33
Richmond, Virginia,
United States of America, Sol III
2025 EDT, 9. Oktober 2009
»Die Pionierkompanien der 36th, 49th und 105th Mechanized Divisions sind auf der I-95 unterwegs«, sagte der Einsatzoffizier des Zwölften Korps nach einem kurzen Blick auf ein Blatt Papier. »Die restlichen Divisionen werden hinten herum über den James fahren und die Brücken sprengen. Damit ist für Fort A.P. Hill alles erledigt. Die Angehörigen sind bereits evakuiert.«
Das vom Zwölften Korps im First Union-Gebäude errichtete provisorische Hauptquartier war in Auflösung begriffen. Seit die Posleen auf der Nordseite des James operierten, war es nur eine Frage der Zeit, wann das ganze Areal unhaltbar werden würde. Im Hintergrund konnte man bereits hören, wie Stühle zusammengeklappt und Gerät eingepackt wurden.
Die Besprechung fand in einem luxuriösen Konferenzsaal im dritten Stock statt. In Kürze würde die Infanterie den wunderschönen Blick nach Osten genießen können. An der Besprechung nahmen der Kommandeur, ein paar Einsatz- und Nachrichtendienstoffiziere, einige Stabsoffiziere, die wesentlichen lokalen Befehlshaber und die allgegenwärtigen Vertreter der Special Forces teil.
»Meine Jungs sind bereit«, erklärte Colonel Walter Abrahamson, Befehlshaber des Ersten Bataillons der 22nd Cavalry (Virginia), der Panzereinheit, die dem Bezirk Richmond zugeteilt worden war. Der Kommandeur war etwa genauso groß und breit wie eines seiner gepanzerten Ungeheuer, aber seine Hakennase und das von der Sonne gegerbte Gesicht ließen erkennen, dass er ursprünglich aus einem Wüstenstaat stammte. Mit der unversöhnlich wirkenden, grimmigen Miene, die er im Augenblick zur Schau trug, sah er aus wie eine biblische Plage, die sich anschickte, über die Feinde seines Volkes hereinzubrechen. An seinem linken Ohr funkelte, allen militärischen Vorschriften Hohn lachend, ein goldener Davidsstern.
»Unglücklicherweise«, meinte der Korpskommandeur, »haben wir keinen Einsatz, auf den wir Sie schicken können.«
»Dann wollen wir doch unseren traditionellen Part übernehmen«, meinte der Panzerkommandeur mit einem zuversichtlichen Lächeln. »Augen und Ohren.«
»Das hat einiges für sich«, räumte der Nachrichtendienst-Mann ein. »Wir sind im Grunde genommen blind. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass sämtliche Verbindungen in dem Bereich von Fredericksburg abgeschnitten sind. Alle drahtlosen Verbindungen werden gestört, und die letzte Telefonleitung haben wir vor etwa zwanzig Minuten verloren. Ein paar Deputies des Sheriffs von Spotsylvania County haben es geschafft, rauszukommen, aber die konnten uns auch nur sagen, wo keine Posleen sind. Wo sie sind, wissen wir immer noch nicht genau. Und das müssen wir in Erfahrung bringen.«
»Sir«, sagte Sergeant Mueller, »die könnten mehr als nur das tun. Wir können zurückschlagen.«
»Oh?«, meinte ein für Nachrichtendienst und Planung zuständiger Offizier mit einigem Misstrauen für von Unteroffiziersdienstgraden entwickelte Strategien. »Die Einundzwanzigste fährt Bradleys und Humvees. Die Posleen können die wie Konservendosen aufschneiden.«
»Ja, Ma’am, wenn man sie in freies Gelände schickt. Aber ich war letzten Monat auf der 95 unterwegs, bloß um die Gegend ein bisschen kennen zu lernen. Wenn man von Fredericksburg runterkommt, ist alles ziemlich flach, aber es gibt auch ein paar Gegenden, wo man, wenn man ein bisschen nachhilft, aus teilgedeckter Stellung feuern kann. Und in dem Fall – wie ist denn die maximale Reichweite bei 25-mm-Waffen? Zweitausend Meter?«, fragte er Colonel Abrahamson.
»Ja, so ungefähr«, bestätigte der Offizier und nickte.
»Sie setzen eine Salve ab und verduften dann«, fuhr Mueller fort. »Das erfordert einige Unterstützung durch Pioniere, aber mit zwei Bulldozern ist das zu schaffen. Auf die Weise behalten wir nicht nur den Feind im Auge, sondern halten ihn auch ein wenig auf.«
»Sie werden Verluste erleiden«, sagte der Korpskommandeur zum Bataillonschef gewandt, »und die wenigen Posleen, die Sie töten, sind für die bloß ein Mückenstich. Sind Sie einverstanden?«
»Yes, Sir«, sagte der Panzerkommandeur, bemüht, sich seine Begeisterung nicht anmerken zu lassen. »Das ist ein klarer Kavallerieeinsatz. Meine Jungs brennen darauf.«
»Gut. Sergeant Mueller, Sie und Master Sergeant Ersin fahren die Straße hinauf«, entschied der Korpskommandeur. »Sprechen Sie vorher mit dem Chef der Pioniere. Sagen Sie ihm, dass er Ihnen ziviles Baugerät zuteilen soll. Machen Sie eine Liste.«
»Ja, Sir«, sagte Ersin ruhig.
»Colonel Abrahamson«, fuhr der Korpskommandeur fort, »uns steht eine Batterie mobile 150-mm zur Verfügung, das neue Reaver-Modell. Nehmen Sie sie mit. Wenn wir noch mehr bekommen, schicken wir Ihnen die mobilen Einheiten zur Unterstützung nach; die anderen werden sich auf dem Mosby und dem Libby Hill eingraben. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Feuerleitoffizier sich mit der Korpsartillerie abstimmt; vom Rest der Zweiundzwanzigsten sind Sie ja abgeschnitten.«
Der Lieutenant General lächelte grimmig. »Ein Letztes noch, Colonel, ich hoffe, ich brauche das nicht ausdrücklich zu betonen. Sie werden sich nicht in entscheidende Kampfhandlungen einlassen, unter keinen Umständen. Verstanden?«
»Mit etwas mehr als vier Millionen Posleen?« Der Kavallerie-Colonel schmunzelte und strich sich über sein dickes, schwarzes Haar. »General, ich heiße Walter Jacob Abrahamson, nicht George Armstrong Custer.« Der berüchtigte Kavallerie-General war blond gewesen und hatte nur noch schütteres Haar gehabt.
»Und erinnern Sie Ihre Männer daran, dass sie ja nicht versuchen sollen, verlassene Häuser oder Geschäftslokale zu betreten«, fügte der Korpskommandeur mit düsterer Miene hinzu. »So wie es aussieht, werden wir das Programm ›Verbrannte Erde‹ schon recht frühzeitig auf die Probe stellen können.«
Parker Williamson schloss die Eingangstür seines Hauses, so dass das Posleen-Landungsschiff nicht mehr zu sehen war, das das Haus der Hawks am Ende der Bourne Street dem Erdboden gleich gemacht hatte. In den hinteren Räumen hatte er bereits die Vorhänge vorgezogen, um sich das unangenehme Bild zu ersparen. Jetzt drehte er sich zu seiner Frau herum, der die Tränen über das Gesicht rannen.
»Nun«, seufzte er, »anscheinend haben wir Pech gehabt.«
Sie nickte, brachte keinen Ton heraus, als ihre älteste Tochter das Zimmer betrat.
»Macht das wieder Bumm, Mammi?«, fragte die Vierjährige und wischte sich die Tränen weg.
»Nein, Kleines.« Jan Williamson bemühte sich um Fassung und hob ihren zweijährigen Sohn auf, der ins Zimmer getrottet kam und immer noch weinte, weil seine Ohren von dem Überschallknall schmerzten. »Wir werden das nicht mehr merken.«
Parker sperrte die Tür ab und wandte sich einem roten Kästchen neben der Tastatur ihrer Alarmanlage zu. Der Deckel klappte auf und legte eine weitere Tastatur frei. Eine gelbe Lampe fing an zu blinken, und etwas piepste.
»Amtlich autorisiertes Hauszerstörungssystem ist aktiviert. Posleen-Ausstrahlungen entdeckt, Zerstörungssequenz autorisiert. Code für Kommandoautorisierung eingeben.«
Parker tastete eine Ziffernfolge ein und drückte auf SET.
»Nennen Sie Ihren Namen.«
»Parker Williamson.«
»Parker Williamson, sind Sie in diesem Augenblick bei klarem Verstand?«, fragte das kleine Kästchen und begann damit die vorgeschriebene Litanei.
»Notfallautorisation.«
»Bitte wie vorgeschrieben zweite Autorisation eingeben.«
Jan trat neben ihren Mann und gab eine zweite Ziffernfolge ein.
»Wie ist Ihr Name?«
»Jan Wiliiamson.«
»Jan Wiliiamson, sind Sie einverstanden, das autorisierte Hauszerstörungssystem in Funktion zu setzen? Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das System im Nahbereich Posleen-Ausstrahlungen erfasst hat.«
»Ja, das bin ich.«
Das Kästchen gab ein paar glucksende Laute von sich, vergewisserte sich, dass ihre Stimmabdrücke korrekt waren, dann wurde das Licht rot. Im gleichen Augenblick schaltete sich ihr Sicherheitssystem ein.
»System zur Wahrnehmung von Eindringlingen aktiviert, Selbstzerstörungssequenz aktiviert.« Im Keller des Hauses begannen sich zwei chemische Substanzen, die im getrennten Zustand ungefährlich waren, miteinander zu vermischen. »Zerstörungssequenz wird sich bei unautorisiertem Eindringen automatisch aktivieren … möge Gott Sie schützen und bewahren.«
»Komm, Liebes«, sagte Jan Wiliiamson und drückte ihre Tochter an sich. »Wir lesen jetzt Peter Rabbit …«
Lieutenant General Arkady Simosin, Kommandeur des Zehnten Korps, das den Auftrag hatte, Nord-Virginia und Maryland zu verteidigen und das man im Spaß »The Army of the Potomac« nannte, betrachtete den riesigen roten Klecks an seiner südlichen Flanke und wischte sich den Mund.
»Sagen Sie der Neunundzwanzigsten, die sollen ihre Panzerbataillone zurückziehen«, wies er seinen Planungsoffizier an und deutete dabei auf das Taktik-Display. »Die sind so weit vorne. Sie sollen Belvoir und Quantico räumen und Kurs auf den Bereich nördlich des Potomac nehmen. Das wird unsere Verteidigungslinie sein.«
»Yes, Sir. Sir, ich habe General Bernard angerufen, und er hat gesagt, den Auftrag würde er nur von Ihnen persönlich akzeptieren und er habe vor, die Posleen an der Flanke anzugreifen, um sie von Fredericksburg abzulenken.«
»Was?«, fragte der General mit ungläubiger Miene.
»Ich hatte ihn gerade an der Strippe.«
»Dann holen Sie ihn noch einmal.« Der General kochte bereits, als die Verbindung mit dem ihm unterstellten Offizier hergestellt war.
»General Bernard?«, rief er in das Lautsprechertelefon.
»Ja, General?«
»Ich glaube, der G-3 hat Ihnen gesagt, dass Sie Ihre Bataillone zurückziehen sollen. Ich hätte gerne gewusst, weshalb Sie sich geweigert haben.«
»Ich glaube, ich kann genügend Druck auf die Posleen machen, um einen Teil von ihnen von Fredericksburg abzuziehen und damit vielleicht der Zweineunundzwanzig etwas Zeit verschaffen, um einen Ausbruch zu organisieren.«
General Simosin hielt General Bernard für den Inbegriff jenes Typus von Offiziers, mit dem man überhaupt nichts anfangen konnte: aktiv und dumm. Bernard war ein blendender Politiker und hatte in den Tagen vor der Bedrohung durch die Posleen viel Blut und Schweiß aufgewandt, um Generaladjutant von Virginia zu werden – also Oberster Militärbefehlshaber der Nationalgarde Virginias. Mit der Verjüngung so vieler hochrangiger Offiziere wie Simosins war seine Karriere effektiv zum Stillstand gekommen. Begreiflicherweise gab General Bernard dem Verjüngungsproblem die Schuld dafür, dass er nicht Lieutenant General werden konnte.
Tatsächlich hatte man sogar ernsthaft in Erwägung gezogen, ihn aus wichtigem Grund abzulösen. Er war chronisch ungehorsam, nahm keinerlei Rücksicht auf die Befehlskette, hatte keinen Sinn für Taktik und weigerte sich, seine Einheiten dem Zehnten oder Zwölften Korps zu unterstellen, sondern bestand darauf, dass sie in winzigen Grüppchen über den ganzen Staat verteilt wurden.
Jetzt stellte er unter Beweis, dass all die negativen Beurteilungen, die er erhalten hatte, berechtigt waren: er war im Begriff, seine Soldaten hinmetzeln zu lassen. Unglücklicherweise wusste General Simosin ganz genau, dass ihn dieser Idiot, wenn er ihn jetzt unter Druck setzte, übergehen und sich an den Kommandeur der Ersten Armee wenden und dort dafür sorgen würde, dass sein Befehl widerrufen wurde. Das war noch schlimmer als die verdammten Konföderierten! Na schön, schlimm genug.
»General, ich gebe Ihnen den ausdrücklichen Befehl, Ihre Einheiten zu sammeln und sie über den Potomac zurückzuziehen. Wir können die Posleen nicht vor diesem natürlichen Hindernis aufhalten, und ich bin nicht bereit, Soldaten wegen einer sinnlosen Geste zu opfern. Das ist ein klarer Befehl, wenn Sie ihn nicht befolgen, lasse ich Sie festnehmen.«
»Verdammt noch mal, General, ist Ihnen klar, dass Sie damit Alexandria, das Pentagon und den Heldenfriedhof von Arlington opfern? Ganz zu schweigen von Tausenden amerikanischer Bürger in Fredericksburg!«
»Und den National Airport von Washington und Fort Belvoir. Ich kann auch Karten lesen. Und vielleicht darf ich hinzufügen, dass ich mich im Augenblick selbst in diesem Gebiet befinde. Mir sind diese Folgen ebenso bewusst wie dem Kommandeur der Kontinentalarmee. Er ist, während wir dieses Gespräch führen, dabei, das Gebiet zu evakuieren.«
»Wir können sie aufhalten! Das ist nicht Barwhon oder Diess; ganz gewöhnliche Leute leisten denen überall Widerstand und schwächen sie. Wir können sie an jedem Punkt der Landkarte aufhalten! Geben Sie mir bloß eine Brigade der Einundvierzigsten Division und wir stoppen die vor Quantico.«
»Da ich Ihnen gerade den Befehl zum Absetzen erteilt habe, kann ich ja wohl schlecht die Truppeneinheiten eines anderen Kommandeurs auf eine sinnlose Hoffnung setzen. General, ziehen Sie Ihre Bataillone zurück, und zwar sofort. Zuwiderhandlungen stellen den Tatbestand einer Befehlsverweigerung vor dem Feind dar. Das ist mein letztes Wort.«
Simosin krallte sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest und gab sich alle Mühe, mit gleichmäßiger Stimme zu sprechen. Wenn doch nur der Kommandeur der Ersten Armee genügend Verstand hätte, um die Realität zu erkennen. Aber auch wenn das nicht der Fall war, CONARC stand hundertprozentig hinter der Entscheidung, sich hinter den Potomac zurückzuziehen.
»Na schön, wenn das Ihr letztes Wort ist, General.«
»Dann werden Sie Ihre Truppen also zurückziehen? Lassen Sie mich das ganz klar sagen, General Keeton und ich sind uns einig, dass der Feindkontakt so lange aufrechterhalten werden muss, bis alle notwendigen Maßnahmen in Gang gesetzt sind. Keine Kontakte mit den Posleen ohne direkte und klare Anweisung, entweder von mir oder General Keeton. Ist das klar?«
»Ja. Ich nehme Verbindung mit Ihnen auf, wenn der Rückzug durchgeführt ist.«
»Gut, dann fangen Sie sofort damit an. Ende.« Er wandte sich seinem Stab zu, der das Gespräch mitgehört hatte.
»Und in der realen Welt … wie läuft die Evakuierung da?«, fragte General Simosin, atmete tief durch und wandte sich dem Vertreter der Notstandsbehörde zu.
»Recht gut in Anbetracht der Umstände«, erwiderte der. »Wir haben die Sonderspuren nach Washington geöffnet und schleusen die Flüchtlinge aus der Stadt heraus. Das läuft recht langsam, aber bis zum Morgen sollte der Großteil von Nord-Virginia evakuiert sein. Wenn wir ein paar von den Spuren freigeben könnten, die das Militär nicht benutzt, würde uns das helfen.«
»Ich weiß, dass sie für den Verteidigungsfall vorgesehen sind, aber ihre Einheiten nutzen sie kaum. Wir könnten eine Hauptspur für die Militärverbände und eine für den Notfall frei halten, die würden für die augenblickliche Nutzung mehr als ausreichen.«
Er wandte sich dem G-3 zu. »Rechnen wir mit starker Steigerung?«
»Nein, die Konvois verlassen Belvoir und Quantico in einem stetigen Strom. Wir haben das so geplant, und es braucht pro Bataillon etwa eine Stunde, sie mit Proviant und Munition zu versorgen. Ich rechne da nicht mit großen Abweichungen. Die meisten sind ebenfalls nach Washington unterwegs, aber einige wenige hat man auch über den Prince William Parkway nach Manassas geschickt. Ich mache mir nur Sorgen, dass Zivilfahrzeuge auf Militärspuren geraten könnten.«
»Geben Sie Anweisung, dass Zivilfahrzeuge auf Militärspuren unter Einsatz von unmittelbarer Gewalt zu stoppen sind. Lassen Sie den Befehl verbreiten und auf den Informationstafeln anzeigen und überlassen Sie dann die freien Spuren der FEMA. Noch etwas?«
»Nein, wir improvisieren, wo immer es geht«, erwiderte der Vertreter der Notstandsbehörde. »Aber sobald es zu einem konkreten Kontakt mit den Posleen kommt, könnte es durchaus passieren, dass wir die Kontrolle verlieren.«
»Brauchen Sie Militär?«
»Ein paar könnten nicht schaden. Vorzugsweise Militärpolizei.«
»G-3?«
»MP Bataillon Dreifünfundzwanzig steht Ihnen zu Diensten, Ma’am.«
»Danke«, sagte die FEMA-Vertreterin. »Das sollte genügen.«
»Schaffen Sie diese Zivilisten aus der Gefahrenzone; wir versuchen dafür, diese Mistkerle von Zentauren ein wenig aufzuhalten.« General Simosin wischte sich über das Gesicht und sah auf die Kartenprojektion.
»Und jetzt Folgendes. Ich möchte nicht, dass es irgendwelche Kontakte mit der Kavallerie gibt; die Posleen sind zu schnell und schlagen zu hart zu. Wir werden den Reticulan-Verteidigungsplan buchstabengetreu erfüllen und uns geschlossen über den Potomac zurückziehen. Ich habe die Erste Armee und CONARC in diesem Sinne informiert. Woher nehmen wir also die Pioniertruppen, um sie aufzuhalten?« Die Pionierbrigade des Korps nahm im Augenblick in Fort Leonard Wood an einer umfangreichen Übung teil. Grandiose Zeitplanung – grandios dämlich.
»Die Pionierkompanien der Einundvierzigsten und Fünfundneunzigsten Division sollten sie vielleicht begleiten, sie werden sich ja eingraben müssen«, sagte der G-3.
»Also, was setzen wir ein?«, wiederholte der Kommandeur seine Frage.
»Sir«, sagte einer seiner Planungsoffiziere. »Ich habe mit Fort Belvoir gesprochen, und die verfügen über eine ganze Menge Pionierausbilder und -auszubildende, seit sie das 52-Echo-Programm reaktiviert haben. Und dann wären da die Offiziere auf Fortbildungskurs …«
»›Und die Kadetten marschierten zu den Klängen der Dixie-Hymne aufs Schlachtfeld‹«, zitierte Simosin. »Nun, das ist immerhin ein Anfang. Wo setzen wir sie ein?«
»Das erste echte Hindernis, das das Terrain den Posleen bieten wird, ist das Mündungsgebiet des Occoquan …«, sagte der Nachrichtendienstoffizier des Korps.
Second Lieutenant William P. Ryan – dem die Abschlussprüfung des Pionieroffizierskurses noch bevorstand – hatte nicht viel Ahnung von Kampfeinsätzen, weder als Pionier noch im Allgemeinen. Aber er war lernbereit, selbst wenn diese Art von learning by doing keine besonders großen Überlebenschancen beinhaltete. Ein Blick auf den kläglichen Strom von Flüchtlingen, die auf der Interstate 95 nordwärts in Bewegung waren, bestärkte ihn in seinem Entschluss, sein Bestes zu tun.
Die meisten seiner Kurskollegen waren unter der fachmännischen Anleitung ihrer Ausbilder damit beschäftigt, die Brücken der I-95 und der Staatsstraße U.S. 1 über den Occoquan River zur Sprengung vorzubereiten. Der Ausbildungsleiter hatte entschieden, dass Ryan schon genug gelernt hatte und man ihm durchaus die Aufgabe anvertrauen konnte, eine Brücke ganz auf sich selbst gestellt zu vernichten. Im Augenblick war sein »Platoon« deshalb damit beschäftigt, unter Anleitung eines erfahrenen Ausbildungssergeanten die 123er-Brücke zur Sprengung vorzubereiten. Das Platoon bestand aus einer Gruppe Auszubildender aus dem Kurs für Mannschaftsdienstgrade mit deren Ausbildern und einigen Kampfpionieren. Die schwierige Aufgabe, die Betonplatten der Fahrbahn zu durchschneiden, hatte er den wesentlich erfahreneren Ausbildern im Unteroffiziersdienstgrad überlassen.
Ryan überquerte den Fluss und schlenderte durch die hübsche Ortschaft Occoquan, um die gegenüber liegende Bodenerhebung aus der Perspektive der Posleen betrachten zu können. Die Ortschaft schmiegte sich an das Südufer des Flusses, wo dieser zwischen zwei Bergkämmen hindurchfloss. Der geologische Unterbau dieser Bergkämme hatte zur Entstehung der Wasserfälle geführt, denen die Ortschaft ihre Existenz verdankte und die man in den Occoquan-Staudamm integriert hatte, hinter dem sich der Stausee fast bis zu dem zwanzig Meilen entfernten Manassas erstreckte.
Wie er jetzt so ein Stück unterhalb von Rockledge Manor stand, entdeckte er eine kleine Fußgängerbrücke, die den Fluss unterhalb des Wasserwerks überspannte. Er nahm sich vor, eine Gruppe Männer damit zu beauftragen, auch diesen Steg zur Sprengung vorzubereiten. Der Damm andererseits war eine völlig andere Geschichte.
Wenn sie den Damm sprengten, wusste wohl nur der Himmel, wo die Posleen den Occoquan würden überqueren können. Nachdem er eine Weile seine Landkarte studiert hatte, vermutete er, dass das wohl irgendwo in der Gegend der Yates Ford Road sein würde, etwa die Hälfte der Distanz, die sie sonst würden zurücklegen müssen. Andererseits konnten die Posleen natürlich den Damm selbst dazu benutzen, den Fluss zu überqueren. Nicht in großer Zahl, aber es galt jegliches Eindringen in die Verteidigungszone zu verhindern. Und dann gab es auch noch einen älteren Damm, der jetzt unterhalb der derzeitigen Wasserfläche lag. Er war nicht sicher, wie er dieses taktische Problem lösen sollte und beschloss deshalb, es nach oben weiterzugeben.
Wie er so mit schnellen Schritten durch die verlassene Stadt zu seinen Leuten zurückging, erfasste ihn ein eigenartiges Gefühl der Trauer. Er konnte sich an die Zeit erinnern, als ›Posleen‹ noch kein Wort in ihrem Sprachschatz gewesen war, eine Zeit, als man noch nicht gewusst hatte, dass die Erde sich an einem Punkt im galaktischen Koordinatengitter befand, wo eine Invasionstruppe durchkommen würde. Selbst noch in der Zeit, als Amerika sich vorbereitete, als es zu gewissen Engpässen kam und man den Menschen einen großen Teil der Freiheit weggenommen hatte, die sie vorher genossen hatten, weil es galt, gewisse Termine einzuhalten, war die Welt doch immer noch mehr oder weniger dieselbe gewesen, die sie immer gewesen war.
In diesem Augenblick, als er mit schnellen Schritten auf einen Ort zueilte, wo seinem Befehl unterstehende Pioniere sich anschickten, ein größeres öffentliches Bauwerk zu zerstören, wusste er, dass dies jetzt wirklich und wahrhaftig das Ende des golden Zeitalters war. Von jetzt an bis hinein in eine unvorhersehbare Zukunft würde der Mensch auf seiner eigenen Welt ein gehetztes Lebewesen sein, und nur der Herrgott im Himmel allein wusste, wie das alles enden würde.
»Ladies and Gentlemen«, dröhnte es aus dem Lautsprecher, »bitte bewahren Sie Ruhe.« Die Menschenmenge, die sich hinter dem Sicherheitsamt von Fredericksburg versammelt hatte, bestand vorwiegend aus Frauen und Kindern. Sie waren angsterfüllt aus ihren Häusern gerannt und hatten den einzigen Zufluchtsort aufgesucht, den sie kannten. Hier in einem Gebäude, das nicht nur der Polizeibehörde, sondern auch der Feuerwehr diente, gab es genügend Platz, schließlich waren alle Ambulanzen und Polizeifahrzeuge im Einsatz. Die Gruppe drängte sich unter dem sich verdunkelnden Himmel zusammen, und die meisten von ihnen wussten, dass sie, indem sie hierher kamen, das Unvermeidliche nur ein wenig hinausschoben.
»Wir sind bemüht, Sie nach draußen zu bringen«, fuhr der Sprecher, einer der zurückgebliebenen Feuerwehrleute, fort, »aber Sie müssen Ruhe bewahren.«
»Der träumt doch«, sagte Little Tom Sunday mit monotoner Stimme. Und dann rief er: »Hallo Wendy.«
Wendy Cummings fuhr herum. Little Tom stand mit einem Rucksack auf dem Rücken und einer Reisetasche neben sich ein Stück hinter ihr. Er trug einen seltsam ausgepolsterten schwarzen Umhang, der ihm fast bis zu den Knien reichte, dazu einen schwarzen Helm, wie ihn die Soldaten trugen, und eine Sonnenbrille. Innerlich seufzte sie. Wenn es jemanden gab, mit dem sie ihre letzten Stunden nicht verbringen wollte, dann war das Little Tommy Sunday. Aber man konnte ja schließlich höflich sein.
»Hi, Tommy. Was ist das für Zeug?«, fragte sie neugierig und wies auf seinen gepolsterten Umhang.
»Eine Splitterweste«, antwortete er desinteressiert. »Gegen eine Railgun hilft das nichts, wohl aber gegen Schrotflinten und Splitter.«
Ihre Augen weiteten sich, und sie erinnerte sich plötzlich daran, dass sie solche Schutzkleidung schon in Reality Shows über Polizeieinsätze gesehen hatte. Beamte, auf die man aus nächster Nähe geschossen hatte, hatten überlebt, wenn sie so geschützt waren. »Hast du noch welche?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Na ja«, meinte er und beugte sich steif nach vorn und wühlte in seiner Tasche. »Klasse Eins habe ich keine mehr, aber ich habe ein Kevlar-T-Shirt.« Er zog es aus der Tasche und sah sie an. »Vielleicht passt es«, meinte er dann leicht zweifelnd.
»Du liebe Güte«, stöhnte sie, »was hast du denn da noch alles?« Sie hatte etwas Metallisches gesehen, was wie eine Maschinenpistole aussah, und ein paar andere Gegenstände, die sie für Handgranaten hielt.
An dem Überlebenskurs, den die Schule angeboten hatte, hatte sie teilgenommen, aber nur weil das Pflicht war. Da man kein Examen ablegen musste, hatte sie die meiste Zeit im Kurs allerdings damit verbracht, Aufgaben für andere Fächer zu machen und Briefchen an ihre Freunde und Freundinnen zu schreiben.
»Ein bisschen Kram«, antwortete er und zog den Reißverschluss der Tasche zu.
»Meinst du … könnte ich mir eine Pistole ausborgen oder so was?«, fragte sie und versuchte unterdessen, die Verschlüsse der Schutzweste zu enträtseln.
»Was würdest du denn damit machen?«, fragte er und half ihr mit leicht unwilliger Miene, die Klettverschlüsse unter ihren Armen zu schließen.
»Versuchen?«, fragte sie und sah ihm zum ersten Mal seit Jahren in die Augen. Plötzlich war ihr bewusst, dass er viel größer war, als sie immer gedacht hatte, viel größer als sie, und das überraschte sie. Alle sahen in ihm nur Little Tommy. Er war immer so bescheiden und zurückhaltend gewesen, dass er ihr ganz ohne zu denken klein vorgekommen war.
»Das hättest du vor Jahren versuchen sollen«, antwortete er. Er griff in seine Reisetasche und brachte eine kurzläufige, schwarze Pistole in einem Schulterholster zum Vorschein.
»Hast du je eines von den Dingern benutzt?«, fragte er rhetorisch, ließ das Magazin herausschnappen und zog den Schlitten zurück, um die letzte Patrone herauszunehmen. Er fing die 9-mm-Patrone auf, so wie eine Forelle nach einer Fliege schnappt.
»Nein«, antwortete sie, von seiner plötzlich offenbarten Erfahrung eingeschüchtert.
»Okay.« Er nahm das Magazin. »Das hier ist der Treibstoff, und so tankt man sie auf.« Er schob das Magazin hinein. »Wenn man es klicken hört, ist sie aufgetankt. Und so lässt man sie an.« Er zog den Schlitten zurück. »Und«, sagte er, legte dabei einen Finger leicht auf den Abzug und richtete die Waffe zum Himmel und über den Fluss, »das hier ist das Gaspedal. Man fährt das ›Ding‹, indem man durch die Kimme hier hinten auf das Korn vorne sieht. Wenn der weiße Punkt vorn über dem V hinten liegt, ziehst du ganz langsam das Gaspedal durch. So, das wäre die Tom-Sunday-Kurzlektion im Fahren einer Glock.«
Sie nahm die Waffe vorsichtig entgegen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie nach oben gerichtet war.
»Und wie parkt man?«, fragte sie trocken.
Er nahm die Waffe zurück, steckte sie in das Schulterholster und reichte ihr das Ganze. »Eine Parkstellung gibt es nicht«, sagte er und hob seine mit Waffen voll gestopfte Tasche hoch. »Bis später.«
»Wo gehst du hin?«
Er sah sie einen Augenblick lang an und legte den Kopf dann etwas zur Seite. »Dieses Zeug hier«, meinte er und deutete mit einer Kinnbewegung auf ihre Schutzweste, »solltest du eigentlich unter den Kleidern tragen. Ich geh jetzt die Charles hinauf oder die Princess Anne Street, wo man gute Aussicht hat«, fügte er dann hinzu und warf sich den Trageriemen seiner Reisetasche über die Schulter, »und dann werde ich ein ganzes Päckchen Marlboros rauchen und warten, bis die Posleen sich zeigen. Und dann werde ich sterben.« Er lächelte versonnen, als erwarte er von ihr, dass sie sagte, das sei doch nicht wahr.
Sie schob sich ohne sich dessen bewusst zu sein ihren Splitterschutz zurecht und verarbeitete dabei ein paar neue Erkenntnisse. »Darf ich mitkommen? Vielleicht kann ich für dich laden, oder so was.«
»Ich bezweifle stark, dass zum Laden Zeit sein wird«, antwortete er, »aber du kannst wirklich gern mitkommen. So, was wäre deiner Meinung nach ein guter Platz an der Charles Street«, sagte er dann und setzte sich in Richtung auf den Hügel in Bewegung.
»Wie wär’s mit Worth’s?«, schlug sie vor.
Bill Worth saß müßig im hinteren Bereich seines Ladengeschäfts, wo ein Petroleumofen mit Erfolg gegen die Kühle dieses anstrengenden Tages ankämpfte. Der vordere Bereich des Ladens duftete nach alten Büchern und schönen Antiquitäten.
Er verbrachte das, was er für die letzten Augenblicke seines Lebens hielt, mit der Lektüre einer frühen Ausgabe von Moll Flanders, die ein paar Stellen enthielt, die man, mit Ausnahme der zu Defoes Zeiten verlegten Ausgaben, nur selten zu sehen bekam und nippte immer wieder an einem Cote d’Azur ‘57, den er sich letztes Jahr gegen einen Prototyp des Peacemaker Colt eingetauscht hatte. Wie bei allen guten Geschäften hatten beide Beteiligten das Gefühl gehabt, den besseren Handel gemacht zu haben.
Er hatte gerade einen Zustand maximaler Behaglichkeit erreicht, die Füße, die ohne Socken in Loafers steckten, auf einem Hocker geparkt, den Wein dicht bei der Hand, als die Ladentür klingelte und höchst unerwartet zwei Kunden eintraten.
»Sehen Sie sich ruhig um, Gentlemen«, lud er die beiden Soldaten ein, Offiziere, falls sein »Uniformen und Rangabzeichen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten« ihn richtig leitete. »Ich darf allerdings darauf hinweisen, dass ich es vorziehe, heute nichts zu verkaufen. Ich habe beschlossen, meine Sammlung um der alten Zeiten willen intakt zu halten.« Er schmunzelte dabei leicht.
»Tag, Mr. Worth, ich bin’s, Kenny Young«, sagte der jüngere Offizier, fast noch ein Kind, wie ihm schien.
»Ah ja, der junge Mr. Young«, sagte er wieder mit einem Schmunzeln. »Die Uniform kleidet Sie gut. Ich dachte, Sie wollten das Studium der Ingenieurwissenschaften ergreifen?«
»Ich bin Ingenieur beim Militär.«
»Ah! Ein Pionier! Bravo. Wo sind Sie denn stationiert?«
»Hier, Mr. Worth. Die Nationalgarde hat hier eine Pionierabteilung.« Lieutenant Young lächelte schwach. Es war eine wohl bekannte Tatsache, dass Bill Worth seit Jahren den Bereich von fünf bis allerhöchstens zehn Häuserblocks nicht verlassen hatte, den er »das historische Fredericksburg« nannte.
»Ah ja, das ist irgendwo an der Route 3, nicht wahr?«, fragte der Ladenbesitzer abwesend.
»Mhm, etwa eine Meile von hier«, schmunzelte der Lieutenant.
»Ah ja. Terra incognita, in der Tat. Also, welchem Umstand verdanke ich die Ehre Ihres Besuchs an diesem grandios unangenehmen Abend?«
»Nun, wir brauchen Informationen über die Tunnels. Man hat uns gesagt, Sie würden vielleicht etwas darüber wissen.«
»Ja«, meinte der örtliche Historiker und nickte. »Also eigentlich müssten Sie mit Ralph Kodger darüber sprechen …«
»Aber der ist doch …«, wandte der Lieutenant ein.
»Tot, ja, freilich, aber in seiner Zeit war er ein großer Historiker. Oder vielleicht mit Bob Bailey …«, fuhr Worth fort.
»… der …«, wandte Young ein.
»… nach Kansas gezogen ist, ja, ich sehe schon, Sie sind mir da ein Stück voraus.«
»Wissen Sie etwas über die Tunnels? Wo die Öffnungen sind?«, fragte der junge Mann.
»Und ihre Struktur?«, fügte der andere Uniformierte hinzu.
»Und Sie sind, Sir?«, fragte Bill höflich. Der etwas ältere Soldat war offenbar ungeduldig, einer von jenen Menschen, die immer das Bedürfnis hatten, herumzuhasten, als ob das Leben nicht immer gleich lang wäre.
»Captain Brown, Sir, Kommandeur der Charlie-Kompanie«, sagte Captain Brown knapp. »Wir hoffen, einige der Frauen und Kinder in den Tunnels verstecken zu können, und dann, na ja, im Grunde genommen die Stadt in die Luft zu jagen, um die Spuren zu verdecken. Wir haben gedacht, es gäbe vielleicht Luftschutzräume wie in den fünfziger Jahren, aber die gibt es nicht. Also sind wir wieder auf die Tunnels zurückgekommen. Es sei denn, Sie wissen, wo es Luftschutzräume gibt.«
»In der Tat ein lobenswertes Unterfangen«, bemerkte Worth, legte seinen Defoe weg und ging zu dem Schreibtisch, der den Mittelpunkt seines Reiches bildete. »Darf ich ein paar Fragen stellen?«
»Solange Sie schnell machen«, herrschte ihn der ungeduldige Kompaniechef an.
»Wie sollen sie überleben?«, fragte der Antiquar. »Die Frauen und Kinder, meine ich. Ohne Luft, Proviant und Wasser? Dafür wird doch, denke ich, nicht viel Platz sein.« Er wühlte in der obersten Schreibtischschublade herum und holte schließlich etwas heraus, das wie Pergament aussah.
»Die Sanitäter haben da ein galaktisches Medikament, das sich Hiberzine nennt und womit man jemanden monatelang in eine Art künstlichen Winterschlaf versetzen kann«, sagte der Lieutenant erregt. »Die Sicherheitsbehörden haben eine ganze Menge davon; wir können so viele Leute hineinpacken, wie Platz ist. Das ist kein Problem.«
»Ah, und wie haben Sie vor, die Stadt in die Luft zu jagen?«, fragte Mr. Worth und fing an, auf dem Block herumzukritzeln.
»Im Grunde genommen werden wir einige von den Gebäuden mit Erdgas vollpumpen«, antwortete Captain Brown. »Das sollte genügen; jedenfalls erledigt es diese Mistkerle von Zentauren. Und jetzt, entschuldigen Sie, aber, wenn es Ihnen nichts ausmacht, wir müssen einen Ort finden, um die Frauen und Kinder zu verstauen. Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden?«
»Genau genommen könnten Sie vielleicht mein Pumpenhaus in Betracht ziehen«, meinte Worth mit einem müden Lächeln und fuhr fort zu kritzeln.
»Wir brauchen etwas Größeres als ein Pumpenhaus«, sagte der Captain in der Annahme, der andere meinte damit eine Baulichkeit, in der die Abwasserpumpe des Hauses untergebracht war. »Trotzdem, vielen Dank. Kommen Sie, Lieutenant.«
»Captain«, sagte der Antiquar gedehnt und hörte mit Kritzeln auf, »würde so etwas passen?« Er hielt ihm die Skizze hin. »Ein zweistöckiges, unterirdisches Pumpenhaus für einen Industriebetrieb? Drei Fuß dicke Betonwände? Fünfzig Fuß lang, dreißig Fuß breit? Zwei Etagen? Unterirdisch?«
»Herr Jesus«, flüsterte Captain Brown und riss ihm das Blatt weg. »Wo ist das?«
»Am Fluss«, antwortete Worth mit einem trockenen Lächeln.
»Und das gehört Ihnen?«, fragte Lieutenant Young und musterte die sehr fachmännisch wirkende Skizze.
»Ja, ich habe es vor ein paar Jahren gekauft und hergerichtet«, antwortete der Antiquitätenhändler.
»Warum?«, fragte Captain Brown, unwillkürlich neugierig gemacht.
»Nun«, antwortete Bill Worth und seufzte, »man hat dort einen so wunderschönen Ausblick auf den Fluss …, Captain, wenn ich Ihnen diese vom Himmel geschaffene Anlage für Ihren kleinen Plan anbiete, darf ich dann aussuchen, welche Gebäude Sie in die Luft jagen?«
»Und Sie sind auch ganz sicher, dass Sie das tun wollen, Captain?«, fragte der First Sergeant der Charlie-Kompanie, als sich das Zweite und Dritte Platoon auf dem Parkplatz des Gebäudes der Stadtverwaltung von Fredericksburg versammelt hatten. Der siebenstöckige Bau in der langweiligen Architektur der siebziger Jahre strahlte den ästhetischen Reiz eines Backsteins aus und war inmitten der schönen Gebäude aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, die das Stadtzentrum dominierten, ein wahres Schandmal.
»Das war die einzige Bedingung, die Mr. Worth gestellt hat, und für unsere Zwecke eignet es sich wirklich am besten«, antwortete der Captain. »Es ist voluminös genug und steht nahe beim Pumpenhaus, aber der Bahndamm liefert uns einen gewissen Sprengschatten, und ich muss auch zugeben, dass es wirklich eines der hässlichsten Gebäude ist, die ich jemals gesehen habe. Nicht, dass das etwas zu besagen hätte.« Er wandte sich wieder den versammelten Soldaten zu und hob die Stimme, um das Geräusch der anrollenden Sattelschlepper zu übertönen.
»Männer, wir werden jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Während einige von Ihnen einen Bunker vorbereiten, in dem wir die Frauen und Kinder verstecken, wird der Rest von Ihnen den Posleen einen Empfang bereiten, den die nie vergessen. Wir haben ein renoviertes Pumpenhaus gefunden, das früher einmal für die alte Zellophanfabrik das Wasser geliefert hat. Die Pumpenanlagen befinden sich zum Teil unter der Erde, und der Bau hat drei Fuß dicke Betonwände.
Das Zweite Platoon wird gemeinsam mit den Bauleuten, die jetzt gleich kommen, die unterirdischen Räume so gut wie möglich abdecken und die Räumlichkeiten innen vorbereiten. Sie werden die Öffnung zum eigentlichen Pumpenhaus etwas glätten müssen; was ich damit meine, werden Sie sehen, wenn Sie dort sind. Der Radiosender der Stadt ruft alle Leute, die über ein Schweißgerät verfügen, auf, hierherzukommen, außerdem schickt man uns Baugerät von der Interstate herüber.
Decken Sie das Pumpenhaus mit Ballast ab und legen Sie dann Blech oder was Sie sonst finden darüber. Wenn wir so viele Frauen und Kinder wie nur eben möglich dort untergebracht haben, jagen wir den Bau in die Luft und dichten das ab.
Ich habe mir die Räumlichkeiten angesehen, und wenn wir Glück haben, reicht der Platz für sämtliche überlebenden Frauen und Kinder, dem Himmel sei Dank dafür. Da die Zeit dafür möglicherweise nicht ausreicht und auch der Platz knapp werden könnte, hat der Polizeichef eine Lotterie eingerichtet, um zu bestimmen, wer und in welcher Reihenfolge hineindarf. Nur Kinder unter sechzehn und ihre Mütter sind für den Bunker zugelassen.
Wenn wir die Nicht-Kombattanten nur vergraben, ist das Problem, dass die Posleen sie gleich wieder ausgraben werden, so wie Ameisenbären auf Termiten losgehen. Wir müssen daher hier den Eindruck erwecken, dass in Fredericksbürg nichts mehr zu finden ist, ganz besonders nicht auf dieser Seite. Und deshalb werden wir dieses Gebäude«, er deutete mit dem Daumen auf die Monstrosität hinter sich, »in eine riesige Treibstoff-Luft-Bombe verwandeln.
Tankwagen von Quarles Gas sind bereits unterwegs, um den Bau mit Propan voll zu pumpen. Aber zuerst müssen wir ein paar Vorbereitungen treffen. Ich möchte, dass das Dritte Platoon sich jetzt in das Gebäude begibt und Löcher in die Stockwerksdecken sprengt, damit innen die Luft und das Gas besser zirkulieren können. Und bevor Sie das Gebäude verlassen, achten Sie darauf, dass alle Innentüren offen bleiben. Während dieser Vorbereitungsarbeiten wird der First Sergeant alles zur Sprengung vorbereiten. Legen Sie ihm also keine Sprengladungen in den Weg.
Sobald Sie fertig sind, und das sollte nicht mehr als eine Dreiviertelstunde in Anspruch nehmen, helfen Sie bei den Bunkerarbeiten mit.« Er deutete auf die jetzt anrollenden Sattelschlepper, die mit Bulldozern und Baggern beladen waren. »Wir verlassen uns auf die Zweite, dass das ein sicherer Bunker wird. An die Arbeit. Und die Dritte«, er wies auf die Kisten mit C-4-Sprengstoff am Eingang des Gebäudes, »Sie sprengen jetzt ein paar Löcher. Und dass mir jeder seinen Helm trägt, könnte ja sein, dass einer im nächsten Stockwerk gerade sprengt.«
»Sir«, murmelte der First Sergeant, als das Platoon in das Gebäude stampfte und im Vorbeigehen Sprengstoff und Zünder fasste, »das wird Verletzte geben.«
»Na ja, Top, manchmal muss man Risiken abwägen. Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit wir noch haben, aber ich bezweifle, dass es noch lange sein wird.«
»Wir müssen sie eine Weile aufhalten«, meinte der Ausbildungsoffizier mit verzweifelter Miene. »Die Charlie-Kompanie fängt gerade mit dem Bunker und der TLE an. Die brauchen mindestens eine Stunde.«
»Länger«, wandte die Feuerwehrchefin ein, »so lange dauert es allein schon, das Gebäude voll Gas zu pumpen.«
Die Posleen hatten sich Zeit gelassen, Angriffspositionen zu beziehen – und dafür waren alle dankbar. Aber inzwischen hatten sie den letzten Widerstand am Central Square gebrochen und auch die meisten Gebäude dort erobert, und so kam die nächstgelegene G-Dek-Einheit jetzt den Highway 3 herunter. Und um die etwa sechstausend vordringenden Aliens aufzuhalten, stand nur eine kleine Gruppe Milizen und Polizei zur Verfügung. Andere Posleen rückten von Osten und Westen heran, aber bis die das Stadtzentrum erreicht hatten, würde es bereits fast dunkel geworden sein, und bis dahin wäre alles für die TLE vorbereitet.
Die größte Bedrohung für ihren Plan stellte der vom Central Square über die Hauptstraße in die Stadt drängende Verband dar.
»Wir brauchen etwas, um sie abzulenken, um ihnen Angst zu machen«, meinte der Bataillonskommandeur, »so etwas wie diesen Drachen, den die GKA auf Diess eingesetzt haben.«
»Ich sage Ihnen etwas, wovor jedes Tier auf der Erde Angst hat«, meinte die Feuerwehrchefin, der plötzlich eine Idee kam, »und das ist Feuer.«
»Woran haben Sie denn gedacht?«, fragte der Bataillonskommandeur.
»Wenn wir ein paar Flammenwerfer hätten …«, meinte der Ausbildungsoffizier, und dann weiteten sich seine Augen gleichzeitig mit denen der Feuerwehrchefin.
»Jerry«, sagte der Offizier und drehte sich zu seinem Sergeant herum, »rufen Sie Quarles Gas an und sagen Sie denen, wir brauchen noch etwas Brennbares. Ein paar Tanklaster vielleicht, mit Benzin oder Kerosin. Irgendetwas Flüssiges, Brennbares.«
»Vorzugsweise Kerosin. Ich hole die Feuerwehrfahrzeuge«, sagte die Feuerwehrchefin und schüttelte den Kopf.
»Colonel?«
»Ja, Sergeant Major?« Colonel Robertson war todmüde. Die Belastung, der er den ganzen Tag über ausgesetzt gewesen war, forderte ihren Tribut, und er fragte sich, was für eine neue Katastrophe ihm der Sergeant Major jetzt wohl melden würde.
»Sir, ich habe nach der Gruppe gesehen, die sich um die Munition kümmert. Alle sind jetzt versorgt, aber es ist immer noch mehr als eine Tonne Sprengstoff und Munition übrig.«
»Okay, ich denke, die jagen wir hoch, wenn die Posleen hier eintreffen.«
»Ja, Sir, das könnten wir, aber ich dachte, das Munitionslager ist nicht weit vom Arsenal entfernt, und ich habe die Leute noch dort …«
»Und Sie meinen, es gäbe eine bessere Verwendung für die Munition.«
»Ja, Sir. Schließlich ist das Munitionslager so gebaut, um Explosionen einzudämmen«, sagte der Sergeant Major mit einem Raubtiergrinsen.
»Na schön, Sergeant Major, dann kümmern Sie sich mal darum.« Der Colonel erwiderte das Lächeln. Gute Untergebene waren wirklich ein Geschenk des Himmels.
»Yes, Sir!«
Shari mischte sich unter die Menge hinter dem Sicherheitsamt und ließ Kelly und Susie vorsichtig herunter. Billy setzte sich einfach hin; seine Augen waren geweitet und wirkten glasig. Sie ließ sich neben ihm zu Boden sinken und hielt die zwei Mädchen im Schoß. Susie wimmerte leise, weil die Blasen an ihren Füßen aufgeplatzt waren. Eine Frau bahnte sich ihren Weg durch die Menge, starrte Shari an und ging dann auf sie zu.
»Sind Sie dabei?«, fragte sie.
Shari sah sie ausdruckslos an. Sie brauchte eine Weile, bis sie die Frage verstanden hatte. »Was?«, krächzte sie.
»Sind Sie mit im Korb? Haben Sie Ihren Namen für die Ziehung angegeben?«
»Was für eine Ziehung?«, krächzte sie erneut. Mund und Kehle waren völlig ausgetrocknet, und die Angst lähmte sie fast.
Schließlich begriff die Frau, dass Shari nicht nur unter dem Eindruck des allgemeinen Schocks stand, den dieser grauenvolle Nachmittag bei allen ausgelöst hatte. »Kommen Sie klar?«
Shari versuchte zu lachen, aber dann wurde ein Schluchzen daraus.
Jeder Schritt, den sie machte, vom Parkplatz bis hinüber zur Interstate, wo Militär und Polizei sich eingruben, konnte ihr letzter sein, das wusste sie. Immer wieder hörte sie die Zentauren näher kommen, bloß um dann wieder von irgendeinem anderen Ziel abgelenkt zu werden. Als sie Susie schließlich aufheben musste, was dazu führte, dass sie nur mehr im Kriechtempo vorankamen, brach es mit absoluter Sicherheit über sie herein, dass ihre beiden Jüngsten sterben würden. Und nach allem, was sie hinter sich gehört hatte, würde es so ziemlich der schrecklichste Tod sein, den man sich vorstellen konnte.
Diese Flucht war ein einziger in die Länge gezogener Albtraum, in dem die Monster ständig dicht hinter einem waren und man wusste, dass sie einen jeden Augenblick packen würden, und dann würde man sterben. Aber dies war kein Albtraum; dies war nackte Wirklichkeit, wie die Sonne im roten Flammenschein unterging und Shari sich von den Schreien Sterbender umgeben auf dem Salem Hill im Schatten zu Boden sinken ließ.
Die Frau winkte einem der Feuerwehrleute zu, als Shari hysterisch schluchzend zusammenbrach. Der Mann kam herüber und bereitete eine Hiberzine-Spritze vor.
»Nein«, wandte eine seiner Kolleginnen ein und packte Shari an den Schultern und zwang sie zu ihr aufzublicken. »Sie müssen beisammen bleiben«, herrschte sie sie an. »Wir brauchen Sie. Wir brauchen alle Mütter. Sie sind Shari Reilly, stimmt’s?«
Shari nickte, schluchzte immer noch unkontrolliert. Die Mädchen fingen jetzt leise zu weinen an, und Billy saß stumm da und schaukelte vor und zurück und blickte in das immer dichter werdende Zwielicht.
»Sie sind vom Central Park herübergekommen?«
»Mhm«, schluchzte Shari, unfähig, Atem zu schöpfen.
»Sie brauchen bloß noch durchzuhalten, bis Ihr Name aufgerufen wird, okay? Das ist viel leichter, als vom Target bis zur Interstate zu gehen. Jemand hat sich nach Ihnen erkundigt. Zeigen Sie mir die Füße Ihrer Tochter.«
Während die Sanitäterin sich um Susie kümmerte, bekam Shari sich langsam wieder etwas besser in den Griff.
»Das ist eine ganz normale Reaktion«, sagte die Sanitäterin mit beruhigender Stimme. »Sie haben einen Schock erlitten, Herrgott, alle haben wir das! Aber bei Ihnen war es schlimmer. Das ist jetzt die Reaktion. Sie haben durchgehalten, bis Sie hier waren, und das ist besser als bei den meisten. Sie sind stark geblieben und sind aus der … der …«
»Aus der Hölle raus«, sagte Billy.
Shari presste ihren Sohn an sich. »Schaffst du das, mein Kleiner?«
»Ich … ich …«
»Alles ist gut, Billy, wir sind hier sicher.«
»Nein, das sind wir nicht, Mom. Lüg mich nicht an.«
»Junge«, sagte die Sanitäterin mit fester Stimme, »die Pioniere bauen den bestmöglichen Schutzraum, den es gibt, damit du in Sicherheit kommst, und wir anderen werden dafür sorgen, dass die Posleen nicht hierher kommen. Wir werden uns alle Mühe geben, dich zu retten, das verspreche ich dir.«
»Wird es funktionieren?«, fragte Shari, immer noch unter Tränen.
»Ich verspreche gar nichts«, sagte die Sanitäterin ehrlich und mit leiser Stimme. »Aber es ist immerhin eine Chance.«
»Entschuldigung«, sagte eine Frau, die plötzlich aus der Dunkelheit zu ihnen herantrat, »jemand hat gesagt, dass Sie in der Spotsylvania Mall waren.« Die Stimme der Frau stockte kurz. »Haben Sie zufällig einen Mann gesehen«, sie hielt kurz inne, »einen Mann in einem dunkelgrünen Chevy Suburban …«
»Mein Ehemann ist ein großer Mann …«
»Haben Sie gesehen …«
Frauen drängten sich um sie, stellten ihr verzweifelt Fragen, aber jetzt richtete sich die Sanitäterin vor ihr auf wie eine wütende Löwin. »Schauen Sie, Leute, ich weiß, Sie machen sich Sorgen um Ihre … Ihre Familien, Ihre Männer, aber diese Frau hat schon genug durchgemacht …«
»Nein«, sagte Shari mit zitternder Stimme, »ich muss es sagen, ich muss … es war niemand hinter mir, überhaupt niemand. Tut mir Leid …« Sie fing wieder leise zu weinen an. »Ich konnte einfach nichts machen. Ich, ich musste einfach weggehen, verstehen Sie? Meine Babys retten, ich musste gehen und gehen … da war dieses kleine Mädchen … sie wollte nicht mitkommen, und ich habe doch meine Babys getragen … ich konnte nicht, konnte nicht …«
»Schschh«, machte die Sanitäterin, »ist schon gut, wirklich. Sie können nichts machen …«
Ein männlicher Sanitäter brachte Decken und Suppe. »Ich habe Sie zu der Ziehung getan«, sagte er. »Die Pioniere fangen jetzt gleich mit dem Beladen an.«
»Ich wüsste gern, wie’s draußen an der Interstate steht?«, fragte die Sanitäterin Shari, erwartete aber eigentlich gar keine Antwort.
Im Feuerschein von Tausenden Gallonen Kerosin, Diesel und Benzin konnte man die Silhouette eines Kesselwagens sehen, der auf der Überführung stand, als jetzt die Posleen angestürmt kamen. Ein Feuerwehrwagen verspritzte einen stetigen Strom brennbarer Flüssigkeit, während ein weiterer in sicherer Entfernung an der Plank Road stand und darauf wartete, mit Feuern an die Reihe zu kommen. Der gigantische Flammenwerfer hatte immer wieder gezeigt, wie gewaltig seine Reichweite war, als die Posleen versucht hatten, an dieser Flammenbarriere vorbeizukommen. Der Treibstoff spritzte unter mächtigem Druck hinaus und entzündete sich erst, wenn er auf bereits brennenden Treibstoff traf. Gelegentlich taten sich Lücken auf. Wenn die Posleen versuchten, dort durchzubrechen, sorgten die Feuerwehrleute dafür, dass sie gründlich mit Kerosin getränkt wurden, und lenkten dann den Treibstoffstrahl zur nächsten Flamme. Die Feuerexplosion entzündete daraufhin die Gruppe, und das Massaker setzte sich fort. Hinter den beiden Schlauchwagen warteten, weit verteilt, eine Reihe Tanklaster und zwei zusätzliche Pumpenwagen, deren Dichtungen gerade repariert wurden.
»Funktioniert verdammt gut, Chief«, sagte Colonel Robertson mit verblüfftem Lächeln. Die blöden Aliens waren wie wild darauf durchzubrechen und dabei geröstet zu werden.
»Yes, Sir, Colonel. Und diese Löcher, die Ihre Jungs gemacht haben, helfen mit.« Sie deutete auf die riesigen Krater, die sie aus dem Mittelstreifen herausgesprengt hatten, was die Posleen zwang, beiderseits fast einen Kilometer Umweg zu machen. Explosionen und Schüsse in beiden Richtungen zeigten, wo an den Flanken gekämpft wurde. Die Posleen hatten sich bis jetzt nicht weiterbewegt und schienen auch nicht daran interessiert zu sein. Sobald sie das jedoch taten, würden die Verteidiger zurückfallen müssen.
»Es ist erstaunlich. Anscheinend haben sie sich bis jetzt noch nicht neu gruppiert«, meinte der Colonel. »Die kommen bloß stückchenweise rein, und wir pusten sie weg. Die Jeff Davis-Brücke haben wir in die Luft gejagt, aber die Zentauren drängen jetzt von Süden auf der Jeff Davis und der Tidewater Street herein. Wir werden uns hier schon, bevor uns der Saft ausgeht, nicht mehr halten können.«
»Okay, wir ziehen uns zurück, wenn Sie es sagen«, erklärte die Feuerwehrchefin und wischte sich Ruß von der Wange. Der Gestank brennender Posleen war anders als jeder Geruch, den sie bisher erlebt hatte. Am nächsten kam ihm noch brennender Gummi, aber die Ähnlichkeit war etwa so groß wie zwischen einem Alligator und einem Huhn. Der Qualm war beinahe so schlimm, dass man Atemgeräte hätte ausgeben müssen; außerdem enthielten sie vermutlich eine Unmenge Toxine.
»Das wird noch eine Weile dauern«, meinte der Colonel mit einem grimmigen Lächeln, als wieder eine Gruppe Posleen versuchte, die Feuerwand zu durchbrechen. Die Feuerwehrleute machten sich jetzt beinahe einen Spaß daraus, Lücken zu öffnen, damit der Feind angreifen konnte, und ihnen dann den Rückzug abzuschneiden, ehe sie das Loch wieder füllten, und sie einzuäschern. Selbst die Gottkönige schienen bis jetzt nicht herausgefunden zu haben, wo der Treibstoff herkam, sobald die Flammen wieder hoch in die Nacht loderten.
»Sie sollten das hier vielleicht Ihrem Stellvertreter übergeben«, meinte Colonel Robertson. »Ich hätte gerne, dass Sie sich die Vorbereitungen für unsere Treibstoff-Luft-Explosion ansehen. Wäre wirklich schlimm, wenn die vorzeitig hochginge, aber wir müssen das Gebäude schon vorher füllen.«
»Geht klar, Colonel. Wo werden Sie sein?«
»Oh, ich bin im Arsenal verabredet. Dort soll ein Empfang vorbereitet werden.«
Die alte Feuerwehrchefin lächelte. »Na, stellen Sie mal den Punsch bereit, dann kommen die ganz bestimmt.«
»Geradewegs die Williams Street herunter.«
»Genau. Willkommen im historischen Viertel von Fredericksburg.«
»Ich denke, sie werden an der Williams Street ein wenig ausschwärmen«, sagte Little Tommy und bog in die Princess Anne Street ein. »Wahrscheinlich bis zur Fauquier oder zur Hawk, ehe sie den großen Knall veranstalten.«
Sie gingen im Halbdunkel die Princess Anne hinauf, ihre Schritte knirschten in den Glassplittern der zersprungenen Schaufensterscheiben. In der Ferne knatterten Schüsse. Die mehrfachen Überschallknalle bei der Landung hatten so gut wie sämtliche Fenster der Stadt zerspringen lassen.
»Ich habe mir überlegt …«, sagte er unsicher. »Willst du es beim Bunker riskieren? Jetzt, wo sie das machen?«
»Ich bin über sechzehn«, gab Wendy zu bedenken, »und auch keine Mutter.« Das klang beinahe bitter.
»Ähem. Na ja, vielleicht ist mehr Platz; könnte ja sein, dass die auch andere nehmen. Scheiße, ich wollte, ich hätte ein Loch, in das ich mich verkriechen kann.«
»Du würdest dich nicht verstecken, wenn die dir die Gelegenheit gäben, oder?«
Tommy überlegte. »Nein; nein, das würde ich wahrscheinlich nicht. Nicht, solange ich nicht … etwas ausgerichtet habe. Und dann wäre es zu spät.«
»Was soll das denn alles?«, fragte sie und deutete auf seinen Splitterschutz und seine Taschen. »Ich meine, ich kenne andere Jungs in der Juniormiliz, die nicht so gut vorbereitet sind.«
»Na ja, das Einzige, was meinem Dad wirklich Leid tut, ist, dass er ein Stipendium in Clemson angenommen hat, um dort Football zu spielen, statt eines von West Point, um dort Soldat zu spielen. Und dann ist er Profi geworden, und damit war jede Chance dahin, zum Militär zu gehen. Deshalb ist er zum Ausgleich ein Lehnstuhl-Soldat geworden. Du weißt schon, einer, der ständig an der Glotze hängt, wenn irgendwo geschossen wird, und der zum Schützenverein geht statt zu golfen und das ganze Wochenende Paintball spielt. Diese Posleen-Geschichte war das Größte, was meinem Dad je passiert ist; endlich konnte er Soldat werden. Er hat sogar versucht, sich freiwillig zu melden, aber die haben ihn nicht genommen, weil er keine Militärerfahrung hat. Und dann ist da die Sache mit seinen Knien …
Jedenfalls hat er schon ziemlich früh beschlossen, ich meine, ehe wir das mit den Posleen und all das erfahren haben, dass ich der nächste Hannibal sein würde …«
»Wer?«, fragte Wendy und hustete, als eine besonders dichte Rauchwolke von der Interstate die Straße herunter wehte.
»… der nächste Robert E. Lee«, übersetzte Tommy für sie.
»Oh.«
»Als die meisten Jungs anfingen Football zu spielen, hat man mich schon auf das Soldatenleben vorbereitet. Mein Dad hat eine große Sache daraus gemacht, mir meine erste Pistole zu geben, als ich acht wurde. Ich hatte mir einen neuen Computer gewünscht.«
»Ja«, sagte Wendy im fragenden Tonfall. »Ich hatte immer gedacht, du wärst ein Computerfreak, kein Pistolenfreak.«
»Pistolenfreak, das ist klasse«, sagte er bitter. »Ich bin ein Computerfreak, sogar ein Superfreak. In Death Valley bin ich landesweit die Nummer elf, und eine ganze Menge Leute haben darauf gewettet, dass ich nächste Woche unter den ersten fünf bin. Ich habe praktisch seit ich schreiben kann programmiert. Computer sind mein Leben. Weil Dad das weiß, verlangt er, dass ich genauso viel Zeit auf diese Ausbildung verwende. Ich muss exakt so viel Zeit auf dem Schießplatz oder bei Feldübungen verbringen wie am Computer.
Bei der Juniormiliz war ich der Jüngste und habe im Grunde genommen nach zwei Jahren Schluss gemacht, weil ich all den Lahmärschen so weit voraus war. Ich kann schnell genug laufen, um gute Zeiten rauszuholen, aber ich hatte ja nur eine Wahl: Laufen oder Computer. Und, Scheiße, Football? Gewichte stemmen gilt als militärische Ausbildung und deshalb kann ich mehr als mein eigenes Körpergewicht stemmen, und Dad wollte, dass ich mich an den Meisterschaften beteilige. Das war das einzige Mal, wo ich ihm gesagt habe, dass er mich in Ruhe lassen soll. Wenn ich mit Sport anfing, würde mich das entweder auf dem Schießplatz oder am Computer Zeit kosten, und ich wusste ganz genau, wofür mein Dad sich entscheiden würde.«
Er zuckte die Achseln. »So, und da stehe ich jetzt, der gefährlichste Junge der ganzen Schule und ein Computerfreak obendrein. Was sagst du dazu!«
»Na ja«, meinte Wendy vorsichtig, als sie an Goolrick’s Drugstore an der Ecke der George Street vorbeikamen. »Ich schätze, das ist jetzt dein großer Augenblick.«
»Der große Augenblick für meinen Dad, meinst du wohl. Er steckt irgendwo dort draußen in einem Hinterhalt und wartet, dass die Posleen auftauchen. Wahrscheinlich kriegt er sich vor Begeisterung kaum ein. Mom und Sally werden ins Loch gehen, und ich ›werd’s denen so gut ich kann besorgen‹«, zitierte er in einem unechten Bariton.
»Scheiße«, stieß er dann bitter hervor. »Da stehe ich jetzt und kann einen Schusswinkel genauso gut wie jeder Infanterie-Lieutenant berechnen, aber keinem nützt es was.« Er zuckte die Achseln und sah sich um, berechnete offenbar immer noch Schusswinkel.
»Wie wär’s mit Alesia’s Antiques?«, fragte er und deutete mit dem Kinn über die Straße. »Dort hat man ein gutes Schussfeld über den Hof dahinter. Wir könnten sogar ins Bankmuseum gehen. Damit hätten wir erste und zweite Position. Auf die Weise überleben wir vielleicht drei Minuten«, schloss er und lachte.
»An Alesia’s habe ich auch gedacht«, antwortete sie nachdenklich. »Du weißt schon, als du mich gefragt hast, ob ich in den Bunker gehen will?«
»Herr im Himmel!«, sagte Tommy, als die Brechstange dicht neben einem antiken Geldschrank durch die Ziegelwand krachte, »da ist er tatsächlich. Woher hast du das gewusst?«
»Na ja, dein Ding sind Computer und Militär. Ich interessiere mich mehr für die Geschichte unserer Stadt.«
Er schob den Kopf durch das kleine Loch und in den stickigen Tunnel dahinter, leuchtete mit einer Taschenlampe herum. »Er ist etwa fünf, sagen wir fünfeinhalb Fuß hoch. Ein aus Ziegeln gemauerter Bogen, der Boden gestampfte Erde. Verblüffend. Wozu hat man die Dinger gebaut?«
»Das weiß keiner. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber, aber sie stammen mindestens aus dem achtzehnten Jahrhundert. Viele glauben, man hat in den Tunnels Waren von den Docks heraufgebracht. Die Straßen waren damals nicht gepflastert, und wenn es geregnet hat, waren sie schrecklich schlammig. Dann gibt es noch eine romantische Theorie, dass man darin Contrabande befördert hat. Geschmuggelte Seide und Tee, auf die sie keine Steuern bezahlt haben, und solches Zeug mehr. Und die wirklich dämliche Geschichte ist, dass die Sklaven sie als Fluchtwege gebaut haben. Unmöglich. Vielleicht hat sie die Untergrundeisenbahn als Versteck benutzt, aber gebaut haben die sie sicherlich nicht; die stammen aus einer früheren Periode.«
»Untergrundeisenbahn? Ach ja, richtig, das war doch diese Organisation, die in der ersten Hälfte des neuzehnten Jahrhunderts entflohene Sklaven aus den Sklavenstaaten des Südens in den vermeintlich freien Norden beförderte.« Er drehte sich um und musterte sie im Halbdunkel des Kellergeschosses des Antiquitätenladens. »Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der heute andere Leute verblüfft.«
»Gewöhnlich macht man mir Komplimente wegen meiner Intelligenz, ehe man mir den Laufpass gibt«, sagte sie und runzelte dabei die Stirn.
Er schluckte. »Vielleicht hast du dich mit den falschen Jungs eingelassen.«
»Ja«, nickte sie, »vielleicht. Schau«, fuhr sie dann fort und zog die Glock heraus, »mir wird das Ding gegen die Posties nicht viel nützen. Hast du da drinnen irgendetwas Schwereres?« Sie wies auf seine Tasche.
»Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Das Problem ist nur, dass die alle ein wenig komplizierter sind.« Er zog den Reißverschluss der Tasche auf und begann sie auszuleeren. Rucksack und Schutzweste hatte er abgenommen, um die schwere Kommode wegzuschieben, die den Eingang zum Tunnel versperrt hatte. Er wies auf den Rucksack. »Mach den auf und nimm die Sachen heraus. Wir müssen sie uns teilen.«
Ein paar Minuten später war der Inhalt des Rucksacks und der Tasche am Boden ausgebreitet. Ein beeindruckendes Arsenal.
»Wir werden nicht einmal den dritten Teil von dem Zeug benutzen können, aber ich habe immer viel davon gehalten, vorbereitet zu sein.«
»Das sieht man«, sagte sie und griff nach einem der Sturmgewehre, die in der Reisetasche verstaut gewesen waren. »Was ist das denn?«
»Ein Galil .308. Eine gute Waffe gegen Posleen. Willst du es ausprobieren?«
»Okay, das sieht weniger kompliziert aus als das da.« Die andere Waffe schien mehr als einen Lauf zu haben.
»Stimmt. Das hier ist mein Liebling.« Er hob die Waffe auf. »Das ist ein AIW, ein Advanced Infantry Weapon, ein 7,62er Karabiner mit einem 20-mm-Granatwerfer darunter. Dreißigschüssiges Magazin für den Karabiner und fünf Schuss für den Granatwerfer. Laserprojektor. Eine klasse Waffe.«
»Ich nehme das hier«, sagte sie und hob das Galil auf. »Ist es geladen?«
»Nein.« Er nahm die Waffe, machte sie schussbereit, lud durch und sicherte sie. »Du musst es einfach gegen die Schulter drücken und den Abzug betätigen. Die hier hat auch ein Laserzielgerät, aber im nahen Infrarot, also sieht man es nur durch das Zielfernrohr.«
Er sicherte die Waffe und gab sie ihr zurück. »Sie ist jetzt nicht geladen. Ziele damit auf die Wand dort hinten und betätige den Abzug, während du durch das Zielfernrohr siehst.« Er war ihr behilflich, die Waffe gut an der Schulter anzulegen. »Siehst du den Punkt?«
»Ja, er wandert ständig herum.«
»Tief durchatmen«, sagte er und konnte nicht umhin, die angenehmen Dinge wahrzunehmen, die das selbst unter der Schutzweste an ihrer Anatomie bewirkte, »dann ›langsam ausatmen und ganz sanft drücken‹…« Beinahe hätte er so weitergemacht, wie das im Kurs üblich war, prustete aber bloß.
»Lach mich nicht aus!«, brauste sie auf und ließ die Waffe sinken. »Ich geb mir schließlich Mühe.«
»Weiß ich doch. Ich lach dich auch nicht aus«, sagte er und prustete wieder. »Ich wollte bloß nicht das sagen, was man uns bei der Ausbildung immer sagt.«
»Was denn?«
»Also pass auf, wenn die dir beibringen, wie man mit dem Abzug umgeht, dann sagen sie gewöhnlich ›langsam ausatmen und ganz sanft drücken, wie eine Titte‹, okay? Deshalb habe ich gelacht. Ich hätte es beinahe gesagt. Okay?«
»Okay«, nickte sie wieder besänftigt. »Wie man etwas so Dämliches, Primitives sagen kann«, fuhr sie fort.
»Ich hab ja versucht, es nicht zu sagen!«
»Als ob du wüsstest, wie es sich anfühlt, wenn man eine Titte drückt!« Sie verstummte und fuhr sich mit der Hand an den Mund, als ihr klar geworden war, was sie da gerade gesagt hatte.
»Danke«, lächelte er grimmig, »vielen Dank. Wenn du es wissen musst, ich garantiere dir, dass ich mehr als du davon verstehe, wie man Titten sanft drückt.«
»Oh, ganz bestimmt. Ich wette, dass du nach Kathy Smetzer in der fünften Klasse nie wieder mit einem Mädchen gegangen bist!«
»Himmel, du hast mich wirklich beobachtet, wie«, knurrte er.
»Die Stadt ist klein«, antwortete sie lahm.
»Richtig. Also, zu deiner allgemeinen Information, mein Dad hatte auch … ganz andere Vorstellungen, von wegen Sommerlager …«
Es dauerte einen Augenblick, bis sie begriffen hatte, was er damit meinte. »Oh, klar, eine Geschichte aus dem Sommercamp.«
»Das Camp, in dem ich immer bin, ist in Montana, eines für Jungs und Mädchen, das vom Nationalen Milizverband betrieben wird«, fuhr er fort. »Nicht, dass die dort besonders zu Sex ermutigen, aber Sexerziehung schon, à la ›so macht man es, Jungs und Mädels‹. In allen Einzelheiten. Und dann gibt es keine Vorschriften, nur dass alles freiwillig sein muss. Okay?«
»Du machst Witze.«
»Denkst du! Ich muss mir jedes Jahr all die Witzeleien und Beleidigungen anhören, muss wissen, dass in dem Camp der oder jener der Größte ist, der Beste in Nahkampf oder der, der sich am besten anschleichen kann. Und im Allgemeinen gehöre ich zu den Ersten. Und sämtliche Mädels dort sind große Klasse.«
»Du machst jetzt keine Witze.«
»Nein.«
»Also«, schnappte sie und kam wieder zum Thema ihrer Auseinandersetzung zurück, »sagen die Mädchen im Camp das auch, ›sanft wie eine Titte‹?«
»Manche«, sagte er mit einem verträumten Lächeln, weil die Worte eine Erinnerung in ihm weckten, »aber die meisten sagen ›sanft drücken wie einen Pimmel‹.«