Epilog
Untergegangene Reiche
Wenn man den neueren Forschungen zu Gesellschaft und Kultur der Maya glauben darf, war ihr ganzes gesellschaftliches Leben in der sogenannten klassischen Periode (ca. Von 200 bis 900 n. Chr.) von magischem Denken bestimmt. Kernstück des magischen Gebäudes war der König, der als oberster Schamane die übernatürlichen Kräfte bannen und bündeln konnte. Die Rituale hatten sehr häufig mit Blutvergießen zu tun. Entweder mußte sich der König mit einer Obsidianklinge oder einem geschärften Rochenstachel in einem ekstatischen Ritual Blut abzapfen, oder Gefangene aus vorhergegangenen kriegerischen Unternehmungen mit rivalisierenden Stadtstaaten wurden geopfert. Oft geschah beides gleichzeitig oder in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Die Ernte sollte verbessert, dem nächsten Kriegszug das Gelingen gesichert werden. Man geht heute davon aus, daß sogar das Zustandekommen, aber auch das Zerbrechen der Maya-Stadtstaaten selbst mit dem Konzept des Königs als oberstem Schamanen zusammenhängt, denn es kam durchaus vor, daß eine Bauernschaft, die sich um einen bestimmten König zu einem monarchisch regierten Gemeinwesen zusammengefunden hatte, diese Lebensform wieder aufgab und zur vorhergegangenen, eher egalitären Gesellschaftsform zurückkehrte (so z. B. in dem frühen Maya-Königreich Cerros). Das Charisma der Könige zog seine eigene materielle Basis in Form der Bauernschaft an, die Bauern blieben solange untertan, so lange der Herrscher Wunder wirken konnte, gegen die Feinde aus der Nachbarregion, gegen die Unbill des Wetters. Wenn das Charisma erlosch oder durch allzu viele Fehlschläge widerlegt wurde, ließen die Maya anscheinend ihre Könige Könige sein, und gingen weg. Manche Mayanisten glauben, daß ein ähnlicher, massenhafter Umkehrprozeß zur Auflösung der gesamten klassischen Mayakultur um 900 n. Chr. führte; ein kombinierter ökonomischer und spiritueller Bankrott, der die Landbevölkerung zu der Überzeugung brachte, es sei die Mühe nicht mehr wert mit diesem Königtum. Am Ende war all die Gewalt gegen sich selbst und die anderen umsonst, blieben all die Ahnen und Götter, die man in ekstatischen Bluträuschen beschwor, Gespenster einer spirituellen Strategie der Selbstlegitimierung. »Gott mit uns« stand noch nirgendwo auf ihren Uniformen, aber etwas ähnliches müssen sie nach dem Stand der Forschung schon geglaubt haben, solange es ihnen nützte. Wenn man auch die heutigen esoterischen Budenzaubereien noch lange nicht mit einem in sich stimmigen kulturellen Konzept wie der Maya-Religion vergleichen kann, vor allem auch deswegen, weil die Kunstwerke, die die heutigen Esoteriker schaffen, von so erbärmlicher Qualität sind, so wäre doch der Zusammenbruch der Maya-Magie, wenn er denn in der beschriebenen Form stattgefunden hat, ein vernünftiger Vorschlag: Sich von den Kaisern abzuwenden, wenn sich herausgestellt hat, daß sie keine Kleider tragen.