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Fredericksburg, Virginia,
United States of America, Sol III
0614 EDT, 10. Oktober 2009
Ein weiterer Schwarm Knallfrösche prasselte auf den Hügel herunter, als eine Salve 16-Zoll-Clustergranaten einschlug, und Tommy hob sein AIW auf. »Okay, gehen wir es noch einmal durch.«
»Wir feuern ein paar Schüsse von hier ab«, sagte Wendy müde, »und ziehen uns dann zu Alesia’s zurück.«
»Du gehst voran, Feuer, das möglicherweise dann durchkommt, wenn wir unterwegs sind, ziehe ich auf mich. Ich würde ja mit dir die Schutzwesten tauschen, aber ich glaube nicht, dass du dich damit schnell genug bewegen kannst.«
»Okay.« Sie musterte seinen von den Schultern bis zu den Knien reichenden Schutz. »Das glaube ich auch nicht. Wenn wir dann bei Alesia’s sind, lösen wir die Claymore hier drinnen aus.« Sie zeigte auf die Mine mitten im Raum, die auf die Tür gerichtet war. »Wenn die Posties Alesia’s angreifen, gehen wir in den Keller und dort in den Tunnel, ziehen mit Hilfe der Brechstange den Safe vor das Loch und lösen die Claymore bei Alesia’s aus, sobald sie zur Tür hereinkommen.«
»Okay. Geht in Ordnung.« Von dem Maschinengewehrstand schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Kreuzung, war ein Feuerstoß zu hören. Ein Hagel von Flechettes war die Antwort darauf, und die Querschläger ließen von der Mauer die Funken aufsprühen.
Der M-60 hustete einmal, zweimal und verstummte dann, von einem HV-Geschoss getroffen. Die kinetische Explosion jagte eine Schockwelle über die Straße und presste ihnen den Atem aus den Lungen.
»Du lieber Gott!« Wendy musste von dem vielen Staub husten, den die Explosion hauptsächlich auf die Straße hinaustrieb, zog das Gewehr an die Schulter und legte es auf das Kissen.
»Zeit zum Tanz«, flüsterte Tommy und schmiegte die AIW an seine Schulter. Er schaltete auf Granatwerfer, zog den Abzug ein Stück durch, wartete.
Als die erste Reihe der Posleen-Phalanx die Kreuzung erreichte, schlug ihr ein Feuersturm entgegen. Wendy gab eine Anzahl lasergezielter Feuerstöße ab, die für eine Anfängerin erstaunlich genau ihr Ziel trafen, während auf der anderen Straßenseite zwei junge Milizen aus ihren alten M-14 einzelne Schüsse abgaben. Aber den eigentlichen Schaden richteten die fünf 20-mm-Granaten an, die Tommy Sunday dazu benutzte, die Kreuzung mit toten Posleen zu füllen. Indem er seine Schüsse quer über die schmale George Street wandern ließ, erzeugte er auf die Weise eine Fleischbarriere aus toten und verwundeten Zentauren, die einen Augenblick lang ihre nachrückenden Artgenossen aufhielten. Unglücklicherweise konnte freilich die Reihe dahinter sehen, woher das Feuer der Verteidiger kam.
Ein Hagel von Wolfram- und Stahlbolzen prasselte auf die improvisierten Schießscharten, durch die die beiden Jugendlichen feuerten, und ein paar Querschläger pfiffen durch den Raum und prallten von den Steinmauern ab. Tommy fuhr zurück und rollte sich über den Boden ab.
»Los jetzt!«, brüllte er und rannte zur hinteren Tür des Ladens, vergaß aber dabei, Wendy mit seinem Splitterschutz zu decken.
Wendy taumelte auf die Tür zu und stolperte, als ihr rechtes Bein ihr den Dienst versagte. Sie blickte an sich hinunter und entdeckte im Licht der frühen Morgendämmerung einen dunklen Flecken an der Wade, der von einem Flechette-Querschläger herrührte. Sie stützte sich auf ihren Karabiner und humpelte zur Tür.
Tommy lehnte sich zur Tür hinaus und ließ seine Waffe von links nach rechts wandern, während er ein weiteres Magazin Granaten hineinschob. »Komm halt!«, schrie er, um die Schüsse beider Seiten zu übertönen. Als sie nicht kam, sah er sich um. Das Problem war offenkundig.
»Ich schaffe es schon«, rief Wendy und stolperte dabei über ein umgestürztes Möbelstück. Der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen, und die Welt verschwamm in einem grauen Nebel.
Er sah sie an, und einen Augenblick lang schien die Zeit zum Stillstand zu kommen, als er fieberhaft überlegte, was zu tun war. Seine Hand zuckte kurz zu dem Desert Eagle, den er an der Hüfte trug, aber dann packte er kurz entschlossen das Sturmgewehr mit der linken Hand und warf sich Wendy über die rechte Schulter. Als es an der vorderen Ladentür laut wurde, hetzte er zu Alesia’s Antiques hinüber.
Bill Worth hustete qualvoll in den Trümmern seines demolierten Buchladens und spürte, wie der Husten ihm neue Schmerzwellen durch den Körper jagte. Der schwere Deckenbalken, der seine Beine auf den Boden presste, und sein allgemeiner Zustand deuteten darauf hin, dass er die Gentlemen vom anderen Planeten in nicht besonders würdiger Haltung begrüßen würde.
Aber was auch immer Jean Paul Sartre vielleicht davon gehalten haben mochte, man konnte sich sein Schicksal nur selten aussuchen. Wenn ihm bestimmt war, den neuesten Besuchern Fredericksburgs so entgegenzutreten – nun, sei’s drum.
Ein vages Gefühl der Schwäche im Verein mit dem immer größer werdenden dunklen Fleck unter seiner Brust ließ ihn vermuten, dass er den Besuchern ohnehin nicht mehr persönlich die Honneurs würde machen können. Um seine Gedanken von den Irrwegen des Schicksals abzulenken, versuchte er, sich ein Bild davon zu machen, was noch übrig geblieben war. Ein Buch nahe bei seiner rechten Hand fiel ihm ins Auge, und er zerrte es zu sich her, obwohl das in seinen unteren Regionen Unbehagen erzeugte. Der Einband sagte ihm nicht gleich etwas, und deshalb schlug er die Titelseite auf und war über seine unerwartete Entdeckung angenehm überrascht.
»Du meine Güte«, flüsterte er, »ein Original Copperfield! Wo in aller Welt hast du dich denn versteckt, junger Mann?«
So waren ihm die Worte Dickens Trost, sanftmütige Freunde, die sie ihm immer gewesen waren, bis ein düsteres Grau ihm den Blick versperrte.
»Tommy?«, murmelte Wendy, die aus ihrer Benommenheit wieder erwacht war und sich von Dunkelheit umgeben sah, als eine Hand sich über ihren Mund legte.
»Schsch!«, flüsterte er heftig. Irgendwo über ihnen war ein lautes Krachen zu hören. Ein Dröhnen, das aus dem Boden kam, meldete ferne Detonationen.
Wendy erkannte den Geruch des Tunnels und begriff beschämt, dass er sie hierher geschleppt haben musste, statt zu kämpfen. Sie fühlte sich jetzt schon wieder wesentlich besser, und die Wunde schmerzte kaum noch.
»Ich habe dir ein Schmerzmittel gespritzt«, flüsterte er. »Du hast einen Schock erlitten, das war alles.«
»Tut mir Leid«, flüsterte sie zurück.
»Schon gut. Auf manche Leute wirkt das halt so.« Er drückte ihr einen Gegenstand in die Hand. »Das ist ein Hiberzine-Injektor. Halte ihn nach unten, wo unsere Schenkel dicht beieinander sind. Wenn wir verschüttet werden, sobald ich die Claymore auslöse, oder wenn der ganz Große Knall kommt, dann kannst du dir eine Injektion geben und schaffst es vielleicht, bis man uns ausgräbt.«
»Okay, und was ist mit dir?«, flüsterte sie.
»Ich habe auch eine, aber wenn ich vom Bauschutt k.o. geschlagen werde, dann gibst du mir eine Injektion, und ich mache es bei dir genauso. Und jetzt halte dich fest.« Er griff nach dem Clacker der Claymore und drückte ihn dreimal schnell hintereinander.
Schon beim ersten Drücken gab es eine ungeheuer laute Explosion und gleich darauf Geräusche, die von einem komplizierten Zerstörungswerk berichteten. Der Safe, der ihren Zufluchtsort abdeckte, hallte metallisch wider, als ein paar schwere Gegenstände darauf fielen. Dann war ein paar Augenblicke lang das Knistern und Krachen sich langsam setzenden Bauschutts zu hören, bis schließlich Stille herrschte.
»Es hat noch ein paar Sekunden gedauert, einige weitere Sprengladungen anzubringen, nachdem ich dich hierher geschafft hatte«, flüsterte er. »Die haben dafür gesorgt, dass der Boden des Erdgeschosses in den Keller gestürzt ist und uns eingeschlossen hat.« Er hielt einen Augenblick lang inne. »Und jetzt warten wir eine Weile, dann wissen wir, ob wir den Großen Knall überleben.«
Die verstärkte Betondecke des Pumpenhauses war nach innen gesprengt worden, und anschließend hatten die Pioniere und Zivilisten Schutt daraufgetürmt, bis unter der Decke nur noch geringfügig mehr als ein Meter frei war. Colonel Robertson, sein Funker, zwei Privates von der Pioniertruppe und ein ziviler Bauunternehmer warteten jetzt in der so entstandenen improvisierten Feuerstellung darauf, dass entweder die Posleen zu ihnen vorrückten oder dass die Treibstoff-Luft-Explosion die aktiven Verteidigungsmaßnahmen ein für alle Mal beendete.
Colonel Robertson sah einen Augenblick lang zu, wie die Sonne sich langsam über den Horizont heraufschob, während einer der Pioniere Wache hielt. Der andere Pionier, der Funker und der Zivilist spielten Lügenpoker. Ein paar Vögel, eher hoffnungsvoll als realistisch, beteiligten sich an einem die Morgenröte begrüßenden Chor. Abgesehen von der Kälte und der Tatsache, dass er in Kürze sterben würde, war dies ein schöner Morgen, klar und mit guter Aussicht darauf, einen perfekten Herbsttag einzuläuten. Wirklich jammerschade, dass er den verpassen würde.
Und Major Witherspoon lag inmitten der Toten im Kommandostand; ein Geschoss aus einer Railgun hatte ihm die rechte Kopfhälfte weggerissen, und draußen donnerten die Posleen gegen die Kirchentür. Die Verwundeten und Sanitäter hielten ihre Waffen fest umfasst und warteten schweigend. Es war, als würden sich die Geister eines weit zurückliegenden Krieges um sie sammeln – Geister in Blau und Grau und Tarnfarbe –, und darauf warten, dass ihre Kameraden sich ihnen anschlossen.
Und Chief Wilson stand mit ihrer Atemmaske im Erdgeschoss des Sicherheitsamts. Zu ihren Füßen stand eine Autobatterie, in der linken Hand hielt sie eine weit geöffnete Klemme. Sie nahm sie vorsichtig in die rechte Hand, achtete darauf, dass sie die ganze Zeit offen blieb, und bewegte dann die sich verkrampfenden Finger, ehe sie die Klemme wieder in die linke Hand nahm. Und als sie das tat, bemerkte sie hinter der Tür einen Schatten.
Da sie wussten, dass die Posleen sich jetzt östlich der I-95 befanden, hatten Kerman, Wordly und Jones die Erlaubnis, die Kreuzung zu meiden. Alle drei hatten vor, zwischen den Bäumen zu bleiben, wo es den Posleen wesentlich schwerer fallen würde, sie zu finden. Als sie durch die Morgendämmerung jagten, schienen ihnen der Andruck, das Ruckeln ihrer Maschine und die Route so vertraut wie der tägliche Weg zum Arbeitsplatz. Während sie über dem Rappahanock hin und her kreuzten, nahmen sie jeden Beschleunigungsschock mit Gusto hin, jagten das Tal hinauf, der schnell näher rückenden Stadt entgegen.
»Auf den Hügelkamm«, sagte Kerman.
»Tigershark Fünf.«
»Drei.«
Sie schwärmten aus und warfen aus drei verschiedenen Achsen Napalm auf die Prince Edward Street, wechselten dabei die Flugbahnen in einem Manöver, auf das selbst die Thunderchiefs stolz gewesen wären. Kerman konnte keine Leuchtspurmunition erkennen, obwohl es genügend Posleen-Bodenfeuer gab.
»Bodenkontrolle, Tigershark Zwei. Negativ menschliche Aktivität Fredericksburg.«
»Verstanden, Zwei. Richtig. Noch ein Durchgang, Ende.«
Die drei kippten mit fünfzehn G synchronisiert über Belmont Manor ab, zogen im Morgenlicht sporadisches Feuer auf sich und flogen erneut aus der aufgehenden Sonne heraus den Feind an.
»Herr, führe mich hinunter zum Fluss …«, flüsterte Morgen und wünschte sich die Sonne in den Himmel, während sie am Ufer des Rappahanock saß. Sie sah drei Punkte, die in die aufgehende Sonne hineinkippten und schnell näher rückten … »… und wasche mich im Blut des Lammes …«
Selbst Posleen-Normale können in gewisser Weise lernen, und sie hatten mit der Zeit mitbekommen, dass man mit Sicherheit damit rechnen konnte, seine Gene nicht an die nächste Generation weiterzugeben, wenn man in dieser gottverlassenen Stadt einfach eine Tür öffnete. Dies war die erste Kompanie, die das einzige hohe Gebäude der Stadt erreichte. Oder besser gesagt die verbliebenen Überlebenden der Kompanie, die die Tür zum Hauptquartier der Militärtechniker geöffnet hatte, die Glücklichen, die zu der Zeit hinter dem Hügel gewesen waren.
Aber sie hatten die Berichte gehört, die Ergebnisse gesehen, die Überreste des Gebäudes und das Plakat, das davor hing. Obwohl sie den Text »Willkommen in der historischen Stadt Fredericksburg, Heimat des 229. Pionierbataillons« auf dem Plakat, das im frühen Morgenlicht über der Tür flatterte, nicht lesen konnten, war die etwas schief geratene Burg mit den beiden Türmen für sie ebenso klar, wie es eine Tafel mit Totenschädel und Knochen für einen Menschen gewesen wäre.
Als die restlichen dreißig von ursprünglich vierhundert Posleen sich der Tür näherten, wurden sie langsamer. Jeder Schritt, den sie vorgerückt waren, war umkämpft gewesen, jedes Gebäude vermint, und doch war hier der größte Bau der ganzen Stadt und wurde nicht verteidigt, wenn man einmal von dem Plakat absah. Sie spähten durch die im Schatten liegenden Fenster und entdeckten drinnen eine Gestalt. Ihr Gottkönig war vorsichtigerweise auf der anderen Straßenseite geblieben. Auf seinen gebellten Befehl hin trat jetzt das Normale an der Spitze vor und öffnete die Tür.
Chief Wilson war beinahe froh. Endlich war die qualvolle Nacht zu Ende, und was auf der anderen Seite lag, würde nicht länger warten. Alles, was getan werden konnte, um das Leben ein wenig länger zu erhalten und die Unschuldigen zu schützen, war getan, und jetzt würde sie zum ersten und letzten Mal vernunftbegabtes Leben nehmen. In der überwiegenden Mehrzahl würden es Posleen sein, aber viele würden auch Menschen sein. Und sie war jemand, der das Gefühl hatte, dass sie ganz tief drinnen alle Brüder waren. Doch sie war sicher, dass die Menschen ebenso wie sie bereit waren, diese lange Nacht endlich zu Ende gehen zu lassen, sich damit abgefunden hatten, in eine längere, hoffentlich friedlichere Ebene der Existenz hinüberzuwechseln.
»Gentlemen«, sagte sie zu den Posleen, die sich hintereinander durch die Tür schoben, »willkommen in der historischen Stadt Fredericksburg«, und dann ließ sie die Klemme herunterfallen.
So dicht beieinander, wie das ein erfahrener Pionier Sergeant schaffen konnte, detonierten sechzig Ladungen Composition Four an den Fenstersimsen. Die Detonationen entzündeten gleichzeitig das flüssige Propangas, das immer noch in das Innere des Gebäudes gepumpt wurde, und stellten sicher, dass genügend Sauerstoff zur Verfügung gestellt wurde, um die Reaktion am Leben zu erhalten.
Binnen weniger Millisekunden implodierte jedes einzelne Fenster in dem siebenstöckigen Gebäude, als die Luft von drei Straßenzügen aus allen Richtungen in das von der Propanexplosion erzeugte fast vollkommene Vakuum gesaugt wurde.
Während das Propangas den Sauerstoff aufzehrte, verstärkte die ins Zentrum der Explosion schießende Luft die hochenergetische Reaktion, bis buchstäblich das letzte Propanmolekül aufgezehrt war – und an diesem Punkt brach die superheiße Luft mit alles erschütternder Kraft nach draußen.
Für Morgen Bredell und Colonel Robertson – und all die anderen noch lebenden Menschen und Posleen, die im historischen Fredericksburg über der Erde überlebt hatten – herrschte einen Augenblick lang atemloses Vakuum, als ein Orkan ins Stadtzentrum fegte. Es war, als würden ihnen Spieße ins Trommelfell getrieben – dann eine fast nicht wahrnehmbare Pause, gleich darauf Dunkelheit, als die Schockwelle nach außen schlug und alles, was ihr im Weg war, dem Erdboden gleichmachte.
»Nuke!«, brüllte Jones, als er die sonnenhelle Feuerkuppel sah, und riss seine Maschine automatisch scharf nach rechts, von der Formation weg, während Kerman das gleiche Manöver nach links vollführte. Wordly blieb nur die absolut tödliche Richtung nach oben, deshalb riss er den Knüppel zurück und setzte bei neunhundert Knoten zum Steigflug mit zwanzig G an.
Untertassen von etlichen Gottkönigen zwischen Marlboro Point und Spotsylvania ebenso wie Lander und K-Deks erfassten ihn mit ihren Zielgeräten. Eine Pyramide von Lichtstrahlen folgte seinem explodierenden Peregrine, als dieser immer höher in den Himmel kletterte – ein Hightech-Vesuv, ein leuchtendes, dreieckiges Feuerwerk am Morgenhimmel als Fanal für die explodierende Stadt.
Die Schockwelle setzte sich nach außen fort, machte das Sicherheitsamt und den historischen Stadtkern dem Erdboden gleich, demolierte schließlich die Chatham-Brücke, riss Eisenbahnschienen von den Schwellen und ließ sie durch die Luft wirbeln.
Wendy schrie auf, als die Erde sich unter ihr aufbäumte wie ein wildes Pferd und rings um sie Ziegelsteine und Staub herunterregneten. Sie hatte einen Arm über dem Kopf und stellte fest, dass Tommy seinen Kopf ebenfalls mit dem Arm schützte, und so war ihre Splitterweste das Einzige, was ihre Rippen schützte, als ein Steinbrocken von der Größe einer Melone auf sie herunterfiel. Als rings um sie Bauschutt herunterprasselte, schob sie den Hiberzine-Injektor auf ihren Schenkel zu …
Shari und die Feuerwehrfrau im Bunker verspürten nur ein leichtes Zittern, den Sprengschatten vom Gleiskörper der Eisenbahn. Die Tonnen von Ballast reduzierten die Auswirkungen auf lediglich lästige Ausmaße. Sie stellten ihr Kartenspiel einen Augenblick lang ein, sprachen ein Gebet, wischten sich die Tränen aus den Augen und ließen sich wieder von ihren Karten ablenken.
Jones schaltete die Nachbrenner ein, sobald er sicher war, dass er der Explosion den Hintern zuwandte und schob sich in seinem Sitz zurecht, als der Jet auf Maximalgeschwindigkeit zujagte. Jetzt fing er infolge des Bodeneffekts zu tanzen an, und als ihn dann die Schockwelle einholte, wurde es noch schlimmer. Dann ließ das Stoßen nach, als die Schockwelle zurückging, und er reduzierte seine Geschwindigkeit, wendete und flog wieder auf die Stadt zu.
Oder besser gesagt den Ort, wo einmal die Stadt gewesen war. Im Umkreis von fünfhundert Metern an der Stelle, wo der Hochbau das Stadtzentrum dominiert hatte, war der Boden so eben, als hätte man ihn glatt gescheuert. Die historischen Bauten, die im Bürgerkrieg so manches Bombardement überstanden hatten, waren bis auf ihre Grundfesten weggefegt. Die höchste Erhebung, die zurückgeblieben war, war die Ruine eines Getreideaufzugs südlich des Bahnkörpers.
Der Höhenzug, wo sie noch vor kurzem Napalm abgeworfen hatten, war leergefegt, die Kirchen verschwunden, aber das geschützte Tal dahinter war noch intakt, und er bekam gelegentlich Feuer, als er darüber hinwegraste. Jones kippte scharf nach Norden ab, mied das offene Gelände um die Interstate und rief die Basis.
»Bodenkontrolle, hier Tigershark Fünf, Ende.«
»Tigershark. Boden.«
»Können Sie Sendung empfangen, Ende?«
»Roger, Tigershark.« Eine Salve aus einem Turm des Schlachtschiffs ging auf die Senke nieder, aus der er beschossen worden war. »Zum Stützpunkt zurückkehren, Tigershark.«
»Tigershark Fünf.«
»Zwei«, kam ein unerwartetes Echo von Kerman.
Die letzten Überlebenden der Peregrine-Staffel bogen nach Norden ab und nahmen Kurs auf den Luftwaffenstützpunkt Andrews.
»Bei dir alles in Ordnung?«, fragte Tommy und richtete sich auf, während immer noch Staub und Mörtelbrocken auf ihn herunterregneten. Er schnippte eine batteriebetriebene Neonlampe an.
»Ich lebe«, sagte Wendy und blieb in horizontaler Lage, stieß aber mit den Füßen ein paar Trümmer weg. Dann schob sie den Stein zur Seite, der von ihr abgeprallt war. »Wie sehr in Ordnung soll ich denn sein?«
»Mann«, sagte Tommy und richtete den Lichtkegel auf den intakt gebliebenen Bogen über ihnen. »Ich kann’s einfach nicht glauben, dass das gehalten hat«, fuhr er dann fort und musterte die abgedichteten Tunnelwände zu beiden Seiten. Er nahm den Helm ab, kratzte sich heftig am Kopf und zwängte sich dann aus seinem Schutzmantel.
»Was ist, wenn die Posleen uns finden?«, fragte Wendy und deutete dabei auf den abgelegten Splitterschutz, während er die Seitenteile abnahm und den Schutzmantel flach strich.
Er schüttelte ihn, um die letzten Steinsplitter herauszubekommen, und ließ sich dann auf den Mantel nieder, der jetzt eine Art Matratze bildete, verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Wenn die Posleen mich jetzt haben wollen, sollen sie mich meinetwegen fressen, okay?«
Wendy schnaubte, setzte sich auf und schüttelte ebenfalls den Staub ab. Dann nahm sie ihrerseits die Splitterweste ab, streckte sich, zuckte dabei vor Schmerz zusammen, als ihre geprellten Rippen sich meldeten, und legte sich dann hin, legte Tommy den Kopf auf die Brust. Er schob sich etwas zur Seite, damit sie ebenfalls Platz auf der improvisierten Matratze hatte. Nach ein paar Augenblicken seufzten sie beide, als die Spannung endlich nachließ.
Tommys Atem fing an regelmäßiger zu gehen, als die Anstrengungen der langen Nacht schließlich ihren Tribut forderten. Irgendwann einmal in der Zukunft – wie er befürchtete, recht häufig in der Zukunft – würde er darüber nachdenken, dass alles, was ihm lieb und teuer war, zerstört worden war. Aber für den Augenblick genügte es, dass für eine Weile Frieden herrschte, wenn auch nur der Frieden der Toten.
Gerade als er halbwegs eingeschlafen war, spürte er, wie sich Finger unter sein T-Shirt schoben. Er erstarrte, unterdrückte ein Schnarchen, denn gleich darauf fing einer dieser Finger an, mit den feinen Härchen um seinen Nabel zu spielen. Wendy beugte sich vor, ihre Brüste drückten gegen seine Brust, und sie legte das Gesicht an sein Ohr.
»Tommy Sunday«, flüsterte sie, und ihre Zunge huschte über sein Ohr, »wenn du jetzt nicht sofort die Hosen runterziehst, knall ich dich mit deiner eigenen Glock ab.«