52 Pangäa
Die Rächerin hatte versagt. Sie stand auf der Spitze eines Berges und blickte auf die endlose Ebene des Nordterritoriums hinunter. Dort unten starben die Letzten ihrer kleinen Gruppe einen grauenhaften und schmerzhaften Tod. Diesmal einen endgültigen. Nichts konnte sie jetzt noch ins Leben zurückbringen.
Sie fühlte die Todesschreie ihrer Gefährten. Doch sie widerstand dem Sog, der sie hinunterreißen wollte. Hinunter zu den Anderen. Hinein in den Untergang. Sie durfte sich diesem Wunsch, dem Wunsch zu sterben, nicht hingeben. Denn sie starben, damit sie überlebte. Eine von Millionen musste überleben, um den Fortbestand ihrer Rasse zu sichern.
Sie war dazu auserwählt worden, diese Bürde zu tragen. Die Bürde, für den Tod ihrer Gefährten verantwortlich zu sein und fortan allein den Weg in die Zukunft zu beschreiten. Eine Zukunft, die es vielleicht nie geben würde. Und noch eine Aufgabe wartete auf sie: Sie musste ihre Artgenossen finden und gemeinsam mit ihnen einen Weg finden, diesen erbarmungslosen Feind auszulöschen.
Doch jetzt konnte sie nichts tun, außer sich zu verstecken und zu warten. Ein Ruck ging durch ihren Körper. Ein Körper, der ihr seit Jahrhunderten als Wohnort diente und nun nutzlos geworden war.
Sie verließ ihn. Die Augen des Reptils glänzten im Licht der untergehenden Sonne. Es verstand nicht, was gerade mit ihm geschah. Nur eines verstand es: Der Körper gehorchte wieder seinen Befehlen. Es richtete sich auf und rannte geradewegs in den Tod.
Zurück blieb eine schwarze ölige Masse, die langsam im Erdreich versickerte.
Vielleicht hätte ich diesem Tier sagen müssen, dass es am Rande eines Abgrundes steht und besser in die andere Richtung rennen soll. Ich hoffe für euch, dass ihr nie so intelligent werdet, dass ihr diesen gefühllosen Wesen als Wirt dienen könnt. Es wäre das Ende allen bekannten Lebens.
Am nächsten Morgen deuteten nur noch eine verbrannte rostbraune Fläche und der zerschmetterte Körper am Fuße des Abgrunds auf die Anwesenheit der Rächerin hin. Doch auch diese Zeichen würden schon bald von den Kräften der Natur unkenntlich gemacht werden.
Sie wird für eine sehr lange Zeit in diesem Zustand zwischen Leben und Tod verweilen. Sie wird träumen und in diesen Träumen die Zukunft formen. Während dieser Zeit wird sie sich immer weiter auflösen und sich über den Erdball verbreiten. Teile von ihr, kleiner als menschliche Zellen und doch um vieles mächtiger, werden jeden Quadratzentimeter nach ihresgleichen absuchen. Eines Tages werden sie sich finden. Auch wenn es viele Millionen Jahre dauern wird.
Während dieser langen Zeitspanne wird ein Superkontinent zerbrechen, seine Bruchstücke auseinanderdriften. Gebirge werden aus den Meeren aufsteigen, Landmassen im Meer versinken, neue Kontinente werden sich bilden. Doch unbeeindruckt von diesen Veränderungen werden sie sich vermehren und ihre Samenkörner überall auf der Erde verbreiten. Im Wasser, in der Erde; und in der Luft werden sie schweben und jedes Leben infizieren.
Bis sich eines Tages ein geeigneter Wirt aus dem Dreck erheben wird. Dann, ja dann wird der Zeitpunkt gekommen sein, an dem sie diese Parasiten besiegen und sie endgültig von der Erde tilgen werden.