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Fort Indiantown Gap, Pennsylvania

United States of America, Sol III

1423 EST, 18. Januar 2009

Das hätte völlig anders laufen sollen, dachte Lieutenant Colonel Frederic (Fred) Hanson.

Der neue Kommandeur des First Battalion 555th Mobile In-fantry Regiment war bereits vor Jahren als Führungsoffizier der 82nd Airborne Division Brigade in den Ruhestand getreten. In seiner langen Dienstzeit hatte er die Erfahrung gemacht, dass das Militär fähig ist, manchmal geradezu monumentalen Mist zu bauen, aber was er hier erlebte, stellte alles bisher Erlebte in den Schatten.

Normalerweise wird eine Einheit von oben nach unten in Dienst gestellt – gleichgültig, ob sie nun neu aufgestellt oder aus »Regimentsreserven« aufgebaut wird. Die Kommandeure der jeweils aktivierten Einheiten trafen sich dazu mit ihren Offizieren und arbeiteten sich gemeinsam durch den Aktivierungsplan, der ihnen entweder vorher zur Verfügung gestellt worden war oder den einer von ihnen erstellt hatte. Dann trafen allmählich die verschiedenen leitenden Unteroffiziersdienstgrade ein, in der Regel etwa gleichzeitig mit den nach-geordneten Offizieren der Kommandostruktur und ihren Stäben. Anschließend trafen die Soldaten ein, zwar ehe die ganze Struktur funktionierte, aber immerhin nachdem alle Offiziere und Unteroffiziersdienstgrade einigermaßen festen Boden unter den Füßen hatten. Daran anschließend wurde dann schweres Gerät geliefert, die Ausbildungspläne fertig gestellt und freigegeben, und die einzelnen Einheiten nahmen ihre Funktion auf. Und dann wurde aus dem Ganzen langsam eine Einheit, formte sich aus einer Ansammlung von Individuen. Und nach einiger Zeit schickte man sie dann in den Krieg hinaus – es kam nur ganz selten vor, dass in Friedenszeiten Einheiten sozusagen aus dem Lager geholt wurden –, und dann geriet die harte Arbeit der Einheitsbildung allmählich in Vergessenheit und die wesentlich härtere Arbeit des Kämpfens setzte ein.

Selbst unter noch so günstigen Umständen ist es ein mühsames Geschäft, die richtige Zahl von Offizieren und Unteroffiziersdienstgraden gleichzeitig mit ihrem schweren Gerät bereit zu stellen. Kanonenfutter findet sich in jeder Art von Krieg am leichtesten, am schwierigsten ist es, ausgebildete und fähige Unteroffiziersdienstgrade zu finden.

Was das First Battalion 555th MIR anging – und im Übrigen auch jedes weitere Bataillon, das irgendwo auf der Welt aufgestellt wurde –, vollzog sich diese ganze Prozedur nicht so glatt. Fred Hanson war bisher der Ansicht gewesen, bereits jede mögliche Kombination von Fehlern und Pannen zu kennen, die die US Army zu bieten hatte. Als sein ausgeborgter Humvee in das Gelände einbog, musste er freilich zugeben, dass er Unrecht hatte. Diesmal hatte die Army nur einen winzigen Fehler gemacht, mikroskopisch könnte man sagen, aber die Folgen waren gigantisch.

Das Terran Ground Defense Command – das neu gebildete Zentralkommando der diversen nationalen Verteidigungsstreitkräfte der ganzen Erde – machte sich keine Sorgen um ausgebildetes Personal. Als Gegenleistung dafür, dass die Menschheit sich bereit erklärt hatte, gegen die Posleen zu kämpfen, hatte die galaktische Föderation als eine der ersten Techniken einen Verjüngungsprozess angeboten. Ein längst im Ruhestand befindlicher hoher Offizier konnte sich einer sorgfältig abgestuften Folge von Injektionen unterziehen, möglicherweise auch ein paar einfache chirurgische Eingriffe an sich vornehmen lassen und dabei eine ganze Anzahl Jahre abgeben. Innerhalb weniger Wochen, allerhöchstens einiger Monate, war der Patient dann, wie es aussah, wieder um die zwanzig. Auf diese Weise stand ein Großteil militärischer Führungskräfte, die in den vorangegangenen Jahrzehnten in den Ruhestand getreten waren, in Zeiten planetarischer Not wieder für neue Einsätze zur Verfügung. Das Ganze hatte nur einen winzigen Haken.

Das Verjüngungsprogramm basierte auf einer Kombination des jeweils höchsten erreichten Ranges und des gegenwärtigen Alters. Ein E-9, das konnte ein Sergeant Major in der Army oder ein Senior Master Chief in der Navy sein, wurde aufgerufen, wenn er vierzig Dienstjahre geleistet hatte, ein E-8 nach neununddreißig. Die Skala reichte bis hinunter zu dem Punkt, wo ein Soldat oder Matrose, der als E-1 den Dienst quittiert hatte, mit zwanzig Dienstjahren wieder einberufen werden konnte. Ein ähnliches Schema galt für Offiziere.

Zuallererst wurde Personal der obersten Dienstgrade, sowohl der Offiziers- als auch der Unteroffizierslaufbahn, aufgerufen, dessen Pensionierung am weitesten zurücklag. Auf diese Weise kam es in den Vereinigten Staaten zu einer plötzlichen Flut ranghoher Offiziers- und Unteroffiziersdienstgrade, von denen viele ihre letzten Kampfhandlungen anlässlich der Tet-Offensive im Vietnamkrieg erlebt hatten.

Zur gleichen Zeit kam es zu einer allgemeinen Einberufung von Soldaten und Offizieren, die erst vor kurzem aus dem Dienst ausgeschieden waren, und darüber hinaus wurde die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt. Dies löste eine wahre Flut von Offizieren und Unteroffiziersdienstgraden der unteren Ränge und gemeiner Soldaten aus. Das Verjüngungsprogramm war darauf abgestimmt, eine äquivalente Zahl erfahrener Führungskräfte zur Verfügung zu stellen, jener Kräfte also, die dem mittleren Management der Wirtschaft entsprachen.

Natürlich gab es eine Lücke, aber die Kapazität sollte mehr als ausreichend sein, um auf die Weise eine Kommandostruktur aufzubauen und funktionsfähige Einheiten auf die Beine zu stellen. Zum ersten Mal würde in einem Katastrophenfall erfahrenes Führungspersonal nicht nur ausreichend, sondern sogar im Übermaß zur Verfügung stehen.

Die beiden Programme waren sorgfältig und strategisch abgestimmt worden, um sicherzustellen, dass für alle zu besetzenden Positionen genügend Führungsoffiziere und Unteroffiziersdienstgrade zur Verfügung standen. Wenn alles gut ging, würden die Brigade- und Bataillonskommandeure mit ihren Stäben vor dem Eintreffen der Second Lieutenants, First Lieutenants und Captains mit ihren jeweiligen Platoon Sergeants und First Sergeants eingetroffen sein, Position bezogen und »Kriegsbemalung angelegt« sowie einen Aktivierungsplan ausgearbeitet haben, der dann nur noch in die Praxis umgesetzt werden musste.

Unglücklicherweise für diesen Plan wurden allerdings etwa zu dem Zeitpunkt, an dem das Verjüngungsprogramm die Master Sergeants und Colonels, Brigadekommandeure und oberen Stabsoffiziere erreicht hatte, die Nanniten knapp. So beeindruckend die galaktische Technologie war, so rückständig war die galaktische Produktionskapazität – nachhaltig beeinträchtigt dadurch, dass sie in der Organisationsform kleiner Gewerbebetriebe erfolgte. Zwar setzten sich auch hier allmählich menschliche Vorgehensweisen durch, ähnlich wie das mit den Gefechtstechniken der Fall war, doch angesichts der akuten und kritischen Knappheit von Nanniten hatte das bisher noch keine Wirkung gezeitigt.

Die Ausbildung und die In-Dienst-Stellung der im Rahmen der neu eingeführten allgemeinen Wehrpflicht eingezogenen Soldaten und der zu verjüngenden Veteranen zu verlangsamen, war praktisch unmöglich, und so kam es, dass Army und Navy plötzlich über eine Unmenge Häuptlinge und nur ganz wenige Indianer verfügten – und damit nur ganz wenige, die ihnen bei der Kommunikation mit ihren Untergebenen behilflich sein konnten.

Colonel Hanson war über diese Situation ins Bild gesetzt worden, so dass der Anblick einer bis zum Horizont reichenden Kette von Trailern keinen Schock für ihn darstellte, wohl aber die herrschenden Zustände.

Das Gelände war früher einmal ein Schießplatz gewesen. Er hatte hier eine unangenehme, heiße Woche als Beobachter/Kontrolloffizier verbracht, an die er sich noch sehr gut erinnerte. Jetzt war der ehemalige Schießplatz die schneebedeckte Heimat von zwei regulären Infanteriedivisionen und eines Fleet Strike Bataillons gepanzerter Kampfanzüge sowie der Logistik für die bereits aktivierte, aber im Augenblick noch weit verstreute 28th Mechanized Division der ehemaligen Pennsylvania-Nationalgarde.

Der Organisationsplan einer Infanteriedivision umfasst sechsundzwanzigtausend Soldaten und Soldatinnen, der eines GKA-Bataillons knapp achthundert. Hanson war einer der ersten Empfänger der Verjüngungsbehandlung unterhalb der 0-5-Ebene und sich darüber im Klaren, dass diese brodelnde Masse von Menschen an kritischer Knappheit von Führungsoffizieren litt.

Die Trailer waren nach Bataillons- und Brigadeformation ausgerichtet, wobei die Bataillonsbüros jeweils vorne (was immer man als vorne bezeichnete) angeordnet waren und die Behausungen des Bataillonskommandeurs, seines Stabes und der höherrangigen Unteroffiziersdienstgrade sich beiderseits davon anschlossen. Links und rechts von diesem »Führungsschuppen« verlief eine Kompaniestraße, auf deren einer Seite hinter dem Bataillonsbereich sich die Kompaniebüros, umgeben von den Quartieren der Offiziere und der oberen Unteroffiziersdienstgrade sowie der Logistik befanden. Auf der anderen Straßenseite gab es die Kasernen der gemeinen Soldaten mit jeweils zwei Gemeinschaftsräumen für je sechs Mann und zwei Einzelzimmer für die Gruppenführer.

Die Kompanien eines Bataillons grenzten an der Rückseite an einen Exerzierplatz; auf der anderen Seite des Exerzierplatzes kam das nächste Bataillon, und dann fing das Ganze von vorne an. Im Augenblick freilich drängten sich auf dem Gelände über neuntausend Trailer auf einer Strecke von mehr als zwei Meilen. Und obwohl die Soldaten theoretisch in der Nähe der Unteroffiziersdienstgrade untergebracht waren, waren die meisten von ihnen noch gar keine Soldaten, geschweige denn, dass sie Einheiten bildeten. Und die oberen Unteroffiziersdienstgrade waren praktisch nicht existent.

Zu dem Zeitpunkt, als die Situation des Verjüngungsprogramms kritische Ausmaße erreicht hatte, war die Pipeline bereits mit Soldaten gefüllt gewesen. Da Soldaten in der Grundausbildung ständig überwacht und betreut werden müssen, wurde die Mehrzahl der neu eintreffenden oberen Unteroffiziersdienstgrade sofort zu Ausbildungseinheiten versetzt. Bataillone in dieser durcheinander wuselnden Masse wurden von Captains befehligt, Kompanien von Second Lieutenants, die erst vor wenigen Tagen auf diese Position befördert worden waren. Die meisten Kompanien hatten Staff Sergeants als First Sergeants, und das nur, wenn sie Glück hatten, häufig auch nur Sergeants E-5. Und ohne den Rückhalt eines soliden Unteroffiziers- und Offizierskorps waren Befehlskette und Kontrolle im besten Fall lückenhaft. Die Kinder waren alle zu Hause, aber die Eltern verspäteten sich.

Etwa so konnte man die Informationen zusammenfassen, die ihm der Personaloffizier der 15th Mechanized Infantry Division vermittelt hatte, und was er hier vorfand, war noch wesentlich schlimmer als das irgendeine theoretische Einweisung hätte vermitteln können. Er sah Teile des Geländes, wo offenbar jede Kontrolle zusammengebrochen war. Er konnte Wäsche an den Barackenwänden hängen sehen, die Kompaniestraßen waren mit Unrat aller Art übersät, hie und da prügelten sich Soldaten. Gruppen von Soldaten hockten um Lagerfeuer herum, einige von ihnen in zerfetzten Uniformen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausreichten, um dem kalten Winter Pennsylvanias standzuhalten. Sein schweifender Blick fiel auf eine Ansammlung ausgebrannter Trailer, wo offenbar eine Party gefeiert worden und außer Kontrolle geraten war. Andere Bereiche waren wieder durchaus ordentlich anzusehen und ließen erkennen, dass dort Vorgesetzte am Werk waren, die sich auf ihr Handwerk verstanden.

Ohne seine Bataillonskommandeure und die zugehörigen Brigade- und Bataillonsstäbe waren Hanson als für die Aktivierung zuständigem Kommandeur praktisch die Hände gebunden. Es war schlicht unmöglich, dass ein paar Generäle, eine Hand voll Colonels und einige wenige Sergeant Majors die Kontrolle über fünfzigtausend Menschen ausübten. Die ganze Aktivierung baute voll und ganz auf das Verjüngungsprogramm und drohte ohne dieses in Stücke zu gehen. Allmählich traf jetzt Proviant und Gerät ein, und das hatte diesen halbstarken Verbrechern auf dem Gelände gerade noch gefehlt.

Als der Humvee in »seinen« Bataillonsbereich rollte, wäre Colonel Hanson am liebsten in Tränen ausgebrochen. Das Areal sah besonders schlimm aus, die Art von Gelände, die er unter normalen Umständen nicht ohne Waffe und Splitterschutzweste betreten hätte. Er bedeutete dem Fahrer, er solle in eine der Kompaniestraßen einbiegen und war noch mehr entsetzt. Der Bataillonsbereich sah noch einigermaßen gut aus. Es gab dort immerhin eine mit Steinbrocken abgegrenzte Zufahrt zum Hauptquartier, und die Gehwege waren frei geschaufelt und gefegt. Die Kompaniebereiche hingegen waren – mit einer einzigen Ausnahme – eine Schande. Er konnte Baracken sehen, bei denen irgendwelche Vandalen die Bretter von den Wänden abgerissen hatten, und der Boden war mit Müll und Unrat förmlich übersät.

Als der Fahrer in den hinteren Teil des Bataillonsbereichs einbog, sah Hanson, dass die letzte Kompanie ihr Gelände einigermaßen in Ordnung hatte. Darüber hinaus hatte sie vor den Kompaniebüros Posten in der grauen »Kampfseide« von Fleet Strike aufgestellt, zwischen den Baracken waren zwei Mann Patrouillen unterwegs. Da diese mit M-300-Gravkarabi-nern bewaffnet waren, vermittelte das ein beeindruckendes Bild der Stärke. Der M-300 wog knapp elf Kilo – ebenso viel wie die M-60-Maschinenpistole aus der Zeit des Vietnamkriegs, der er auch glich –, aber die meisten Soldaten, die er sah, schienen mühelos damit umgehen zu können. Diese Leute waren fit und diszipliniert, und das war für ihn die erste gute Nachricht dieses Tages.

Diese dünnen Uniformen sollten hinreichenden Schutz gegen normale Kälte bieten, und das war allem Anschein nach auch der Fall; den leicht bekleideten Soldaten schien der eisige Wind jedenfalls überhaupt nichts auszumachen. Obwohl Kampfseide die offizielle Alltagsuniform aller Fleet Strike-Einheiten war, schienen die meisten Soldaten im restlichen Bataillonsbereich normale Kampfanzüge und -jacken zu tragen. Das beantwortete Hanson auch die Frage, ob irgendwelches GalTech-Gerät zur Verfügung stand. Was der amtierende Bataillonskommandeur über das Tragen der Uniform zu sagen hatte, würde recht interessant sein. Colonel Hanson fragte sich, weshalb der Rest des Bataillons nicht die vorgeschriebene Uniform trug und wo wohl er seine Kampfseide bekommen würde.

Er gab dem Fahrer ein Zeichen, vor dem Kompaniehauptquartier anzuhalten.

»Tragen Sie mein Gepäck in mein Quartier und kommen Sie dann wieder hierher zurück.« Er hätte sich gewünscht, den Mann behalten zu können – der junge Mann machte einen guten, intelligenten Eindruck –, aber der Personaloffizier hatte sich dazu eindeutig geäußert. »Schicken Sie den Fahrer mit seinem Humvee zurück, ist das klar?«

»Yes, Sir.«

»Wenn Ihnen jemand bei meinem Quartier irgendwelchen Ärger macht, dann holen Sie mich. Ich bin beim Chef der Bravo-Kompanie.« Er deutete mit dem Daumen auf die Kompaniebaracke.

»Yes, Sir.«

Als Colonel Hanson den schneebedeckten, aber frei geschaufelten Weg zu dem Trailer einschlug, nahmen die beiden Posten auf ein geheiltes »Achtung« des Postens zur Rechten Haltung an. Der Wachposten konnte erkennen, dass da ein babygesichtiger Junge ankam, aber der Junge war in einem Humvee gekommen, und fahrbare Untersätze waren hier schwer zu bekommen. Ergo war es kein Junge; es war ein verjüngter Offizier oder Unteroffiziersdienstgrad und dem Aussehen nach ein Offizier. Als der Private First Class schließlich feststellte, dass die schwarzen Rangabzeichen am Kragen des Kampfanzugs des Jungen Eichenblätter waren, lobte er sich selbst ob seiner weisen Voraussicht. Die beiden Männer nahmen wieder Rührt-Euch-Stellung ein, als Hanson ihre Ehrenbezeigung erwiderte, und sahen einander achselzuckend an, nachdem der Colonel den Trailer betreten hatte. Der dienstältere Private blies sich auf die eiskalten Hände und lächelte. Dem Aussehen des Kommandeurs nach zu schließen stand es um die Bravo-Kompanie entweder sehr gut oder sehr schlecht. Und was ihn betraf, so war er bereit, darauf Wetten abzuschließen.

Colonel Hanson war angenehm überrascht, hinter einem Tisch dicht hinter der Tür einen Sergeant, der auf vierundzwanzig Stunden der Kompanie zugeteilt worden war, in Hab-Acht-Stellung stehen zu sehen. Der schmächtige, dunkelhaarige Sergeant, der so aussah, als wäre er noch zu jung, um sich zu rasieren, salutierte.

»Sir, Sergeant Stewart, Bravo Company, First Battalion, 55Sth Mobile Infantry. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Sir?«

Der Sergeant war entweder runderneuert oder sehr gut ausgebildet, und Colonel Hanson hätte so aus dem Stegreif nicht sagen können, was von beidem zutraf.

»Nun, Sergeant«, sagte er und erwiderte die Ehrenbezeigung, »Sie können mir zeigen, wo das Büro des Kompaniechefs ist und mir eine Tasse Kaffee besorgen, wenn das geht. Wenn nicht, dann bitte Wasser.«

»Yes, Sir«, sagte der Sergeant ein gutes Stück zu laut. Fred fragte sich, warum er das tat, bis ihm klar wurde, dass man das durch die papierdünnen Wände würde hören können. Er lächelte innerlich, als der Sergeant mit nach wie vor lauter Stimme fortfuhr: »Colonel, wenn Sie mir bitte zum Büro des Kompaniechefs folgen würden, kümmere ich mich inzwischen um den Kaffee!« Colonel Hanson gab sich alle Mühe, nicht laut aufzulachen, konnte aber ein leises Glucksen nicht verhindern.

»Pardon, Sir?«, fragte Sergeant Stewart, während er dem Colonel durch einen schmalen Gang auf einer Seite des Trailers voranging.

»Ich musste husten.«

»Ja, Sir.«

Der schmale Gang führte an einer Tür vorbei, auf der »Schwemme« stand, einer zweiten mit der Aufschrift »Latrine« und einer dritten gerade in Reparatur befindlichen mit der Aufschrift »First Sergeant«. Am Ende des Korridors wurde der Gang breiter und gab den Blick auf einen Schreibtisch frei, hinter dem jemand, bei dem es sich vermutlich um den Kompanieschreiber handelte, Haltung angenommen hatte. Auf dem Tisch stand eine Tasse Kaffee, und die militärisch korrekte Haltung des Private wurde dadurch beeinträchtigt, dass er in der linken Hand ein kleines Kännchen mit Sahne hielt. Er salutierte.

»Sahne, Sir?«

»Schwarz. Haben Sie Zucker?«

»Sir!« Der Private hielt ihm eine Handvoll Zuckerpäckchen hin.

»Eines, bitte.« Der Zucker wurde in die Tasse geschüttet und umgerührt, während Sergeant Stewart an die Tür klopfte. »Herein«, schnarrte es dahinter.

Bei einem Kommandowechsel hatte der neu eintreffende Kommandeur normalerweise die Wahl, die offenen Akten – sie wurden als 201-Akten bezeichnet – und die Leistungsbewertungen seiner Offiziere zu studieren. Außerdem hatte er Gelegenheit, mit dem vorangegangenen Kommandeur über Stärken und Schwächen seiner Untergebenen zu sprechen. In diesem Fall hatte der für solche Dinge zuständige G-1 bedauernd eingeräumt, dass er ihm lediglich die Namen der Offiziere bieten konnte und dass auch dies einige Schwierigkeiten bereitete. Die Informationssysteme waren ebenso durcheinander wie alles andere auch, und in den meisten Fällen lagerten die Akten der Offiziere noch im Zentralarchiv in St. Louis. Das Einzige, woran Colonel Hanson sich noch erinnerte, war, dass der Chef seiner Bravo-Kompanie O’Neal hieß.

»Sir, hier ist ein Lieutenant Colonel Hanson, der Sie sprechen möchte«, meldete Stewart respektvoll durch die halb geöffnete Tür.

Colonel Hanson hatte Stewart bereits als eines jener Individuen eingestuft, die es bei jeder Truppe gibt und die imstande sind, über das Wohl und Wehe einer kleinen Einheit zu bestimmen. Man würde ihm irgendeinen klaren Verantwortungsbereich zuteilen müssen, und er würde seine Vorgesetzten respektieren müssen, andernfalls war zu befürchten, dass es in Kürze großen Ärger gab. Der Respekt, den er seinem Kompaniechef gegenüber an den Tag legte, verriet daher Hanson einiges. Der Zustand der Kompanie hatte das natürlich bereits ebenfalls getan, aber der konnte verschiedenen Ursachen zuzuschreiben sein. Vielleicht hatte dieser Captain O’Neal einen äußerst tüchtigen Senior Sergeant, vielleicht war er ein Schinder und so weiter und so fort. Aber es gab schon mal mindestens einen harten Brocken, der O’Neal aus der Hand fraß, und das sagte bereits eine ganze Menge über seinen Führungsstil. Jetzt war nur noch zu hoffen, dass er auch etwas von Taktik verstand.

Solche Gedanken gingen Fred Hanson durch den Kopf, als sich eine menschliche Gestalt durch die Tür wälzte, die fast ebenso breit wie hoch war und die er trotz einer dünnen Schweißschicht, die Hanson auf nur wenige Minuten zurückliegende athletische Übungen zurückführte, sofort aus zahlreichen Fernsehauftritten wieder erkannte. Als der Captain salutierte, bemerkte Hanson die Narben an O’Neals Unterarm.

»Captain Michael O’Neal, Sir, Commander Bravo Company, First Battalion, 555th Mobile Infantry Regiment. Was kann ich für Sie tun, Sir?«

Fred Hanson erwiderte die Ehrenbezeigung bedächtig und so korrekt, wie er das bisher nur selten in seinem Leben getan hatte. Aber so macht man das halt, wenn man die Ehrenbezeigung von jemandem erwidert, dem die Medal of Honor verliehen worden ist.

»Lieutenant Colonel Frederic Hanson«, erwiderte er dann in das eingetretene Schweigen hinein. »Ich bin im Begriff, das Kommando über die Eins-Fünf-Fünf-Fünf zu übernehmen und dachte mir, Sie würden vielleicht mitkommen wollen.«

Hanson bildete sich ein, ein kurzes Zucken unterdrückter Genugtuung über O’Neals Gesicht huschen zu sehen, aber in der Stille, die seinen Worten folgte, war das Schlurfen von Stewarts Stiefeln das einzige Geräusch.

»Yes, Sir, das würde ich sehr gern tun. Stewart, suchen Sie den Gunny und kommen Sie dann ins Bataillon.«

»Yes, Sir.«

»Wollen wir dann?«, fragte der babygesichtige Bataillonskommandeur.

»Nach Ihnen, Sir«, antwortete O’Neal, und seine Augen glänzten.

»Ich denke, das ist recht gut gegangen«, sagte der Colonel und schloss die Tür hinter dem Major, der soeben den Raum verlassen hatte.

»Ja, Sir. Ich glaube, Major Stidwell wird für die Standortkommandantur ein echter Gewinn sein«, nickte O’Neal. »Obwohl es ihm vielleicht nicht schaden würde, sich ein bisschen besser zu überlegen, wen er das nächste Mal als ›rotznäsigen Jungen‹ bezeichnet.«

»Ich denke auch«, fuhr der Colonel fort und grinste dabei leicht, »dass irgendwelche Beschwerden, die Major Stidwell vielleicht vorbringen könnte, trotz des Schadens, den das vielleicht seiner Karriere zugefügt hat, eher formaler Natur sein werden.«

»Sie haben doch sicherlich keine Zweifel, Sir, an der, äh … inneren Stärke des Majors, oder, Sir?«

»Eigentlich nicht«, sagte Colonel Hanson und musterte seinen nach Dienstalter jüngsten Kompaniechef über den breiten Schreibtisch hinweg. Dann fing der neue Bataillonskommandeur an, allmählich die umfangreiche »Ich-liebe-mich«-Wand des Major Stidwell zu demontieren. Sie war insgesamt ebenso wie individuell betrachtet äußerst beeindruckend. Angefangen mit seinem Diplom von West Point bis hin zu seinem Prüfungszertifikat des Command and Staff College, schien Major Stidwell sämtliche Leistungszertifikate zu besitzen, die einem Infanterieoffizier überhaupt zugänglich waren. Major Stidwell hatte sowohl die Ranger School wie auch den Qualifikationskurs der Special Forces absolviert und war daher befugt, in Uniform den Tower of Power zu tragen, den »Turm der Macht« – die drei übereinander angeordneten Abzeichen der Ranger, der Special Forces und der Airborne. Er besaß das PT-Abzeichen für körperliche Ertüchtigung und war vermutlich auch imstande, mit zwei Stückchen Holz Feuer zu machen.

Aber irgendwann und irgendwo schien der Major nicht begriffen zu haben, worum es wirklich ging. Woran nämlich auffälliger Mangel herrschte, waren irgendwelche Zertifikate von bisher geführten Kommandos. Dafür gab es zwei Möglichkeiten, und Colonel Hanson konnte, ohne seine Personalakte gesehen zu haben, nicht entscheiden, was wahrscheinlicher war. Entweder hatte jede Einheit, in der er je das Kommando geführt hatte, Stidwell so gründlich gehasst, dass sie seinen Abgang ohne jegliche Spur von Bedauern gefeiert hatten, oder er hatte nur sehr wenige Führungspositionen bekleidet.

Nach einigem Nachdenken gelangte er zu dem Schluss, dass wohl Letzteres der Fall war; schließlich gab es immer irgendeinen Arschkriecher, der sich zu einer Plakette durchrang, ganz gleich wie katastrophal der Chef auch gewesen war.

»Obwohl Major Stidwell dem Anschein nach über alle erforderlichen Qualifikationsmerkmale eines Vorgesetzten verfügt«, räumte der Colonel ein und deutete dabei auf die Wand, »bedeutet eine solche Ansammlung von Zertifikaten nicht unbedingt, dass jemand auch über Führungsqualitäten verfügt. In Friedenszeiten lässt sich derartige Führungsunfähigkeit häufig durch tüchtige Mitarbeiter verschleiern. Aber in Zeiten starker Belastung, wenn schnell und exakt entschieden werden muss, ohne dass man über objektiv korrekte Antworten verfügt und ohne dass man von einem fähigen Stab unterstützt wird, wird die Unfähigkeit, Menschen zu führen, geradezu kristallklar. Ich habe den Verdacht, dass Major Stidwell als untergeordneter Führungsoffizier ganz gut funktioniert und als Stabsoffizier sogar Beispielhaftes leistet. Aber als Befehlshaber, insbesondere im Kampfeinsatz, dürfte er unfähig sein.« Er beendete seinen Vortrag mit einem Achselzucken. »So etwas gibt es.«

»Erwartet man von Ihnen, dass Sie mit Ihnen nachgeordne-ten Offizieren über die Fähigkeiten höherer Dienstgrade diskutieren, Sir?«, fragte Mike und lehnte sich in einem recht zerbrechlich wirkenden Sessel zurück, der vermutlich aus dem Fundus stammte und den irgendeine Kantine als zu alt und wackelig bereits ausgesondert hatte.

»Na ja, Captain«, antwortete der Colonel, »es gibt nachge-ordnete Offiziere und nachgeordnete Offiziere. Was Sie angeht, so können Sie sich darauf verlassen, dass ich mit Ihnen über alles sprechen werde, von dem ich glaube, dass es Ihnen in Ihrer militärischen Entwicklung hilft, und ich meinerseits werde mir regelmäßig Ihren Rat über GKA-Taktik holen. Ich beabsichtige nicht, alles, was Sie sagen, als Wort Gottes zu betrachten. Aber zuhören werde ich.«

»Wegen meiner Medal of Honor?«, fragte Mike einstudiert gelassen und zog dabei eine Zigarre aus dem Ärmel seiner grauen Seidenkombination.

Das war nicht das erste Mal, dass Colonel Hanson von Michael O’Neal gehört hatte. Er war DER O’Neal. Mighty Mite. Ironman O’Neal. Der Held von Diess. Colonel Hanson hatte in seiner militärischen Laufbahn mehr als einen echten Helden kennen gelernt und wusste, dass man, ohne selbst dabei gewesen zu sein, unmöglich nachvollziehen konnte, was vor Ort geschehen oder nicht geschehen war und die Verleihung eines Ordens, ganz besonders eines so hohen, zur Folge gehabt hatte. Manchmal erwiesen sich die heroischsten Geschichten als reiner Bockmist, während sich andere, die zunächst schlicht und klar erschienen, als unerwartet kompliziert erwiesen. Manche echten Helden waren Prahlhänse, andere ganz ruhig. Häufig hatten Helden einfach nur das Glück gehabt, am falschen Ort zu sein und zu überleben. Und manchmal war alles ganz genau so, wie es berichtet wurde.

Was Michael O’Neal betraf, gab es wohl in der ganzen Geschichte aller militärischen Einsätze keine so gründlich analysierte, sezierte und erforschte Ereignisfolge wie die, die dazu geführt hatte, dass man ihn mit Orden förmlich überhäuft hatte. Und als die Medien O’Neals Story zu packen bekamen und sich ihrer erst einmal angenommen hatten, war die Reaktion unvermeidbar gewesen. Zuerst machten sie ihn zum Idol, anschließend versuchten sie, die Story zu zerpflücken, fanden aber keine einzige Einzelheit, die nicht genau den berichteten Tatsachen entsprach. Es hieß sogar, die Version, die man den Medien zur Verfügung gestellt hatte, sei stark untertrieben.

Der damalige Lieutenant O’Neal war dem Diess-Expedi-tionskorps als Berater für den Einsatz von GKA-Anzügen zugeteilt worden und hatte das Kommando über die Überreste des GKA-Bataillons übernommen, nachdem dieses auf dramatische Weise mit der ersten Welle von Posleen in Berührung gekommen war. Seine Gruppe von der Größe eines Platoons, ursprünglich waffenlos infolge einer Explosion, die ihr gesamtes Arsenal weggefegt hatte, hatte schließlich den Ring gesprengt, in dem die Posleen die Panzerdivisionen der Expeditionsstreitkräfte eingekesselt hatten. Im Verlauf des Geschehens hatten sie eine große Zahl von Posleen vernichtet und schließlich ein Kommandoschiff der Posleen zerstört, das den Streitkräften der Posleen zu Hilfe gekommen war. Diese letzte Heldentat hatte O’Neal vollbracht, indem er in seinem Kommandoanzug zu dem Schiff hinaufgeflogen war und dort von Hand eine improvisierte Antimaterie-Haftmine gezündet hatte.

Der Anzug, in dem der junge Mann gesteckt hatte, der ihm jetzt gegenüber saß und seine Zigarre musterte, als wäre sie eine Waffe, war fünf Kilometer weit durch die Luft und das Mauerwerk einiger Gebäude katapultiert und schließlich mit dem, was von O’Neal übrig geblieben war, weitere zwei Kilometer aufs Meer hinausgeschleudert worden und dort gesunken. Wochen später hatte ein Bergungsteam der SEALs die automatische Bake geortet und sich, erfreut, einen Kampfanzug im Wert einer halben Milliarde Credits bergen zu können, diesen noch teilweise intakt vorgefunden. Zu ihrer Verblüffung hatte der Panzer gemeldet, dass sein Insasse noch einsatzfähig war.

»Nicht nur wegen des Ordens. Mehr wegen der Art und Weise, wie Sie Ihre Kompanie zusammengehalten haben. Das ist das Zeichen eines guten Führungsoffiziers.«

»Gutes Führungsteam, Sir, entschuldigen Sie, wenn ich Sie korrigiere. Gunny Pappas ist Spitze.«

»Die haben uns einen Marine geschickt? Ich dachte, die würden hauptsächlich der Flotte zugeteilt.« Die Art und Weise, wie die Galaktische Föderation ihren Krieg gegen die Posleen führte, hatte in der Methodik, wie das Militär der Vereinigten Staaten seine Aufgaben erledigte, eine ganze Anzahl von Verwerfungen herbeigeführt. Die Föderation der Aliens finanzierte ihre Flotte aus Mitteln, die von den mehr als zweihundert der Föderation angehörenden Planeten aufgebracht wurden.

Ihre Bodenverteidigung andererseits mussten Planeten, die aktiv gegen die Posleen kämpften, aus eigenen Mitteln finanzieren. Soweit das etablierte Planeten waren, verfügten deren große Wirtschaftsunternehmen, deren Handel vom Krieg beeinträchtigt werden konnte, über Zugang zu zahlreichen Planeten, die für diese Verteidigungsmaßnahmen aufkommen konnten. Dem Planeten Diess, auf dem O’Neal gedient hatte, hatte man Streitkräfte aus dem gesamten Spektrum der Armeen der Erde zugeteilt, wohingegen der Planet Barwhon, der trotz seines Mangels an Industrie über umfangreichere Finanzmittel verfügte, nur von NATO-Truppen verteidigt wurde.

Da die Erde erst vor dreieinhalb Jahren von der Föderation gehört hatte, verfügte sie über keinerlei Geldmittel, mit Ausnahme derer, die sie dadurch aufbringen konnte, dass sie ihre Streitkräfte meistbietend versteigerte, und das hatte den zusätzlichen Nutzen, dass die Streitkräfte der Erde für die in weniger als zwei Jahren erwartete Invasion ausgebildet wurden. Dennoch schien es unmöglich, aus den einzelnen Staaten der Erde eine politische Einheit herzustellen und sich sozusagen als geeinter Planet auf die Invasion vorzubereiten. Und das verursachte eine Anzahl von Kompromissen.

Einige Streitkräfte von Fleet Strike wurden direkt der Flotte unterstellt, während andere den Planeten zugeordnet wurden, auf die bereits ein Angriff erfolgt war oder bei denen ein solcher unmittelbar bevorstand. Die für die Verteidigung der Erde eingeteilten Einheiten sollten für den Einsatz durch ihre jeweiligen Herkunftsländer zurückgehalten werden, unterstanden aber den Vorschriften und auch der Kommandostruktur von Fleet. Das Personal der Flotte rekrutierte sich in erster Linie aus den jeweiligen Marinestreitkräften der Erde, wobei man die Verbände von Fleet Strike – also die für den Bodenkampf, für Sondereinsätze und für die Luftwaffe vorgesehenen Gruppierungen aus den jeweiligen Marine-, Luftwaffen- und Kommandoeinheiten eines jeden Landes aufgebaut hatte.

Infolge der Größe der Streitkräfte der Vereinigten Staaten und der NATO nahmen diese auch innerhalb der Verteidigungsflotte die erste Stelle ein, dicht gefolgt von russischen und chinesischen Streitkräften. Die Folge war, dass sich, sah man einmal von einem Bataillon in Japan ab, praktisch sämtliche Bodeneinheiten von Fleet Strike in Nordamerika, Europa, Russland oder China befanden. Das hatte in der Dritten Welt empörte Proteste ausgelöst, aber diesmal fand einfach niemand die Zeit, auch nur zuzuhören.

Diese Kräfteverteilung und die neu hinzugekommene ga-laktische Technologie hatten dazu geführt, dass das Militär der Vereinigten Staaten sich von einigen lang gehegten Traditionen verabschieden musste. Das amerikanische Kontingent von Fleet Strike bestand jetzt aus den Fleet Strike Divisionen Eins bis Vier, die sich aus Einheiten der Marines, nämlich den 82nd, 101st und 11th Divisions sowie dem 508th, 509th, 555th und 565th Regiment rekrutierte, die alle von der Luftlandetruppe gestellt wurden. Diese Einheiten waren bereits in GKA-Einheiten umgewandelt worden oder würden das bald werden, also mobile Infanterieeinheiten, die in atomar angetriebenen Rüstungen kämpften und Gravkarabiner einsetzten, die abgereicherte Urantropfen mit relativistischen Geschwindigkeiten verfeuerten oder Plasmakanonen von solchem Kaliber benutzten, dass sie die Panzerung eines Schlachtschiffs aus dem Zweiten Weltkrieg mühelos durchschlagen konnten.

Da es in der neuen Organisation keine Unterschiede mehr zwischen Marineinfanterie und Luftlandetruppen gab, kam es gelegentlich zu Situationen, die jeder Tradition widersprachen. Es konnte sich ergeben, dass ein Gunnery Sergeant der Marines in eine Airborne-Einheit beordert wurde, oder dass man einem Kommandeur der Luftlandetruppen die Leitung einer Einheit der Marineinfanterie übertrug. Airborne verfügte über mehr Personal und Führungsoffiziere als das Marine-Korps, also entschied man sich dafür, leitende Unteroffiziersdienstgrade im Bataillons- oder Brigaderang als »Gunny« zu bezeichnen, obwohl diese Rangstufe allmählich abgeschafft werden sollte. Die amerikanische Kommandostation von Fleet Strike freilich befand sich in Twenty Nine Palms, einem ehemaligen Stützpunkt der Marines. Und ihre Paradeuniformen waren, einmal abgesehen von dem starken Einfluss, den bestimmte Science-Fiction-Serien im Fernsehen auf sie ausgeübt hatten, dunkelblau und mit roten Biesen abgesetzt, der Farbe der Galauniformen der Marines. Airborne hatte alle Mühe, damit Schritt zu halten.

Ein kleines, mehr für zeremonielle Einsätze gedachtes Kontingent amerikanischer Marines war zurückgeblieben, das abwechselnd von der Flotte und der Präsidentengarde gestellt wurde. Dies waren die einzigen terranischen Streitkräfte, die direkt und unmittelbar der Kommandogewalt eines Landes unterstanden und Kampfpanzerung trugen. Amerika war infolge seiner gewaltigen Wirtschaftskraft und seines ähnlich großen militärischen Ruhmes das einzige Land, das off-planet über genügend Kredit verfügte, um sich die geradezu unglaublich teuren Anzüge leisten zu können.

»Yes, Sir«, sagte O’Neal und runzelte in der für ihn charakteristischen Art die Stirn. »Ein echter Marine Gunny, und er hat eine Ewigkeit gedient. Ein Hippie.«

»Hippie?«

»So nennt man Vietnam-Veteranen. Wie gesagt, echt alt.«

»Na ja, dann werden wir Hippies uns wohl einmal über die alten Zeiten unterhalten müssen«, sagte Colonel Hanson und lächelte.

»Du liebe Güte, Sir!«, sagte Mike und starrte den wie ein Teenager aussehenden Colonel überrascht an. »Ist das Ihr Ernst?«

»Ich habe die Kompanie des Eins-Null-Eins in Vietnam ins Happy Valley geführt«, sagte der Colonel und unterdrückte ein Schaudern, das ihn bei der Erinnerung daran überkam. »Angefangen habe ich als First Lieutenant bei der Einhundert-siebenundachtzigsten.«

»Mhm. Nun, dann brauche ich Ihnen wenigstens nicht zu erklären, wer Janis Joplin ist.«

»Verdammt seltsam, nicht wahr?« Hanson warf eine weitere Trophäe von Stidwells Wand in einen Karton. »Wie zum Teufel stellt man es an, die Spreu vom Weizen zu trennen? Der Regimentskommandeur ist vierzig Jahre jünger als ich. Als ich in den Ruhestand ging, war er Second Lieutenant. Ich bin froh, dass ich ihn nicht gekannt habe, denn ich kann mir nur zu gut vorstellen, was meine Erinnerung an ihn in unserer Beziehung anrichten würde.«

»Und wie steht es mit seinen Erinnerungen an Sie, Sir? Können Sie sich vorstellen, dass Sie ihm damals vielleicht eine schlechte Beurteilung geschrieben haben?«

»Aber was Ihren First Sergeant angeht …«

»Der ist ein Marine«, sagte O’Neal und schmunzelte. »Yes, Sir, ich weiß. Na ja, solange wir nicht irgendwelche Landeoperationen an feindlichen Ufern machen müssen, sollte ja alles funktionieren. Für so etwas ziehe ich tatsächlich einen Marine vor.«

Colonel Hanson warf ihm einen fragenden Blick zu und ließ die letzte Tafel in den Karton fallen. »Pourquoi?«

Plötzlich verfinsterte sich Mikes Miene; er hob seine Zigarre und sah Hanson mit fragender Miene an. Als sein Gegenüber nickte, zündete er sie mit einem Zippo an, in das ein schwarzer Panther auf einem Felsen eingraviert war. Er paffte ein paar Mal und sagte dann: »Na ja, Sir …«, paff, »die Airborne haben die Tradition …«, paff, paff, »… dass es bei ihnen immer rein und raus geht. Bumm-Bumm-Danke-Mädel.« Paff. »Außerdem hat bei den Airborne das Zuschlagen-und-wieder-Abhauen Tradition.« Ein tiefer Zug, paff, paff. »Mhm, El Sol Imperial. Verdammt schwer zu finden, seit überall alles knapp wird.« Plötzlich hörte die affektierte Manier auf, und er stieß mit der Zigarre zu, als wäre sie ein Florett.

»Die Lage, in der wir uns befinden, entspricht viel eher der Tradition der Marines, ganz besonders, wenn man an den Zweiten Weltkrieg und an Korea denkt. Schwere Ziele, und die gegen jeden halten, der kommt, gegen ganze Wellen von Angreifern auch ohne viel Unterstützung. Um jeden Preis halten, und wenn es notwendig ist, bis zum letzten Soldaten krepieren und dabei die ganze Zeit dem Feind so schwere Verluste wie möglich zuzufügen. Kein Rückzug, keine Kapitulation und kein Pardon, Sir.«

Plötzlich sah Mike wie in einer Vision eine schmale Straße, die beiderseits hoch aufragende Wolkenkratzer säumten. Die Straße war voll gestopft mit gelben Zentauren im Kampf Bajonett gegen Bomaklinge, mit einer belagerten Division deutscher Panzergrenadiere. Die Leichen der Posleen und der Deutschen lagen hoch aufgetürmt herum und versperrten ihm den Weg. Ihr rotes und gelbes Blut hatte sich miteinander vermischt und strömte als orangeroter Fluss in ein Meer unter einer fremden Sonne.

Er senkte den Kopf und machte sich einen Augenblick lang an seiner Zigarre zu schaffen, während er sich alle Mühe gab, das Bild vor seinem inneren Auge loszuwerden. »Verdammt, jetzt ist sie ausgegangen.«

Colonel Hanson ließ sich schwer in seinen Drehsessel fallen, während Mike wieder sein Zippo hervorholte. Er griff in die Brusttasche und zog ein Päckchen Marlboro Reds heraus. Viele Jahre hatte er gebraucht, sich das Rauchen abzugewöhnen, aber die Galakter hatten dafür jetzt eine Pille, und außerdem hatten sie für Militärpersonal dem Krebs, jeder Art von Herzkrankheit und Emphysemen ein Ende gemacht, also … »Alles klar bei Ihnen, Captain?«, fragte er und klopfte sich einen Sargnagel zurecht.

»Yes, Sir. Mir ist bloß gerade etwas eingefallen«, sagte Mike und sah dem anderen gerade in die Augen.

»Ich … wir können uns keine Vorgesetzten leisten, die eine Kriegsneurose mit sich rumschleppen.«

»Sir, ich habe keine Kriegsneurose«, widersprach O’Neal und übertönte damit ein Konzert innerer Stimmen. »Ich bin vielmehr einer der wenigen Leute, die Ihnen außerhalb von Barwhon oder Diess über den Weg laufen, die mental auf diese Invasion vorbereitet sind. Weil ich sie nämlich Tausende von Stunden durchgespielt habe, und zwar schon vor Diess. Diess war sozusagen bloß das letzte Tüpfelchen auf dem I. Sobald Sie Ihr AID haben, können Sie sich ja vergewissern.« Er sog an seiner Zigarre. Seit Diess hatte er dem Tabak und dem Alkohol ziemlich kräftig zugesprochen. Das würde sich eines Tages rächen. »Dieser Krieg wird eine ganz besondere Hölle werden, Sir, und zwar für jeden einzelnen Amerikaner. Dicker kann die Scheiße einfach nicht mehr kommen.«

Colonel Hanson nickte nachdenklich. Was O’Neal da sagte, machte durchaus Sinn. »Was uns wieder zu unseren augenblicklichen Alltagsproblemen führt. Jetzt, wo ich diesen widerlichen Schwachkopf los bin – wie ist denn die Lage? Der G-1 hat nicht einmal gewusst, wer eigentlich das Sagen hat, und er hatte nicht die leiseste Ahnung von GKA-Gerät, aber er hat immerhin gemeint, die Versorgungssituation sei so durcheinander, dass man es sich schlimmer gar nicht vorstellen kann. Wer ist denn hier im Stab tätig? Und da dieses Hauptquartier absolut leer zu sein scheint, wo zum Teufel stecken die alle?«, beendete er seine Tirade.

»Major Stidwell hat die Funktion seines eigenen G-3 übernommen, Sir, da Planung ohnehin seine Spezialität war. Tatsächlich hat er fast alle anderen Stabsfunktionen auch mit erledigt, nur die S-4 nicht.«

»Vielleicht hätte ich etwas darauf Rücksicht nehmen sollen, dass man ihm einfach zu viel zugemutet hat«, sinnierte der Colonel.

»Nein, so weit würde ich nicht gehen, Sir. Einen S-4 gibt es ohnehin nur, weil man uns einen Versorgungsoffizier geschickt hat, einen ›Mustang‹-Lieutenant, der für die S-4-Po-sition assistieren sollte. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte Major Korinthenkacker Stidwell ohne Zweifel auch diese Zuständigkeit noch an sich gezogen.«

»Oh«, sagte der Colonel und verzog das Gesicht.

»Außerdem haben wir genügend Captains als Kompaniechefs, Sir, von denen jeder freiwillig zusätzliche Aufgaben zu übernehmen bereit gewesen wäre, wenn Stidwell nur ein Wort gesagt hätte. Nein, im Hinblick auf Offiziere mit der Eignung für Kompaniechefs sind wir wesentlich besser dran als die Line- und die Guard-Einheiten.

Stidwell war nur der Ansicht, dass er, wenn er die Entscheidungen traf, auch sicher sein konnte, dass sie richtig waren«, meinte O’Neal und schnaubte dabei. »Der Himmel weiß, was gewöhnliche Captains ohne seine wertvolle Erfahrung an Entscheidungen getroffen hätten. Möglicherweise hätten die – nun – ›unzulässige Initiative hinsichtlich des Ausbildungsplans‹ an den Tag gelegt, oder, dem sei Gott vor, mit dem GKA-Training begonnen, ehe sämtliche Besprechungen über die Implementierung dieses neuen Geräts abgeschlossen waren.«

»Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie damit einschlägige Erfahrungen, oder nicht?«, fragte der Colonel mit unbewegter Miene.

»Ja, Sir, das habe ich«, sagte O’Neal und wurde plötzlich todernst. »Er hat sich sogar, um es genau zu sagen, sehr darum bemüht, mir ein Kriegsgerichtsverfahren wegen Insubordination anzuhängen.«

»Und haben Sie sich der Insubordination schuldig gemacht?«, fragte der neue Bataillonschef, gespannt darauf, welche Antwort ihm das eintragen würde. Doch die Spannung hätte er sich ersparen können.

»Sir, ich habe nicht einem Befehl den Gehorsam verweigert, sondern so vielen, dass ich mit Zählen gar nicht erst anfangen will«, erklärte O’Neal mit Entschiedenheit.

»Warum?«

»Ich dachte nicht, dass jemand es wagen würde, mich vor ein Kriegsgericht zu stellen, Sir, und wenn ich vor der Wahl stand, ungehorsam zu sein oder meine Kompanie im Kampf umkommen zu lassen, dann war die Entscheidung ja nicht schwer.«

»Warum wären Ihre Leute denn umgekommen?«, fragte Hanson.

»Sir, Stidwell hat mit der Ausbildung genauso angefangen, wie die das mit den Two Falcon auf Diess getan haben. Ja, Sir, ich habe das am eigenen Leib erlebt und mitgemacht, und ich war nicht bereit, es ein zweites Mal durchzumachen; das war ein heiliger Eid, den ich bei den Seelen meiner Toten geschworen habe. Wir hatten damals Knappheit an Anzügen und haben das heute noch, die Einheit hat noch nicht genügend Anzüge erhalten, und nur einige wenige Soldaten, die von anderen GKA-Einheiten zu uns überstellt worden sind, haben sie. Also wollte er, dass jeder Einzelne sämtliche Anzugteile auswendig lernt, mit den Posleen-Blitzkarten arbeitet und all das. Mit anderen Worten: die Leute zu Tode langweilen. Was ich versucht habe, ihm zu erklären, war, dass ich mir durch … gewisse sekundäre Kanäle … eine Unmenge Milspecs besorgt habe, VR Brillen für Ausbildungszwecke.« Mike räusperte sich und paffte an seiner Zigarre.

Colonel Hanson lächelte. Er musste sich ins Gedächtnis rufen, dass dieser Offizier zwar über außergewöhnliche Erfahrung mit Anzügen und sogar deren praktischen Einsatz unter Feindberührung hatte, aber keineswegs ausführliche Erfahrung als Offizier. Einheiten, die nicht hinreichend versorgt waren, hatten es seit undenklichen Zeiten verstanden, sich das nötige Gerät zu besorgen. Solange diese Aktivitäten auf ein Mindestmaß beschränkt blieben und unter Kontrolle waren, war das kein Problem.

»Wir hätten schon vor Wochen bei achtzig Prozent Simulation Kampftraining im Feld durchführen können«, fuhr Mike fort, nachdem er zu dem Schluss gelangt war, dass der Colo-nel ihm keine unangenehmen Fragen nach der Herkunft der Milspecs stellen würde. Mike war durchaus bereit, sich hinter seine Leute zu stellen, aber er war trotzdem ebenso überrascht gewesen, wie die Kompanie, die auf der Verliererseite gestanden hatte, als die zweite Gruppe plötzlich mit einer Lastwagenladung GalTech-Gerät aufgetaucht war. Unterdessen hatte er natürlich alles Wissenswerte über Sergeant Stewart und »The Squad From Hell« erfahren. Jetzt überraschte ihn nichts mehr.

»Aber das war nicht vorschriftsmäßig – was übrigens nicht meine Schuld ist, ich wollte, dass es in die Vorschriften aufgenommen wird –, also wollte er sich auch nicht darauf einlassen. Und dann gab es Probleme, weil alles mögliche Zeug aus den Baracken gestohlen wurde, Sie wissen schon, Vandalismus und all der Schabernack, der hier getrieben wird. Da habe ich die ›Nagelknarren‹ ausgegeben und aus dem Trainingsetat Munition dafür beschafft. Und jetzt kommen Sie mir bloß nicht, dass das übertrieben sei; ich dachte damals und bin auch jetzt noch der Ansicht, dass es durchaus Sinn gemacht hat, den Leuten wenigstens Waffen in die Hand zu geben, damit sie ein Gefühl für diese Dinger kriegen. Auf die Weise wollte ich wenigstens etwas Training mit ihnen treiben, das etwas mehr Sinn gemacht hat als endlose Dauerläufe. Aber ihn hat nicht etwa der Schaden gestört, den man damit vielleicht anrichten könnte, er hat sich vielmehr darüber aufgeregt, dass die Munition nicht mehr ins Lager zurückgeführt werden könnte und man sie mit seinem Trainingsetat verrechnen würde, ehe er sie wirklich für die Ausbildung einsetzen könnte.«

»Nun, da habe ich ein gewisses Mitgefühl«, sagte der Colo-nel und runzelte die Stirn. »Ausbildung mit scharfer Munition ist teuer.«

»Du lieber Gott, jetzt fangen Sie nicht auch noch an!« Mike spürte, wie er anfing die Beherrschung zu verlieren, und gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. Die letzten beiden Monate mit Stidwell hatten seine ohnehin schon strapazierte Geduld bis an ihre Grenzen in Anspruch genommen. Aber dieser Colonel war von ganz anderem Kaliber. Er brauchte bloß die Fassung zu behalten und die Lage klar und vernünftig darstellen. Richtig. Ob dann die Träume vielleicht aufhören würden?

»Captain, Ausbildungsetats sind einfach bloß Etats, nicht mehr und nicht weniger. Man darf sie bloß nicht überziehen, ganz besonders dann nicht, wenn in diesem gottverdammten Krieg alle Opfer bringen müssen.«

»Sir, was wir in diesem Jahr tatsächlich für Ausbildung ausgeben werden, können Sie mir gern von meiner Löhnung abziehen«, antwortete Mike ruhig und vernünftig.

»Was? Wie viel kriegen Sie denn?«, fragte Hanson überrascht.

»Na ja, falls Sie es noch nicht gemerkt haben, Fleet wird Rangstufe für Rangstufe wesentlich besser bezahlt als die Army, Sir, aber ich habe das anders gemeint: Was steckt denn in einem Ausbildungsetat?«

»Na ja, Treibstoff, Munitionsverbrauch, sonstige Ausgaben, Lebensmittel, Spezialgerät und dergleichen.«

»Richtig. Zuallererst ist einmal zu bedenken, dass die Army nicht die leiseste Ahnung davon hatte, was man für eine GKA-Einheit an Trainingsetat benötigt, und deshalb haben sie die Etats so angesetzt, wie sie das sonst für Marines, Airborne und dergleichen gemacht hätten. Dabei hat keiner bedacht, dass die Anzüge auf Kompanieebene von einem speziell dafür vorgesehenen Fusionsmeiler versorgt werden, dessen Lebensdauer auf vierzig Jahre angesetzt ist. Die Kosten dafür liegen daher inklusive Treibstoff ebenso wie die Anzüge selbst im Kapital-Etat. Die Anzugnahrung ist billig, die Grundversorgung wird mit dem Anzug geliefert und recycled, und damit ließe sich der Aufwand für die Verpflegung für das ganze Bataillon und für ein Jahr tatsächlich mit Leichtigkeit aus meiner Löhnung begleichen, falls wir die Anzüge nicht verlassen. Kein Toilettenpapier, keine Rationen, kein Treibstoff – die Anzüge erledigen alles, Müll rein und Müll raus. Im Übrigen wird der Lebensmittelbedarf ohnehin über das Bataillon abgerechnet. Und ehe ich’s vergesse – auch keine Munitionskosten.«

»Was soll das heißen, keine Munitionskosten?«, erwiderte Colonel Hanson, der immer noch einige Mühe damit hatte, dass all seine bisherigen Vorstellungen hinsichtlich Ausbildungskosten plötzlich nichts mehr wert waren.

»Das werden Sie sehen, sobald wir mit der Anzugausbildung anfangen, selbst wenn es sich nur im Virtual Reality-Bereich bewegt, also eine VR-Ausbildung ist. Die Anzüge sind als Trainingsfahrzeuge einfach umwerfend; Training mit scharfer Munition ist buchstäblich sinnlos. Und deshalb sind unsere Etats so wahnsinnig überhöht, dass sich jeder von uns allein aus dem Munitionsetat einen Cadillac kaufen könnte. Und da bliebe sogar noch eine Menge übrig. Jedenfalls«, schloss er seine Erklärung, »das eigentliche Problem ist nicht, dass wir über kein Gerät verfügen, sondern dass wir noch nicht das gesamte Personal bekommen haben.«

»Mir war nicht bewusst, dass es mit Ausnahme von leitenden Offizieren und Unteroffiziersdienstgraden eine Personalknappheit gibt. Bei Ihnen klingt das ja jetzt so, als würden Sie von ganz gewöhnlichen Soldaten oder Offizieren auf Kompanieebene sprechen.«

»Ja, Sir, genau das tue ich. Wir warten immer noch auf zwanzig Prozent unseres Personals in den unteren Diensträngen, in erster Linie Frauen und zurückgerufene Veteranen und Ausbildungskader.«

»Frauen haben Sie gesagt? Frauen?«

»Vor kurzem ist die Entscheidung gefallen, Frauen auch für den Dienst mit der Waffe freizugeben«, antwortete O’Neal und paffte erneut. Er musste ein Schmunzeln unterdrücken, als er sah, wie der Colonel auf den Hinweis, dass Frauen in sein Bataillon kommen sollten, ein rotes Gesicht bekommen hatte. Aber am Ende gelangte er zu dem Schluss, dass hier Diskretion angezeigt war. »Nach meiner Kenntnis warten wir auf vier weibliche Offiziere, zwei First Lieutenants, die von anderen Waffengattungen zu uns versetzt worden sind, und zwei Ensigns; Teufel noch Mal, ich kriege gleich zwei von denen. Außerdem kriegen wir eine Ladung Privates und runderneuerte Unteroffiziersdienstgrade, darunter einen meiner Platoon Sergeants. Die Mädchen durchlaufen im Augenblick alle die Infanterieausbildung. Die anderen sind im Augenblick im Auffrischungstraining, falls sie zurückgerufen worden sind, oder befinden sich noch bei ihren Einheiten.«

»Oh, welche Freude!«

»Yes, Sir. Besser jetzt als damals, als es hier noch die Ausschreitungen gab; ich mag gar nicht daran denken, was da hätte passieren können. Und dann, wenn sie hier ankommen, müssen wir sie neu auf GKA trainieren. Es gibt ja immer noch kein GKA-Trainingszentrum.«

»Richtig. Also ich werde mich nicht kaputtmachen und versuchen, meinen gesamten Stab durch persönlichen Einsatz zu ersetzen. Bis es qualifizierten Ersatz gibt, sind Sie amtierender G-3. Holen Sie mir die anderen Kompaniechefs der Reihe nach her. Ich werde sie in Anbetracht der allgemeinen Zustände hier für den Augenblick einfach übernehmen.«

»Das ist nur teilweise deren Schuld, Sir. In vielen Fällen lässt sich der herrschende Zustand auf direkte Anweisungen von Major Stidwell zurückführen.«

»Na schön, wir werden ja sehen, ob ich mich dieser Meinung anschließen kann. Okay, wer ist der Dienstälteste?«

»Captain Wolf, Charlie-Kompanie.«

»Schaffen Sie ihn mir her.«

»Yes, Sir.«

»Und dann machen Sie sich daran, den Ausbildungsplan zu überarbeiten. Wir haben keine sonstigen Aufgaben, die uns da stören würden, und ich halte viel von Ausbildung. Sobald die neuen Leute hier eintreffen, möchte ich, dass wir draußen im Feld sind, und zwar vierundzwanzig Stunden täglich und sieben Tage die Woche, bis Mama uns erlaubt, dass wir wieder aus dem Regen reinkommen. Machen Sie mir ein Trainingsprogramm, das Ihre wildesten Träume übersteigt.«

»Yes, Sir!«

»Und behalten Sie bei Ihrer Planung immer eines im Auge: Unsere Aufgabe besteht darin, uns zwischen die Posleen und die Zivilbevölkerung zu stellen. Unser Auftrag besteht darin, unsere Bevölkerung zu retten. Und diese Aufgabe werden wir erfüllen. Ein Scheitern kommt nicht in Frage!«