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Interstate 1-95 in der Nähe der Virginia Staatsstraße VA 639, Virginia,
United States of America, Sol III
0629 EDT, 10. Oktober 2009
In den frühen Morgenstunden waren die Arbeiten an den Verteidigungsanlagen von Richmond praktisch zum Stillstand gekommen. Gelegentlich konnte man aus der Ferne Explosionen hören, und alle hingen wie gebannt an den tragbaren Fernsehgeräten mit den Berichten aus dem Hauptquartier der Continental Army. Die gewaltige Explosion bei Anbruch der Morgendämmerung und die Videoübertragung löste endlich den Bann, und die müden Soldaten und Zivilisten kehrten wieder an ihre Arbeit zurück, die Stellungen an der I-95 vorzubereiten. Unterdessen waren Teams von Frauen und Teenagern damit beschäftigt, entlang der Böschung Claymores und andere Minen anzubringen. Es sah nach einem heißen Empfang für die Posleen aus.
»Keine Müdigkeit aufkommen lassen, Boys and Girls«, sagte Sergeant First Class Mueller, als die ausgedehnte Pause schließlich zu Ende ging. »Wir sind als Nächste dran.«
»Sind wir bereit?«
»Ja, Mr. President. In Anbetracht der Tageszeit und aller Sende- und Empfangsprobleme werden wir keine große Zuhörerbeteiligung bekommen. Aber infolge des Notstands immerhin mehr als normal.«
»Es wird reichen müssen.« Er wandte sich an den Verteidigungsminister. »Wie ist die Lage beim Zehnten Korps?«
»Die sind umgekehrt und jetzt in Richtung Quantico unterwegs. Es hat ein wenig Durcheinander gegeben, aber ich bin sicher, dass sich das rechtzeitig einrenken wird.«
»Das will ich hoffen. Und das Neunte Korps?«
»Die sind nach Manassas unterwegs. Die gesamte Erste Armee, mit Ausnahme der 55th Armored Division, die gerade eine Landung in Maine angreift, ist nach Nord-Virginia unterwegs.«
»Maine. Maine, und wo sonst noch?«
»Arkansas, Kalifornien und Oregon haben alle mindestens eine Landung einer Kampfgruppe gemeldet«, antwortete die Vertreterin der FEMA nach einem Blick auf ihre Notizen. »Einige weitere Staaten mussten sich bereits mit einzelnen Landungsbooten auseinandersetzen. Aber nur Fredericksburg hat einen ganzen Battleglobe abbekommen. Wenn man von Fredericksburg und den Regionen absieht, aus denen noch keine ausführlichen Meldungen vorliegen, haben wir über fünfzehntausend Zivilisten als Opfer zu beklagen. Die meisten davon in den unmittelbaren Landungsgebieten, etwa zwei Drittel davon tödlich.« Sie setzte dazu an, mit einem Bericht über die Evakuierungsmaßnahmen im Norden Virginias fortzufahren.
Eine ohnehin schon schlimme Situation hatte katastrophale Ausmaße angenommen, als das Zehnte Korps gezwungen wurde, die Interstate 05 und den Beltway völlig abzuriegeln, um wenden zu können. Das Korps war inzwischen aus dem Weg, und die meisten Fahrbahnen beiderseits der Fernstraßen waren wieder für den Verkehr geöffnet worden, aber das gewaltige Verkehrschaos hatte sich noch nicht ganz aufgelöst. Anstatt mehr Verkehr als normal aufzunehmen, waren die Interstates fast verlassen. Millionen von Einwohnern Virginias waren jetzt zu Fuß in Richtung auf die Potomac-Brücken unterwegs.
»Fünfzehntausend Zivilisten«, wiederholte der Präsident mit finsterem Blick. »Großartig. Wie gefällt Ihnen das, Ihrem Präsidenten zu sagen, dass er bei Nacht und Nebel fünfzehntausend amerikanische Zivilisten verloren hat.«
»Und ein beinahe unersetzliches Pionierbataillon. Und eine Stadt, Sir«, fügte der Verteidigungsminister hinzu. »Im landesweiten Fernsehen, noch dazu. So, fühlen Sie sich jetzt besser?«
»Nein.« Der Präsident drehte sich zu der Maskenbildnerin um. »Sind wir fertig?«
»Nur noch einen Augenblick, Mr. President. Sie wollen doch Ihr bestes Gesicht zeigen, oder?«
»Das wird schwierig sein«, meinte er und sah wieder auf seinen Redetext. Es war nicht gerade die beste Rede, die er je gesehen hatte, aber in Anbetracht der kurzen Zeit, die dem Redenschreiber zur Verfügung gestanden hatte, war sie eigentlich recht gut.
»Sie müssen gut aussehen, Mr. President«, sagte sein Stabschef. »Es ist sehr wichtig, dass Sie gerade jetzt das richtige Gesicht zeigen. Sie dürfen nicht besorgt oder abgehärmt wirken. Das vermittelt die falsche Botschaft.«
»Würde mir jetzt bitte jemand etwas Neues sagen? Auf diese sinnlosen Ratschläge kann ich verzichten.«
»Der Kommandeur der 11th Mobile Infantry Division hat angerufen«, sagte der Verteidigungsminister und las aus einer E-Mail von CONARC vor. »Als ranghöchster Vertreter der Flotte hat er darum gebeten, dass wir darauf verzichten, das Dritte Bataillon der Fünfhundertfünfundfünfzigsten einzusetzen. Er hat vorgeschlagen, stattdessen das Erste Bataillon einzusetzen.«
»Hat er einen Grund genannt?«, fragte der Präsident sichtlich verwirrt. »General Olds wollte sie nicht haben, weil sie auf Urlaub sind, stimmt’s? Und ist es denn nicht so, dass der Kommandeur in Kalifornien feststeckt?«
»Nun, Mr. President«, meinte der Minister, »er hat darauf hingewiesen, dass das Erste im Gegensatz zum Dritten voll ausgebildet und erprobt ist. Das Dritte Bataillon hat erst die Hälfte der Ausbildung absolviert, Sir, und hat auch noch keinen Bereitschaftstest abgelegt.«
»Warum hat General Olds es dann vorgezogen, sie aus Kalifornien herzuholen, statt gleich das Erste Bataillon einzusetzen?«, wollte der Präsident wissen. Die Antwort, die er gerade bekommen hatte, hatte ihn in seiner Frage gerade bestärkt. »Ist das nicht das Bataillon, das ihm offiziell zugeteilt ist?«
Dem Verteidigungsminister war anzusehen, dass ihm die Frage unangenehm war. »Ich glaube, da müssen Sie General Olds fragen, Sir.«
»Ich frage aber nicht Olds, Robby. Ich stelle die Frage meinem Verteidigungsminister! Hat das wieder mit der geteilten Kommandostruktur zu tun?«
»Da müsste ich jetzt raten, Mr. President«, antwortete der Minister mit verkniffener Miene.
»Dann raten Sie«, herrschte der Präsident ihn an. Er war dieses Geschwätz allmählich leid.
»Ich denke, es könnte mit der Meinung zu tun haben, die General Olds von den Offizieren des Ersten Bataillons hat, Mr. President, weniger mit ihrer Bereitschaft«, bemerkte der Militäradjutant des Präsidenten.
Der Präsident drehte sich um und musterte den normalerweise meist schweigenden Brigadegeneral. Da seine Funktion in erster Linie darin bestand, den Informationsfluss in Gang zu halten und seine Ansichten für sich zu behalten, überraschte es den Präsidenten, etwas von ihm zu hören.
»Warum sagen Sie das?«
»Ich war bei der Besprechung über Fortress Forward dabei, Mr. President«, erklärte der Offizier mit unbewegter Miene, sein Gesicht wirkte dabei wie aus Mahagoni geschnitzt. »General Olds hat sich mehrfach äußerst negativ über das GKA-Konzept im Allgemeinen und einige der seinem Einsatzgebiet zugeteilten Offiziere des Bataillons im Besonderen geäußert.«
»Hat er Namen genannt?«, fragte der Präsident.
»Nein, Sir, aber die GKA-Präsentation, zu der er sich besonders negativ geäußert hat, wurde von Michael O’Neal vorgetragen.«
»Das ist doch der, der die Medal of Honor erhalten hat?«, fragte der Präsident überrascht. »Hat er sich dazu geäußert, was er gegen ihn hat?«
»Mr. President, lassen Sie mich noch einmal in aller Klarheit erklären, dass er Vorbehalte hinsichtlich des GKA-Programms und einiger Offiziere des seiner Armee zugeteilten Bataillons geäußert hat. Er hat nicht gesagt, dass er besondere Vorbehalte gegen Captain O’Neal habe, obwohl man das aus dem Zusammenhang vielleicht hätte entnehmen können.«
Der Präsident sah seinen Verteidigungsminister an. »Er ist Ihr Freund. Wollen Sie das erklären?«
Der Minister musterte den Militäradjutanten mit einem langen, prüfenden Blick, den der General erwiderte, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Brigadegeneral hatte drei Jahre lang die Scharfschützenschule der Special Forces befehligt und konnte den Blick länger halten als eine Katze. »Jim Olds ist ein erfahrener und kampferprobter Offizier mit einigen sehr profilierten Ansichten, Mr. President«, erklärte der Verteidigungsminister. »Davon beziehen sich viele auf das Wesen und die Funktion eines Offizierskorps innerhalb einer Armee. Darüber hinaus hat er auch ganz klare Vorstellungen davon, wie dieser Krieg geführt und wie die Mittel dafür verteilt werden sollten. Diese Ansichten stehen im klaren Gegensatz zu den Vorstellungen der Mehrzahl der GKA-Gemeinschaft.
In Anbetracht dieser Tatsachen bezweifle ich, dass General Olds übermäßig erbaut darüber ist, eine Kompanie unter seinem Kommando zu haben, die einen unangemessen hohen Anteil der Mittel erhält und von einem ehemaligen Sergeant befehligt wird. Und dass jener ehemalige Sergeant so starken Einfluss auf die Vorbereitung dieses Konzepts und die Ausbildung der GKA-Einheiten hatte, findet auch nicht gerade seinen Beifall.«
Mike manövrierte seinen Chevy Tahoe quer über den Mittelstreifen, kletterte dank des Vierradantriebs aus einem Graben heraus und kam dicht vor einem Fünftonner auf die Gegenfahrbahn. Als Mike in die Fahrbahn einbog, bremste der Fünftonner laut hupend, worauf Mike den Tahoe wieder auf den Mittelstreifen zurücklenkte, als er sah, dass er dort freie Bahn hatte. Der Pick-up polterte auf dem Rasenstreifen entlang, umfuhr Trucks, Busse und Humvees, die wegen irgendwelcher Pannen die Straße verlassen hatten, und hüpfte immer wieder über tiefe Reifenspuren anderer Benutzer. Mike hatte den Eindruck, sein halbes Leben auf der kurvenreichen Bergstrecke verbracht zu haben. Dabei hatte er gerade erst die Grenze von Virginia überschritten, und der Verkehr wurde eher noch dichter.
Er warf einen Blick auf das Head-up-Display, das den östlichen Teil der Vereinigten Staaten und die Bewegungen der militärischen Einheiten zeigte, und schnitt eine Grimasse. Murphys Gesetz bewies wieder einmal seine Allgemeingültigkeit.
»Captain O’Neal«, zirpte sein AID, »Anruf von Lieutenant Colonel Hanson …«
»O’Neal?«
»Yes, Sir.«
»Sie stecken im Verkehr fest, wie ich sehe.« Der Colonel verstand sich schon recht gut darauf, Informationen von seinem AID zu bekommen.
»Yes, Sir.«
»Ich stecke in Los Angeles fest. In einer knappen halben Stunde steige ich in den Zug, aber …«
»Shelly, taktische Karte, ganzer Kontinent.« Mike betrachtete die virtuelle Darstellung. Über die ganzen Vereinigten Staaten waren grüne und rote Zonen verteilt, darüber eine Unzahl Pfeile. »Das dauert mindestens zwei Tage, Sir. Es sei denn, die Sixteenth Cav wird mit den Gäulen fertig, die in Kansas gelandet sind.«
»Ja, sehe ich auch so. Und Flugzeuge verkehren ja wirklich nicht mehr. Im Landesinneren ist es zu ein paar verstreuten Landungen gekommen, und ein einziger Lander am falschen Punkt reicht ja schon aus.«
»Roger, kann ich nur sagen, Sir.«
»Wie lange werden Sie brauchen?«
Mike sah, wie vor ihm wieder einmal ein MP-Posten auftauchte, und der Hummer-25 richtete bereits den Lauf seines Maschinengewehrs auf den dahinjagenden Truck.
»Bei dem Tempo wahrscheinlich genauso lang, Sir. Ich will sehen, was sich machen lässt.«
»Na ja, ich habe mit Major Givens gesprochen, und wenn ich oder Major Rutherford es nicht rechtzeitig schaffen, fällt das Bataillonskommando an den S-3. Wen sollte ich denn Ihrer Ansicht nach als S-3 bestimmen?«
»Na großartig. Als ob ich Lust hätte, diese Operation zu planen.« Mikes Zweifel an Nightingales Fähigkeiten oder, was das anging, seinen eigenen, verschwieg er. Da stand ihnen ja einiges bevor! »Haben sie mitbekommen, was das Zehnte Korps geleistet hat?«
»Ja, prima. Ich würde gern wissen, was dort läuft?«
»Ich weiß es nicht, Sir, aber vor mir ist jetzt eine Straßensperre, und die muss ich überreden, dass sie mich durchlassen.« Er wurde langsamer, als der Leiter des MP-Teams aus dem Humvee stieg.
»Okay, viel Glück. Ich weiß nicht, ob Ihnen das hilft, aber ich befehle Ihnen hiermit, sich so schnell wie möglich bei der Einheit zu melden. Unter Einsatz aller Ihnen zweckmäßig erscheinenden Mittel.«
»Roger, Sir. Also dann, auch Ihnen viel Glück.«
»Danke. Ende.«
»Shelly, Verbindung mit First Sergeant Pappas.«
»First Sergeant Pappas ist nicht in Reichweite seines AID«, antwortete das AID.
Mike runzelte die Stirn. »Ist er auf dem Gelände?«
»Als er zuletzt erfasst wurde, ja. Aber er befindet sich nicht in Reichweite seines AID. Sein AID ist in seinem Büro. Er nicht.«
Mike, der ohne sein AID praktisch keinen Schritt tat, zuckte verblüfft die Achseln. »Okay, dann Lieutenant Nightingale.«
»Lieutenant Nightingale ist nicht in Reichweite ihres AID.«
»Was zum Teufel soll das?«, schimpfte Mike. »Ist denn überhaupt jemand in Reichweite seines AID?«
»Lieutenant Arnold ist erreichbar.«
»Schön, dann eben Tim.«
Einen Augenblick darauf meldete sich der Führer des Waf-fenplatoons. »Captain O’Neal?«
»Yeah, Tim. Hören Sie, ich stecke auf der I-81 im Verkehr fest. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird. Sagen Sie Top, dass ich eine Beurteilung für Nightingale haben will. Wenn sie der Aufgabe nicht gewachsen ist, soll er das auf meine Verantwortung Major Givens sagen. Mir ist egal, ob sie formal das Kommando behält, aber ich möchte, dass Gunny Pappas das Sagen hat. Klar?«
»Äh, ja. Yes, Sir.«
»Wissen Sie, wo der Gunny ist? Er ist nicht bei seinem AID.«
»Nicht genau. Ich will sehen, ob ich ihn aufspüren kann.«
»Okay.«
»Ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um so schnell es geht zurückzukommen, aber ich weiß nicht, ob es klappen wird.«
»Yes, Sir. Machen Sie es gut.«
»Danke. Ende. Corporal«, sagte O’Neal dann, kurbelte die Scheibe herunter und hielt seinen Ausweis hinaus, »mein Name ist O’Neal, Fleet Strike …«
»Liebe amerikanische Mitbürgerinnen und Mitbürger …«
Persönlich war dem Präsidenten dieser Satz verhasst, aber für eine Rede wie diese kam nichts anderes in Frage. Er starrte den Teleprompter an und unterdrückte sämtliche Zweifel. Obwohl er wusste, dass das Land einen schrecklichen Preis würde zahlen müssen, war er doch sicher, dass die Menschen in den Vereinigten Staaten diesen Preis verlangen würden, dass dieser Preis bezahlt wurde, weil Pflicht und Ehre es verlangten.
»… Sie alle haben unterdessen selbst die schrecklichen Ereignisse der vergangenen Nacht miterlebt. Innerhalb von zwölf Stunden haben Tausende amerikanischer Bürger ihr Leben verloren, und eine der geschichtlich bedeutsamsten Städte unserer Nation ist vom Antlitz der Erde ausgelöscht worden.
Ich fordere Sie jetzt auf, sich als Amerikaner dieser Herausforderung zu stellen, so wie wir uns bisher noch jeder Herausforderung in unserer Geschichte gestellt haben, mit Ehre, Mut und einem Gefühl der Pflicht gegenüber der ganzen Menschheit.
Die militärische Planung für eine Situation wie diese ist klar und eindeutig. Da die Posleen früher als erwartet hier eingetroffen sind und dies in überwältigender Zahl, besteht die angemessene militärische Reaktion darin, dass wir uns auf besseres Terrain zurückziehen, dass wir uns hinter den James und den Potomac im Norden und Süden zurückziehen, im Westen in die Appalachen, bis ausreichende militärische Verbände bereitgestellt sind, um den Feind auf dem Schlachtfeld zu besiegen.
Dieser Plan ist gut und gerecht und, wie dies bei amerikanischen Generälen stets der Fall war, ein Plan, der von der Sorge für die Soldaten getragen ist. Wenn die Zeit nicht ausreichen würde, um die Zivilbevölkerung zu evakuieren, würde die Entscheidung lauten, standzuhalten und den Vormarsch der Posleen zu verlangsamen, bis die Zivilisten evakuiert werden können. Aber wir haben genügend Zeit, diese Bereiche zu evakuieren. Manassas, Arlington und Alexandria, der ganze Norden und der Zentralbereich von Virginia werden evakuiert, während ich hier zu Ihnen spreche.« Er legte eine Pause ein, nicht aus Gründen der rhetorischen Dramatik, sondern um Mut für das zu sammeln, was er jetzt sagen würde.
Im ganzen Land beugten sich Amerikaner über ihre Radios und an den Orten, wo sie noch funktionierten, ihre Fernseher und warteten darauf, dass ihr oberster Repräsentant fortfuhr.
»Unglücklicherweise ist manchmal die angemessene militärische Reaktion nicht das, was das Land als Ganzes für richtig hält. In der Geschichte sind viele Fehler gemacht worden, weil nur die korrekte militärische Entscheidung getroffen wurde. Und genau dies ist der Grund dafür, dass das Militär in den Vereinigten Staaten und praktisch jeder Nation in der westlichen Welt unter ziviler Kontrolle steht. Wenn wir die richtige militärische Wahl getroffen hätten, hätten wir in Korea Atombomben abgeworfen. Die korrekte militärische Entscheidung hat uns in unserer Reaktion auf die Ardennen-Offensive geleitet. Korrekte militärische Entscheidungen hätten beinahe dazu geführt, dass die Deutschen den Ersten und den Zweiten Weltkrieg gewannen.
Und aus genau diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, mich über die ›korrekte militärische Entscheidung‹ hinwegzusetzen. Ich habe dem Zehnten Korps unserer Bodenstreitkräfte und dem Korps von Northern Virginia die Anweisung erteilt, Verteidigungsstellungen südlich des Occoquan River im Bereich des Marinestützpunkts Quantico zu beziehen und das Vorrücken der Posleen auf Alexandria, Arlington und Washington D.C. zu verhindern.
Darüber hinaus sollten die Soldaten des Neunten Korps und die Korps von Pennsylvania und New Jersey rechtzeitig eintreffen, um südlich von Manassas, Virginia, in Stellung zu gehen, einem Ort, dessen Name uns allen wohl bekannt ist. In manchen Teilen des Landes kennt man diese Region auch unter dem Namen Bull Run. Ein Stück Land, das vom Blut getränkt ist und in der Geschichte des Bürgerkriegs unserer Nation eine bedeutende Rolle gespielt hat.
Ich habe dies gegen massive Einwände meiner obersten Truppenbefehlshaber getan, weil ich glaube, dass dies der Wunsch des amerikanischen Volkes ist, und weil ich glaube, dass die ›korrekte militärische Entscheidung‹ eine Kleinigkeit außer Acht lässt: Wir sind angegriffen worden.« Diese schlichte Feststellung stieß er beinahe knurrend aus, wobei sein Gesichtsausdruck sich fast überhaupt nicht veränderte. »Zum ersten Mal seit beinahe zweihundert Jahren sehen sich die Vereinigten Staaten einer feindlichen Invasion ausgesetzt. Und das gefällt mir nicht. Wenn diese … Dinger untereinander kommunizieren, dann möchte ich, dass eines laut und klar an sie kommuniziert wird. Wenn man die Vereinigten Staaten angreift, führt das zu einer mächtigen Ladung Ärger.
Die Bilder aus Fredericksburg, so schrecklich sie auch sein mögen, zeigen deutlich, was Amerikaner, auch wenn man sie überrumpelt und sie einer gewaltigen Übermacht gegenüberstehen, auf eigenem Gelände diesen Kreaturen zufügen können. Als Ihr Präsident kann ich den Norden von Virginia einfach nicht preisgeben, ich kann es nicht, wenn ich jeden Morgen mein eigenes Bild im Spiegel sehen muss.
Ich habe diese Entscheidung getroffen, wohl wissend, dass sie den Tod einer großen Zahl von Soldaten bedeutet, die sich zum Dienst an ihrem Land verpflichtet hat.
Den Soldaten draußen im Feld habe ich nur dies zu sagen: Gehorcht den Befehlen, die man euch erteilt, sorgt für eure Kameraden und geht mit dem Wissen in den Kampf, dass nur wenige Dinge einem Menschen gewachsen sind, der im Recht ist und einfach nicht stehen bleibt. Viel Glück. Macht sie fertig. Stapelt sie auf wie Feuerholz.«
Mueller sah zu, wie die Technikerin Leitungen in das Schaltbrett der Sprengsteuerung stöpselte. »Wie weit sind wir denn mit der Verdrahtung?«, fragte sie. Ihre Hände bewegten sich in einer Art eleganter Hast, hielten kaum inne, wenn sie eine weitere Verbindung herstellte, und manchmal schienen ihre Finger im Licht der Morgendämmerung ineinander zu verschwimmen.
»Wir haben jetzt alle mit Ausnahme des äußersten Randes verdrahtet, und die Pioniere haben sämtliche Zünder platziert. Mit den Claymores sind wir noch beschäftigt, aber bis Sie so weit sind, sind die auch fertig.«
»Ich wünschte, wir hätten genügend Pyronics für diese Aufgabe«, sagte sie leicht verstimmt. »Ich arbeite nicht gern mit diesem Militärzeug, das immer vom billigsten Anbieter geliefert wird.«
»Hey, MILSPEC ist Weltklasse!«
»Dass ich nicht lache! Das können Sie den Amateuren sagen, Mann. Es gibt keinen Zünder auf der Welt, mit dem ich nicht schon gearbeitet habe, und ich wette mit Ihnen jeden Betrag, dass eine von diesen Sprengkapseln dann beim Systemcheck ausfällt. Diese blöden Militärkapseln sind einfach zu empfindlich.«
»Okay, dann sagen wir zehn Dollar, wenn Sie Unrecht haben.«
»Das war bloß eine Redensart. Ich trinke nicht, fluche nicht und wette auch nicht. Mein Leben ist auch so schon aufregend genug.«
»Was machen Sie denn sonst?«
»Na ja, früher hab ich mir mein Geld mit Gebäudesprengen verdient, aber in letzter Zeit habe ich freiberuflich gearbeitet.« Sie stellte die letzte Verbindung her und schaltete das Messgerät ein. »Wie sicher sind Sie denn, dass die nicht irgendwelche Sprengkapseln angeschlossen haben?«
»Nicht sicher genug.«
»Gute Antwort. Ich wollte bloß sehen, ob Sie Verstand im Kopf haben.« Sie richtete sich auf und drückte den Rücken durch, rieb sich das Kreuz. »Ich mache das auch lieber an einem Tisch.«
»Im Augenblick müssen wir alle für den Krieg Opfer bringen.«
»Na klar doch. Ich für meine Person habe die Schokolade aufgegeben. Ich geh jetzt eine Runde. Bleiben Sie hier und passen Sie auf, dass unter keinen Umständen jemand dieses Schaltbrett anfasst. Mir gefällt es nicht, wie all diese Amateure hier rumlaufen.«
»Ich dachte immer, ich sei auch einer.«
»Das schon, aber auf die Weise brauche ich mir bloß um einen Sorgen zu machen.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Da ich ja für die meisten ›Amateure‹ verantwortlich bin, hauptsächlich die Zivilisten, und eigentlich nicht hier festgenagelt sein sollte, hole ich jetzt einen Posten, dem verdammt klar ist, dass er nichts anfassen darf, und der auch nur einfache Befehle versteht, und mache ihm das so klar, dass er es unter Garantie kapiert.«
»Meinetwegen.«
Ein paar Augenblicke später kam Mueller mit einem der für die Bewachung der Baustelle eingesetzten Soldaten zurück. Da fünf Meilen weiter unten an der Straße Bradleys und Humvees in Stellung gegangen waren, war er sich sicher, dass die Posleen entdeckt werden würden, ehe sie den Hinterhalt erreichten. Aber die militärischen Vorschriften waren aus zahlreichen Situationen heraus entwickelt worden, wo Leute persönlich davon überzeugt waren, dass die Dinge so waren, wie sie sein sollten und dabei total falsch gelegen hatten. Und deshalb hatte Colonel Abrahamson – trotz der Überzeugung aller – für sämtliche Baustellen besonders strikte Sicherheitsmaßnahmen angeordnet.
Dies war die von Richmond am weitesten entfernte Stellung und vermutlich der Punkt, wo das Zwölfte Korps die erste Feindberührung haben würde. An diesem Punkt in der Nähe der Bezirksstraße 656 waren die Voraussetzungen für Panzereinsatz geradezu ideal. Im rechten Winkel zur Interstate wurde diese von einer Überführung entlang einer leichten Bodenerhebung überspannt. Im Norden der Unterführung verlief die Strecke auf beinahe zwei Meilen Länge schnurgerade. Eine halbe Meile von der Überführung entfernt reichte dichter Baumbestand bis zur Straße, und auch der Mittelstreifen war mit Bäumen bestanden. Zwischen den Bäumen unterquerte ein seichter Bach die Fernstraße, den man allem Anschein nach nicht einmal eines Namens gewürdigt hatte.
Jetzt hatten die Pioniere beiderseits der Straße, dicht hinter der Unterführung, auf einer Breite von fünfzig Meter das Erdreich weggesprengt und einen künstlichen Schutzwall errichtet, hinter dem sich ein Platoon Kampfpanzer mit nordwärts gerichteten 25-mm-Kanonen duckte. Sie würden aus teilgedeckter Stellung schießen können und so lange vor dem Feuer der Posleen geschützt sein, bis diese nahe genug herangerückt waren, um eine Bedrohung zu bilden. Sobald die Kavallerie erste Verluste erlitt, würden die Panzer im Schütze der kleinen Bodenerhöhung abrücken.
Und das Wäldchen war mit zweitausend Claymores vermint.
Jede Mine war ein kleiner, runder Behälter mit dünnen »Beinen« unten und Vorsprüngen für Sprengkapseln an der Oberseite. Die konvex gekrümmte Vorderseite war gemäß dem manchmal perversen Humor aller Soldaten mit der Aufschrift VORDERSEITE ZUM FEIND GERICHTET versehen. Die Mine bestand aus einer Plastikabdeckung, die einen dünnen Kugelfang aus Metall, ein halbes Kilo Composition-B-Sprengstoff und siebenhundertfünfzig kleine Metallkugellager enthielt, die nur wenig größer als Schrotkörner waren. Bei der Detonation spritzten die Kugellager kegelförmig nach vorne weg und zerfetzten alles, was ihnen im Weg war. Die Minen waren so konstruiert, dass sie auf eine Distanz von fünfzig Metern eine dreißig Meter breite Zone totaler Vernichtung erzeugten. Fünfzig Meter war ungefähr die Breite des Straßenkörpers, und die Claymores waren auf eine Länge von zweihundertfünfzig Metern mit jeweils zwei Metern Distanz beiderseits der Straße und beiderseits der Interstate platziert. Wenn die Minenkette ausgelöst wurde, würden beinahe eineinhalb Millionen Kugellager den Raum erfüllen, von denen jedes einzelne sich schneller als eine Gewehrkugel bewegte.
»Specialist Rossi«, stellte Mueller den Soldaten vor, »das ist Amanda Hunt, sie hat die Leitung des Sprengeinsatzes für die Claymores.«
»Ma’am«, sagte der Specialist mit einem kurzen Kopfnicken und einer angedeuteten Ehrenbezeigung. Ein militärischer Gruß kam nicht in Frage, aber er wollte zeigen, dass er ihrem zivilen Rang Respekt erwies.
»Miss Hunt wird jetzt die Schaltungen überprüfen.« Mueller wies auf das Schaltbrett. »Das hier ist die zentrale Kontrolle für die gesamt Aktion. Sie wird sich jetzt überzeugen, dass alles korrekt angeordnet ist. Das hier ist so etwas Ähnliches wie ein Clacker für eine Claymore, und deshalb würde sie ihn am liebsten mitnehmen. Aber dazu müsste sie ein paar weitere Verbindungen herstellen, und das kostet Zeit. Deshalb erhalten Sie hiermit Anweisung, an diesem Posten zu bleiben, bis Sie persönlich von Miss Hunt abgelöst werden. Verstanden?«
»Yes, Sergeant.«
»Ich habe das mit Ihrem Gruppenführer und Ihrem Platoon-Führer abgestimmt. Nun glaube ich zwar nicht, dass es dazu kommen wird, aber für den Fall, dass wir angegriffen werden, während Miss Hunt unterwegs ist, werden Sie hier bleiben, bis Miss Hunt Sie ablöst, verstanden? Sie werden nicht, ich wiederhole, nicht zu Ihrem Kampffahrzeug zurückkehren, sondern hier bleiben. Verstanden?«
»Ja, Sergeant.« Dem Soldaten war der Befehl sichtlich unangenehm.
»Für den Fall, dass Ihr Platoon abzieht, ehe Miss Hunt zurückkehrt, werden Sie das Schaltbrett zerstören. Versuchen Sie nicht es zu benutzen und lassen Sie auch nicht zu, dass jemand anderer das tut, auch niemand aus Ihrem Platoon und keiner der Pioniere. Verstanden?«
»Ja, Sergeant, verstanden. Warum?«
Mueller lächelte. »Weil es sein könnte, dass ich dort draußen bin und weil ich nicht möchte, dass irgendein Schwachkopf zweitausend Claymores hochgehen lässt, bloß weil jemand auf der Straße einen Gaul entdeckt hat. Und wenn Miss Hunt nicht zurückkommt, dann bedeutet das, dass ein oder mehrere Zünder nicht angeschlossen sind. Wenn sie zurückkehrt, nachdem Sie das Schaltbrett zerstört haben, kann sie wahrscheinlich die meisten davon trotzdem zur Explosion bringen.
Ich würde Ihnen gerne befehlen, so lange auf Ihrem Posten zu bleiben, bis die Posleen da sind. Das würde dieselbe Wirkung haben, es würde bedeuten, dass Sie und die Pioniere nicht mehr damit beschäftigt sind, Claymores anzuschließen. Aber ich erwarte nicht, dass Sie zurückbleiben, wenn Ihr Platoon abzieht. Sie befinden sich hinter der Brückenböschung, und der Abflusskanal führt genau in die Kampfzone, deshalb können Sie, selbst wenn sie noch nicht zurück ist und wir unter Beschuss geraten sind, immer noch aushalten, bis die Fahrzeuge sich in Bewegung setzen, also bleiben Sie hier, bis Sie abgelöst werden. Verstanden?«
»Verstanden.«
»Wiederholen.«
»Ich soll auf diesem Posten bleiben und niemanden außer Miss Hunt an dieses Schaltbrett heran lassen, bis ich persönlich von Miss Hunt und sonst niemandem abgelöst werde. Dieser Befehl gilt, bis mein Platoon sich aus seiner Stellung entfernt. In diesem Fall soll ich das Schaltbrett zerstören und mich mit meinem Platoon zurückziehen.«
»Miss Hunt?«
»Okay.« Man konnte ihr ihre Skepsis ansehen. »Aber wenn ich nicht zurückkomme, kann ich mir nur wünschen, dass Ihr Boss so lange wie möglich wartet.«
Während sie in ihrem Pick-up wegfuhr, musterte Mueller den Soldaten scharf.
»Wie lange bleiben Sie hier?«
»Bis sie zurückkommt oder die Posleen zu schwärmen anfangen. Ich hole mir ein Funkgerät aus meinem Fahrzeug, dann kann ich bis dahin Zielwerte durchgeben.«
»Richtig.« Mueller sah zu den Zivil-Handwerkern hinunter, die jetzt abzogen. Sie waren zur nächsten Stellung unterwegs.
»Irgendwelche Nachrichten von den Kundschaftern?«
Der Soldat zog ein Gerät aus seiner Schenkeltasche und tippte an die Tastatur. Es hatte etwa die Größe eines Handys aus den neunziger Jahren und war an der Hinterseite mit einer Trageschlaufe versehen, die besonders dann nützlich war, wenn man unter Feuer geriet. Das Displayfenster leuchtete auf, als er ein paar Optionen eintastete, und zeigte schließlich das Gesuchte.
»Nee, die Posleen, die die beobachten, sind immer noch um ihren Lander verteilt. Da wird auch Panzerung gemeldet, vielleicht einer von ihren Gottkönigen. Aber sie scheinen noch nicht hierher in Bewegung.«
»Nett«, sagte Mueller. »Was ist das?«
»Haben Sie noch nie eines gesehen?«, fragte der Kundschafter überrascht.
Mueller zeigte ihm sein Handgelenk, wo er an einem dünnen Armband sein GalTech-AID trug. »Ich benutze ein AID.«
»Oh, na ja, das ist eine Kombination aus dem IVIS und dem ANCD«, sagte der Scout und benutzte die beim Militär üblichen Abkürzungen für das Inter Vehicular Intelligence System und das Automated Network Control Device.
»Dann ist das sowohl ein Anzeigegerät für taktischen Einsatz wie auch ein Code-Buch?«, fragte Mueller.
»Stimmt. Es sendet die eigene Position zu den Kommandofahrzeugen, die die Daten sammeln und sie weitergeben. Und dann kann man damit Informationen von den eingesetzten Fahrzeugen holen. Wenn ich also beispielsweise das Schlachtschiff aufrufen wollte, suche ich nur nach … wie hieß es doch?«
»Die North Carolina.«
»Richtig.« Der Mann schlug ein paar Tasten an und verzog dann das Gesicht. »Es will mir keine Navy-Informationen liefern. Warum in drei Teufels Namen treiben wir diesen Aufwand mit operativer Sicherheit, wenn die Posleen die Informationen gar nicht benutzen?«, fragte er rhetorisch.
»Woher bekommt es denn seine Standortdaten?«
»Triangulation von den Fahrzeugen. Die bekommen es von Werten anderer Fahrzeuge, die ihre harten Positionsdaten von den überall verteilten Positionsmeldern bekommen. Auf dem Weg hierher sind wir auf einen gestoßen, und nach dem Leitsystem sind wir ziemlich genau da, wo wir auch sind – unter der Brücke –, es scheint also zu funktionieren.« Er tippte das Gerät erneut an. »Ich kann zwar von der Artilleriebatterie, die uns angeschlossen ist, Beschuss anfordern, aber zur Navy komme ich nicht durch.«
»Sie können Beschuss bestellen?«, fragte der Sergeant der Special Forces.
»Yeah, für alle Fälle, Sie wissen schon, auch wenn es bloß ein Tropfen auf den heißen Stein ist.« Der Soldat schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nur, dass ich das nicht muss. Das würde nämlich bedeuten, dass die Kommandokette bis zu mir heruntergerückt ist, verstehen Sie? Wie funktioniert denn dieses Ding?«, wollte er wissen und deutete auf das AID.
»Mehr oder weniger genauso.« Mueller hob sein Handgelenk. »AID, Gefechtsfeldplan fünf Meilen Umkreis.« Vor den beiden Soldaten erschien eine dreidimensionale holografische Projektion des Gefechtsfeldes. Während sie zusahen, skizzierte das Gerät die Einheiten ein, Freund wie Feind. »Nur ein wenig einfacher.«
Der Soldat schüttelte erneut den Kopf. »Warum haben Sie mich gefragt?«
»Eigentlich dachte ich, Sie würden sagen: ›Ah ja, ich habe im Radio gehört …‹«. Mueller ließ das Gerät sinken, worauf dieses entschied, dass die Demonstration beendet war, und die Darstellung abschaltete. »Ich konnte ja schließlich nicht wissen, dass Sie Ihren eigenen Gefechtsfeldcomputer rausziehen würden.«
Der Soldat lächelte. »Ich mag das Ding wirklich.«
»Wie lautet denn die Anweisung für vorgeschobene Späher?«, erkundigte sich Mueller und fragte sich im Stillen, ob wohl alle die gleiche Anweisung bekommen hatten. »Sollen die sich außer Sichtweite halten?«
»Aber klar. Die werden doch nicht die Nase rausstrecken. Mann. Wenn man will, dass die Posleen einem folgen, braucht man sie doch bloß anzugreifen.«
»Ja, so wie man Schweine führt.« Mueller merkte, wie ein Gedanke in seinem Kopf Gestalt annahm.
»Hä?«, fragte der in einer Stadt aufgewachsene Specialist von der Kavallerie.
»Ein Schwein führt man am besten, indem man ihm einen Stups auf die Nase gibt«, meinte der Sergeant mit einem abwesenden Lächeln.
»Oh. Also jedenfalls bleiben wir so lange versteckt, bis der Colonel es anders befiehlt.«
»Yeah, das ist das Beste.«
»Ich hätte gedacht, das würden Sie auch wissen.«
»Warum?«, fragte Mueller argwöhnisch.
»Na ja, das war doch ein Team von den Special Forces, das die auf Barwhon zusammengeschossen haben, oder nicht?«, fragte der Specialist.
»Tatsächlich war es ein gemischtes Team: ein paar Special Forces, Marines und ein SEAL.«
»Und die haben in einem Posleen-Camp rumgestochert und ein paar Gottkönige erledigt, aber dann haben die sie in den Hintern getreten, stimmt’s?«
»Mehr oder weniger.«
»Also wollen wir das doch nicht tun, oder, Sergeant?«
»Wir wollten das auch nicht«, gab Mueller mit grimmiger Miene zu.
»Warum haben die es dann getan?«
»Wir hatten Anweisung von weiter oben, ein paar Posleen für medizinische Experimente zu schnappen. Das hat uns nicht sonderlich gefallen, und was dann rausgekommen ist, noch viel weniger. Wir haben zwei Leute verloren, die in der Special Ops-Gemeinschaft wahre Legenden waren – Sandra Ellsworthy und Arthur Tung –, und als wir dann wieder zu unserem Himmit-Scout zurückgekehrt waren, waren wir vor Müdigkeit und Vitaminmangel halb tot.«
»Moment mal, wenn Sie ›wir‹ sagen, heißt das, dass Sie bei dem Team dabei waren?«, fragte der Mann mit großen, runden Augen.
»Ich, Ersin und Mosovich. Wir waren die einzigen Überlebenden.«
»Scheiße, Mann, tut mir Leid. Ich, also wissen Sie …«
»Ja, schon gut, Sie konnten das ja nachweislich nicht wissen. Aber wir sind wirklich bloß in dieses Camp reingegangen, weil wir dazu Befehl hatten. Das wirklich Dumme war, dass der ganze Einsatz zu dem Zeitpunkt bereits überholt war. Die wollten einen Posleen, um ihn zu studieren, aber bis wir damit zurückkamen, hatten die so viele Gefangene und Posleen und eingefrorene Posleenstücke von Diess, dass die ihnen zu den Ohren rauskamen. Eine totale Pleite.«
Mueller verstummte, und seine Züge verhärteten sich, als er daran dachte, welche Folgen dieser unsinnige Befehl gehabt hatte. Der General, dessen Idee das Ganze gewesen war, hatte sich nie dazu geäußert, von einer Entschuldigung ganz zu schweigen. Er hatte einfach die Orden verteilt, ihnen auf die Schulter geklopft und war weitergezogen, seinem nächsten Stern entgegen. »Worauf ich hinaus möchte ist jedenfalls: Ich bin unbedingt dafür, dass Kundschafter sich versteckt halten.« Er blickte die Straße hinunter. »AID, wie sieht’s aus mit dem Einbau?«
»Die Pioniere berichten, dass sämtliche Claymores eingebaut sind, alle Drähte gelegt, alle Sprengkapseln angebracht und bereit, verdrahtet zu werden. Die Pionierteams sind bereit, mit dem Verdrahten anzufangen, sobald Miss Hunt den Befehl gibt.«
»Okay, dann sag dem Pionier Lieutenant, er soll die Zivilisten zu den Bussen schicken, damit die zur nächsten Position fahren können. Wie sieht es dort mit den Claymores aus?«
»Sie werden gerade abgeladen, aber wir haben nur siebenhundert bekommen, den Rest hat man zu den Stellungen an der U.S. 1 und der U.S. 301 umgeleitet. Wenn die Zeit reicht, wird man uns noch einmal welche schicken, sobald eine Sendung aus der Fabrik eintrifft. Die bauen sie dort so schnell sie können.«
»Wo ist Ersin?«
»Master Sergeant Ersin ist bei den vorgeschobenen Kundschaftern.«
»Verdammt. Na, sag ihm, er soll gut auf sich aufpassen.«
Mark Ersin stellte seinen rein optischen Feldstecher scharf und seufzte verhalten. Er und die anderen Scouts trugen Ghillie-Anzüge, Overalls, an die man Stoffstreifen genäht hatte und die es beinahe unmöglich machten, sie in dem Gebüsch ausfindig zu machen, in dem sie sich versteckt hielten. Aber Ellsworthy hatte einen ähnlichen Anzug getragen, als sie gefallen war. Gegen Posleen-Sensoren bot ein Ghillie-Anzug wenig Schutz.
Die Posleen, ein Gottkönig und an die dreißig Normale, waren offensichtlich als Rückendeckung für den Lander zurückgelassen worden. Das war deutlich weniger als die normale Truppenzahl, die mit einem Gottkönig verbunden war, und Ersin war beunruhigt und fragte sich, wo die übrigen wohl stecken mochten.
Das Landungsschiff ragte auf dem Gelände einer ehemaligen Tabakfarm auf. Unter dem Rand des Raumschiffs stand ein Traktorteil heraus. Kurz nachdem die Scouts in Stellung gegangen waren, hatten der Gottkönig und die Normalen angefangen, das Gelände zu vermessen, und wenn man davon absah, dass etwas später ein kleiner Antigravtank eingetroffen war, der jetzt auf der Interstate parkte, hatte sich eigentlich nichts getan.
»Drei Fünf Echo Zwei Eins, hier Neun Acht Bravo Eins Sieben, bestätige Whiskey Tango, Ende«, flüsterte es aus dem Funkgerät des Scouts.
»Was?«
»Ich wiederhole, Drei Fünf Echo Zwei Eins, hier Neun Acht Bravo Eins Sieben, bestätige Whiskey Tango, Ende«, wiederholte die Stimme.
»AID, wer ist das?«, flüsterte Ersin.
»Master Sergeant Ersin, das ist die Feuerleitzentrale der Divisionsartillerie der Neunundzwanzigsten Infanteriedivision.«
»Was? Direkt?« fragte der Sergeant, und sein etwas asiatisch wirkendes Gesicht nahm einen verblüfften Ausdruck an. Seine Nase zuckte wie die einer Ratte, die Käse schnüffelt.
»Ja, Master Sergeant.«
»Wie lautet die Bestätigung?«
»Ich habe ein ANCD hier«, flüsterte einer der Kavalleriesoldaten und zog ein Gerät aus der Schenkeltasche.
»Lassen Sie nur«, sagte Ersin.
»Bestätigung lautet Mike.«
Ersin griff nach dem Handgerät und betätigte ein paar Tasten. »Neun Acht Bravo Eins Sieben, hier Drei Fünf Echo Zwei Eins. Bestätigung Mike, Ende.«
»Echo Zwei Eins, benötige Feuereinsatz, Ende.«
»Was? Noch mal, Bravo Eins Sieben?«
»Echo Zwei Eins, ist Feind in Sicht?«
»Roger, Ende.«
»Benötige Feuereinsatz, Ende.«
Ersin runzelte die Stirn und atmete tief durch. »Bravo Eins Sieben, hier Echo Zwei Eins. Negativ, wiederhole negativ. Bleiben Sie künftig aus diesem Netz raus. Ende.«
»Echo Zwei Eins, hier Bravo Fünf Neun. Ende.«
»Okay, AID, wer ist das?«, erkundigte sich Ersin ärgerlich.
»Der Kommandeur der Divisionsartillerie.«
»Scheiße.« Er überlegte einen Augenblick lang und griff dann wieder nach dem Funkgerät. »Bravo Fünf Neun, hier Echo Zwei Eins. Negativ Feuer. Ich wiederhole, gemäß Anweisung Korps negativ Feuer. Aus meinem Netz. Ende.«
»Echo Zwei Eins, hier Bravo Fünf Neun. Das ist ein Befehl. Beschuss anfordern, ich wiederhole, Beschuss anfordern, Ende.«
»AID, du nimmst Verbindung mit dem Korps auf und gibst diese Sendungen mit Erklärung durch. Jetzt sofort. Bravo Fünf Neun, benötige elektronische Autorisation und Link. AID, du nimmst das Link nicht an.«
»Das muss ich. Bravo Fünf Neun hat den höheren Rang.«
»Genau genommen nicht, sind wir denn nicht zu Fleet Strike versetzt worden?«
»Ihr Team ist noch nicht offiziell versetzt worden.«
»Okay, wie sieht es dann mit geteilten Befehlsvollmachten aus? Ich falle unter die Zuständigkeit von CONARC, nicht des Korps, und wir haben Befehl vom Korps, nicht zu feuern.«
»Jüngste Befehle eines ranghöheren Offiziers haben Vorrang gegenüber früheren Befehlen. Generalvorschrift, Bodenstreitkräfte Eins Bindestrich Eins Null Fünf. Link bestätigt. Posleen-Positionen übermittelt.« Dann folgte eine kurze Pause. »Hundertfünfundfünfziger Feuer eingeleitet. Ihre Position ist ebenfalls registriert. Die folgend den Regeln für enge Unterstützung gemäß Doktrin.«
»Verdammt! Hast du das Korps verständigt?«
»Ich kann augenblicklich keine Verbindung zum Korps bekommen, zu viel Funkverkehr. Material per E-Mail übermittelt.«
»Verbinde mich mit Sergeant Major Mosovich«, herrschte er das widerspenstige Gerät an, als der Himmel bereits zu brüllen begann.
»Er hat was?«, brüllte der normalerweise eher zurückhaltende Kommandeur des Zwölften Korps.
»General Bernard hat seine Artillerie angewiesen, die Posleen Positionen in der Nähe der Virginia 639 unter Beschuss zu nehmen.« Der Operations Officer des Korps sah aus, als hätte er etwas getrunken, hätte dabei Wasser erwartet, aber stattdessen ungesüßte Zitronenlimonade bekommen. In gewisser Weise hatte er das auch.
»Schicken Sie einen Militärpolizisten in das Hauptquartier der Neunundzwanzigsten Infanteriedivision. Weisen Sie den Mann an, General Bernard wegen Insubordination und direkter Befehlsverweigerung unter Arrest zu stellen. Schicken Sie General Craig, damit er dort das Kommando übernimmt.«
»Craig ist nicht von der Garde, Sir.«
»Scheiß drauf. Das ist das letzte Mal, dass ich mir von diesem beschissenen Divisionskommando und seinem Stab eine solche Verantwortungslosigkeit gefallen lasse. Sagen Sie George, er soll diese Idioten an die Kandare nehmen. Dann stellen Sie Kontakt mit der Divisionsartillerie her und sagen denen, dass der Befehl widerrufen ist. Setzen Sie den Kommandeur ab und veranlassen Sie, dass er sich hier meldet, an seiner Stelle soll sein XO bis auf Weiteres den Befehl übernehmen. Sagen Sie dem XO, er soll sich schon mal überlegen, wo er hingehen will, sofern er mir nicht schleunigst beweist, dass er fähig ist, das Kommando zu behalten.«
»Yes, Sir.«
»Und dann verbinden Sie mich mit Colonel Abrahamson. Der muss wissen, dass wir möglicherweise schon früher losschlagen.«