Fragment 59

Nichts erinnerte mehr an Zone 3. Die Flucht der Monsterseele war gleichbedeutend mit dem Ende der Untersuchungen in diesem Stützpunkt. Man musste davon ausgehen, dass sie Mitgefangene infiziert hatte, was die Untersuchungsergebnisse verfälschen würde. Auch wenn es bedeutete, dass die Experimente auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden mussten, war es unumgänglich, dieses Lager dem Erdboden gleichzumachen.

Und da es weitab jeder Zivilisation lag, geschah dies am einfachsten, indem man diese Notwendigkeit mit den erforderlichen Waffentests der Luftwaffe kombinierte und ihr das Feld überließ. Nach ein paar Stunden glich das Gebiet einer Mondlandschaft, nichts hatte dort überlebt. Danach ebneten Planierraupen das Gelände ein, Spezialeinheiten versenkten die Überreste der Lagerruine und der zerstörten Waffensysteme im Meer. Monate später konnten nur noch geübte Augen erkennen, dass hier einst ein Labor in der Größe einer Kleinstadt gestanden hatte, in der die brutalsten Menschenversuche durchgeführt worden waren, die die Welt bis dahin gesehen hatte.

Sie erinnerte sich.

Als die Sonne aufging, kamen die Soldaten und holten den Leichnam von Blome. Die Häftlinge krochen unter Betten, stießen Tische um, verbargen sich dahinter, zwängten sich in Schränke, warteten auf den letzten tödlichen Angriff der Wächter. Doch nichts geschah. Viele Stunden verbrachten sie zitternd in ihren Verstecken. Als die Ersten ihre Angst überwanden und zu den Türen schlichen, fanden sie diese zu ihrer Überraschung unverschlossen vor. Vorsichtig verließen sie den Saal. Nichts bewegte sich draußen, es herrschte eine gespenstische Stille.

Das Chaos in den Büroräumen und in den Unterkünften ließ nur einen Schluss zu: Die Bewohner hatten diesen Ort fluchtartig verlassen, als hätte eine unbekannte Macht die Hände im Spiel gehabt und sie vertrieben. Die Gefangenen konnten ihr Glück kaum fassen. Eine kleine Stadt für sie alleine. Die Vorratsräume waren gefüllt bis oben hin, die Möglichkeiten in den Krankenstationen einzigartig. Sie feierten ihre Wiedergeburt.

Dann kamen die Jagdflugzeuge.

Die ersten Raketen schlugen ein und machten jede Hoffnung zunichte. Dar Khas Stunde war gekommen, sie musste schnell handeln. Die menschliche Kontur zerfloss, Tentakel traten hervor, die immer länger und dünner wurden. Zuerst nur wenige, dann Hunderte, Tausende, Millionen. An den Enden lösten sich die ersten Zellen ab, verteilten sich in der Luft, steuerten zielsicher ihre künftigen Wirte an.

Die Menschen liefen in Panik aus den Bunkern, hinaus in die endlose Steppe. Sie flohen vor den Flugzeugen, hinein in die lauernden Wolken aus Monsterseelen-Staub. Sie hatte sie nicht gezählt, doch es mussten an die 8000 Personen gewesen sein. Eine nach der anderen verwandelte sich, zerfiel in Teile, die kleiner waren als menschliche Zellen. Um vieles kleiner, doch auch um so vieles mächtiger. Es waren ihre Kinder. Unzählige. Sie versanken im Boden und gruben sich tiefer und tiefer in die Erde. So weit, dass auch die Waffen der Ghar Dha sie nicht aufspüren konnten.

So viele Kinder … und so wenige werden überleben.

Sie war wieder zum Menschen geworden. Das kleine Mädchen an ihrer Seite sah sie aus neugierigen Augen an. Sie drückte den Teddy in ihren Händen fest an sich.

»Keine Angst, mein Kind. Dir wird nichts geschehen. Wir müssen fort. Sofort.«

»Wohin gehen wir?«

»Komm, gib mir deine Hand. Ich zeige es dir.«

Sie liefen die Straße hinunter zum Meer und stürzten sich in die Fluten.