Träumende Teilzeitkräfte
Esoterik ist in den meisten Fällen eine Kompensationsstrategie der Ohnmacht. Das gedemütigte Metropolenbewußtsein sucht nach Tricks und Kniffen, die Schmerzen der Ohnmacht zu vermeiden. Daß der sanfte Wahn klassenübergreifend seine Opfer findet, hat damit zu tun, daß niemand vor Degradierung sicher ist. Die Stellung auf Lebenszeit, die gesicherte Rente aus ökonomischen Gründen gestrichen. Die Umschichtung der Wirtschaft hat eine Verunsicherung zurückgelassen, die nur noch begrüßt, wer sich ganz oben wähnt. So machen sich die Manager mit einwöchigen Zen-Seminaren fit für die mörderische Umstrukturierung der Firma, während die Habenichtse von modernen Märchenerzählern in ein früheres Leben als Könige zurückgeführt werden. Das Subjekt erholt sich in der esoterischen Sauna von seinem ständig fortschreitenden Abbau. Ihm wird pausenlos zugeschrieen, daß es nichts ist, während die großen wirtschaftlichen Interessen alles sind. Bei den freundlichen Seminarleitern und -leiterinnen wird ihm hingegen erzählt, daß dem keineswegs so ist, und wenn doch, daß es einen Sinn hat. Irgendwie muß den bedrohlichen Mächten Paroli geboten werden, und sei es um den Preis des Überschnappens. Keineswegs geht es um die Lösung vom Ich. Das geknechtete Subjekt phantasiert sich vielmehr in einen Zustand der Einheit mit einem größeren Massensubjekt, dem nichts widerstehen kann. Fröhlich vereint, sind sie wieder wer. Wenn 18 000 Ehepaare im Fußballstadion »ja« sagen, sagen sie Ja zur Auflösung in einem allmächtigen Gruppen-Ich. Das gedemütigte Subjekt sieht in den Zerrspiegel der Esoterik und bestaunt sich selbst in seiner wabernden Dehnung ins Unermeßliche.
Die Esoterik ist die Religion der Dienstboten, in einer Gesellschaft, die nur noch Dienstboten kennt, ob sie nun durch den Vorderoder Hintereingang hereinkommen, ob sie noch Arbeit haben oder nicht.