Schattenriß der Unmittelbarkeit

 

Die Esoteriker, vor allem die medizinisch interessierten, glauben an Strukturgleichheit und die magische Übertragbarkeit von Eigenschaften zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und der unbelebten Natur. Eine Staude, die hoch aufschießt und gelbe Bten hat, muß in der Lage sein, »Sonnenenergie« auf den Menschen zu übertragen, ihn also fröhlich, kraftvoll, energiegeladen zu machen. Tomaten bringen Krebs, weil sie als Nachtschattengechse irgendwie Dunkelheit, Gift und Verworfenheit in die menschliche Nahrungskette eintragen. Bernsteinketten lindern den Zahnungsschmerz bei Kleinkindern, weil sie aus versteinertem Baumharz bestehen, das die Kraft zum Wundverschlgewissermaßen gespeichert hat. Klinische Studien, Empirie, kritische Überprüfung, kurz: wissenschaftliche Methoden sind dabei nur hinderlich. Was allein zählt, ist die Intuition des Meisters oder das geschäftstchtig neuentdeckte »Wissen« der Altvorderen. Ob die hochaufschießende Sonnenpflanze antidepressiv wirkt, bliebe noch zu prüfen. Möglich ist es durchaus, aber nach allem, was wir heute wissen, hinge es nicht mit ihrer Gestalt zusammen. Wenn Tomaten krebsfördernd wären, hätten Italiener schlechte Karten. Bernsteinketten mögen hübsch aussehen, aber dsie irgendeinen Einfluß auf Zahnschmerzen haben, ist schlicht und ergreifend nicht bewiesen. Da Schmerzen nicht objektiv mbar sind, ist es auch nicht beweisbar, genauso wie sein Gegenteil, und daher ist die Aussage als Tatsachenbehauptung in sich wertlos, als Werbepropaganda aber unschlagbar.

Esoteriker glauben an Unmittelbarkeit überhaupt. Alles ist eins. Unterschiede sind Chimären eines sekundären Intellekts, der die Ureinheit alles Lebendigen und Unlebendigen nur nicht mehr erkennen kann. Schwester Katze, Bruder Regenwurm, Nachbar Stein, Vorfahr Baum. Was wie eine seichte Neuauflage der animistischen Überzeugungen sogenannter Naturlker aussieht, ist in Wahrheit etwas viel Bösartigeres. Denn die Tatsache, daß dieses Phänomen nach Christentum und Aufklärung auftritt, kennzeichnet es als krankhafte Regression, die vorhergegangene geistige Entwicklungsstufen umstandslos für den schmalen Gewinn einer flüchtigen seelischen Entspannung kassiert. Der Neoanimismus trägt deutlich die Züge einer geistigen Selbstamputation. Typisch dafür die Verleugnung der Realität. Man fährt zwar täglich Auto, benutzt Computer, Telefon und fliegt zum Esoterikurlaub mit der Boeing 747, aber eigentlich ist man Indianer. Eigentlich ist die Verbindung zum Ureinen nur leicht gestört, und ein dreiwöchiger Urlaub beim Schamanen mit Vollpension und anschließendem Erleuchtungszertifikat wird das schon ins reine bringen. Die kulturnotwendige Entfremdung des Menschen von der Natur soll weder anerkannt, noch soll der Schmerz darüber gespürt werden. In Wahrheit wurde die »ursprüngliche« Verbindung mit der Natur unterbrochen, als wir Menschen wurden. Das reflektierende Bewußtsein, das sich in der Esoterik gleichzeitig schlau und dumpf hinters Licht führt, ist der Bruch dieser Verbindung selbst. Wir können nicht mit den Tieren sprechen, und ein plätschernder Bach spricht überhaupt nicht. Die wirkliche Entspannung läge in einer unabsichtlichen und unveranstalteten, also ritualfreien Versöhnung mit der Natur, die uns durch die von uns selbst geschaffenen Gesellschaften täglich verwehrt wird. Die Wahrheit der idealisierten »Naturvölker« sieht heute so aus, daß sie in Reservaten und schlecht geschützten Schutzgebieten die miserable Existenz von Zootieren hren. Obendrein müssen sie sich auch noch das doppelte Unrecht gefallen lassen, von den gleichen Leuten, die sie gebrochen und unterdrückt haben, als mythologischer Steinbruch benutzt zu werden. Das endlos verlängerte Leiden von Leonard Peltier, der seit Jahrzehnten im Gefängnis für Morde schmachtet, die er nicht begangen hat, ist das wahre Symbol für die indianische Realität heute, nicht die kunstgewerblich angefertigten »Weissagungen« und »Einsichten«, mit denen die esoterischen Nippeshändler hausieren gehen.

Weil alles eins und gleich ist, können esoterische Tierliebhaber auch schon nicht mehr zwischen der Grausamkeit gegen Menschen und der gegen Tiere unterscheiden. Das freie und edle Tier, den Widersprüchen der Menschen durch seine glückselige Bestialität enthoben, ist der ultimative Fluchtpunkt für die regressiven Sehnsüchte nach Einheit mit der Natur, der superedle Wilde. Daher ist die Grausamkeit gegen das Tier für die sogenannten Tierrechtler und Veganer das Böse schlechthin, schlimmer als Grausamkeit gegen Menschen, die ja, verderbt und zivilisationskrank wie sie sind, alles nur erdenklich Üble verdienen. Die Hysterie steht Gewehr bei Fbereit, Menschen zu opfern, um Tiere zu schützen. Was das an der ökonomisch, medizinisch und moralisch sinnlosen Fleischfresserei ändert? Gar nichts.

Esoteriker nehmen gern wörtlich. Was als Metapher, als Symbol oder Zeichen für unbegriffene Erfahrungen durchgehen kann, wird ihnen sofort zur umstandslos greifbaren Realität. Das Unwohlsein an einem bestimmten Ort, seine negative Atmosphäre verwandelt sich ihnen unter der Hand in Erdstrahlen. Die Ausstrahlung eines Menschen, seine psychische Gestimmtheit im Bezug auf andere, der Eindruck, den er bei anderen hinterläßt, wird flugs zu seiner »Aura« erklärt, zu seiner »Energie«, zu »Schwingungen«, die er aussendet. Mißgunst, Neid und üble Nachrede, mit der jemand seine Umgebung plagt, oder die paranoide Projektion der eigenen Schweinereien verwandeln sich in den magischen »bösen Blick«. Die Phantasie von Atlantis, in der der Wunsch nach dem reinen Land hinter den sieben Bergen kulminiert, wird ihnen zum geographischen Bericht. Nichts fürchten sie mehr als die Auflösung von Bildern in nüchterne Realität. Wo sie droht, werden bei den Esoterikern Kräfte wachgerufen, die sie vorher so erfolgreich abgespalten haben: tendenziell wird der böse Bote, der Aufklärer, immer mit Vernichtung bedroht, zumal, wenn der Budenzauber ökonomisch erfolgreich war.