28
»Renn doch nicht so!«
Heinrichs blieb stehen und lehnte sich schnaufend gegen die Hauswand. Sie hatten ihr Auto auf dem Großen Markt abgestellt und mußten den steilen Hasenberg hoch.
Van Appeldorn kam zurück und sah ihm besorgt ins schweißnasse Gesicht. »Geht’s dir nicht gut?«
»Na ja, bei diesem Waschküchenwetter merke ich einfach, daß meine Pumpe ganz schön verrostet ist«, japste Heinrichs.
»Entschuldige, ich habe nicht dran gedacht. Diese dumme Pute!«
Heinrichs setzte sich wieder in Bewegung, langsam, Stufe für Stufe. An der Ecke vom Grünen Heideberg parkte ein dunkelblauer BMW.
»Maywalds Auto«, sagte van Appeldorn. »Der ist bestimmt bei der Peters. Am liebsten hätte ich mir den heute noch mal vorgeknöpft.«
Heinrichs lehnte sich schwer atmend gegen den Kotflügel.
»Kann ich verstehen«, meinte er nach einer Weile. »Aber trotzdem hat Helmut recht. Der kann uns das Blaue vom Himmel erzählen, wieso der an dem Abend nach Grafwegen wollte. Erst mal gucken, was Ackermann findet. Der Maywald läuft uns nicht weg.« Er stieß sich vom Auto ab.
»Laß uns lieber was über die Tote rauskriegen. Der zweite Vorsitzende von dem Verein heißt Müller – dieser nette Mann, der vorhin angerufen hat. Er wohnt oben am Klever Berg. Vielleicht ist der ja kooperativer.«
»Nee«, van Appeldorn tippte auf seine Armbanduhr.
»Heute nicht mehr. Es ist gleich sieben, und ich hab heut’ noch Training.«
»Ist mir auch recht. Meine Frau wird sich freuen, wenn ich mal vor der Tagesschau zu Hause bin. Laß uns aber noch mal eben ins Büro hochspringen. Vielleicht hat Ackermann ja angerufen.«
Toppe wartete schon; Ackermann hatte sich tatsächlich gemeldet.
»Die Papiere der bulgarischen Kinder sind gefälscht.«
»Adieu Training«, fügte sich van Appeldorn.
»Nein«, sagte Toppe entschieden. »Wir warten ab, bis Ackermann die Bücher geprüft hat. Er hat mir versprochen, daß er bis morgen nachmittag damit fertig ist. Außerdem möchte ich auch mit Lowenstijn reden.«
»In Ordnung«, meinte van Appeldorn. »Ich bin dann weg, oder gibt’s sonst noch was?«
»Ja. Stasi war vorhin hier und hat sich für eine Woche verabschiedet, auf eine Fachtagung nach Köln. Der war unheimlich kusch. Irgendwas muß da in Holland vorgefallen sein.«
»Vielleicht hat dem ja endlich mal einer den Wurm gesegnet«, freute sich Heinrichs.
Toppe packte seine Sachen zusammen. »Und was habt ihr über die Jansen rausgekriegt?«
Astrid hatte einen Termin mit dem Makler. Sie sollte sich ein Haus in Materborn auf der Esperance anschauen. Als Toppe nicht aus dem Büro wegkam, hatte sie kurzerhand ihren Vater angerufen und ihn gebeten mitzukommen. Er hatte sie am Präsidium abgeholt.
Das Haus war ein Traum: ein ehemaliger Bauernhof, gerade renoviert. Zweigeschossig, unten eine große Wohnküche, vier helle Zimmer, eine geschnitzte Holztreppe nach oben, wo noch mal vier Zimmer waren; im ehemaligen Schweinestall ein Palast von einem Badezimmer, die angebaute Scheune mit dem Heuboden. Das Grundstück war fast 5000 qm groß, ein Obsthof mit Kirsch- und Apfelbäumen, ein Stück Nutzgarten, Wiesen und eine verwunschene Buchenlaube.
»Und so was kann man sich von einem einfachen Polizistengehalt leisten?« fragte ihr Vater.
»Ja, kann man, stell dir vor«, antwortete Astrid und schluckte an der Galle. »Wirklich, Papa, du bist ein solcher Snob. Du vergißt immer, daß ich auch ’nur’ Polizistin bin.«
»Du weißt ganz genau, daß es mir nicht darum geht«, sagte er knapp.
Sie betrachtete ihn, wie er da neben seinem blitzenden Mercedes stand: hellgrauer Anzug, italienische Schuhe, schlank und sportlich, die Haare nachlässig gefönt – ein Bilderbuchpromi. Er war nur zehn Jahre älter als Helmut.
»Das Haus ist wirklich schön«, meinte er, »aber doch wohl viel zu groß für zwei Personen.«
Sie reckte sich. »Es muß ja nicht bei zwei Personen bleiben«, sagte sie vage und freute sich, als seine Lippen schmaler wurden. »Wer weiß, kann sein, daß ich schon schwanger bin.« Es konnte nicht sein, und Helmuts Erleichterung, als sie heute morgen die Tampons aus dem Spiegelschrank nahm, hatte weh getan. Er hatte nichts gesagt, aber sein Gesicht sprach Bände. Den ganzen Tag war ihr zum Heulen gewesen.
Ihr Vater schloß den Wagen auf. Kein Wort, eisiges Schweigen. Es tat ihr schon wieder leid, daß sie es ihm auf diese Art gesagt hatte, aber dann sah sie die Wut in seinen Augen.
»Du kannst mich am Gemeindeweg absetzen, Vater. Ich muß mal mit Gabi reden.«
»Mit seiner Frau?«
»Ja, mit seiner früheren Frau.«
Er schüttelte nur den Kopf.
Gabi saß mit Oliver beim Abendbrot. Wenn sie erstaunt war, daß Astrid allein kam, zeigte sie es nicht.
»Willst du was mitessen?«
»Nee, laß mal. Wir wollten heute abend noch zum Griechen, Helmut und ich«, antwortete Astrid müde. »Haben mal wieder den ganzen Tag nichts Warmes gekriegt.«
»Aber einen Kaffee trinkst du doch?«
Gabi merkte gut, daß was in der Luft lag, und sie schickte Oliver mit seinem Brot ins Wohnzimmer vor den Fernseher.
»Was ist los? Habt ihr Krach?«
»Krach kann man das wohl nicht nennen.« Astrid erzählte. »Ich muß einfach mit jemandem drüber reden, sonst werd ich verrückt.«
Gabi schluckte. Sie mochte Astrid, und seit der Scheidung sahen sie sich ziemlich oft. Astrid und Helmut – damit hatte sie sich abgefunden, aber ein Kind, eine neue Familie? Trautes kleines Glück. Es schmerzte doch, aber sie wollte es nicht zeigen.
»Das war schon immer Helmuts größtes Problem, Entscheidungen zu treffen. Er kann einfach Leuten, die er liebt, nicht weh tun. Letztendlich ist unsere Ehe daran gescheitert, so absurd das klingt. Irgendwann hat er festgestellt, daß er ein Leben führt, das jemand anderes für ihn ausgesucht hat.«
Astrid sah sie hilflos an. Sie kämpfte mit den Tränen.
»Hör zu.« Gabi nahm ihre Hand. »Als das damals mit euch losging, habe ich gedacht, bitte entschuldige, aber ich habe geglaubt, es wäre eine reine Bettgeschichte.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Helmut hat das wohl auch so gesehen, und ich bin nicht sicher, ob das heute anders ist«, sagte Astrid bitter, aber Gabi schüttelte den Kopf.
»Hör doch auf, Mensch. Du weißt ganz genau, daß das nicht stimmt. Ich habe das ziemlich schnell kapiert. Deshalb habe ich dann auch so auf die Scheidung gedrängt. Er … er liebt dich wirklich.«
Jetzt weinte Astrid doch. »Ja, vielleicht. Ach, verflucht, wir müssen doch irgendeinen Plan für unser Leben haben. Ich meine, ich habe immer das Gefühl, daß er sich noch nicht mal sicher ist, ob er überhaupt mit mir leben will. Da sind immer wieder Momente, da … ach Mist!« Sie schniefte. »Du meinst also, ich muß ihm Zeit lassen?« Da war eine Menge unterdrückter Wut.
»Nein, das meine ich nicht«, erwiderte Gabi und lächelte. »Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber ich habe ihn immer noch unheimlich gern, und ich will nicht, daß er noch mal auf die Nase fällt. Rede mit ihm, laß ihn nicht wegtauchen.«
»Das hört sich so leicht an.«
Gabi lachte. »Ja, ich weiß, aber du bist anders gestrickt als ich.«
»Ach!« winkte Astrid ab. »Manchmal macht mich das alles einfach nur sauer. Der Mann ist doch erwachsen!«
»Nein, das ist er nicht. Jedenfalls nicht in diesem Punkt.«
Sie goß Kaffee nach, Astrid putzte sich die Nase. Es war alles gesagt, das wußten beide.
Sie erzählte von dem Haus, das sie sich gerade angesehen hatte.
»Wenn’s für euch zwei zu groß ist, vielleicht wäre es ja was für die Jungen und mich.«
»Vielleicht«, meinte Astrid. »Willst du denn nicht mit deinem Freund zusammenziehen?«
Gabi kniff die Augen ein klein wenig zusammen. »Nein, das will ich ganz bestimmt nicht.«
»Okay«, sagte Astrid hastig. »Du kannst es dir ansehen, wenn du willst. Ich habe den Schlüssel noch, weil ich es Helmut zeigen wollte.«
»Prima. Wie wär’s mit morgen abend? Ich habe übrigens zwei Interessenten für dieses Haus. Kannst du Helmut sagen, vielleicht kommt er ja mal vorbei, damit wir’s besprechen.«
Van Appeldorn humpelte zur Theke. Er hatte beim Trainingsspiel einmal mit Schmackes in den Rasen getreten, und sein rechter Knöchel fühlte sich an, als wäre er unter eine Dampframme gekommen.
»Tja, Norbert, wir werden alle nicht jünger«, tröstete der Wirt. »Ein Alt?«
»Ja, aber ein großes«, muffelte van Appeldorn und knallte die Sporttasche auf den Barhocker.
»Ist schon in Arbeit, Junge!« Er zapfte kurz nach und schob ihm das Glas rüber.
Wolfgang, der Keeper, stand schon hinter seiner Cola-Korn und sah ihn aus seinen Triefaugen an. »Kannste damit denn am Samstag überhaupt spielen?«
»Weiß ich doch jetzt noch nicht«, grunzte van Appeldorn.
»Sach ma’, Norbert«, Wolfgang senkte dramatisch die Stimme, »diesen Geldek, diesen Baufritzen aus dem Ruhrpott, den hattet ihr doch auch mal am Kanthaken?«
»Stimmt«, nickte van Appeldorn. »Ist aber schon ein paar Jahre her.«
Er trank sein Bier in einem Zug und winkte mit dem leeren Glas. Der Wirt hatte das frische schon gezapft. »Warum fragst du?«
»Ach, ich hatte bloß gedacht, der war weg vom Fenster.«
»War der auch. Hatte sich nach Südamerika abgesetzt. Aber war ihm wohl zu öde. Jedenfalls ist er zurückgekommen und hat sich einen cleveren Anwalt besorgt. U-Haft, mehr war nicht.«
»Jetz’ is’ er jedenfalls wieder dick im Geschäft.«
»Echt?«
»Haste dat denn noch nich’ gehört? Der kauft doch da die ganzen Grundstücke am Wolfsberg zusammen. Da soll doch ’ne Schule hin, oder so wat.«
»Sieh an, Geldek! Ich dachte, der hätte seinen Wirkungskreis nach Westfalen verlegt.«
»Da müßt er schön bescheuert sein, wo er hier doch die ganzen Connections hat.«