44 Conchitas Spiel

Conchita Garcia wollte nicht länger warten. Hinter einer der Wände in der U-Bahn-Station Parlament gab es ein Geheimnis. Noch vor nicht einmal 20 Jahren hatte es dort ein Kaffeehaus gegeben. Das konnte man auf den Plänen eindeutig erkennen. Doch jetzt fand sich an diesem Ort anstatt eines Eingangs zum Café nur eine Wand. Conchita stand ratlos davor.

Und nun?

Es war fast Mitternacht und die Station menschenleer. Sie sah zu den Überwachungskameras hinauf und schlich langsam zum gegenüberliegenden Ende der Station.

Ich muss in den Tunnel. Wenn die nächste U-Bahn durchrauscht, bleiben mir exakt drei Minuten. Hoffentlich schläft das Wachpersonal.

Garantiert nicht!

Sie sah auf die Digitalanzeige. In zwei Minuten würde sie vom Bahnsteig in den Schacht springen und hundert Meter in den Tunnel rennen. Dort sollte es eine Nische geben, in der ein geheimer Eingang versteckt sein sollte. Noch hatte sie allerdings keinen blassen Schimmer, wie dieser Eingang zu öffnen wäre, falls es denn wirklich einen gäbe.

Hundert Meter auf Schienen und im Dunkeln mit Taschenlampe müssten in 30 Sekunden zu schaffen sein.

Und wenn da keine Nische ist?

Natürlich ist da eine Nische. Von dort führt ein Wartungskanal zum anderen U-Bahn-Schacht. Und irgendwo dazwischen muss dieser Eingang zu finden sein.

Warum hat ihn noch nie jemand gefunden? Da sind doch schon Legionen von Arbeitern hindurchgewandert. Irgendwann hätte das doch auffallen müssen?

Es ist ein GEHEIMGANG. Verstehst du? GEHEIM.

Ein Luftzug rauschte durch die Pläne in ihrer Hand. Die Vorboten der U-Bahn. Der Lufthauch wurde stärker, jetzt konnte man ein leises Rauschen vernehmen. Gleich würde die Bahn in die Haltestelle einfahren. Conchita versuchte, sich hinter einer Säule zu verstecken, um den neugierigen Blicken des Personals an den Überwachungsmonitoren zu entkommen. Die U-Bahn stoppte, die Wagen waren leer. Es dauerte keine 30 Sekunden, bis die Triebwagen wieder Fahrt aufnahmen und die Garnitur in der Dunkelheit verschwand.

Spring!

Sie rührte sich nicht vom Fleck. Ihr Puls raste. Sie stand auf der Bahnsteigkante und starrte auf die Gleise.

Los jetzt!

»Hallo, Sie da! Was machen Sie da?«

Das war der Startschuss. Jetzt war genau der Fall eingetreten, den sie für den unwahrscheinlichsten von allen gehalten hatte: Eine Polizeistreife hatte sich in den Untergrund verirrt. Sie sprang und rannte los. Das Licht der Taschenlampe zuckte nervös über die Gleise.

Falsche Entscheidung. Morgen wäre auch noch ein Tag gewesen …

»Halt, bleiben Sie stehen. Kommen Sie zurück«, hörte sie den Polizisten schreien. »Der Gegenzug …«

Gegenzug? Trottel! Hier gibt es keinen Gegenzug.

Sie blickte über die Schulter zurück. Der eine Polizist gestikulierte aufgeregt und schrie immer noch. Die Worte hallten aus allen Richtungen als Echo wieder und machten es ihr unmöglich, zu verstehen, was er ihr sagen wollte. Der zweite Polizist sprach in sein Funkgerät.

Scheiße, die halten die U-Bahn an. Ich muss den Geheimgang finden, sonst wird es teuer. Papá wäre nicht begeistert. Wenigstens folgen sie mir nicht.

Ein Luftzug wirbelte Staub zwischen den Schienen auf und ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hörte das Rauschen, das jeder U-Bahn vorauseilte. Es war hinter ihr und kam schnell näher.

Kein Gegenzug! Ein Außerplanmäßiger … Fuck.

Ihr Puls raste. Sie rannte um ihr Leben. Die Taschenlampe suchte nach einer Vertiefung in der Tunnelröhre.

Gleich muss sie kommen.

Doch da war nichts. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Zurück konnte sie nicht, das würde zu lange dauern. Ein Lichtkegel blendete sie. Sie hatte noch genau zehn Sekunden zu leben.