Was tun
Telekinese, Geisterseherei, Pendelschwingerei, Numerologie, Alchemie, Tarot, Steinheilerei, Astrologie, Handlesen, Ufologie, Wahrsagerei, Schamanismus, Satanismus, neochristlicher Missionarismus, Mondsucht, anthroposophisches Hupfdohlentum, kollektives Urintrinken, Turbotibetanismus und all die anderen daraus abgeleiteten und kombinierten Springtänze sind die neuen alten Kennzeichen einer Antihumanität, die die Aufklärung gerne beerben will, nachdem diese es versäumt hat, ihre großartigen Versprechungen einzulösen. Das blinde Bündnis mit der Macht, das die Okkulten von vorneherein suchen, weil es bei ihnen gar nicht zur Debatte steht, hat die Aufklärung ihrer moralischen Substanz ebenso gründlich beraubt wie die herkömmlichen Religionen der ihren. Der Paradigmenwechsel, der sich mit halbgaren Adaptionen der Kernphysik und ebenso halbgaren Adaptionen einer teilweise gefälschten Indianermystik Ende der siebziger Jahre ankündigte, ist näher gerückt, und die Schatten, die er vorauswirft, sind schon jetzt zum Fürchten. Man könnte meinen, Lachen sei die beste Medizin. Das ist auch bis zu einem gewissen Grad richtig. Das Gelächter der Kinder, die nicht an die neuen Kleider des Kaisers glauben, weil sie sehen, daß er nackt ist, war schon immer eine der wertvollsten Waffen im Umgang mit jeder Art von Usurpatoren. Wenn aber der esoterische Nonsens die politische Sphäre bis zu einem gewissen Grad durchdrungen hat, und erste Anzeichen dafür sind erkennbar 29, dann wird die Aufgabe um vieles schwieriger. Bei diesem Punkt angelangt, wäre der politische Kampf die letzte Möglichkeit. Aufklärung ist nicht sexy. Müßte sie in den politischen Kampf um ihre Verteidigung eintreten, hätte sie denkbar schlechte Karten. Sie müßte sich bei diesem Kampf in einem starken Ausmaß auf repressive Mittel verlassen und trüge sofort den Makel des Althergebrachten an sich. Da sie selbst ein Mittel der Macht ist, würde die Erhaltung des Status quo als reiner Machterhalt von denen begriffen und vermarktet, die die Macht erst noch erlangen wollen.30
Die planmäßig brutalisierte Klassengesellschaft, in der wir leben, nutzt die Vernunft in ihrer instrumenteilen Variante mit atemberaubender Rücksichtslosigkeit zum Machterhalt. Sie sieht ihren großen Sinn darin, auf der einen Seite enorme Reichtümer anzuhäufen und die enorme Verzweiflung, die genau das auf der anderen Seite erzeugt, zu verdrängen und zu verwischen. Sich vor diesem Hintergrund über das Aufblühen und Gedeihen von Kulten, Sekten und Esoterik zu wundern ist der reine Zynismus.
Repression wird also nichts nützen. Toleranz aber auch nicht. Toleranz fordern am heftigsten die ein, die sie am wenigsten interessiert. Religions-, Gewissensund Redefreiheit ist denen ein genehmer Schlachtruf, die all das nach der Machtergreifung sofort abschaffen würden. Appeasement macht gegenüber den Okkulten genausowenig Sinn wie gegenüber dem Rechtsradikalismus. Die Fanatiker der Dummheit werden sich niemals mit einem kleinen Stück, sondern immer nur mit dem ganzen Kuchen zufriedengeben, gerade das ist eine Kennmarke ihrer Dummheit. Es heißt also das Gemeinwesen den kommenden Inquisiteuren auszuliefern, wenn man ihren Rufen nach »Redefreiheit« Glauben schenkt und sie gewähren läßt.
Wenn man nicht weiß, was zu tun ist, dann bleibt wenigstens die Hoffnung. Daß die Vernunft letztendlich wie in einem mythischen Kampf zwischen Gut und Böse endgültig die Oberhand behält, trägt selbst die Kennmarke des Irrationalismus an sich: das Denken in schwarz und weiß. Die erwachsenere Hoffnung, daß die Vernunft im Durchschnitt den längeren Atem hat, daß die Versuchung durch das vernünftige Denken für Menschen letztendlich unwiderstehlich ist, ist nicht grundsätzlich verkehrt, aber weil sie so wenige Indizien für sich in Anspruch nehmen kann, wirkt sie auch sehr schwach. Immerhin ist sie nicht vollends widerlegt, weil niemand die Zukunft kennt, und selbst am Ende dieses Jahrhunderts wäre es unklug, »nie« zu sagen.