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Fort Indiantown Gap, Pennsylvania

United States of America, Sol III

0922 EDI, 5. September 2009

Der Prüfer war ein Major von der Vierten Fleet Strike-Division. Im Augenblick war seine Einheit in das Kampfgeschehen auf Barwhon verwickelt. Er war ein dunkelhäutiger, blauäugiger Eisenfresser von der Art, wie die Marines ihn gern auf ihren Rekrutierungsplakaten darstellten, aber sein Panzer war lobenswert zerbeult. Wenn man gegen die Posleen kämpfte, gab das ständig irgendwo Schrammen und Kratzer. Die Nanniten, die den Anzug instand hielten und dazu überall in der Unterschicht verteilt waren, konnten, wenn man ihnen genügend Zeit ließ, sämtliche Wunden an der Oberfläche beseitigen. Aber dabei blieb gewöhnlich eine leichte für das geschulte Auge unübersehbare Verfärbung zurück. Reparierte Schrammen und Kratzer verliehen ebenso Ansehen wie Narben, waren wie Abzeichen, die besagten, dass man die Kämpfe in vorderster Linie mitgemacht hatte. Ein makelloser Panzer, wie der Mikes, war ein Zeichen dafür, dass man entweder die totale Hölle hinter sich hatte oder ein Greenhorn war.

Der Prüfer hatte während der gesamten Einsatzbereitschaftstests keine Miene verzogen. Mike machte sich hinsichtlich der Ergebnisse keine großen Gedanken; er hatte ja schließlich die Prüfungsordnung praktisch selbst geschrieben und war sorgfältig darauf bedacht, sich in jeder Phase der Übung buchstabengenau daran zu halten. Dennoch fragte er sich, was der Major von dem hielt, was er zu sehen bekam.

Sie waren gerade in der Schlussphase der letzten Übung, einem vorbereiteten Verteidigungsmanöver der Kompanie, als über die Berge das erste Gewitter heranzog und das Herannahen des Herbsts ankündigte. Die dicken schnell dahinrasenden Kumuluswolken fingen an, den Himmel zu verdunkeln, als Mike zu dem Major auf der Hügelkuppe hinaufrannte. Mike löste seinen Helmverschluss, wobei das Molekularsiegel in der Nachmittagssonne grell leuchtete, zog sich den Helm mit einem schmatzenden Geräusch vom Kopf, als das Gel sich löste, klemmte ihn sich unter den Arm und schob fragend eine Augenbraue hoch.

»Der Planung nach lässt dieses Szenario keinen Erfolg zu«, erklärte der Major und nahm seinen Helm mit einem charakteristisch schlürfenden Geräusch ab. Seine dunkle Haut konnte nur aus einem Sonnenstudio stammen; GKA-Leute waren in der Regel weiß wie Kellerasseln. Ein kalter Lufthauch verdrängte plötzlich die schwüle Herbstwärme, als ein Wirbelwind den Staub und die Blätter auf dem Hügelkamm aufwirbelte.

»Ja, Sir, ich weiß«, sagte Mike vorsichtig. »Ich habe es geschrieben.«

»Sie wissen offensichtlich auch, wie man es trotzdem schlagen kann«, bemerkte der Major. »Hatten Sie vor, das auch anderen beizubringen?« Mike konnte die letzten Nanniten, die auf der Kopfhaut des ehemaligen Marine zurückgeblieben waren, den Helm hinunterhuschen sehen. Das silberne Rinnsal zuckte in der Nachmittagssonne wie vernunftbegabtes Wasser. Der in die Länge gezogene Tropfen ragte hinter dem Kopf des Majors auf, schien dann plötzlich sein Ziel weiter unten zu spüren und sprang in den Helm.

»Das ist nichts, was ich systematisch lehren könnte, Sir«, gab O’Neal zu und runzelte dabei die Stirn. »Man muss dazu die Bewegungen der Posleen vor sich sehen und die eigenen Einheiten so verteilen, dass sie darauf reagieren können, gleichzeitig die Artillerie richtig einsetzen und gute Beobachter haben. Ich schaffe das höchstens in einem von zehn Fällen. Diesmal war es relativ leicht, und ich habe mich gefragt, ob nicht der Controller irgendwie eingegriffen hat. Die Posleen haben sich in der letzten Angriffsphase … uncharakteristisch verhalten. Sie waren beinahe ängstlich.« Er spuckte in seinen Helm. Der Tabaksaft bildete kurzzeitig einen braunen Fleck auf der wogenden grauen Fläche, war aber einen Augenblick später verschwunden; die Unterschicht hatte ihn absorbiert, und jetzt war der Saft bereits auf der langen Reise, an deren Ende er wieder Nahrung sein würde.

Wieder peitschte ein Windstoß die Äste der Buchen, deren Laub bereits gelb zu werden begann, und man konnte einen Zweig knacken hören. Ein Donnergrollen ging über das Tal, und in der Ferne blitzte es.

»Da zieht ein Sturm auf«, meinte der Major und blickte zu den düsteren Wolken hinauf. Der Himmel fing an schwarz zu werden.

»Wie bitte?«, schrie Mike, der nicht verstanden hatte, was der andere gesagt hatte.

»Ein Sturm zieht herauf«, brüllte der Major und setzte seinen Helm wieder auf. Als Mike es ihm gleichtat, fuhr er fort: »So heftige Böen wie jetzt gerade kündigen immer einen Sturm an.« Als der Himmel dann seine Schleusen öffnete und es zu regnen begann, schauderte Mike, als würde er frösteln; natürlich war das durch den Panzer nicht sichtbar. »Das ist häufig der stärkste Wind im ganzen Sturm.«

»Die Anpassung an das Handeln der Posleen ist ein Zufallseffekt, der auf ihrem Verhalten auf Barwhon basiert«, fuhr der Prüfer fort. »Es hat tatsächlich den Anschein, als würden sie gelegentlich ängstlich werden, wie Sie es formuliert haben. Gute Übung«, fügte er dann hinzu.

»Danke, Sir, wir geben uns Mühe.«

»Nicht, dass ich Sie hätte durchfallen lassen können, selbst wenn Sie das verdient hätten.«

»Ich hoffe, das ist nicht der Fall.«

»Keine Sorge, Captain. Wie es aussieht, ist Ihre Kompanie gut auf die Invasion vorbereitet«, beruhigte ihn der Major. O’Neals Ruf als Entwickler neuer Taktiken und Champion im Anzugkampf war seit Diess noch gewachsen. In der Flotte gab es allerdings auch eine ganze Menge Leute, die O’Neals Ruf für gewaltig übertrieben hielten. Aber der Major zumindest schien nicht zu ihnen zu gehören oder es sich in letzter Zeit anders überlegt zu haben.

Mike sah zu, wie sich seine Kompanie im Tal sammelte, während sich vor seinem inneren Auge eine Vision von silbernem Feuer und Schwärmen gelber Zentauren aufbaute. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen da zustimmen, Sir. Das wünschte ich mir wirklich.«

»Captain O’Neal«, ließ sich plötzlich die Stimme des Bataillonskommandanten in seinem Ohrhörer vernehmen. »Yes, Sir?«

»Sofort beim Bataillon melden.«

»Yes, Sir.« Er salutierte. »Sir, ich muss gehen.«

»In Ordnung, Captain«, sagte der Major und erwiderte die Ehrenbezeigung, »viel Glück.«

»Ihnen auch, Sir«, sagte Mike. Er ließ die zur Ehrenbezeigung erhobene Hand sinken und hastete die Hügelflanke hinunter. Im Laufmodus bewegten sich seine Beine so schnell, dass sie für den Betrachter ineinander zu verschwimmen schienen.

Der Colonel wartete vor seinem Befehlsfahrzeug – einem umgebauten Humvee, weil sie bis jetzt noch keine modernisierten Kampfshuttles erhalten hatten. Die erste Generation der Kampfshuttles war noch vor dem Einsatz als unzulänglich definiert worden, als die Menschen festgestellt hatten, dass eine der galaktischen Rassen, die Himmit, über eine unglaublich wirksame Tarntechnologie verfügten.

Die Himmit waren eine äußerst wissbegierige Spezies von Feiglingen. Obwohl ein altes englisches Sprichwort sagte, dass die Neugierde der Tod der Katze sei, hatte sie den Himmit nie geschadet, sie verstanden sich nämlich ausnehmend gut darauf, sich zu verstecken. Dank dieser Fähigkeit hatten sie zahlreiche Posleen-Welten ausgekundschaftet, ohne je dabei ertappt zu werden. Zunächst hatten die Menschen darauf keinen Gedanken verschwendet, bis dann die ersten menschlichen Spezialkommandos versucht hatten, es ihnen gleichzutun und jämmerlich gescheitert waren. Eine kleine Notiz in dem mehrere hundert Seiten umfassenden Bericht dieses Einsatzes führte zu mehr Veränderungen in der weiteren Planung der Verteidigungsmaßnahmen als der ganze restliche Einsatz.

Die Waffen in den Untertassen-Jeeps der Posleen-Gottkönige hatten kontinentale Reichweite und automatische Zielerfassung. Für ballistische Waffen schienen sie zwar blind zu sein, dafür aber fegten sie alles, was irgendwie einen Antrieb besaß, in dem Augenblick weg, in dem es über den Horizont heraufkam. Taktische Operationen unter Einsatz von Flugzeugen waren deshalb illusorisch.

Die ersten Teams, die das galaktische Kriegsgerät entwickelten, das von den Menschen benutzt werden sollte, wie beispielsweise die Kampfanzüge und die Weltraum-Dreadnoughts, konstruierten ein Kampfshuttle, das massiv gepanzert, unglaublich schnell und überraschend manövrierfähig war. Auf Diess mussten sie dann allerdings feststellen, dass es dennoch den Werfern der Gottkönige nicht gewachsen war; von neun Kampfshuttles, die man ausgesandt hatte, um das von den restlichen Truppen abgeschnittene GKA-Platoon des damaligen Lieutenant O’Neal herauszuhauen, hatte nur eines überlebt.

Die Antwort auf diese Situation lautete: Tarnkappentechnik. Unter Einsatz einer Kombination menschlicher und Himmit-Tarntechnik wurde eine neue Generation von Kampfshuttles geschaffen, deren Panzerung etwas weniger stark war, die dafür aber noch schneller und noch besser manövrierbar waren. Und das Beste daran: Die neue Konstruktion verfügte über ausgezeichnete Tarnsysteme.

Die Shuttles zeigten auf menschlichen Radarsystemen negativen Querschnitt und erschienen auf galaktischen Detektoren nur als flüchtige Gespenster; bei Unterschallgeschwindigkeit sorgten Projektoren sogar dafür, die Turbulenzzonen zu glätten. Die ersten Prototypen waren auf Barwhon eingesetzt worden, wo die Menschen einen verzweifelten Kampf in den Sümpfen geführt hatten. Sie erlitten zwar weiterhin Verluste, aber jetzt in einem halbwegs akzeptablen Ausmaß.

Bis sie jedoch an die Fleet Strike-Einheiten Terras ausgeliefert wurden, würde noch einige Zeit vergehen, und deshalb benutzten die Bataillone bis dahin eine Mischung aus modernem und futuristischem Gerät, wie zum Beispiel den umgebauten Humvee mit einem Kommunikations- und Einsatzplanungszentrum galaktischer Herkunft. Das beeinträchtigte zwar ihre Beweglichkeit etwas, nicht aber lokale Kampfaktivitäten.

Colonel Hanson begrüßte seinen Chef der Bravo-Kompanie mit einem metallisch klirrenden »High-Five« der HipHop-Generation, indem er hoch über dem Kopf Mikes mit der rechten Hand gegen dessen rechte Hand klatschte. »Airborne, Captain! Die suchen einen Fehler, über den sie palavern können!«

»Na ja, ich denke, ich hätte vielleicht im dritten Einsatz etwas früher Salvenfeuer geben sollen«, meinte Mike ernst. »Die Welle, die es durch das Feuer geschafft hat, hatte etwa drei Prozent mehr Verluste, als sie hätte haben dürfen. Ich muss einfach jemanden finden, an den ich die Feuerleitung delegieren kann.«

»Na schön, ich werde Sie einfach ohne Abendessen ins Bett schicken müssen!« Der begeisterte Bataillonskommandant lachte. All seine anderen Kompanien lieferten erwartungsgemäße Leistung, aber O’Neals Bravo-Kompanie hatte ganz eindeutig den Vogel abgeschossen; er hatte jede einzelne vor der Prüfung aufgestellte Schätzung mit Höchstwerten übertroffen. »Ich denke nicht, dass die das merken werden, wenn ich ehrlich bin, und ich hab’s auch nicht bemerkt. Ich glaube nicht, dass die irgendwelche Minuspunkte finden werden.«

»Ich dachte nicht, dass man eine Einsatzbereitschaftsprüfung mit Maximalwert bestehen kann«, sagte Mike.

»Möglicherweise haben Sie einen neuen Rekord aufgestellt. Aber das war nicht der Grund, weshalb ich Sie habe kommen lassen.« Der Bataillonschef reichte ihm den Ausdruck eines per E-Mail eingetroffenen Befehls. »Nightingale wird alleine mit dem Generalinspekteur klarkommen müssen; Sie sind kurzzeitig zu CONARC abkommandiert worden. Ein Ruf Ihres Herrn und Meisters, vermute ich.«

Mike überflog den knapp gehaltenen Befehl. Die Formulierungen klangen in der Tat nach Jack Horner.

»Ja, Sir, sieht so aus. Na schön, die Kompanie ist gut in Schuss, viel besser kann sie nicht werden. Wann reise ich ab?«

»Am Abend gibt es einen Direktflug von Harrisburg aus nach Washington. Sie sind darauf gebucht.«

»Yes, Sir. Erlaubnis, wegzutreten?«, fragte er und salutierte.

»Verschwinden Sie hier, Captain.« Der Colonel schmunzelte und erwiderte die Ehrenbezeigung.

Bei dem Flug nach Washington handelte es sich um eine Anschlussmaschine, in der es von Uniformen wimmelte. Die Vielfalt der Uniformen überraschte ihn. Obwohl die meisten Insassen der Maschine der Garde oder der Line angehörten – erkennbar an ihren im Wesentlichen unveränderten grünen Uniformen der US-Armee –, gab es auch Offiziere der »nassen« Marine in schwarzen Uniformen, der Air Force in Blau sowie Flottenoffiziere in schwarzen Kombinationen mit hohem Kragen und Barett. Mike war an Bord der Einzige, der das Blau und Rot von Fleet Strike trug, und er hatte deshalb das Gefühl aufzufallen. Dass seine Sitznachbarin, ein Fleet Captain um die vierzig, ihn entweder nicht erkannte oder nicht interessiert war, tat ihm gut.

Nachdem die Maschine Reiseflughöhe erreicht hatte, boten Flugbegleiter Getränke an. Als die Stewardess neben ihm stand, bat er um eine Cola, und sie zuckte sichtlich zusammen, ging aber dann weiter, offenbar ohne wirklich sicher zu sein, dass Michael O’Neal in ihrer Maschine flog. Später freilich, als das Flugzeug zur Landung auf dem National Airport von Washington ansetzte, kam sie wieder und kauerte sich neben Mikes Platz nieder.

»Entschuldigen Sie, Sir, ich habe mich gefragt …«, begann sie verlegen.

»Und was haben Sie sich gefragt?« Mikes Laune hatte sich inzwischen deutlich verschlechtert. Die Kompanie hatte zwar bis jetzt gut abgeschnitten und brauchte von den weiteren Phasen der Prüfung und dem Besuch des Generalinspekteurs nichts zu befürchten, aber er wäre dennoch gerne vor Ort gewesen, um irgendwelche Unstimmigkeiten auszubügeln, zu denen es vielleicht noch kommen konnte. Er wollte, dass die Kompanie bei der Abschlussinspektion ebenso gut abschnitt wie beim Bereitschaftstest. Bei allem Respekt für Nightingales Organisationsvermögen machte er sich doch Sorgen, wie sie mit den »Problemkindern« der Kompanie klarkommen würde, selbst mit Unterstützung von Gunny Pappas. In diesem Gemütszustand war ihm nicht nach Konversation, ganz sicherlich nicht mit einer Stewardess, die sich an Prominente heranmachte.

Das war auch der Grund, weshalb seine Uniform entgegen der Vorschrift keinerlei Orden oder Einsatzabzeichen trug. Lediglich eine Infanteriespange, die anzeigte, dass er an zwei größeren Einsätzen teilgenommen hatte, und eine Anstecknadel, die so ungewöhnlich war, dass kaum jemand sie erkannte: ein halber Stern. Fleet hatte die Nadel entwickelt, um damit Personen hervorzuheben, die sich im Wirkungsbereich einer Nuklearexplosion befunden hatten. Obwohl die Nadel sowohl für Flottenangehörige als auch für reguläre terranische Streitkräfte zugelassen war, gab es nicht viele Menschen, die sie trugen und noch auf den Beinen standen.

»Sind Sie der Michael O’Neal, der auf Diess war und der die Medal of Honor bekommen hat?«, fragte sie mit leiser Stimme.

»Ja«, schnappte Mike. »Nächste Frage.«

»Keine Frage«, sagte sie mit einem ehrlichen Lächeln. »Ich wollte Ihnen nur danken. Mein Bruder ist bei der Seventh Cavalry. Er hat es zum Stadtrand von Dantren geschafft, aber wenn Ihr Platoon nicht rechtzeitig gekommen wäre, wäre er heute tot. Ich danke Ihnen.«

Das war natürlich eine ganz andere Geschichte. »Oh, das freut mich wirklich zu hören! Wissen Sie, die Panzertruppen werden bei dem ganzen Theater fast nie erwähnt. Dabei haben die die verdammten Posleen in Massen abgeschossen und sie wie Holzscheite aufgestapelt, noch bevor wir dorthin gekommen sind, und dafür hat sie niemand gelobt. Wie geht es Ihrem Bruder? Ich muss gestehen, dass ich über die Einheiten auf Diess überhaupt nicht auf dem Laufenden bin.«

»Man hat seine Division in die Staaten zurückgeholt. Er ist jetzt in Texas bei der Garde und wartet auf den Tag.«

»Sagen Sie ihm, wenn Sie das nächste Mal mit ihm sprechen, ich lasse ihm alles Gute wünschen.«

»Okay, das tue ich gerne. Er wird sich bestimmt freuen, dass ich mit Ihnen gesprochen habe.«

»Und auch Ihnen viel Glück.«

»Nun ja, wir sind aus Missouri. Nach allem, was man in den Nachrichten hört, wird es bei uns nicht ganz so schlimm werden. Das hoffe ich wenigstens, aber all die Leute an den Küsten tun mir wirklich Leid.«

»Ja, die meisten Leute, die ich kenne, leben auch irgendwo im Küstenbereich. Aber völlig sicher wird kein Ort sein, Sie sollten sich also eine Waffe besorgen. Wenn die Posleen ausschwärmen, schaffen Sie es vielleicht nicht einmal, einen mitzunehmen«, sagte er unverblümt. »Aber wenn sie nur mehr in kleinen Grüppchen kommen, dann rettet Ihnen das vielleicht das Leben. Ich empfehle eine 12er-Pumpgun. Die Dinger haben zwar einen Rückstoß, dass Sie glauben, ein Maulesel hätte sie getreten, aber dafür kann man mit einer solchen Knarre auf kurze Distanz sein Ziel nicht verfehlen, und mit einer Doppel-Null-Ladung legen Sie sogar einen Posleen um. Sie können sich am sichersten Ort befinden, den es gibt, und doch das Pech haben, dass ein G-Dek von den Biestern vor Ihrer Haustür landet. Also beschaffen Sie sich mal besser eine Waffe.«

»Okay, das werde ich. Nochmals, vielen Dank.«

»Passen Sie gut auf sich auf.«

Als die Stewardess sich erhob und wegging, blickte der weibliche Fleet Captain neben ihm von ihren Papieren auf.

»Ich habe mir schon gedacht, dass Sie das sind, wollte aber nicht unhöflich sein und Sie fragen«, sagte sie mit unüberhörbar britischem Akzent. Mike, der ein gutes Gehör für Akzente hatte und während der Entwicklung des GKA-Programms mit einer ganzen Anzahl Engländern zusammengearbeitet hatte, tippte auf die Midlands.

»Ja, na schön, ich bin’s, Ma’am. Ich bin nie etwas anderes gewesen.«

»Und Sie gehen nach Washington?«

»Ja, Ma’am, anscheinend sucht General Taylor Ratschläge, wie er den Krieg führen soll.«

»Nun, ich wüsste niemand, der ihm einen besseren Rat über den Einsatz von Kampfanzügen geben könnte. Darf ich fragen, weshalb Sie so sarkastisch sind, junger Mann?«

Mike seufzte tief und schaffte es offenbar, einen großen Teil seines ziemlich ziellosen Ärgers damit wegzublasen. Die Probleme, die ihn beschäftigten, waren nicht die Schuld des Captains. Und sein mangelndes Zutrauen zu seinen Untergebenen auch nicht. »Wissen Sie, Captain, meine Kompanie steckt gerade mitten in der Einsatzbereitschaftsprüfung, und anschließend wird sie vom Generalinspekteur inspiziert, und ich wäre viel lieber dort, als in Washington einen Theaterauftritt hinzulegen. Das habe ich letztes Jahr oft genug gemacht, und niemand hat sich einen Dreck darum geschert. Ich weiß nicht, weshalb das diesmal anders sein sollte.«

»Dann werden Sie also wirklich General Taylor sagen, wie er den Krieg führen soll?« Sie schmunzelte.

»Ich hab so den Verdacht, dass es dazu kommen könnte, Ma’am, zumindest vom GKA-Standpunkt aus. Der Kommandeur von CONARC und ich kennen uns schon eine Ewigkeit. Der Befehl kam von CONARC in Fort Myer, aber ich soll mich unmittelbar im Pentagon melden. Jetzt reimen Sie sich’s zusammen.«

»Ich denke, Sie sollten froh sein, dass Sie Gelegenheit bekommen, dort Ihren Beitrag zu leisten«, sagte sie leicht verblüfft.

»Na ja, Ma’am, das andere Problem besteht darin, dass der Unterschied zwischen Taktik und Strategie gewaltig ist. Ich gebe ja durchaus zu, dass ich einer der ersten Experten für den taktischen Einsatz von GKAs bin, aber von Strategie habe ich keine Ahnung.«

»Dann denken Sie immer daran«, meinte sie, »eine Armee marschiert mit dem Magen. Strategie besteht zu achtzig Prozent aus Logistik. Betrachten Sie das, was man Sie fragt, vom logistischen Standpunkt, und die fressen Ihnen aus der Hand.«

»Logistik?«

»Logistik.«

»Okay, und vielen Dank, Ma’am«, sagte er und lächelte.

»Keine Ursache.« Sie lachte.

»Captain Michael O’Neal«, sagte Michael und streckte ihr die Hand hin. »Fleet Strike.«

»Captain April Weston«, sagte das grauhaarige Schlachtross, »Fleet Line. Führung.« Der Punkt war nicht zu überhören.

»Oh, Sie haben ein Schiff?«, fragte Mike interessiert. Bis jetzt hatte man erst wenige der Schiffe, die für die Verteidigungsverbände gebaut wurden, in Dienst gestellt, und man rechnete auch vor den ersten Invasionswellen nicht damit, dass es viel mehr werden sollten. Das war ja der Grund, weshalb die nächsten Jahre so schwierig sein würden.

»Wenn man es so nennen kann«, sagte sie und lächelte säuerlich. »Eine umgebaute galaktische Fregatte.«

»Autsch«, bedauerte Mike und verzog seinerseits das Gesicht. »Ich habe die Pläne gesehen, als ich bei GalTech war. Keine Panzerung …«

»Leichte Waffen …«

»Keinerlei redundante Systeme …«

»Eingeschränkte Zielerfassungfähigkeit …«

»Nun«, meinte Mike und verzog erneut das Gesicht, »zumindest werden Sie für den Kampfeinsatz taugliche Weltraumanzüge haben.«

»Großartig«, schnaubte sie. »Ich verbringe meine gesamte Karriere damit, gegen Sturheit anzukämpfen und alles über das Meer zu lernen, was es zu lernen gibt, und jetzt muss ich lernen, Vakuum zu atmen.«

»Sind Sie reguläre Truppe?«, fragte Mike überrascht.

»Ich war bei der Royal Navy Reserve, bis man mich zum Captain befördert hat und die schließlich nicht mehr anders konnten, als mich zur regulären Truppe zu übernehmen. Mein letztes Kommando war die Sea Sprite. Das war ein Kreuzer, falls Sie das nicht wissen. Und jetzt ist mein nächstes Ziel die endlose Tiefe des Weltraums, und ich muss Astrogation lernen. Und das in meinem Alter«, schloss sie mit einer resignierenden Handbewegung.

»Nun«, lächelte Mike, »viel Glück.«

»Ja, das werden wir alle brauchen.«