Fragment 1

Ich traf sie auf der Straße, so um halb drei Uhr am Morgen. Was machte eine Rothaarige zu dieser Stunde auf der Straße; in diesem heruntergekommenen Viertel?

Eine Nutte aus dem ›Rats‹.

Sie war hübsch, ihr breites Becken und ihre prallen Brüste beflügelten meine Fantasie. Ich fühlte das Blut sofort nicht nur in meiner Stirn pochen, ihr kurzer Minirock und die enge Bluse taten ihr übriges.

Sie machte einen Schritt zur Seite, senkte den Blick und wollte sich an mir vorbeischleichen. Das konnte ich nicht zulassen. Mein Arm schlang sich wie von selbst um ihre Taille. Ich presste sie mit aller Kraft an mich, meine Hand verschwand unter ihrem Minirock. Ich hatte es geahnt, sie trug keinen Slip. Sie wehrte sich nur kurz. Als meine Finger ihr Ziel erreichten, stöhnte sie auf und ergab sich ihrem Schicksal.

Ich setzte sie auf eine Mülltonne, riss ihr die Bluse vom Körper, ihre Brüste sprangen mir förmlich entgegen. Ich konnte nicht anders, meine Hände begannen automatisch, sie zu kneten. Sie öffnete meine Hose, schlang ihre Arme um meinen Hals und zog mich zu sich, ich drang in sie ein.

Ein Schrei. Ein grauenvoller Schrei. Eine Frau. Sie schrie immer noch. Sie musste dem Wahnsinn nahe sein. Die Rothaarige und ich sahen uns an. Sollten wir weitermachen? Sollten wir den Schrei einfach ignorieren?

Ich seufzte.

Natürlich nicht. So rasch es ging, zog ich die Hose an und lief in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Die Rothaarige blieb zurück, sie suchte nach ihrer Bluse. Ich rannte direkt in die Arme einer anderen Rothaarigen. Ihre Schreie hatten etwas Unmenschliches an sich, ein eiskalter Schauer jagte über meinen Rücken. Ihr Gesicht glich einer Monsterfratze aus dem übelsten Horrorfilm. In ihren Augen glitzerte der Wahnsinn.

»Was ist mit Ihnen?«, fragte ich leise.

Sie schrie nur, brachte kein vernünftiges Wort heraus. Ich redete behutsam auf sie ein, versuchte sie zu beruhigen. Sie deutete in die Gasse, aus der sie gerade gekommen war.

Meine Koitus-Interruptus-Partnerin hatte ihre Bluse gefunden, sie stand plötzlich neben uns. Sie sagte kein Wort, man konnte ihr auch so ansehen, dass die scheußlichen Schreie dieser Frau ihr schwer zu schaffen machten.

»Pass auf sie auf, vielleicht bekommst du ja etwas aus ihr raus«, sagte ich zu ihr und ging auf diese Gasse zu.

»Verdammt, warum muss die gerade jetzt in der Gegend rumbrüllen, warum muss gerade mir das immer wieder passieren?«

Ich zögerte. Es war stockdunkel. Ich sollte die Polizei rufen. Ich gab mir einen Ruck und trat in die Gasse. Schritt für Schritt tastete ich mich vorwärts.

»Es ist viel zu still hier«, jagte ein Gedanke durch mein Gehirn. Ein zweiter: »Warum ist hier nicht schon längst der Teufel los, diese Schreie müsste man doch noch drei Blocks weiter gehört haben«, »was ist, wenn das eine Falle ist, ahnungslose Touristen in eine Gasse locken und zack! …«, ein dritter.

Schritte. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ein Krachen und Knacken, als wäre jemand über einen Stapel Holzkisten gefallen. Eine Türe quietschte. Ein handbreiter Lichtstrahl warf bizarre Schatten in die Gasse. Das Blut gefror in meinen Adern. Wäre da nicht der verstümmelte schlanke Körper einer Frau gewesen, dieses Stück Fleisch an seinem einen Ende hätte ich nie und nimmer als Kopf eines menschlichen Wesens identifiziert.

Zwei schwarze Löcher inmitten eines blutroten Fleischklumpens starrten mich an. Ich musste mich übergeben, ich konnte mich nicht einmal mehr rechtzeitig wegdrehen, der Inhalt meines Magens ergoss sich über den Körper der Toten. Ihr Bauch war aufgeschlitzt, ihre Arme und Beine abgetrennt worden. Gedärme und Gliedmaßen lagen fein säuberlich geordnet, soweit man Gedärme ordnen konnte, auf einer Plastikfolie.

Ich schluckte. Es waren sechs Arme und sechs Beine. Das wurde mir zu viel. Ich drehte mich um und verließ die Gasse im Laufschritt.

»Was gefunden?«, fragte die Rothaarige aus dem Bordell.

»Und ob, wir müssen sofort die Polizei verständigen«, antwortete ich, »hast du hier irgendwo eine Telefonzelle gesehen?«

»Nein.«

Ich deutete auf die wimmernde Frau.

»Was ist mit ihr?«

»Sie steht unter Schock. Die Rettung ist unterwegs.«

»Die Rettung?«

Sie gab mir ihr Handy.

»Du wolltest doch die Polizei rufen.«

Zwanzig Minuten später war hier die Hölle los. Dutzende Streifenwagen blockierten die Straßen und Hunderte Polizeibeamte durchkämmten den Bezirk. Ich war mir sicher, dass diese Suche vollkommen sinnlos war, der Täter längst über alle Berge. Nach endlosen Befragungen durften wir beide endlich gehen. Es war sechs Uhr am Morgen, was lag also näher, als ein üppiges Frühstück zu uns zu nehmen.

Es war mir unverständlich, dass ich nach diesem Erlebnis überhaupt noch etwas essen konnte, doch der Hunger war riesengroß. Ich verzehrte sechs Scheiben Toast, eine Bratwurst und zwei Eier und verspürte danach immer noch ein kleines Hungergefühl. Eines, das sich in tieferen Gefilden manifestierte, ein Hungergefühl nach einer Rothaarigen. Die Rothaarige, Isobel, begnügte sich mit einem Kaffee.

»Und jetzt?«, fragte sie nach einer halben Stunde, in der sie kein Wort gesprochen, mir nur beim Essen zugesehen hatte. In ihren grünen Augen loderte die pure Lust. Ich schüttelte den Kopf. »Grüne Augen?«

Ich sah einer Frau immer zuerst in die Augen und ich war mir fast sicher, heute Nacht hatte sie noch Braune gehabt. Wahrscheinlich die Dunkelheit, die Erregung.

»Vorschlag?«, fragte ich ebenso knapp zurück.

»Folge mir!«

»O. K.«

Ich hatte heute ohnehin nichts Besonderes vorgehabt, warum nicht den Tag mit einer Rothaarigen verbringen. Konnte sicher spannend werden.

»Ganz sicher wird es spannen«, spielte sich ein Gedanke in den Vordergrund und aktivierte heute zum zweiten Mal meine Fantasie.