6

Keine Minute später manövrierte Maggie den großen Ford durch die schmale Gasse, die zur Polizeigarage führte, und parkte ihn in der Nähe der Hintertür in einer Lücke zwischen zwei schwarz-weiß lackierten Streifenwagen. Ohne zu sprechen, betraten sie das Gebäude und fuhren mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock. Bis auf Tom Tasco, der gerade telefonierte, und Brian Cleary, der die Füße auf seinen Schreibtisch gelegt hatte und genüsslich ein Stück Pizza verzehrte, war das Büro unbesetzt. Cleary, der die Uniform erst vor Kurzem gegen Zivilkleidung getauscht hatte, war noch neu im Dezernat. Tasco hingegen war ein erfahrener Detective, der schon seit über achtzehn Jahren für das Portland Police Department tätig war. McCabe fand, dass er der Richtige war, um Cleary einzuarbeiten und mit allem vertraut zu machen. Tascos bisherigen Partner, Eddie Fraser, hatte er dem gelegentlich etwas schwierigen Carl Sturgis zugeteilt.

Als McCabe und Maggie näher kamen, hob Cleary den Blick. »Wenn ihr auch was zu essen wollt, hinten im Konferenzraum ist noch mehr davon«, sagte er.

Da erst merkte McCabe, wie ausgehungert er war. Bis auf einen Bagel zum Frühstück hatte er den ganzen Tag noch nichts gegessen. »Okay, dann machen wir unsere Besprechung dort.« Er signalisierte Tasco, dass er nachkommen solle, sobald er das Telefonat beendet hatte. Auf dem großen Konferenztisch standen ein paar warme Colas und einige offene Pizzaschachteln. Ein Detective namens John Hughes aus dem Dezernat für Eigentumsdelikte nahm sich gerade ein Stück. »Wem schulde ich hierfür was?«

»Geht alles auf Shockley«, erwiderte Cleary.

»Das ist aber das erste Mal«, meinte Hughes. »Er muss euch wirklich gern haben.« Hughes nahm sein Pizzastück in die Hand und verließ den Raum. Tasco kam dazu.

»Ist Shockley noch da?«, wollte McCabe wissen.

»Nein, ist gerade gegangen. Fortier auch«, sagte Cleary.

»Gibt’s sonst irgendetwas Neues?«

»Du meinst, abgesehen von deiner tiefgefrorenen Leiche?«

»Ja, genau. Abgesehen davon.«

»Ein paar Arschlöcher haben beschlossen, das neue Jahr damit einzuläuten, einen Obdachlosen zu Brei zu schlagen, drüben in der Preble Street.«

»Nur zum Spaß?«

»Sieht ganz so aus. Vielleicht hat das Ganze auch einen rassistischen Hintergrund. Das Opfer war schwarz und hatte absolut nichts Wertvolles bei sich. Bill und Will sind an der Sache dran.« Seit McCabe die beiden Detectives Bill Bacon und Will Messing vor drei Jahren zu einem Team gemacht hatte, waren sie allgemein nur noch unter ihren sich reimenden Vornamen bekannt.

»Kennen wir die Täter?«

»Noch nicht. Das Opfer liegt auf der Intensivstation im Cumberland Medical Center. Vielleicht kommt er durch, vielleicht auch nicht.«

Detective Carl Sturgis streckte den Kopf zur Tür herein. »Ist das eine private Feier, oder darf hier jeder mitmachen?«

»Komm rein, Carl«, sagte McCabe. »Wo hast du denn Eddie gelassen?«

»Bei einer Schultheateraufführung. Peter Pan. Seine Tochter spielt die oberste Fee.«

»Tinker Bell?« Maggie lächelte.

»Ja, genau. Tinker Bell. Dürfte mittlerweile vorbei sein«, sagte Sturgis mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Er nahm sich ein Stück Pizza und eine Cola und setzte sich hin.

McCabe gab Maggie ein Zeichen. Sie nickte und klappte ihr Handy auf. »Hallo, Eddie, hier ist Maggie.« Pause. »Tut mir leid, dass ich dich zu Hause anrufe, aber wenn das Theaterstück jetzt zu Ende ist, könnten wir dich heute Abend noch in der Zentrale gebrauchen.« Pause. »Ja, genau. Ein Mord. Stell dich auf eine lange Nacht ein.« Pause. »Nein. Du kannst ruhig noch warten, bis der Star des Abends im Bett ist. Bis dahin schaffen wir es auch so. Ich hoffe, das Publikum war begeistert.«

»Übrigens, so ein uniformierter Kollege in Übergröße, Joe Vodnick, hat gerade einen Zeugen im kleinen Verhörzimmer abgeliefert«, sagte Sturgis. »Einen gewissen Hester?«

»Der kann ruhig noch einen Augenblick warten«, meinte McCabe.

Tasco kam herein und verteilte einige Farbfotos. Jeder bekam drei Aufnahmen, die alle ein und dieselbe Frau zeigten. »Elaine Goff?«, erkundigte sich Maggie.

»Ja«, meinte Tasco. »Elaine Elizabeth Goff, Rechtsanwältin und, wie ihr alle wisst, Besitzerin eines nagelneuen BMW 325i Cabrio. Ich nehme an, das ist eure Leiche?«

McCabe legte die drei Bilder eines nach dem anderen vor sich auf den Tisch. Die Ähnlichkeit mit Sandy war sogar noch verblüffender als bei der toten, gefrorenen Frau im Kofferraum. »Ja«, sagte er dann, »das ist sie. Wo hast du denn die Fotos her?«

»Von Google Bilder. Wirklich verblüffend, was man da alles findet.«

McCabe sah sich die Bilder der Reihe nach an. Das erste war ein Bewerbungsfoto, schwarz-weiß. Eine gestellte, sehr förmliche Aufnahme im Stil von Fabian Bachrach. Das zweite musste aus irgendeinem Urlaubs-Blog stammen. Es zeigte Goff in einem knappen Bikini an einem Swimmingpool. Palmen im Hintergrund. Sie blickte direkt in die Kamera und nippte an einem Cocktail, der nach Piña Colada aussah. Auf diesem Bild sah sie Sandy am ähnlichsten. Sehr viel ähnlicher jedenfalls als als Tote im Kofferraum eines BMW. Und das lag nicht nur an der Umgebung oder an dem Bikini. Es war ihre Ausstrahlung. Dieselbe Mischung aus Lächeln und Grinsen, die er tausende Male gesehen hatte. Die besagte: Mach dir keine Hoffnungen, Arschloch, für einen Typen wie dich bin ich einfach ein paar Nummern zu scharf. Er hatte das Gefühl, als wüsste er bereits jetzt alles, was man über Elaine Elizabeth Goff wissen konnte. Obwohl die beiden nicht identisch waren. Obwohl es Unterschiede geben musste. Er musste sich vor diesem Gefühl in Acht nehmen.

Auf dem letzten Bild trug Goff ein trägerloses schwarzes Abendkleid. Es musste bei einem festlichen Anlass entstanden sein. Sah aus wie die Art von Fotos, die Pressefotografen auf schicken Spendengalas schossen. Der Press Herald war voll mit solchem Kram. Sie war nicht allein auf dem Bild, sondern in Gesellschaft einer anderen jungen Frau, einer attraktiven, sommersprossigen Blondine, sowie dreier Männer in Abendgarderobe. Zwei davon hatten graue Haare und waren schätzungsweise Mitte fünfzig. Der dritte, der rechts neben Elaine Goff stand, war vielleicht zehn Jahre jünger. Seine intensiven, dunkelblauen Augen waren direkt auf das Objektiv der Kamera gerichtet. Schmales Gesicht, krumme Nase und halblange dunkle Haare. Er war vielleicht nicht unbedingt attraktiv, aber in seinem Blick lag etwas Besonderes, eine gewisse Anziehungskraft. Star-Qualität. Charisma. Wie man es auch nennen mochte, jedenfalls war es selbst im direkten Vergleich mit einer Schönheit wie Elaine Goff durchaus denkbar, dass der Blick des Betrachters zuerst bei ihm hängen blieb – und auch am längsten bei ihm verweilte.

»Wer ist denn der Typ mit den dunkelblauen Augen?«, erkundigte sich McCabe.

»Das ist John Kelly«, erwiderte Tasco. »Er leitet das Sanctuary House, eine kleine, gemeinnützige Einrichtung. Ein Heim für minderjährige Ausreißer am Longfellow Square. Klingt nicht wie einer, der in Abendgarderobe rumläuft. Das muss also auf irgendeiner Spendengala für seine Einrichtung gewesen sein.«

»Wer sind die Frau und die beiden anderen Männer neben Goff?«

»Weiß ich noch nicht«, meinte Tasco. »Das müssen wir noch rauskriegen.«

McCabe steckte die Bilder in die Brusttasche seines Jacketts.

Tasco reichte jedem einen weiteren Ausdruck. »Elaine Goffs Porträt auf der Webseite von Palmer Milliken.«

Elaine E. Goff

Angestellte Rechtsanwältin

Durchwahl: 207/555-1041

egoff@palmermilliken.com

Elaine Goff ist seit dem Jahr 2000 als Rechtsanwältin in der Abteilung für Firmenfusionen und Übernahmen bei Palmer Milliken tätig. Zuvor absolvierte sie ihr Rechtsreferendariat am United States District Court unter Richter Edward Mellman.

Ausbildung

Nach ihrem Bachelor of Arts am Colby College (1997) besuchte Elaine Goff die Cornell University School of Law, wo sie im Jahr 2000 ihren Doktortitel mit magna cum laude verliehen bekam. Sie war Mitglied im Redaktionsteam des Cornell Law Review und bekleidete in ihrem Abschlussjahr den Posten der Herausgeberin.

Zulassung

Elaine Goff ist zur Ausübung einer anwaltlichen Tätigkeit im Staate Maine zugelassen.

»Ist das eine gut aussehende Frau, Mannomann. Die reinste Verschwendung, kann ich da nur sagen.« Das war Brian Cleary. Er starrte immer noch auf Elaine Goff im Bikini. »Sie sieht aus wie diese Schauspielerin. Wisst Ihr? Wie heißt sie noch? Die die Frau von diesem Mathegenie gespielt hat in A Beautiful Mind.«

»Jennifer Connelly«, sagte McCabe.

»Genau. Jennifer Connelly. So sieht sie aus.« Cleary schüttelte bewundernd den Kopf. »Mann, ich weiß gar nicht, wieso sich so eine heiße Braut überhaupt den Stress macht, an die Uni zu gehen. Sie hätte doch auch Model werden können oder Schauspielerin, einfach alles.«

»Heiß? Mann, Brian, da hab ich aber was anderes gehört. Ich hab gehört, dass die Braut eiskalt sein soll.« Sturgis lachte schallend über seinen eigenen Witz.

»Zur Hölle noch mal«, sagte Maggie. »Brian, tu uns allen den Gefallen und hör auf, wie ein Pubertierender auf dieses Foto zu sabbern. Die Frau ist tot. Und, Carl, spar dir die dummen Sprüche, verstanden? Das ist nicht witzig.«

»Oh. Ja. Gott. Okay … ’tschuldigung, Mag«, stammelte Cleary, und sein normalerweise schon rotes Gesicht wurde noch eine Spur röter.

Sturgis starrte sie einfach nur wütend an. Es passte ihm nicht, dass er von einer Frau zurechtgewiesen wurde. Schon gar nicht von einer Frau, die jünger war und weniger Dienstjahre auf dem Buckel hatte als er und die trotzdem seine Vorgesetzte war.

McCabe mischte sich wieder ein. »Okay, das reicht«, sagte er. »Machen wir uns wieder an die Arbeit. Maggie, kannst du mit Hester reden? Der sitzt jetzt schon lange genug da und dreht Däumchen. Wenn wir noch länger warten, dann geht er uns womöglich stiften.« Falls Hester etwas zu verbergen hatte, dann würde Maggie am ehesten dahinterkommen. Wenn es darum ging, zurückhaltenden Zeugen Informationen zu entlocken, kannte McCabe niemanden, der besser war als sie. Er hatte erlebt, wie sie von einem Augenblick zum nächsten von mitleidig auf knallhart, von freundlich auf drohend umschalten konnte, und das alles, ohne die Zeugen wütend zu machen oder sie zum Verstummen zu bringen. Die meisten wussten gar nicht, wie ihnen geschah. »In der Zwischenzeit erzähle ich den anderen, was wir auf dem Anleger gesehen haben.«

Maggie nickte, sammelte ihre Papiere ein und ging hinaus. Im Lauf der folgenden fünfzehn Minuten legte McCabe den anderen alle Ermittlungsergebnisse dar, einschließlich des gefrorenen Zettels, den Terri aus Goffs Mund gezogen hatte, sowie ihrer Vermutung bezüglich der Todesursache.

»Sie war also sofort hinüber, was? Also, wenn mir jemand ein Messer in den Hals rammen würde, dann wär bei mir aber auch sofort Schluss mit lustig«, sagte Sturgis und fing schon wieder an, über seine eigenen dummen Sprüche zu kichern.

McCabe warf ihm einen warnenden Blick zu. »Mensch, Carl, wie gesagt: Lass die Witzeleien. Da ist eine Frau ermordet worden, und falls du oder sonst jemand hier im Raum das witzig findet, dann steht ihr wieder in Uniform auf der Straße, noch bevor ihr mit Lachen fertig seid, das könnt ihr mir glauben.«

Sturgis nuschelte eine Entschuldigung vor sich hin. McCabe wandte sich an Tasco. »Tommy, hast du mittlerweile Goffs Vermieter ausfindig gemacht?«

»Ja. Der Typ heißt Andrew Barker. Wohnt im gleichen Haus wie sie, im Erdgeschoss. Es ist ein Apartmenthaus mit sechs Wohnungen in der Brackett Street. Nummer 342. Barker meinte, dass Elaine Goffs Apartment direkt über seinem läge, im ersten Stock. Und dass er sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen habe. Er dachte, sie sei im Urlaub. Ich habe gefragt, ob der Briefkasten nicht überquillt. Er meinte, nein.«

»Hast du beim Postamt nachgefragt?«

»Ja. Mit denen war ich gerade am Telefonieren, als du mit Maggie zurückgekommen bist. Goff hatte einen Lagerauftrag erteilt, beginnend am Samstag, dem 24. Dezember. Ab kommenden Montag sollte ihre Post wieder normal zugestellt werden.«

»Noch was?«

»Ja. Ich habe Barker erklärt, dass wir in einem mutmaßlichen Mordfall ermitteln und ein paar Techniker vorbeischicken würden, die sich ihre Wohnung ansehen sollen. Darüber klang er irgendwie ziemlich aufgeregt. Wie auch immer, er hat zugesichert, dass er da sein würde, um unsere Leute reinzulassen. Außerdem hoffe er, dass Lainie nichts zugestoßen sei. So hat er sie genannt, Lainie. Ich habe ihm gesagt, dass wir noch nichts Genaueres wüssten.«

»Früher oder später wird er es erfahren«, sagte McCabe. »Zumindest, wenn er den Fernseher einschaltet. Haben wir wegen ihres Handys schon irgendwas erreicht?«

»Ja«, meinte Brian Cleary. »Da habe ich mich drum gekümmert. Sie ist bei Verizon.« Er warf einen Blick in sein Notizbuch und las vor. »555-4390 ist ihre Nummer. Ich habe mir eine einstweilige Verfügung besorgt und eine Liste mit allen abgehenden und ankommenden Anrufen der letzten drei Monate angefordert. Außerdem Zugriff auf ihre Mailbox, sodass wir die Nachrichten der letzten dreißig Tage abhören können. Ich habe gesagt, dass es dringend ist. Der Zuständige dort meinte, dass sie am Morgen alles beisammen hätten. Außerdem wollte er, dass ich ihm die richterliche Anordnung zufaxe. Das habe ich gemacht.«

»Gut.«

»Und dann noch was.« Cleary saß vornübergebeugt auf seinem Stuhl und klopfte nervös mit dem Fuß auf den Boden. McCabe sah in dem jungen Detective ein äußerst vielversprechendes Talent, ein Ebenbild der irischen Polizisten aus der Generation von McCabes Vater. Schlau und aggressiv und von einer gewissen arroganten Dreistigkeit, bei der McCabe sich an den Schauspieler Jimmy Cagney in seinen jungen Jahren erinnert fühlte. Ich hab’s geschafft, Ma! Jetzt bin ich ganz oben! Er hatte sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Cagney. Nicht besonders groß, knapp eins fünfundsiebzig vielleicht, mit rötlich-blonden Haaren und einem Gesicht voller Sommersprossen. Als Jugendlicher hatte Cleary sich gern mal geprügelt, so lange, bis sein alter Herr dem ein Ende gemacht hatte. Er hatte zu Brian gesagt, wenn es ihm schon so viel Spaß machte, andere zusammenzuschlagen, dann sollte er das doch lieber im Boxring anstatt auf dem Schulhof erledigen. Und so war er ein ganz ordentlicher Weltergewichtler geworden. Hatte im Portland Boxing Club etliche Kämpfe gewonnen. Hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt, Profi zu werden, aber nur kurz. Stattdessen war er zur Polizei gegangen.

»Ich habe auf der Webseite von Palmer Milliken auch die Personalchefin gefunden, eine gewisse Beth Kotterman. Hab sie zu Hause angerufen und sie gefragt, ob vielleicht irgendjemand bei PM über Goffs Urlaubspläne informiert war. Sie hat gesagt, ja, und zwar sie selbst. Anscheinend müssen alle Mitarbeiter eine Urlaubsadresse im Büro hinterlassen, für Notfälle.«

»Juristische Notfälle?«, erkundigte sich McCabe.

Cleary zuckte mit den Schultern. »Ich nehm’s an. Sie hat gefragt, wieso wir das wissen wollten. Ich habe ihr erzählt, dass wir Goffs Auto auf dem Anleger entdeckt haben und befürchten, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte. Sie hat alles stehen und liegen lassen und ist sofort ins Büro gefahren, um in ihren Unterlagen nachzusehen. Sie muss ganz in der Nähe wohnen, jedenfalls hat sie mich ein paar Minuten später zurückgerufen. Goff hatte zwei Wochen Urlaub geplant und sollte am kommenden Montag wieder zur Arbeit erscheinen. Ihr letzter Arbeitstag war Freitag, der 23. Dezember.«

»Vor zwei Wochen.«

»Ja, genau. Darum hat sie auch niemand vermisst. Vom Vierundzwanzigsten an hatte sie ein Zimmer im Bacuba Spa & Resort auf Aruba gebucht. Bacuba auf Aruba.«

»Für sich allein?«

»Ich nehme es an. Zumindest war es kein Doppelzimmer. Ich habe dort angerufen, und die hatten sie als Einzelreisende abgespeichert.«

»Dem Namen nach ist das ein ziemlich teurer Club, oder?«

»Oh ja. Zwölfhundert Dollar pro Nacht. Nachdem sie nicht aufgetaucht ist, haben sie eine Stornogebühr in Höhe von zwei Übernachtungen von ihrer Kreditkarte abgebucht. Abgesehen davon ist die Karte seit dem Zweiundzwanzigsten nicht benutzt worden. Die letzte Abbuchung betrug sechzehn Dollar und zweiundfünfzig Cent und erfolgte durch das Jan Mee Restaurant in der St. John Street.«

»Ist Kotterman noch im Büro?«

»Sie hat gesagt, sie werde wieder nach Hause fahren, aber wir könnten sie jederzeit anrufen, falls wir noch etwas bräuchten.«

»Hast du ihre Nummer da?«, fragte McCabe.

Cleary kritzelte sie auf ein Blatt Papier. McCabe warf einen Blick darauf und knüllte den Zettel anschließend zusammen. »Okay«, sagte er dann. »Für uns ist das ein Geschenk des Himmels. Jetzt haben wir wieder die Möglichkeit, Alibis zu überprüfen. Wer immer sie umgebracht haben mag, er muss sich zwischen dem Zeitpunkt, als sie das Büro verließ, und dem Abflug ihrer Maschine nach Aruba an sie herangemacht haben. Weißt du schon, wann sie abreisen wollte?«

Cleary schüttelte den Kopf.

McCabe wandte sich an Sturgis. »Carl, du kriegst bitte raus, von wo sie abfliegen wollte, mit welcher Maschine und ob sie noch eingecheckt hat.«

»Du glaubst, dass er sie am Flughafen entführt hat?«, fragte Tasco.

McCabe zuckte mit den Schultern. »Das sollten wir versuchen rauszukriegen.«

Sturgis rührte sich nicht vom Fleck. Wahrscheinlich, weil er als langjähriger Detective keine Lust auf primitiven Schreibtischkram hatte. Tja, Pech gehabt. Die Arbeit eines Detectives, ob nun langjährig oder nicht, bestand eben größtenteils aus primitivem Schreibtischkram.

»Und zwar jetzt, Carl«, sagte McCabe.

Sturgis nickte schließlich, stand auf und verließ den Raum. Auf dem Weg zur Tür hinaus begegnete er Maggie, ging jedoch ohne ein Wort an ihr vorbei.

»Was ist denn mit dem los?«, wollte sie wissen.

»Frag nicht.«

»Okay.« Maggie setzte sich zu den anderen an den Tisch. »Hester weiß absolut nichts.«

»Da bist du dir sicher?«

»Völlig sicher. Ich habe gebohrt, gezerrt, gebettelt. Er weiß wirklich nicht mehr als das, was er Vodnick auf dem Anleger erzählt hat.«

McCabe brachte Maggie auf den neuesten Stand. Anschließend saß er eine Minute lang stumm an seinem Platz und überlegte, wie die Ermittlungen jetzt weitergehen sollten.

Tasco brach das Schweigen. »Also gut. Und was machen wir jetzt?«

»Du gehst in die Brackett Street«, sagte McCabe. »Zusammen mit Brian. Und nehmt so viele Leute mit wie irgend möglich. Auch Fraser, wenn er hier auftaucht, und Bill und Will, sobald sie mit diesem Überfall fertig sind. Teilt euch in Zweierteams auf. Sorgt dafür, dass alle das Foto aus dem Palmer-Milliken-Lebenslauf dabeihaben, und klappert die Nachbarschaft ab. Ihr wisst ja, wie’s läuft. Zuerst die anderen Mieter in ihrem Haus, dann die Nachbarhäuser in der Brackett Street und dann die übrige Umgebung. Wenn es sein muss, weckt ihr die Leute eben auf. Denkt auch an die kleinen Geschäfte, in denen sie unter Umständen Kundin war. Reinigungen. Kioske. Ganz egal. Es ist ja noch gar nicht so spät. Der ein oder andere hat vielleicht sogar noch geöffnet.«

Maggie sah sich noch einmal die Fotos an. »Eines ist jedenfalls klar: Die Männer müssen scharenweise hinter Elaine Goff her gewesen sein. Wenn sie einen festen Freund hatte, dann sollten wir ihm unbedingt auf den Zahn fühlen. Vielleicht war das Ganze ja einfach bloß ein Beziehungsstreit, der aus dem Ruder gelaufen ist.«

»Passt aber nicht zum Vorgehen des Täters«, erwiderte McCabe. »Wütende Liebhaber wählen in der Regel eine etwas direktere Herangehensweise als ordentliche kleine Löcher im Nacken. Und Bibelzitate hinterlassen sie auch keine. Trotzdem hast du recht, das müssen wir überprüfen. Tom, sieh zu, ob du von irgendwelchen Nachbarn Namen oder Beschreibungen zu aktuellen oder ehemaligen Sexualpartnern bekommen kannst.«

»Vielleicht war es jemand, dem sie erst kürzlich den Laufpass gegeben hat«, meinte Cleary. »Jemand, der das vielleicht nicht so gut verkraftet hat und sich rächen wollte. Wir überprüfen auch noch, ob jemand anders als Goff am Steuer des BMW gesehen worden ist. Der Wagen ist ja sehr auffällig. Den vergisst man nicht so leicht.«

Tascos Bluthundgesicht mit den Hängebacken wirkte noch sorgenvoller als sonst. »Du weißt aber schon, dass wir das heute Abend nicht mehr alles schaffen können?«

Vielleicht sollte ich ihn in Zukunft Deputy Dawg nennen, wie diese alte Zeichentrickfigur, dachte McCabe. »Das verstehe ich«, sagte er. »Fangt einfach mal an und macht so lange weiter, bis irgendein konkreter Anhaltspunkt auftaucht. Und schickt ein paar Streifenbeamte los, damit die unten am Fish Pier die Anwohner befragen.«

»Okay, ich setze mal ein Team darauf an«, meinte Tasco, »aber du darfst nicht vergessen, dass das eine reine Bürogegend ist. Da ist um diese Zeit niemand mehr. Und als der Kerl die Leiche dort abgestellt hat, war wahrscheinlich auch kein Mensch in der Nähe. Könnte sein, dass das ganze Wochenende über keiner mehr auftaucht.«

»Wir warten aber nicht bis Montag ab«, entgegnete McCabe. »Das Ganze hat sich mitten in der Stadt abgespielt. Gut möglich, dass irgendjemand in der Nähe war und etwas gesehen hat. Vielleicht sogar jemand mit einer Kamera. Jemand, der Nachtschicht hatte. Ist die Fischbörse nicht rund um die Uhr besetzt?«

»Das war einmal«, schaltete sich Cleary ein. »Die Fischerei ist auch nicht mehr das, was sie mal war.«

»Na ja, solange niemand von euch eine bessere Idee hat, probieren wir es mal so. Ich bitte Fortier, euch genügend Leute zum Klinkenputzen zur Verfügung zu stellen.«

»Soll ich auch bei der Befragung der Nachbarn mitmachen?«, wollte Maggie wissen.

»Nein. Du gehst runter und siehst nach, wie weit Jacobi mittlerweile ist. Sobald er die Leiche aus dem BMW herausgetrennt und auf den Weg nach Augusta geschickt hat, gehst du mit den Kriminaltechnikern in die Wohnung des Opfers.«

»Und was machst du in der Zwischenzeit?«

»Ich rede mit Beth Kotterman und versuche herauszufinden, wer Goffs nächste Angehörige sind. Vielleicht erfahre ich auch, mit welchen Kollegen sie enger befreundet war.« McCabe erhob sich und griff nach dem kleinen Stapel Ausdrucke, der vor ihm lag. »Hat sonst noch jemand etwas?« Er blickte seine Mitarbeiter der Reihe nach an. Niemand sagte etwas. »Also gut, dann hätten wir’s. Ruft mich auf dem Handy an, sobald ihr auf irgendetwas stoßt, das von Bedeutung sein könnte. Ansonsten treffen wir uns morgen früh um zehn Uhr wieder hier. Und denkt an die Botschaft auf dem Zettel: Alle Sünder in meinem Volk sollen durchs Schwert sterben. Alle Sünder‹ klingt eindeutig nach mehr als einem Opfer. Falls dem so ist, dann sucht er vielleicht gerade jetzt schon nach einer neuen Spielgefährtin. Wir müssen ihn finden, bevor er sie findet.«

Angstschrei: Thriller
titlepage.xhtml
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_000.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_001.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_002.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_003.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_004.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_005.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_006.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_007.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_008.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_009.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_010.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_011.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_012.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_013.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_014.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_015.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_016.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_017.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_018.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_019.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_020.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_021.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_022.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_023.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_024.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_025.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_026.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_027.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_028.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_029.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_030.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_031.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_032.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_033.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_034.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_035.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_036.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_037.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_038.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_039.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_040.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_041.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_042.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_043.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_044.html
CR!FV5WQFP05H3MD3JTKF0FMF2H73Z3_split_045.html