Prolog
»Nun, Tir, bist du der Ansicht, dass hinsichtlich der Menschen alles nach deinen Planungen abläuft?«
Der Darhel-Ghin schwenkte ein Räucherstäbchen und legte die Botschaft an die Herren auf den Altar der Kommunikation. Im Hintergrund tönten melodisch Singkristalle, und die silbern verspiegelten Kolonnaden halfen ihm dabei, die verschiedenen Ereignisstränge zu betrachten und abzuwägen, aus denen sich unterschiedliche alternative Zukunftswelten entwickeln konnten; die meisten dieser zukünftigen Welten machten ihm einen düsteren Eindruck.
Seine Indowy-Leibdiener hoben seine Gewänder an, als er aufstand und sich dem Tir-Diener zuwandte. Das an einen Fuchs erinnernde Gesicht des jüngeren Darhel zeigte die geschulte Miene eines Darhel-Managers von Rang. Höflich fragendes Ohrenzucken des Ghin erwiderte er gleichmütig und distanziert. Tatsächlich war der Generalplan zu mehr als zwei Dritteln völlig aus der Bahn geraten, und dies war zum größten Teil dem Handeln eines einzigen Individuums zuzuschreiben, welches Glück gehabt hatte. Dies zuzugeben freilich war für den Weg zur Macht nicht gerade förderlich. Und es gab nur wenig, was dieses alte Fossil zerpflücken konnte. In seiner Gesamtheit war der Plan einzig und allein ihm bekannt.
»Es gibt keinen Plan, der sich in Vollkommenheit entfaltet«, sagte der Tir glattzüngig. »Aus diesem Grund gibt es Management.«
Der elfenhafte Ghin schnippte wieder mit den Ohren – eine Geste, die bewusst vieldeutig war. Sie hätte höfliche Übereinstimmung bedeuten können, ebenso gut aber auch höflichen Zweifel. Der Unterschied war überaus subtil. »Wir behalten Diess.«
Der Ghin bewertete das bewusst weder positiv noch negativ. Die Vernichtung der alliierten menschlichen Streitkräfte, die sich zur Verteidigung des Planeten versammelt hatten, hätte ein Teil der Planung dieses jungen Schnösels sein können, ebenso gut aber auch nicht. Die Mehrdeutigkeit seiner Aussage war eine bewusste Falle, wobei er bezweifelte, ob dem Tir die Untertöne bewusst wurden.
Der Tir blähte beipflichtend die Nasenflügel und ließ den Blick über die versammelten Indowy schweifen. »Es ist eine wichtige Welt.« Die Wirtschaftsunternehmen von Diess befanden sich trotz der Milliarden von Indowy, die den Planeten bewohnten, voll und ganz unter Darhel-Kontrolle. Die Arbeiter der Föderation waren ebenso entbehrlich wie Bakterien. »Die erzielten Einkünfte sind beträchtlich.«
Die Nasenflügel des Ghin blähten sich. Wie von ihm erwartet, hatte der junge Narr sich ablenken lassen. »Und Barwhon ebenfalls.«
»Bedauerlicherweise waren die menschlichen Verluste groß.« Der Gesichtsausdruck, den er jetzt zur Schau stellte, war einer, den er den Menschen abgeguckt hatte: Seine Augen mit den Katzenpupillen und den vertikalen Lidern öffneten sich weit und sein breiter beweglicher Mund zog sich nach unten, so dass man seine haifischartigen Zähne sehen konnte. Selbst die Ohren sanken herab. Es war ein subtiler und äußerst wirksamer Ausdruck, einer, den man nur schwer kopieren konnte. Menschen hätte man die Niederlage ebenfalls angesehen, doch die Darhel kannten das Gefühl der Niedergeschlagenheit nicht. Hass, das wohl. Wut, ganz entschieden. Niedergeschlagenheit? Nein.
Der Ghin nahm sich einen Augenblick Zeit, um seine eigenen Pläne zu durchdenken. Er wusste, dass man den Pfad zur Meisterschaft nicht mit Plänen allein beschreiten konnte. Von entscheidender Wichtigkeit war, dass man eine klare Vorstellung von der Realität hatte. Dass der junge Narr bis zu seiner augenblicklichen Position aufgestiegen war, schien ihm ein untrügliches Zeichen dafür zu sein, dass die Qualität seiner Opposition nachgelassen hatte.
Oder es deutete auf einen klugen, sorgfältig ausgedachten Plan.
Der Ghin blähte seine Nase, so dass man es nicht sehen konnte. Nein. Wohl überlegte Pläne lagen hier nicht vor. Seine eigenen Pläne waren so angelegt, dass für seine Absichten jeder einzelne Pfad in die Zukunft offen stand und diesem jungen Tölpel jeder Pfad verschlossen war. Es gab keine Fehler in seiner Vorgehensweise. Ein Gefühl der Wärme breitete sich in ihm aus.
»Dein Plan bedarf weiterer … Anpassung? Die Handlungen eines einzelnen Menschen haben deine Pläne auf Diess durchkreuzt.«
»Ja, Euer Ghin«, pflichtete der Tir ihm bei. Er hatte die Falle aufgestellt, und der alte Narr war geradewegs hineinmarschiert. »Ich befürchte, für die nächste Phase wird meine Anwesenheit auf der Erde erforderlich sein.«
»Und die wäre?« Der Ghin stellte die Targan-Falle und wartete, dass seine Beute hineintappte.
Die Gesichtszüge des Tir wurden noch undurchdringlicher. Die nächste Phase war offensichtlich, selbst für diesen alten Trottel. »Die Menschen müssen den Pfad der Erleuchtung beschreiten. Individualität ist auf dem Wege zur Gesamtheit ein Hindernis, das man überwinden muss.«
»Und wie beabsichtigst du das zu bewerkstelligen?« Wieder zuckten die Ohren des Ghin auf jene bewusst vieldeutige Art.
»Es gibt so viele Pfade zum Erfolg, dass es Tage dauern würde, sie alle zu beschreiten. Ich denke, es sollte genügen, wenn ich sage, dass die Menschen auf dem Pfad der Erleuchtung wie Spielfiguren sein müssen. Ihr Mythos der Individualität muss zermalmt werden und damit auch ihre Leidenschaft. Der Pfad der Leidenschaft ist bei unseren gegenwärtigen Bemühungen nicht der, der zum Erfolg führt. Und er ist auch nicht der Pfad zur Erleuchtung.«
Der Tir hielt inne, zitterte leicht. »Die Zeit der Helden ist vorbei. Und die Zeit bestimmter Individuen im Speziellen ist schon lange vorbei.« Der Tir war ein Meister in der Kunst, seine Gesichtszüge zu kontrollieren, aber seine Körpersprache hatte er noch nicht völlig unter Kontrolle. Die Art und Weise, wie er tief Atem holte und wie die Muskeln an seinen oberen Gliedmaßen zuckten, deuteten auf eine Aufwallung von Zorn hin.
Dieser junge Narr befand sich am Rande des Lintataü. Der Ghin zwang seine Gesichtszüge zur Unbeweglichkeit. Der Tir hatte zu viele Berichte und Analysen gelesen. Er hatte vergessen, dass tief unter dem Firnis der Zivilisation das Herz der Darhel, das Herz eines enttäuschten Kriegers schlug. Und genau gegen dieses Gefühl kämpfte er jetzt an. Und sein Kriegerherz verriet dem Ghin, dass sein Gegenüber sich ernsthaft verrechnet hatte. Die Menschen als eine Bedrohung der allumfassenden Kontrolle der Darhel würden nicht so leicht zu besiegen sein.
»Es freut mich, dass unser Volk so hervorragend geführt wird«, sagte der Ghin. Dann ahmte auch er einen menschlichen Gesichtsausdruck nach und zog die Lippen in einem breiten Lächeln zurück. Raubtierzähne blitzten auf, so dass alle sie sehen konnten, und die Indowy im Raum schlossen die Augen und wandten sich ab. Keiner von ihnen war so dumm wegzurennen oder in anderer Weise das Missfallen der Darhel-Herren zu erregen, aber keiner von ihnen würde je diesen Anblick vergessen. »Unsere Zukunft ist in guten Händen.«