen Leuten«, warf General Horner ein.
»Richtig«, nickte Taylor. »Seitdem hat Kampferfahrung einen hohen Bewertungsfaktor, und dazu kommen noch Tapferkeitsauszeichnungen, die ebenfalls bewertet werden. Wir nennen es jetzt das ›Alte Soldaten‹-Programm.«
»Du liebe Güte«, schmunzelte Mike. »Kein Korrekturfaktor für das Alter, stimmt’s?« Die meisten Akten, die ein solches Programm üblicherweise ausspuckte, würden aus den Hexenkesseln des Zweiten Weltkriegs und der Korea- und Vietnam-Kriege stammen. Alte Soldaten!
»Richtig«, sagte Horner und nickte. »Das Programm läuft jetzt seit ein paar Wochen, und wir sind dabei, noch verbliebene Schwachstellen auszubügeln. Aber die wirklich massive Einberufung findet dann während der Konferenz statt.«
Taylor lachte plötzlich unerwartet laut auf. Die beiden anderen Offiziere sahen ihn verblüfft an, bis Horner klar wurde, was Taylor durch den Kopf ging, und er die Stirn runzelte.
»Was?«, sagte Mike. Bei aller Müdigkeit hatte auch er bemerkt, dass da etwas seinen ehemaligen Mentor beunruhigte.
»Es gab …«, sagte General Horner vorsichtig.
»Ein paar Schwachstellen«, führte Taylor den Satz für ihn zu Ende und lachte. »Seine Computer-Gurus haben vergessen, dass es gewisse Personen gibt, die, wollen wir einmal sagen, für die Einberufung nicht zur Verfügung stehen.« Wieder lachte er brüllend. »Du lieber Gott, dieser Blick!«
Horner fürchte die Stirn. Kräftig. Ein sicheres Zeichen, dass er gleich laut loslachen würde. »Der Computer hat nach hohen Offizieren gesucht, die noch am Leben waren und Kampferfahrung hatten. Wir waren der Ansicht, falls das Programm noch Schwachstellen hatte, wäre es besser, den Fehler mit hohen Offizieren zu machen als mit niedrigen Dienstgraden. Das Programm war so eingestellt, dass es bewusst vernachlässigte, ob sie ihre Kampferfahrung in der Rangstufe hatten, in der sie ›in den Ruhestand gegangen‹ waren.«
»Obwohl das in einem Fall ohne Belang gewesen wäre«, gab Taylor hilfreich zu bedenken.
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Mike und blickte hilflos von einem zum anderen.
»Mike«, sagte Horner und schnaubte dabei leicht. »Ihnen ist doch klar, dass Commander in Chief eine Rangstufe ist, oder nicht?«
»Oh«, machte Mike, und dann noch einmal »Oh!«
»Ge – nau«, sagte Taylor, ehe er in brüllendes Gelächter ausbrach, »das Programm rief sämtliche noch lebenden Präsidenten auf, die entweder in Kriegszeiten in irgendeiner Rangstufe gedient hatten oder während eines Krieges Präsident waren. Es rief sie im Rang eines Vier-Sterne-Generals zurück, weil das die höchste zur Verfügung stehende Rangstufe ist, und erteilte ihnen den Befehl, sich unverzüglich zur Wieder-In-Dienst-Stellung in Fort Myer zu melden.«
»Du lieber Gott«, lachte Mike, »das ist ja großartig.«
»Ich erhielt einige äußerst erregte Anrufe vom Secret Service«, lachte Taylor. »Aber noch viel komischer waren die direkten Anrufe. Einer von denen hat angeboten, in ›seiner ursprünglichen Rangstufe‹ zurückzukommen.«
»Haben Sie das Angebot akzeptiert?«, fragte Mike.
»Nee. Obwohl die Versuchung groß war. Die Flotte braucht weiß Gott jeden Piloten, den sie kriegen kann. Aber in politischer Hinsicht wäre das ein Albtraum gewesen. Ich hoffe, er hat das nur als Witz gemeint.«
»Wie auch immer«, sagte Horner, jetzt wieder ernst, »der große Startschuss fällt unmittelbar nach dieser Konferenz. Um sicherzugehen, dass an einem Ende des Spektrums nichts zu sehr schief geht, werden wir jeden einzelnen Träger der Medal of Honor, der noch am Leben ist, unter großem Zeremoniell zurückrufen.«
»Oh, Mann«, sagte Mike mit leiser Stimme. Obwohl er diese Auszeichnung selbst trug, war er überzeugt, dass die meisten anderen Träger echte Helden waren. In ihrer Gesellschaft kam er sich immer wie ein Drückeberger vor. Dass die meisten anderen Träger des Ordens in Bezug auf die anderen Ordensträger das Gleiche empfanden, war ihm noch nicht klar geworden.
»Wir hoffen, das Hinzukommen von ›Helden‹ wird den Streitkräften das Rückgrat stärken«, sagte Taylor und hielt plötzlich, gerade als habe er es herbeigezaubert, ein Messer in der Hand, mit dem er die Spitze seiner Zigarre abschnitt. Dann war das Messer ebenso schnell wieder verschwunden, gerade als ob sein Erscheinen bloß eine schlichte Angewohnheit und nicht Angabe gewesen sei.
»Das Konzept ›Strike, Line, Guard‹ reaktivieren wir ebenfalls«, fuhr der High Commander fort. »Der Plan, Elite-Truppen-Elemente für mobile Einsätze ins Leben zu rufen, ist mit einer ganzen Anzahl anderer Ideen unter den Tisch gefallen.« Er zündete seine Zigarre mit einem silbernen Feuerzeug an. Man konnte darauf die durch den vielen Gebrauch abgegriffene Inschrift »Wer wagt, gewinnt« und einen Dolch mit einem Flügelpaar darunter erkennen.
Taylor nahm einen langen Zug an der Zigarre und stieß eine blaue Rauchwolke aus. »Abgesehen von den Fleet Strike-Einheiten und Special Operations haben wir bloß noch ein paar Kavallerieregimenter mit einigermaßen hohem Bereitschaftsgrad. Und um diese Einheiten herum schaffen wir das Konzept der Line-Truppen neu. Sie werden in erster Linie auf Freiwilligen-Verbände aufbauen und an Einsatzorte gebracht werden, wo sie zur Verstärkung von Verteidigungsstellungen und für Ausfälle gegen Posleen-Verbände eingesetzt werden können. Sie werden ziemlich hohe Verluste erleiden, aber ich gehe davon aus, dass es immer Freiwillige geben wird.«
»Die meisten ›Helden‹ werden also in Einheiten der Line unterkommen«, erklärte Horner. »Aber sie werden auch die schwerste Last zu tragen haben, und deshalb ist das genau der richtige Einsatzort für sie.«
»Sie sollten bei all dem nur nicht vergessen«, sagte Mike und rieb sich die Augen, »dass einige von diesen Typen darauf vielleicht überhaupt nicht vorbereitet sein werden.«
»Sprechen Sie da aus Erfahrung, Mighty Mite?«, wollte Horner wissen.
»Ich habe meine schlechten Tage gehabt, Sir«, gab Mike mit ruhiger Stimme zu. »Gewöhnlich Nächte.«
»Sie brauchen Erholung, Junge«, sagte Horner. Dass sie sich dafür bereits etwas ausgedacht hatten, verschwieg er.
»Die hatte ich doch, erinnern Sie sich nicht, Sir?«, meinte Mike säuerlich. »Ich war doch auf Tournee.«
»Das war keine Erholung, und das wissen Sie genau«, widersprach Horner. »Und es war nicht meine Schuld. Ich hatte damals praktisch überhaupt keinen Einfluss.«
Mike nickte und beschloss, dass es an der Zeit war, das Thema zu wechseln. »Übrigens, Sir, wo kommt denn das ganze schwere Gerät für all diese motorisierten Divisionen her?«
»Chrysler baut wieder Panzer, schon seit fast einem Jahr. Die und General Motors haben produziert wie verrückt, Junge«, sagte General Taylor. »Die haben nicht bloß ihr Produktionstempo über alle Erwartungen hinaus gesteigert, sondern auch zwei Fabriken im westlichen Pennsylvania und in Utah für die Produktion von M-l und vier weitere für die von Bradley-Panzern umgestellt. Die Toyota-Fabrik in Kentucky wird jetzt auch bald mit der Produktion beginnen. Modernes Gerät haben wir zur Genüge. Was wir nicht haben, ist Gal-Tech.«
»Und selbst ein Abrams hält den Posleen nicht besonders lange stand«, gab General Horner zu bedenken.
»Mhm. Haben Sie sonst noch ein paar Asse im Ärmel?«, fragte Mike.
»Was zum Beispiel?«, fragte Jack zurück.
»Zum Beispiel unabhängige Festungen entlang der Strecke?«
»Nein.« Der CONARC schüttelte den Kopf. »Dafür reicht unsere Logistik nicht aus. Ganz zu schweigen vom Personal. Wir müssen uns auf die Städte konzentrieren, da bleibt uns für Evakuierungsmaßnahmen nicht viel übrig. Ein paar kleine Außenposten könnte es ja geben – wir bauen da auf Milizen –, aber bis es so weit kommt, hat der Feind sie wahrscheinlich bereits weggefegt. Und an dem Punkt kommt die Mobile Infanterie ins Spiel.« Das Schicksal der Verteidiger lag für alle im Raum auf der Hand, aber der General ließ das unausgesprochen.
»Und im Südwesten«, warf General Taylor ein und klopfte dabei die Asche von seiner Zigarre.
»Und im Südwesten«, pflichtete Horner ihm bei, »das wird die Veranstaltung der Eleventh Mobile Infantry. Und darüber hinaus wird die MI während der ersten Absetzbewegungen in die Bergstellungen zur Unterstützung eingesetzt werden, und auch um sicherzustellen, dass die Posleen in den Appalachen keinen Durchbruch schaffen. Wir möchten, dass Sie sich die konventionellen Gefechtspläne ansehen, die gerade aufgestellt werden, und mithelfen, die Bereiche festzulegen, für die die MI verantwortlich sein soll.«
»Diese Bereiche werden jeweils so aufgeteilt werden, dass pro Zone ein Bataillon eingesetzt wird«, fuhr Horner fort. »Die Einheiten, um die Sie sich kümmern sollen, sind die 508th, 509th und die 555th. Die 11th wird als Division eingesetzt, um den ›Unterleib‹ zu halten.«
»Die sollen wir alle bekommen?« Obwohl Pläne in Vorbereitung waren, diese Regimenter komplett mit Anzügen zu versorgen, waren die Liefertermine immer wieder verschoben worden. Bald würden sie die ersten Verluste erleiden, und die neuen Anzüge würden dann als Ersatz benötigt werden.
»Davon müssen wir ausgehen«, erklärte Horner, wobei sein grimmiges Lächeln seine Worte Lügen strafte. »Ich habe ein Büro mit ein paar Leuten und all den notwendigen Freigaben eingerichtet. Und dann haben Sie natürlich Michelle«, sagte General Horner und wies auf das AID des Captains.
»Shelly«, korrigierte ihn Mike und griff unwillkürlich an das Armband aus schwarzem Intelliplast. »Michelle ist auf Diess gefallen.«
»Tut mir Leid«, sagte General Horner und ignorierte Taylors fragenden Blick. »Dann eben Shelly. Schaffen Sie es, damit alle Einzelheiten auszuarbeiten?«
»Ich könnte es auch ohne Mitarbeiter schaffen, wenn alles im Netz ist.«
»Das ist es«, nickte Horner.
»Dann sehe ich kein Problem.«
»Truppenverteilung und Standardgefechtspläne für drei Regimenter in höchst unterschiedlichem Terrain?«, fragte General Taylor ungläubig. »Das ist kein Problem?«
»Nein, ist es nicht«, antwortete O’Neal mit einem müden Lächeln. Es würde der reinste Albtraum sein, aber zu schaffen. »Wenn man einmal eine Kompanie mit Soldaten aus mehreren Generationen für den Einsatz mit Science-Fiction-Technik fit gemacht hat und das in einem Lager, in dem täglich Unruhen stattfinden, wird das geradezu ein Kinderspiel sein.«
»Okay«, schmunzelte General Horner und leerte sein Wodkaglas. »Sie haben drei Wochen Zeit. Bis dahin wird Ihre Kompanie Urlaub haben und Sie ebenfalls. Colonel Hanson hat mich übrigens gebeten, dies ausdrücklich zu befehlen.«
»Yes, Sir, ein wenig Freizeit könnte ich gebrauchen.«
»Der Ansicht bin ich auch«, pflichtete Taylor bei. »Und Lieutenant General Left ebenfalls.«
Mikes Blick wanderte argwöhnisch zwischen den beiden Generälen hin und her. »Wieso ist denn der Chef von Fleet Strike eingeschaltet, der doch, wie ich hoffe, immer noch sicher auf Titan stationiert ist?«
»Na ja, Bob schien uns der beste Kontakt mit der Flotte zu sein«, sagte Horner und runzelte die Stirn.
Mike klopfte die Asche von seiner Zigarre und runzelte argwöhnisch die Stirn. »Und weshalb ist die Flotte eingeschaltet?«
»Nun, wir brauchten die Genehmigung von Vize Admiral Bledspeth«, erklärte Taylor.
»Yes, Sir«, sagte Mike, dessen Argwohn sich jetzt weiter gesteigert hatte. »Das kann ich mir wohl vorstellen. Die Frage ist: wofür?«
»Nun, dass die Sharon frei geben«, sagte Horner.
»Und sie auf Urlaub hierher schaffen«, fügte Taylor hinzu. »Das war fast noch schwieriger.«
Mike fiel die Kinnlade herunter. »Sharon nimmt Urlaub?«, fragte er ungläubig. »Seit wann?«
»Wie spät ist es?«, fragte Taylor und sah demonstrativ auf seine Uhr.
Horner ließ ein für ihn seltenes echtes Lächeln aufblitzen. »Machen Sie den Mund zu, Mike, sonst nützen die Fliegen das aus. Denken Sie sich einfach, dass Sie einflussreiche Freunde haben. Oder, wenn Ihnen das lieber ist, dann betrachten Sie es als Belohnung dafür, dass Sie eine so spitzenmäßige Bereitschaftsprüfung hingelegt haben.«
»Sir«, sprudelte es aus dem Captain heraus. »Das ist ganz und gar nicht komisch. Es ist einfach gegenüber allen anderen unfair, deren Partner auf einem Außenposten eingesetzt ist! Das ist Vetternwirtschaft im schlimmsten Maße!«
»Ja, das ist es.« Taylor nickte todernst. »Aber die meisten dieser Soldaten haben auch nicht das geleistet, was Sie geleistet haben. Von den meisten dieser Soldaten wird nicht erwartet, dass sie Lasten übernehmen, wie man sie Ihnen und Sharon zumuten wird. Und die meisten dieser Familien werden trotz mancher Berichte in den Medien, die die Tränendrüsen anregen, nicht beide Elternteile im gefährlichen Einsatz haben.«
»Mike«, fügte Horner ebenfalls todernst hinzu. »Die Sache ist entschieden. Ich habe gewusst, dass Sie so reagieren würden, und deshalb habe ich Sie gar nicht erst gefragt. Nehmen Sie es als das Geschenk eines Freundes oder als den Befehl eines Generals. Sie können es sich aussuchen. Aber Sharon wird eine Woche, bevor wir Sie wieder einsetzen, eine Woche Urlaub nehmen, dann werden Sie eine Woche zusammen haben. Und das wird für die nächste Jahren vermutlich für Sie beide der letzte Urlaub sein.«
»Yes, Sir«, sagte O’Neal, der jetzt anfing, den erlittenen Schock zu verarbeiten. Wenn man das Ganze aus einem anderen Blickwinkel betrachtete, war es ja schließlich ein verdammt großes Kompliment. Das Einzige, was ihn störte, war, dass man ihn persönlich privilegierte. Aber dann entschied er, dass dies einfach ein geschenkter Gaul war, dem man nicht ins Maul schauen sollte.
»Und jetzt verschwinden Sie, Mighty Mite. Schön, Sie hier zu haben.«
»Nacht, Sir«, sagte Mike. An der Tür blieb er nachdenklich stehen. »Und vielen Dank auch.«